Eines vorweg: Dieser Text kann nicht neutral geschrieben werden. Seit 2010 begleitet mich Frank Turner mit seiner Musik und seither ist kaum ein Jahr vergangen, in dem ich nicht auf ein, zwei oder mehr Konzerten von ihm war. Dafür bin ich teils auch weit gefahren, unter anderem war ich 2017 in Nancy, 2019 in London und 2022 bei seinem eigenen Festival „Lost Evenings“ in Berlin – mit vier Frank-Turner-Konzerten hintereinander.
Auch heute noch reißt mich der Brite bei seinen Live-Shows vom Hocker und entsprechend hat er in Köln am vergangenen Sonntag das komplette Palladium zum Beben gebracht. Ja, das ist ein generischer Satz, ja, ich habe mich gerade als Fan-Girl geoutet. Aber: Ich bin auch auf vielen Konzerten und nur sehr selten erlebe ich es, dass bis in die letzte Reihe hinein lauthals mitgesungen, gehüpft und getanzt wird und die Leute einfach eine richtig gute Zeit haben. Und damit meine ich nicht nur ein paar Fans, sondern wirklich die meisten.
Das mag an den zwei Regeln liegen, die es auf Frank Turner-Konzerten gibt: „Rule Number 1: If you know the lyrics, please sing along“. „Rule Number 2: Take care of each other and don’t be a dickhead“. Es funktioniert. Eigentlich immer. Ab und an gibt es trotzdem ein paar “dickheads”, aber Turner hat auch schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass er das Publikum durchaus im Blick hat und in Notfällen interveniert. In Köln war das glücklicherweise nicht notwendig.
Dieses Konzert jedenfalls war Nummer 2958 auf Turners Liste und auch wenn er eigentlich keinen Anlass benötigt, um auf Tour zu gehen, stand diese doch im Zeichen seines aktuell erschienenen, zehnten Albums „Undefeated“. Konzert-Müdigkeit merkt man ihm und der Live-Band „The Sleeping Souls“ (die übrigens auch abseits von Turner unter diesem Namen aktiv ist) überhaupt nicht an. Die Ansagen wirken von Herzen, die Anekdoten, obwohl schon x-Mal erzählt und gehört, nicht abgedroschen.
Dabei gönnt Frank Turner über weite Strecken der Show weder sich, dem Publikum noch der Band eine Pause. Oft geht ein Song in den nächsten über, manchmal wird mit oben angesprochenen Ansagen eine kurze Verschnaufpause eingelegt. Traditionell gibt es etwa zur Hälfte eine kurze Solo-Einlage mit einigen ruhigeren Songs, bevor alle wieder Vollgas geben – bis zum Ende.
Neben neueren Songs (die von vielen noch verinnerlicht werden müssen, so mein Eindruck) wie „No Thank You for the Music“ oder „Ceasefire“ (insgesamt sieben „Undefeated“-Songs) kann Turner aus einer langen Liste an Werken wählen. Klassiker durften dabei nicht fehlen, etwa „Photosynthesis“, „I Still Believe“ oder „If I Ever Stray“, aber auch seltener gespielte Songs wie „Redemption“. Insgesamt beinhaltete die Setlist 25 Songs.
Es ist nun nicht so, als wäre ein Turner-Konzert eine Tüte voller Überraschungen. Meist weiß man, was einen erwartet und vielleicht ist genau das etwas, was auch nach so vielen Jahren immer noch ein wohlig-warmes Gefühl vermittelt: Das Wissen, mindestens anderthalb bis zwei Stunden energiegeladene Musik von einem Typ mit Gitarre zu bekommen, der eigentlich immer auf Tour ist. Mit Songs, die von banalen Sing-Alongs hin zu Lebensweisheiten reichen und die so sowohl ein dickes Grinsen ins Gesicht zaubern können, als auch die ein oder andere Träne hervorrufen mögen. Nächstes Jahr im Februar ist Konzert Nummer 3000 in London im Alexandra Palace geplant, die Show ist schon längst ausverkauft. Zwischendurch geht es für Frank Turner nach Vietnam, Mexiko, durch Europa und nach Australien. 2025 im Sommer wird er noch auf einigen Festivals, auch in Deutschland, spielen, aktuell kommen verschiedene Bestätigungen rein (Vainstream, Deichbrand). Es lohnt sich, diesen Mann, auch nach 20 Jahren Frank Turner (solo), weiter im Auge zu behalten.
Als Support war die britische Folk-Punk-Band Skinny Lister mit dabei – ebenfalls seit 2009 schon unterwegs und live immer ein Erlebnis wert. Einziges Manko: Ist man nicht allzu sehr mit dem Oeuvre der Band vertraut, können die Songs rasch etwas austauschbar klingen. Als Vorbereitung am Sonntagabend war es trotzdem eine gute Wahl.
Es ist Mittwoch und pünktlich zum Bergfest macht man sich nach 9 Stunden Arbeit noch auf den Weg von Düsseldorf nach Köln ins Palladium.
An der Keupstraße angekommen, folgt man einfach der Basecap-tragenden Meute und dem süßlichen Duft in Richtung Konzerthalle. Bereits seit einem Vierteljahrhundert stehen die Konzerte von Cypress Hill im Zeichen der Hanfpflanze und ihrer berauschenden Wirkung. Blickt man sich vor der Konzerthalle so um, können sich 90 Prozent ihrer Fans mit der Band voll und ganz identifizieren. Doch an der Einlasskontrolle ist erst einmal Schluss mit „Everybody must get stoned“. Hier wird alles konfisziert – von Regenschirmen über Textmarker hin zu selbstgedrehten Spaßzigaretten getarnt in der Marlboro-Verpackung.
Drinnen legt bereits DJ CIG sein Opening Set auf, gefolgt von Support-Act Karate Andi. Der heizt dem Publikum, welches vom Alter her so gemischt wie nie ist, bereits ordentlich ein. Überpünktlich betreten B-Real, DJ Julio G., Sen Dog und Bobo um 20:55 Uhr die Bühne und machen mit „Get ´Em Up“ klar, dass sie auch nach 25 Jahren kein bisschen müde sind und allen Grund zum Feiern haben. Die Botschaft ist die gleiche geblieben, gerappte Postulate wie „I Wanna Get High“ und „Roll It Up, Light It Up, Smoke It Up“ werden heute genauso frenetisch bejubelt wie damals. Dass DJ Muggs an den Plattentellern fehlt, tut dem Ganzen keinen Abbruch, denn kein anderer als DJ Julio G. vertritt ihn. Nach „Insane in the Brain“ und den heißen Latino-Rhythmen von „Tequila Sunrise“ lässt das DJ und Percussion Solo die breit grinsenden Münder offen stehen. Cypress Hill ist eben eine Hip-Hop Band wie keine andere! Am Ende kündigen Sie ein neues Album (Elephants on Acid) an und spielen zwei eher rocklastige Tracks: „Rise Up“ und „(Rock) Superstar“.
Cypress Hill – eine Band mit schmalem Themenspektrum und breitem Publikum, von der man auch die nächsten Jahre noch einiges hören wird.
