Leider mussten die beliebten Konzertreihen in der Region Trier in diesem Jahr ausfallen: Porta hoch drei, die Amphitheater Open Airs, die großen Konzerte am Strandbad Losheim am See… leider Fehlanzeige aufgrund der Pandemie. Eine Situation, die potentielle Zuschauer natürlich bedauern, die aber für Veranstalter und alles, was damit zusammenhängt, existenzbedrohend ist. Wir müssen uns wohl darauf einstellen, dass es kaum große Events in diesem Jahr geben wird. Umso schöner ist es, wenn dann kleine Locations mit Leben gefüllt werden. Der Brunnenhof direkt neben der Porta Nigra in Trier ist eine solche Location. Die Akustik in diesem Innenhof ist phänomenal – das hat das Trierer Theater schon unter Beweis gestellt, als es den Brunnenhof als Ausweichstätte nutzte. Und auch Popp Concerts, die großen Veranstalter aus Trier, nutzen dieses altehrwürdigen Gemäuer jetzt für Konzerte, die Liebhaber gepflegten Indierocks begeistern.
Den Anfang machte am 21. August die Kölner Indiepop-Band Fortuna Ehrenfeld. Frontmann Martin Bechler kam stilecht barfuß im karierten Pyjama und hatte seine Kollegen Jenny Thiele (Keyboard) und Jannis Knüpfer (Schlagzeug) mitgebracht. Personal genug um eine ordentliche Soundkulisse aufzubauen. Und ihnen war die Freude anzusehen, eines der wenigen Konzerte in Corona-Zeiten geben zu können. „Pretty music, pretty people, pretty times“ war dann auch der perfekte Opener, um mit leisen Tönen das Setting zu beschreiben und einen fantastischen Konzertabend zu eröffnen.
Es war ein melancholischer Start mit sphärischen elektronischen Melodien und zweistimmigem Gesang von Martin und Jenny. Wunderschön. Bechler sagte selbst, man wolle erst einmal gemütlich in den Abend rutschen. Doch schon bald ging es in die Vollen und Fortuna Ehrenfeld zeigten, dass sie doch eigentlich da sind, um die altehrwürdige Porta Nigra zu rocken.
Die Musik ist genauso skurril wie das Auftreten des Frontmanns und die verklausulierten Texte. Da finden sich Elemente von New Wave, Punk und nostalgischen NDW-Zeiten. Drei Studioalben hat die Band in den vier Jahren ihres Bestehens bereits veröffentlicht – und die Fangemeinde wächst stetig. Es ist auch stark, was geboten wird: assoziative Texte, Wortspielereien, bildgewaltige Vergleiche. Dabei singt Bechler meist genauso lakonisch, wie er seine Ansagen ins Publikum feuert. Und doch reißt er die Menschen mit und entführt sie in seine eigene Gefühlswelt. Da durfte es schon mal zu „Manamana“ in den Reggae gehen. Oder man entfachte mit elektronischen Mitteln ein wahres Disco Inferno, dass die Porta im Hintergrund wackelte.
Die Zuschauerschar war stark durchmischt und weit entfernt vom „Alternative“ Publikum, das man vielleicht erwartet hätte. Doch er kriegte sie alle – und nach zwei Stunden gab es im Zugabenblock gleich zweimal Standing Ovations. Martin bedankte sich beim Trierer Publikum im Allgemeinen und der nahen Apotheke im Besonderen, die ihn nach einem Wespenstich mit heilender Salbe versorgt hatte.
Zum Schluss wurde es magisch: Bechler ließ alle Lichter ausschalten und die Band stand im Dunkeln auf der Bühne. Es gab den Song „Zwei Himmel“, als Aufforderung zum „Kümmern links und rechts“. Die Trierer hörten andächtig zu und auch nach dem letzten Ton hielt die Stille an. Das ist es, was Livemusik ausmacht und den Funken entzündet, der zwischen Künstlern und ihrem Publikum entsteht. Ein wundervoller Moment.
Dass du am Ende nicht vergisst,
Dass jeder Stern zwei Himmel ist.
Und einer davon führt dich sicher nach Haus.
Dass du am Ende nicht vergisst,
Dass alles das ist, was es ist.
Wir kommen da schon irgendwie heil wieder raus.
Am nächsten Abend, 22. August, übernahm Lokalmatador Nicholas Müller mit seinem Programm „Zum Sterben Zuviel – Ein Abend mit dem Tod & Nicholas Müller“. Ein klares Heimspiel, denn immerhin stammt der Sänger und Autor aus Daleiden in der Eifel, auch wenn er inzwischen im Münsterland lebt.
Der ehemalige Sänger von Jupiter Jones und später der Band von Brücken ist zudem Autor des Spiegel-Bestsellers „Ich bin mal eben wieder tot“ (2017), in dem er seine Angststörung verarbeitet. Sein aktuelles Programm ist eine Art Revue oder auch Konzeptkonzert, in dem das Multitalent das tut, was er wirklich gut kann: Musik machen mit Freunden, Gedanken teilen, mit Humor, zu einem unterschätzten, aber großen Thema.
Ein vom Band eingespieltes „Kumm, großer schwoazer Vogel“ des großartigen Liedermachers Ludwig Hirsch läutete den Abend ein. Wie eine Beschwörung von Tod und Trauer – aber auf freundschaftliche Art. Das war der rote Faden, der sich durch den ganzen Abend zog.
Nicholas hatte sich einiges einfallen lassen, um dem Thema Raum zu geben. Er sang Lieblingssongs anderer Künstler, die sich dem schwierigen Thema auf ihre ganz eigene Art widmeten, und natürlich selbst geschriebene Stücke von Jupiter Jones und Von Brücken. Dabei wurde klar, dass die Thematik ihn schon seine ganze Karriere lang begleitet – nicht erst seit dem Tod der Mutter, den er in seinem bekanntesten Song „Still“ verarbeitet.