Der Rapper Marteria gab das neunte Konzert seiner aktuellen Tour am 16.03.2014 im Palladium in Köln. Das war von den Konzerten seiner aktuellen Tour als erstes ausverkauft, was die lange Schlange am Eingang erklärte. Auf seiner „Zum Glück in die Zukunft II“ Tour, die den Namen seines aktuellen Albums trägt, zog er in Köln dadurch etwa 4000 Fans in seinen Bann.
Neben Songs seines neuen Albums präsentierte Marteria auch Songs seines vorherigen Albums „Zum Glück in die Zukunft“ und Songs, die unter seinem Alter-Ego Marsimoto veröffentlicht wurden.
Der Start des Konzertes ließ erahnen, dass dieses Konzert nicht nur aus Zuhören bestehen wird. Direkt zu Beginn gab Marteria seine neuste Single „OMG!“ zum Besten. Als das Publikum diesen Song erkannte, erklang Jubel und man fing an zu springen und tanzen.
Nach diesem Auftakt präsentierte er ruhigere Songs seines aktuellen Albums wie „Pionier“ und „Eintagsliebe“. Bei dem Song „Glasklar/Herzerglüht“ wurde Marteria von Yasha und Miss Platinum unterstützt. Der anschließende Song „Kids“ ließ die Zuschauer erneut laut losjubeln und spätestens zu diesem Zeitpunkt bewegte sich jeder zu dem bekannten Beat.
Der Top-Hit „Lila Wolken“, welcher sich in Deutschland mehrere Wochen auf Platz 1 hielt, wurde erneut von dem Trio Miss Platinum, Yasha und Marteria gemeinsam performt und ließ die Massen textsicher mitsingen. Miss Platinum sang anschließend weitere Songs alleine, wie z.B. „99 Probleme“.
Nach dieser ‚Überbrückungszeit‘ erschien grüner Rauch und die langjährigen Fans wussten bereits, dass dies den Auftritt von Marsimoto bedeutet.
Marteria zeigte sich für die kommenden Songs in einem grün leuchtenden Overall und einer grünen Maske. Der Geruch von gerauchtem Cannabis stieg einem mit dem Start des Songs „grüner Samt“ in die Nase, denn die Fans haben sich dies für den Auftritt von Marsimoto aufgehoben. Die elektronisch gepitschte Stimme von ihm ertönte und die ausgelassene Stimmung wurde genossen.
Wieder in seinem vorherigen Outfit zeigte sich Marteria anschließend mit Songs wie „Endboss“ und „Marteria Girl“ von seines älteren Album „Zum Glück in die Zukunft“. Die Songs erweckten noch stärker den Eindruck man sei auf einer Party und so gaben sich die Zuschauer auch.
Einen abschließenden Höhepunkt erreichte das Konzert durch den Song „Feuer“, welchen wieder das gesamte Trio performte und damit angekündigt wurde, dass jeder ein Feuerzeug und bloß kein Handy-Licht anmachen sollte. Durch die Aufforderung sich hinzuhocken und zu Beginn des Refrains aufzuspringen, sprang die gesamte Masse überschwänglich zu den Beats.
Das Ende des Mainsets wurde mit dem Song „Welt der Wunder“ beendet. Man merkte schon zu diesem Zeitpunkt dass die Fans noch nicht für ein Ende bereit waren.
Als Zugabe performte Marteria „Crash dein Sound“ sowie „Die letzten 20 Sekunden“ und sprang in den Zuschauerraum um sich von seinen Fans tragen zu lassen, wodurch die in den ersten Reihen besonders begeistert wurden.
Insgesamt glich das Konzert eher einer großen gemeinsamen Feier. Die Stimmung war rundum entspannt und ausgelassen, was nicht zuletzt daran liegt, dass Marteria einen sympathischen und guten Entertainer abgegeben hat. Ob man großer Fan ist oder nur die bekannten Hits kennt, man kann auf seinen Konzert mitfeiern und einen gelungenen Abend erleben.
Für Köln wurde ein Zusatzkonzert im April geplant und auch dieses ist bereits ausverkauft. Viele Fans werden sich dieses Konzert erneut ansehen und andere erhielten dadurch die zweite Chance Marteria einmal live zu sehen.
Neben seinen kommenden Konzerten der Tour wird er im Sommer auch auf mehreren Festivals deutschlandweit Konzerte geben, auf die man sich sehr freuen kann.
Pünktlich zu ihrem vierten Studio Album Schlaflos melden sich Jennifer Rostock auf Deutschlands Bühnen zurück. Damit können alle Fans der fünf Wahl-Berliner, sowie Live Act-Begeisterte erleichtert aufatmen! Als Support für Ihre Schlaflos Tour 2014 haben Sie Marathonmann dabei. Die drei Münchener spielen seit circa drei Jahren zusammen und können jetzt schon auf einige Meilensteine zurückblicken. Als Support waren sie bis jetzt schon bei Casper oder sogar Comeback Kid dabei. Auf ihrem ersten Studioalbum Holzschwert, das 2013 erschienen ist, finden sich Gastsänger wie Richard Meyer von KMPFSPRT oder Guido Knollmann von den Donots. Dass sie es verdient haben, als Supportact aufzutreten beweisen sie ohne Probleme, musikalisch sicher und extrem sympathisch kommen sie gut beim Publikum an. Rein optisch könnte man sie allesamt sofort auf Viva laufen lassen. Dass die Jungs begeistert sind hier mit Jennifer Rostock auf der Bühne zu stehen, zeigen sie bei jeder Gelegenheit. Man hat das Gefühl nach jedem Song ein „Dankeschön“ der Band zu hören. Das kommt natürlich beim Publikum gut an, allerdings lässt es die Band weicher wirken, als sie selbst vielleicht sein will. Auf ihrer Fanpage bezeichnet sich die Band als Post-Hardcore, doch wirkt sie hier zu soft, um sich dem echten Post-Hardcore Fan schmackhaft zu machen. Man hat als Zuschauer außerdem das Gefühl, dass sich noch viel mehr Potenzial hinter den Jungs verbirgt. Das Potenzial lauter zu werden und auszuflippen. Heute wirken sie sehr zurückhaltend. Das Highlight des Sets ist ihr wohl bekanntestes Lied Die Stadt gehört den Besten. Dieser ist der Titelsong ihrer ersten, 2012 veröffentlichten EP. Es geht um Freundschaft wie Sänger Michi Lettner der Menge erklärt. Insgesamt acht Songs spielen die Jungs und wärmen damit das Publikum für den Hauptact des heutigen Abends auf.
Zu einem Elektrointro betritt Drummer Christopher Kohl genannt Baku die Bühne. Die großen Gitarren- und Bassamps sind durch Leuchtketten zu zwei großen Vierecken erleuchtet. Mit den ersten Schlägen auf den Drums erleuchtet nun auch das Schlagzeug. Ein einfacher Effekt mit einer großer Wirkung. Nacheinander betritt der Rest der Band zu dem Lied Phantombild die Bühne, bis bei einem großen Knall ein Vorhang in der Mitte der Bühne fällt, hinter dem Sängerin Jennifer Weist in Pose steht. Zwei große Konfettikanonenschüsse eröffnen ein jetzt schon vielversprechendes Set. Der Sound ist erstaunlich gut. Vor allem der starke Gesang fällt auf, wenn sich auch die Synthesizer ein wenig quietschig anhören. Es wären nicht Jennifer Rostock wenn sie nicht direkt nach ihrem ersten Lied einen kippen würden. Heute Abend ist es Mexikaner, der auf der Bühne unter den Musikern verteilt wird. Zum gewohnten Trinkkampfspruch Zicke zacke zicke zacke hoi hoi hoi kippen sie die erste und nicht letzte Runde des Abends. Nach ihrem Eröffnungslied vom neuen Album spielen sie einen Klassiker. Bekannt geworden ist Es tut wieder weh durch den Soundtrack zu Twilight 2: Biss zur Mittagsstunde auf dessen deutscher Version der Song veröffentlicht wurde. Das bedeutet nicht, dass es deshalb weniger gut bei den eingefleischten Jennifer Rostock Fans ankommt. Die Halle singt mit; auch zum Lied Nichts tät ich lieber von ihrem ersten Album Ins offene Messer von 2008.
Dass eine bühnenerfahrende Band wie der Hauptact Angst vor einer Tour haben könnte, glaubt man nicht. Aber genau das sagen die Musiker. Der Grund ist, dass der Release ihres neuen Albums so kurz vor der Tour war, dass die Fans die Texte vielleicht noch nicht kennen. Doch beim Lied Kein Bock aber Gästeliste von eben diesem Album können alle mitsingen und beweisen somit, dass die Bedenken unbegründet waren. Kein Bock aber Gästeliste ist auch einer der Songs, von dem es schon ein Video gibt. Dieses zeichnet sich vor allem durch die niedrigen Produktionskosten aus. Es wirkt wie ein Zusammenschnitt von Handyvideos und damit treffen sie genau den Ton des Songs an sich. Rotzig und textlich provokant. Hier erwartet man allerdings bei der Textstelle Und wo kriegen wir ein Feature her, das keinen interessiert?, dass es auch wie angekündigt ein Feature gibt. Jeder der die Band kennt weiß nämlich, dass es auf ihren Konzerten immer Überraschungen gibt. Ob es Sido oder Nico Webers von der im letzten Jahr aufgelösten Band War from a Harlots Mouth ist. Doch der Abend ist noch jung und die Fans können noch einiges erwarten.
Der zweite Kurze des Abends wird zur Begrüßung des neuen Rowdys Matt getrunken und das zu einem weiteren Zicke zacke zicke zacke hoi hoi hoi. Nach diesem Kampftrinkspruch kündigt sich jedoch ein ruhigeres Lied an. Bei Ich kann nicht mehr beweist Jennifer Weist, dass sie nicht nur wegen ihrem Unterhaltungsfaktor Sängerin ist. Sie ist stimmgewaltig, sicher und verspielt. Beim Lied Echolot teilt sie die Menge in Jungs und Mädels auf, um durch abwechselndes Mitsingen herauszuhören, wer mehr anwesend ist. Ganz klar gewinnen die Frauenstimmen! Das Ende des Liedes nutzt sie, um für Applaus für die Vorband Marathonmann zu bitten und zu erklären, dass ihre Vorbands immer mitspielen dürfen! Dafür kommt Sänger Michi von Marathonmann auf die Bühne. Zusammen performen sie Der Kapitän,was die Menge schon vorher an den aufgezogenen Kapitänsmützen erraten kann. Die zweite Strophe darf Michi singen. An Jennifer kommt er allerdings nicht ran, aber auch weil sein Mikrophon so leise ist, dass er gegen ihre Lautstärke anbrüllen muss.
Die erste Unterwäsche fliegt auf die Bühne. Um genau zu sein, ein Riesenschlüpfer im Oma-Stil. Darauf trinkt die Band ihren dritten Kurzen zu ihrem dritten Zicke zacke zicke zacke hoi hoi hoi. Auf den Trinkspaß folgt eine ernste Ansprache dazu, dass es egal ist, ob man dünn oder dick, homo oder hetero ist. Denn genau davon handelt ihre erste Singelauskopplung des neuen Albums Schlaflos. Zum Höhepunkt des Liedes Ein Schmerz und eine Kehle springt Sängerin Jennifer Weist in die Menge und lässt sich von Händen bis in die Mitte des Konzertsaals tragen. Wieder auf der Bühne schwingt sie die Regenbogenflagge, während die Band sich solidarisch im Takt aufs Herz klopft. Der Beobachter merkt, dass für die Band Toleranz ein wichtiges Thema ist.
Nach Tauben aus Porzellan begrüßt die Band einen Neuling auf der Bühne. Rowdys die Tabletts mit Shots auf die Bühne bringen, sind für die Band nämlich elementar wichtig und so klatscht das Publikum begeistert für Neuzugang Matt der eine Konfettikanone abfeuert. Die Partylaune nimmt eine kleine Auszeit als in der ersten Reihe ein Streit zwischen Security und Fans entsteht. Alamiert spricht Sängerin Jennifer Weist den Security an „Was machen die denn so schlimmes?“; ein lautes Nichts ertönt aus der ersten Reihe. „Dann geh doch mal aus deren Sicht, du Arsch“. Anscheinend sind die Mädels am Rauchen, was im Palladium verboten ist. Trotzdem sagt Jennifer Weist „Dann lass sie doch rauchen. Wir rauchen einfach alle! Dann können die nichts machen“. Tosender Applaus bis zum nächsten Programmpunkt. Traditionell holt die Band zum Lied Feuer zwei Fans auf die Bühne. Heute sind es Rebbeka und Mona die nach einem kurzem Bühnen-Crashkurs „Mikrofon an den Mund, sonst hört man euch nicht!“ aufgeteilt jeweils eine Strophe und einen Refrain singen dürfen. Mona beginnt, doch vergisst vor Nervosität den kompletten Text. Bei Rebbeka läuft es besser, sie kennt den Text, nur singen kann man ihr Sprechbrüllen nicht nennen. Jetzt liegt es am Publikum zu entscheiden wer gewonnen hat. Gewonnen hat laut dem Klatschen und Jubeln des Publikums Rebbeka. Sie bekommt als Preis einen Merchandise-Gutschein.
Nach dem neuen Lied Der blinde Passagier wird zur Tittensuppe aufgerufen. Oberteile werden ausgezogen und durch die Luft gewirbelt während die Band Du willst mir an die Wäsche anstimmt. Nach Himalaya stimmt die Band etwas romantischere Töne an. Zu Das Schiff versinkt wird das Licht rötlich und gedämmt. Statt der sonst gewohnten Feuerzeuge leuchten Handys und Kameras bis das Lied mit einem Cover von Miley Cyrus‚ Wrecking Ball endet. Und es klingt gewaltiger als das Original! Jennifer Weists Kommentar zu Miley Cyrus: „Die Frau ist kacke, der Song geil!“. Um bei der romantischen Stimmung zu bleiben, erklärt Keyboarder Johannes Walter, Joe genannt, wie er Du nimmst mir die Angst geschrieben hat. Als er während der letzten Tour auf der Bühne seinem Freund einen Heiratsantrag gemacht hat, setzte er sich abends an dieses Lied. Das einzige Liebeslied, das es auf einer Jennifer Rostock Platte gibt. Die Menge ist berührt und stimmt beim Refrain ein. Um nach diesen seichten Liedern die Stimmung wieder zum Kochen zu bringen, bewegt Jennifer Weist das Publikum dazu, einen leeren Kreis in der Mitte des Palladiums zu bilden. In diesem sollen sich alle ausziehwilligen Jungs versammeln.