Musikalisch gab es oft Nicholas pur – allein an der Gitarre. Doch er hatte auch eine formidable Liveband mitgebracht, das „Neon Orchester“, das eine fantastische Soundkulisse aufbauen und seine Rocksongs bis in die Trierer Fußgängerzone verbreiten konnte, was die Schar der Schaulustigen hinter den geschlossenen Toren des Brunnenhofs immer wieder bewies.
Es gab wundervolle alte Songs, beispielsweise von Juliane Werding: „Am Tag, als Conny Kramer starb“. Da sang der komplette Brunnenhof mit. Oder Death Cab for Cutie mit „I Follow You into the Dark“. Das hatte nicht jeder auf dem Schirm und es erzeugte eine nachdenkliche Stimmung. Von Dave Matthews wurde ein energisches „Grave Digger“ zum Besten gegeben, Galexico waren mit „Dead man’s will“ vertreten und Frank Turners „Long Live the Queen“ erzeugte eine sehr berührende Stimmung.
You’ll live to dance another day
It’s just now you’ll have to dance for the two of us
So stop looking so damn depressed
And sing with all your heart that the Queen is dead
Ganz groß wurde es aber mit den Stücken aus Nicholas‘ Feder, zu denen er eine Geschichte erzählen konnte. Überhaupt war es schön, ihn wieder mit Songs von Jupiter Jones zu hören, was er zu den Zeiten des Projekts Von Brücken vermieden hatte. So gab es den Klassiker „Jupp“ („Jupp nimmt seine Schatten mit auf dem Weg zum letzten Schritt“) und natürlich „Still“, das Nicholas allein an der Gitarre vortrug und bei dem manch einer einige Tränchen verdrücken musste.
Aus dem Von Brücken Repertoire bot Nicholas „Immerhin (für die Trauer)“ und das mystische Stück „Die Parade“, das tröstliche Worte für den eigenen Tod findet:
Und werd‘ ich zu alt, um noch jung zu sein
Dann bin ich zufrieden
Da unten wird’s schon nicht so dunkel, nein
Da unten ist Süden
Und die Parade hält nicht an
Ich hab genug dafür getan
Überhaupt waren die Annäherungen an das Ende (Spoiler: „Wir alle werden sterben“) keineswegs von Trauer und Angst gezeichnet. Mit seinem Charisma und der humorvollen Art fand Nicholas ein ums andere Mal die richtigen Worte. Er las nicht aus seinem Bestseller vor, sondern seine Idee ist es, für jeden Abend einen neuen Text zu verfassen. Vielleicht wird ja irgendwann ein thematischer Sammelband daraus. Im Brunnenhof ging es unter anderem um „letzte Worte“. Da durfte auch das Zitat von Oscar Wilde nicht fehlen, das Jupiter Jones im Jahr 2007 den wohl ungewöhnlichsten Albumtitel einer deutschsprachigen Band beschert hatte: „Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich“.
Neben dieser Lesung gehört zum Konzept auch eine Talkrunde, für die sich Nicholas bei jeder Show neue Gäste einlädt. Heute war zum einen Jan Kretzer zu Gast, mit dem er vor vielen Jahren das Duo Heisterkamp gebildet und ein Album namens „Schweren Herzens Popmusik“ auf den Markt gebracht hat. Zum anderen Dr. Jochen Veit, Nicholas‘ Arzt aus dem Münsterland. In Form einer illustren Talkshow sprachen die drei über den Tod, die Angst davor und den eigenen Umgang damit. Die Zuschauer erfuhren nichts weltbewegend Neues, aber es war ein Beispiel dafür, wie das Reden über den Tod (was häufig immer noch ein Tabuthema ist) die Menschen aufwühlt. Ein Ziel von Nicholas war es sicher auch, dieses Tabu aufzubrechen – und das gelang ihm an diesem Abend mit unterschiedlichen Mitteln.
Um die Sache rund zu machen, gab es zwei Solosongs von Jan Kretzer, während denen der vielbeschäftige Nicholas einmal durchatmen konnte, und danach von beiden zusammen den Heisterkamp Titel „Kein trauriges Lied“.
Nicholas Müller hatte alles gegeben an diesem Abend. Es war umwerfend, wie er diesen Konzeptabend zum vielleicht schwierigsten Thema der Welt konzipiert hat. Alles wirkte durchdacht und strukturiert. Und das Publikum hing an seinen Lippen – egal ob er sang oder erzählte. Nach zwei Stunden gab es eine einzige Zugabe. Er entließ uns mit dem Jupiter Jones Song „Auf das Leben“ in die Nacht. Es war der erste Song, den er mit der Band geschrieben hatte. Der Text war damals schon prophetisch für die Karriere dieses einzigartigen Musikers und an einem Abend wie diesem war er wichtiger denn je:
Und trotzdem bleibt es immer gleich,
Ich schlage auf und stell mir vor,
Was wäre wenn’s noch schlimmer wird,
Den immer gleichen Satz I’m Ohr:
Dass Atmen sich wohl trotzdem lohnt,
Das Schicksal niemals wen verschont,
Die Straße ist nicht immer eben
Und grad‘ deswegen: Auf das Leben!
Am 11. September wird übrigens Multiinstrumentalist Tristan Brusch die Open Air Reihe von Popp Concerts beenden und seine aktuelle EP „Operationen am faulen Zahn der Zeit“ vorstellen. Tickets gibt es exklusiv bei www.ticket-regional.de