Beim Start ihres vermeintlich letzten Songs des Abends Es war nicht alles schlecht sollen eben diese nackten Jungs aufeinander zulaufen wie bei einer Wall of Death. Ein starkes Stück zu dem letztendlich doch Nico Webers von War from a Harlots Mouth für seinen Feature-Part auf die Bühne kommt. Leider ist sein Mikrofon zu leise, was dem Song etwas an Energie raubt. Riesenapplaus, aber man spürt, es ist noch nicht vorbei. Da müssen noch Lieder kommen. Auf die verlangte Zugabe müssen die Fans nicht lange warten. Quasi nahtlos spielen sie Zeitspiel, bei dem der Group-Shout des Liedes leider etwas mickrig wirkt. Der Stimmung tut das nichts an, vor allem nicht als Jennifer Rostock das Lied Kopf oder Zahl anstimmen. Nach einem letzten Mexikaner gibt es das von den Fans nicht ersehnte letzte Lied. Zum letzten Refrain von Mein Mikrofon holen sie Marathonmann und Nico Webers nochmal auf die Bühne und singen mit der gesamten Menge die Textstellen „Ich geh da hoch und streich den Himmel neu. Ich geh da hoch und mach die Sterne scheu“. Zu einem letzten großen Instrumentenwirbel beendet die Band ihren Gig mit der Anti-Rechts-Parole „Nazis raus, Schwanz rein“. Das bunte Publikum kann auf einen gelungenen Abend zurückblicken! Mit einer der unterhaltsamsten Bands des deutschen Musikhimmels.
Doch wer jetzt schon gegangen ist, ist selbst schuld. Bei ihrer zweiten Zugabe performen sie Schlaflos, den Titelsong ihres neuen Albums. Das Lied steigert sich von einem reinen Klavierintro hin zu einem epischen Ende mit allen Instrumenten und einer letzten Ladung der Konfettikanonen.
Anfang Februar wurde Tim Bendzko mit der Goldenen Kamera in der Kategorie „Beste Musik National“ ausgezeichnet. Seinen Durchbruch hatte er im Juni 2011 mit dem Debütalbum „Wenn Worte meine Sprache wären“. Die Single „Nur noch kurz die Welt retten“ hielt sich 47 Wochen lang in den Charts und wurde später mit Platin ausgezeichnet. Nicht wenige sortieren den 28-jährigen Berliner gerne in die Schublade „Deutscher Befindlichkeitspop“ ein, wo bereits Kollegen wie Clueso, Xavier Naidoo oder Laith Al-Deen ihren Platz gefunden haben. Zugegebenermaßen gehörte Tim Bendzko bisher auch nicht gerade zu meinen selbsternannten Favoriten. Doch es gibt Situationen, da folgt das Leben keinem vorgefertigten Plan und so finde ich mich heute im ausverkauften Kölner Palladium wieder, um den Auftakt seiner „Ich steh nicht mehr still“-Tour mitzuerleben. Eigentlich fand der schon gestern an gleicher, ebenfalls ausverkaufter Stelle statt, aber da der Mittwochtermin offiziell als Zusatzkonzert deklariert war, startet die Tour genau genommen erst richtig am heutigen Donnerstag. Hört sich komisch an, ist aber so.
Dass zeitgleich im gegenüberliegenden E-Werk die Stunksitzung stattfindet, macht die ohnehin schon schwierige Parkplatzsituation rund um die Mülheimer Schanzenstrasse nicht unbedingt einfacher. Trotz der Geduldsprobe im strömenden Regen sind die Fans extrem gelassen. Da wird in der Schlange vor dem Essensverkauf nicht gemeckert und beim Gang durch die vollen Reihen höflich Platz gemacht. Für seine insgesamt 27 Konzerte hat sich Tim Bendzko zwei Special Guests eingeladen. Den Auftakt macht der Wahl-Hamburger Tom Klose, der zwar auf Englisch singt, mit seinem Genremix aus Pop, Country und Soul aber ansonsten gut zum musikalischen Kosmos des Abends passt und nach einer halben Stunde mit wohlwollendem Applaus verabschiedet wird. Ihm folgt Julia Engelmann, seit dem „Bielefelder Hörsaal Slam“ der Shooting-Star in der Poetry-Slam-Szene. Die 21-jährige Studentin aus Bremen ist spürbar nervös. Ich finde sie im Vorprogramm eher deplaziert, aber schließlich schafft sie es doch die Halle mit ihrem Text „One Day“ zu fesseln. Und so schnell wie sie gekommen ist, ist sie auch schon wieder weg.
Um 20.40 Uhr fällt dann der Vorhang für Tim Bendzko. Rein optisch könnte er durchaus als der jüngere Bruder von Matthias Schweighöfer durchgehen. Mit „Mein Leben ist dein Leben“ startet er in sein Set und der Sound ist für die sonst eher gewöhnungsbedürftige Akustik im Palladium von Beginn an überraschend klar und ausbalanciert. Auch die Kölner erweisen sich vom ersten Ton an als überaus textsicher. Erstaunlicherweise bestand nach Aussage von Tim Bendzko am Vorabend der Grossteil des Publikums aus Männern. Diesmal sind die Frauen deutlich hörbar in der Überzahl. Weiter geht es über „Ohne zurück zu sehen“ und „Vergessen ist so leicht“ bis „Alles was du wissen musst“. Untermalt wird das Ganze von einer geschmackvollen Lightshow und allerlei witzigen Projektionen im Bühnenhintergrund. Es hat schon fast einen Anflug von Rebellion, wenn dort überlebensgrosse Strichmännchen auf einer Backsteinmauer auftauchen und unfreiwillig ihren Mittelfinger ausstrecken. Währenddessen versucht Tim Bendzko ein wenig zu tanzen, was ihm jedoch nicht sonderlich gut gelingt.
Was macht den Reiz dieses „Betroffenheits-Poeten“ aus, der es nach nur zwei Alben schafft, das Palladium gleich zweimal hintereinander auszuverkaufen? Ist es die Tatsache, dass man den Alltag für ein paar Stunden gegen eine Welt aus einfachen Worten und sanften Zwischentönen eintauschen kann? Bei Tim Bendzko hängt das Leben „Am seidenen Faden“, aber es geht bis „Unter die Haut“. Spätestens als „Nur noch kurz die Welt retten“ erklingt wird klar, dass die 4.000 Fans das genau so sehen. Lediglich beim eingestreuten Grönemeyer-Cover „Was soll das?“ zeigen sie sich leicht irritiert. Als der Song 1988 auf dem „Ö“-Album des Bochumer Barden erschien, rannten einige von ihnen wohl noch mit der Windel um den Weihnachtsbaum. Fast wie zum Trost lässt es sich Tim Bendzko während „Sag einfach ja“ nicht nehmen in den Fotograben zu springen und auf Tuchfühlung zu den ersten Reihen zu gehen. Die Band, die sich den gesamten Abend über als wunderbar spielfreudig präsentiert, zeigt ihm derweil, wie man auf einer Bühne wirklich tanzt.
Den ersten Zugabenblock eröffnet Tim Bendzko alleine mit Gitarre und „Ich laufe“. Danach erklärt er uns, was es bedeutet „Wenn Worte meine Sprache wären“, bevor die Kölner erneut dazu aufgefordert sind, weiteren Nachschlag zu verlangen. Sie bekommen ihn passenderweise in Form von „Mehr davon“ und dem aktuellen Hit „Programmiert“. Dabei teilt Tim Bendzko die Menge in zwei Hälften (blau und grün) und lässt sie abwechselnd den Refrain singen. Nach zwei Stunden bildet „Leicht sein“ dann den endgültigen Abschluss. Als die Hallenbeleuchtung wieder angeht und ich in die Gesichter um mich herum blicke, scheint das für den einen oder die andere tatsächlich das Motto für den Heimweg zu sein. Und egal was man von Tim Bendzko halten mag oder nicht, das ist es doch was Musik ausmacht: Grosse Gefühle!
Einen spektakulären Auftakt zu ihrer Tour gab die Singer-Songwriterin Ellie Goulding am 28.01.2014 im Palladium in Köln. Um die begehrten Plätze in den ersten Reihen ergattern zu können, standen die Gäste mehrere hundert Meter Schlange. Das Konzert war ein voller Erfolg für die Gäste sowie für Ellie Goulding.
Der Tourstart der 27-Jährigen Britin wurde ursprünglich für die Live Music Hall geplant, in welcher weniger als die Hälfte Zuschauer Platz gefunden hätten. Das Verbreiten der neuen Single „Burn“ erhöhte jedoch den Bekanntheitsgrad von Goulding und die Nachfrage nach den Konzertkarten stieg enorm. Der Song „Burn“ entwickelte sich zu einem Nummer-1 Hit in England und das dazugehörige Album zu einem großer internationaler Erfolg. Nachdem das Konzert in das Palladium verlegt wurde, waren auch schon hier gut zwei Monate vor dem Event alle Tickets ausverkauft.
Ellie Goulding verzauberte ihre Fans in einem knappen Leder-Outfit inklusive schwarzen Doc Martens und begann das Konzert mit dem Song „Figure 8″ aus ihrem aktuellen Album. Zur Begrüßung nach dem zweiten Song „Ritual“ gewann sie ihre Fans mit ihrer signifikanten, sympathischen Stimme erneut für sich und sprach zusätzlich die Fans an, die sie von einem Konzert ihrer letzten Tour wieder erkannte.
Das gesamte Konzert über performte Goulding mit viel Energie 21 Songs ihres aktuellen Albums „Halcyon Days“ und einige aus ihrem ersten Album „Bright Lights“. Abgesehen vom Gesang begeisterte Goulding ihre Zuschauer zusätzlich mit ihren Schlagzeug- und Gitarrenkünsten. Unterstützt wurde ihre Performance durch farbige Lichtakzente ganz im Zeichen ihrer Single „Lights“. Die elektrischen Beats animierten die Zuschauer im Verlauf des gesamten Konzertes zu Bewegungen.
Ein besonderer Höhepunkt dieses Konzertes war die Darbietung des bekannten Covers von der Ballade „Your Song“ (ursprünglich von Elton John), bei welchem nahezu jeder Zuschauer Goulding textsicher begleitete. Daran angeschlossen präsentierte sie die sanften Balladen „How long will I love you“, „The Writer“ und „Explosions“. Durch die Songs „Explosions“, „Only you“ und „This Love“ lockerten sich die Bewegungen der Zuschauer weiter und zu den mitreißenden Beats der Songs „Anything could happen“ und „I need your love“ tanzte schließlich jeder im gesamten Zuschauerraum.
Das Mainset endete mit der erfolgreichen Single „Lights“ aus ihrem ersten Album. Als Zugabe und somit zur Verabschiedung sang Goulding endlich die langersehnte Single „Burn“ und gab dem Konzert somit einen gebührenden Abschluss.
Nach ihrem ersten Konzert in Köln gab es ein weiteres in Offenbach, bevor sie in den skandinavischen Ländern Konzerte gibt. Anfang Februar tritt sie im Rahmen ihrer Tournee erneut in Deutschland auf. Bis zum 9. März 2014 wird Ellie Goulding ihre Tour in Europa fortsetzen und anschließend in den USA weitere Konzerte geben.
Wer sich etwas besser mit den speziellen Kölner Gepflogenheiten auskennt, der weiß, dass in der Domstadt Traditionen oft schneller geboren werden als anderswo. Findet etwas zweimal hintereinander statt, spricht der Rheinländer bereits von einer Tradition und zu einer solchen ist inzwischen auch das New Model Army-Weihnachtskonzert geworden. In diesem Jahr gastiert die Band bereits zum vierzehnten Mal kurz vor Heiligabend in Köln. Am Nachmittag des Konzertes machen wir uns auf ins Palladium, um Frontmann Justin Sullivan zu treffen. Im Backstagebereich herrscht leichte Hektik, weil man etwas dem Zeitplan des Tages hinterherhinkt, aber schließlich finden wir doch ein ruhiges Plätzchen im Bandraum. Marshall Gill klimpert auf seiner Gitarre herum, während Dean White und Michael Dean angestrengt im Internet surfen. Justin Sullivan macht es sich auf dem Sofa bequem, nimmt einen tiefen Zug aus seiner E-Zigarette und beantwortet entspannt die Fragen unseres Chefredakteurs Thomas Kröll.
Ihr seid jetzt seit Ende September auf Tour. Wie sieht so ein typischer Tourtag bei euch aus?
Justin Sullivan: Das kommt darauf an in welchem Land wir gerade sind. In Deutschland sieht das ungefähr so aus wie hier. Wir sitzen zusammen und reden über alles Mögliche. In der Zeit erledigt die Crew ihre Arbeit. Wenn sie fertig ist machen wir unseren Soundcheck und danach schlafen wir vielleicht noch ein wenig. Dann spielen wir unser Konzert und nach dem Konzert gehen einige von uns noch in die Stadt, um etwas zu trinken und der Rest ins Bett. Am nächsten Tag besteigen wir unseren Bus und fahren zum nächsten Konzert. Wir reden viel miteinander. Andere Bands schauen sich stattdessen Filme an. Das machen wir aber kaum, weil es immer so viele Dinge zu erzählen gibt. Ich glaube der Grund dafür ist, dass jeder in der Band und in der Crew einen anderen Background und eine andere Lebensgeschichte hat. Die Gesprächsthemen gehen so nie aus. Sogar nach drei Monaten auf Tour finden wir immer noch Dinge über die wir sprechen können.
Köln ist heute die vorletzte Station der Tour. Das Weihnachtskonzert hier ist für euch und die Fans inzwischen zu einer Art Tradition geworden. Immerhin seid ihr bereits zum vierzehnten Mal zu Gast. Habt ihr dabei auch eine spezielle Beziehung zur Stadt aufgebaut?
Justin Sullivan: Ich glaube, jeder liebt Köln. Die Leute kommen gerne hierher, weil es eine so liberale Stadt ist. Köln hat eine schöne Atmosphäre, es gibt viele Orte, wo man hingehen kann. Der Dom ist eines der sonderbarsten Wunder dieser Welt. Wie ein außerirdisches Raumschiff vom Planeten Goth, das in einer ansonsten modernen Stadt gelandet ist (lacht). Das ist sehr außergewöhnlich. Dann ist da noch der Rhein… es ist nicht schwer diese Stadt zu mögen.
Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben hast du gesagt, dass du gerne mal ein Fußballspiel im Kölner Stadion besuchen würdest. Hast du das mittlerweile geschafft?
Justin Sullivan: Gibt es nicht zwei? Das andere ist doch in Leverkusen. Aber das gehört nicht zu Köln, oder?
Nein, eindeutig nicht. Das ist der falsche Verein.
Justin Sullivan: Oh mein Gott, sorry (lacht). Wir sprechen vom FC Köln. Leverkusen ist woanders. Alles klar! Aber ich war immer noch nicht hier im Stadion. Eines Tages werde ich das aber sicher noch tun. Ein paar andere Stadien in Deutschland habe ich allerdings schon gesehen. Doch keine Sorge, Leverkusen war nicht dabei.
Heute abend habt ihr zwei Special Guests auf der Bühne. Zum ersten Tobias Unterberg am Cello und zum zweiten Ed Alleyne-Johnson, der in der Vergangenheit schon unzählige New Model Army-Konzerte auf seiner Violine begleitet hat.
Justin Sullivan: Das ist richtig. Als wir „Thunder And Consolation“ aufnahmen, komponierten wir „Vagabonds“ auf dem Keyboard, bis Robert (Heaton, der damalige Schlagzeuger, Anm.d.Red.) sagte: Wir brauchen einen richtigen Violine-Spieler. Damals waren wir in der Nähe von Oxford und fragten alle im Studio, ob sie einen solchen Violine-Spieler kennen, bis jemand sagte: Ja, ich kenne diesen Typen, der Ed heisst. Wir luden ihn also zu den Aufnahmen von „Vagabonds“ in unser Studio ein und als er auftauchte, war es von beiden Seiten wie Liebe auf den ersten Blick. Besonders das Intro zu „Vagabonds“ spielte er wirklich wundervoll. Da wir gerade auch jemanden brauchten, der Keyboard spielt, nahmen wir ihn mit auf Tour und er spielte vier Jahre lang Keyboard und Violine auf unseren Konzerten. Irgendwann wollte er sich dann wieder mehr um seine Solo-Aktivitäten kümmern. Und wir hatten das Gefühl, dass wir irgendwie festgefahren waren in der Folkrock-Welt. Gerade als diese Welle begann so richtig erfolgreich zu werden beschlossen wir etwas anderes zu machen. Das Ergebnis war „The Love Of Hopeless Causes“, das ein richtig hartes Rockalbum ist. Wir trennten uns in aller Freundschaft, hielten aber immer Kontakt. Vor kurzem haben wir in Manchester gespielt und Ed rief mich an und sagte: Ihr seid in Manchester? Kann ich vorbeikommen und mit euch spielen? Ich sagte: Natürlich kannst du das. Und beim Weihnachtskonzert in Köln hätten wir dich auch gerne dabei. Das einzige Problem heute ist, dass die Fluggesellschaft seine Violine verloren hat. Wir mussten uns eine leihen, aber ich hoffe er kommt damit klar.
Lass uns über euer neues Album „Between Dog And Wolf“ sprechen. Welche Intention steckt hinter dem Titel?
Justin Sullivan: Es ist eine Art Neuerfindung. Weisst du, wir haben eine Reihe Folkrockalben gemacht und wir brauchten etwas Neues. Nehmen wir zum Beispiel „Today Is A Good Day“. Du schreibst Songs, du arrangierst sie, du gehst ins Studio und nimmst sie zusammen auf. So haben wir das die letzten beiden Alben getan und diesmal wollten wir es anders machen. Michael (Dean, der aktuelle Schlagzeuger) und ich sprechen schon lange darüber den Drumsound vielschichtiger zu machen. Nelson (eigentlich Peter Nice, Bassist bis 2012) verließ zu dieser Zeit gerade die Band aus familiären Gründen und Ceri (Monger) stieß dazu. Einer der Gründe, warum wir uns für Ceri entschieden, war dass er nicht nur ein guter Bassist, sondern auch ein guter Schlagzeuger ist und für das, was wir vorhatten brauchten wir einen zweiten Schlagzeuger auf der Bühne. Früher haben wir zwar auch Alben mit guten Songs gemacht, aber sie waren meist nicht gut abgemischt. Das Ergebnis war nicht immer befriedigend. Darüber haben wir viel nachgedacht. Wir lieben Tom-Tom-Rhythmen, schwere Schlagzeugsounds, das Gefühl des tiefen Basses und dunkel gestimmte Gitarren. Auf „Between Dog And Wolf“ haben wir das Schlagzeug sehr viel mehr in den Vordergrund gestellt und auch ich habe mich beim Gesang zurückgenommen. Wir haben alleine eine Woche in London damit verbracht die Drumparts aufzunehmen. Auf Tape und nicht am Computer. Das macht einen grossen Unterschied in der Qualität aus. Danach nahmen wir den Rest in Angriff und in manchen Fällen schrieben wir die Songs erst nachdem wir das Schlagzeug dazu aufgenommen hatten. Am Ende war der Plan einen absoluten Topmann als Mixer zu verpflichten und wir fanden Joe Barresi, was eine sehr gute Entscheidung war. Du weisst ja was er tut. Er ist einer der Besten.
In den letzten vier Jahren sind viele Dinge passiert. Der Tod von Tommy Tee (langjähriger Manager von New Model Army), der Brand in eurem Studio oder der Diebstahl eures Equipments. Würdest du das Album deshalb auch als eine Art Neuanfang für euch bezeichnen?
Justin Sullivan: Ja, in der Tat. Das ist das Album, das wir schon immer machen wollten. Und diese ganzen Dinge, die passiert sind, haben es nur verzögert. Als wir im Sommer letzten Jahres schließlich damit begannen, ging alles sehr schnell. Wir waren schon im Februar komplett fertig.
Ihr habt eure Sache offensichtlich sehr gut gemacht. Mit „Between Dog And Wolf“ gelang euch der höchste Charteinstieg in England und Deutschland seit 1993.
Justin Sullivan: Ja, aber glaube niemals das, was du in den Charts siehst (lacht). Trotzdem ist es natürlich ein schöner Erfolg.
Ich habe mir die Setlisten der bisherigen Tour mal angeschaut und dabei ist mir aufgefallen, dass ihr regelmäßig acht oder neun Songs des neuen Albums live spielt, was eher ungewöhnlich für euch ist. Zeigt das auch den Stolz, den ihr für „Between Dog And Wolf“ empfindet?
Justin Sullivan: Oh ja, wir sind definitiv stolz darauf.
Du bist als ein sehr kritisch denkender Mensch bekannt, gerade wenn es um Politik geht. Die Texte auf „Between Dog And Wolf“ sind sehr viel weniger politisch als die Texte auf, sagen wir mal, „Today Is A Good Day“. Glaubst du inzwischen, dass die Menschheit nichts mehr aus ihren Fehlern der Vergangenheit lernen wird und dass sich Geschichte sowieso irgendwann wiederholt?
Justin Sullivan: Das habe ich tatsächlich lange Zeit geglaubt. Auf „Today Is A Good Day“ ist all das, was wir zum Börsenchrash von 2008 und seinen Folgen sagen wollten. Es erschien mir also nicht nötig, das nochmal zu sagen. Ich sitze ja nicht da und denke ständig darüber nach, in welcher Gesellschaft ich eigentlich lebe. Auf diesem Album gibt es auch einen Song über die Revolution in Ägypten. Meine Schwester lebt in Kairo und ich habe sie dort 2011 besucht. Darüber habe ich dann diesen Song geschrieben. Die meisten Songs handeln aber einfach über Menschen und ihre Beziehungen zueinander. Es ist eine Mischung aus meinen eigenen Erfahrungen und denen anderer Leute. Manchmal werde ich gefragt, was hinter diesem oder jenem Song steckt. Ich möchte dazu dann gar nicht viel sagen, weil ein Song immer von den Erfahrungen besetzt werden soll, die der Hörer selbst damit verbindet. Er soll sich seine eigene Interpretation dazu basteln.
Nächstes Jahr im Januar soll eine Filmdokumentation von Matt Reid über die Bandgeschichte von New Model Army erscheinen. Was können wir davon erwarten?
Justin Sullivan: Es wird wohl nicht im Januar, sondern irgendwann später im Jahr sein. Es ist in erster Linie sein Film und nicht unserer. Er ist auf uns zugekommen und hat gefragt, ob er einen Film über uns machen kann. Und es ist auch keine vollständige Zusammenfassung der Bandgeschichte, denn er kann keine 33 Jahre in einen Film packen. Der Film wird aber interessant sein für Leute, die noch nichts über New Model Army wissen. Es ist kein Film, den wir uns ausgesucht haben zu machen. Es ist seine sehr eigene Sicht der Dinge und spiegelt eine bestimmte Zeit unserer Geschichte wider. „Thunder And Consolation“ war das Album seiner Jugend und so handelt der Film vorwiegend von dieser Ära. Ich hasse den Film, weil ich die Vergangenheit hasse (lacht). Aber ich glaube trotzdem, dass es ein interessanter Film wird.
Das hoffe ich auch. Letzte Frage: Feierst du Weihnachten und wenn ja, wie?
Justin Sullivan: Das ist in jedem Jahr anders. Weihnachten ist ja eine deutsche Erfindung. Wusstest du das?
Nein. Eine deutsche Erfindung?
Justin Sullivan: Ja. Wieviele Bäume kommen in der Bibel vor? Früher gab es den Brauch am Jahresende all die Dinge zu essen, die sich nicht aufheben ließen. Man nannte das ein Fest des Lichts, um den kalten Winter und den Wechsel der Jahreszeiten zu feiern. Ab heute werden die Tage übrigens auch wieder länger. Wir nähern uns langsam wieder dem Sommer. Aber dieses ganze grosse Ding mit den Kerzen und dem Weihnachtsbaum ist deutsch. Es kam nach England mit Albert, dem deutschen Mann von Königin Victoria und wurde modern. Als Charles Dickens dann seine berühmte Weihnachtsgeschichte schrieb, wurde damit eine spezielle Version von Weihnachten etabliert und verbreitete sich rund um die Welt. Auch nach Amerika. Aber in Amerika hat Thanksgiving eine viel grössere Bedeutung. Das Weihnachten, das wir kennen, kommt aus Deutschland und von Charles Dickens.
Wieder was gelernt. Vielen Dank dafür und für das Interview!
Ein grosses Dankeschön geht auch an Oliver Bergmann (Oktober Promotion) für seine Unterstützung bei der Vermittlung dieses Interviews!
Einen Bericht über das New Model Army-Weihnachtskonzert im Kölner Palladium findet ihr hier!
Das New Model Army-Weihnachtskonzert in Köln ist für Band und Fans mittlerweile eine liebgewonnene Tradition. Zum vierzehnten Mal gibt sich das Quintett aus dem englischen Bradford nun schon die Ehre in der Domstadt. Seit mehr als 30 Jahren gehören New Model Army zur Speerspitze der Underground-Bewegung und ihr Stilmix aus Rock, Folk und Punk klingt immer noch genauso archaisch und kämpferisch wie zu Zeiten von „Vengeance“, „The Ghost Of Cain“ oder „Impurity“. Am 20. September erschien ihr inzwischen zwölftes Studioalbum „Between Dog And Wolf“, das mit Platz 31 den höchsten Charteinstieg der Band in Deutschland seit 1993 markierte.
Das Palladium ist heute die vorletzte Station ihrer gleichnamigen Tour. Wie immer dürfen diejenigen, die auf der Gästeliste stehen, fünf Euro für einen guten Zweck spenden, was wir gerne tun. Diesmal für den Hamburger „KiezKick“, ein kostenloses Fußballtraining für Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 18 Jahren auf St. Pauli. Es gibt noch Karten an der Abendkasse, aber vom Status „Ausverkauft“ dürfte das Palladium, wie sich im weiteren schweißtreibenden Verlauf des Abends herausstellt, nicht weit entfernt sein. Im Vorprogramm sorgen Bomb Whateva und die Levellers schonmal für gute Stimmung.
Die steigert sich noch, als New Model Army gegen 21.45 Uhr mit „Stormclouds“ endlich in ihr Set starten. Zur Freude der Fans haben sie zwei Special Guests mitgebracht. Zum einen Tobias Unterberg, der auf „Between Dog And Wolf“ das Cello einspielte und zum anderen Ed Alleyne-Johnson, der bis 1994 bei über 500 New Model Army-Konzerten den Part an der Violine übernahm, die Band dann als Freund verließ und heute in England vor allem Straßenmusik macht. Zu Beginn gehen die beiden noch leicht im etwas matschigen Sound unter, aber spätestens bei „The Hunt“ haben die Tontechniker die suboptimale Akustik des Palladiums im Griff. Vor der Bühne bilden sich die ersten Pogo-Pits und der Saunafaktor nimmt stetig zu.
„Between Dog And Wolf“ macht fast ein Drittel der Setlist aus. Mit gleich acht Songs ist das neue Album vertreten, darunter „March In September“, „Pull The Sun“ oder „Seven Times“. Ein eher ungewöhnlicher Umstand für New Model Army, der aber wohl den Stolz der Band auf ihr aktuelles Werk widerspiegelt. Justin Sullivan ist wie immer der Fels in der Brandung, während vor ihm ausgiebig gesungen, geklatscht und getanzt wird. Michael Dean legt mit seinen treibenden Drumparts das Fundament, auf dem sich Gitarrist Marshall Gill, Keyboarder Dean White und Bassist Ceri Monger, der alleine schon durch seine rotgefärbte Mähne auffällt, austoben können.
Natürlich dürfen dabei auch die Klassiker nicht fehlen. Während „Here Comes The War“ explodiert das Palladium förmlich. „Get Me Out“, „Vagabonds“ (bei dem Ed Alleyne-Johnson seinen grossen Auftritt hat), „Purity“ oder „Wonderful Way To Go“ als Abschluß des Mainsets versetzen selbst die älteren Semester im Publikum noch einmal in ungeahnte Bewegung. Als zwei Zugabenblöcke später um kurz vor Mitternacht die letzten Klänge von „Green And Grey“ verhallen, steht ein sichtlich überwältigter Justin Sullivan vor der feiernden Menge. Kann es einen schöneren Jahresabschluß geben als das New Model Army-Weihnachtskonzert in Köln? Wohl kaum. Bevor es mit Lametta und Besinnlichkeit endgültig losgeht, dürfen hier alle nochmal Party machen und eine Band bewundern, deren Spielfreude nach wie vor immens ist, deren Musik und Botschaften zeitlos sind und die auch im 33. Jahr ihres Bestehens so frisch und druckvoll klingt wie eh und je. Für das kommende Jahr gibt es bereits wieder erste Tourdaten und ich bin mir sicher, dass der traditionelle Termin in Köln auch nicht mehr lange auf sich warten lässt:
Kann es einen schöneren Jahresabschluss geben als das mittlerweile schon traditionelle New Model Army-Weihnachtskonzert in Köln? Wohl kaum. 2010 kam man sogar in den Genuß von zwei aufeinanderfolgenden Weihnachtskonzerten, mit denen das Quintett aus Bradford sein damaliges 30-jähriges Bühnenjubiläum feierte. So ist es keine Frage, dass auch wir uns neun Tage vor Heiligabend wieder auf den Weg in die Schanzenstrasse machen. Leider schaffen wir es nicht früh genug, um auch die Hamburger Punklegenden Slime noch live zu erleben, die – neben Ausgerechnet Wir – den Abend für New Model Army eröffnen. Das Palladium ist trotz dieses hochkarätigen Line-Ups überraschenderweise nicht ausverkauft.
Das Publikum präsentiert sich wie üblich bunt gemischt. New Model Army-Fans verstehen sich ja seit jeher als eine Art Familie („One Family One Tribe“) und so stehen Deutsche, Engländer und Holländer bei einer Kaltschale Kölsch einträchtig an der Theke. Der ein oder andere offensichtlich schon etwas zu lange. Hier und da spannen sich die alten New Model Army-T-Shirts um einige beachtliche Bierbäuche. Es herrscht eine erwartungsfroh-friedliche Stimmung. Als Justin Sullivan & Co. dann um kurz vor 22 Uhr zu den Klängen von „Frightened“ und in einem Meer aus Laserstrahlen endlich die Bühne betreten, sind sie alle im Jubel vereint. Seit dem letzten Weihnachtskonzert hat es einen Besetzungswechsel gegeben: Nach 22 Jahren verließ Anfang 2012 Bassist Peter „Nelson“ Nice die Band aus persönlichen Gründen. Sein Nachfolger Ceri Monger fällt nicht nur dank seiner langen roten Mähne auf.
Was sofort auffällt ist der Weltklassesound – beileibe keine Selbstverständlichkeit im Palladium. Die Instrumente sind perfekt ausbalanciert und Justin Sullivan’s Stimme schwebt förmlich durch die Halle. Die Setlist bietet eine ausgewogene Mischung aus alten und neueren Songs. Immerhin liegt das letzte New Model Army-Studioalbum „Today Is A Good Day“ nun auch schon wieder über drei Jahre zurück. Darunter natürlich solche Klassiker wie „51st State“, „Green & Grey“ oder „No Rest“, aber mit „March In September“ (was wohl noch nicht der endgültige Titel ist) auch ein bislang noch völlig unbekanntes Stück. Neben dem charismatischen Sullivan sorgt insbesondere Ceri Monger – im Gegensatz zu seinem Vorgänger – für reichlich Bewegung auf der Bühne. Da wollen die etwa 3.000 Fans nicht nachstehen und so wird im Palladium fleißig gehüpft, gepogt und getanzt. Dass sie jedes Wort auswendig mitsingen können, muss wohl nicht mehr extra erwähnt werden. Ist so! Ein besonderer Blickfang sind mal wieder die sogenannten „Dolphins“: Fans, die sich, auf den Schultern eines bemitleidenswerten Kollegen stehend, aus der Masse erheben und die Songs mit ausholenden Armbewegungen und anderen Gesten unterstreichen.
Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit spricht Justin Sullivan zwischen den Songs eher wenig. Muss er aber auch nicht, denn die Texte des 57-Jährigen sprechen seit dem Albumdebüt „Vengeance“ von 1984 eine mehr als deutliche Sprache. Stattdessen packen New Model Army satte 22 Stücke in knapp zwei Stunden Spielzeit und verwandeln das Palladium in eine schweißtreibende Party aus Rock und Folk. Wer an diesem Abend Besinnlichkeit erwartet hatte, der war fehl am Platze. Dafür gab es eine Band zu erleben, deren Spielfreude nach wie vor immens ist, deren Musik und Botschaften zeitlos sind und die auch im 32. Jahr ihres Bestehens so frisch und druckvoll klingt wie eh und je. Am 21. Dezember des kommenden Jahres folgt dann die 14. Auflage der New Model Army-Weihnachtskonzerte und da sind wir bestimmt alle wieder mit am Start. Bis dahin: Schöne Bescherung!
Im Jahr 2000 feierte die Band Deichkind mit der Hitsingle „Bon Voyage“ ihren Durchbruch – jetzt, 12 Jahre danach, beweisen die neonbunten Dinosaurier der deutschen Musikszene am 29.11.2012 im Palladium in Köln wieder einmal ihre über ein Jahrzehnt reichende Bühnenerfahrung. Die Hamburger Hip Hop,- Electropunk-Gruppe, die ihren Musikstil selber als „Tech-Rap“ bezeichnet, bestehend aus MC Phillip Grütering, MC Sebastian „Porky“ Dürre und Ferris MC, aka Ferris Hilton (Mitglied der Band seit 2008), lässt an diesem Donnerstagabend, mit Unterstützung durch ihren Tour-DJ DJ Phono, das Palladium in einem farbenfrohen Feuerwerk aus deftigen Bässen, cleveren Texten, fulminanten Bühnenbildern und skurrilen Kostüme erzittern.
Nach einem als Intro fungierenden Kurzfilm steigt die Spannung im Hauptsaal, in dem sich ca. dreieinhalbtausend Jünger der Propheten mit den Pyramidenhüten versammelt haben, ins Unermessliche. Ein Lichtschauspielspektakel später entlädt sie sich in einer pompösen Explosion, als der Vorhang aufgeht und die Deichkinder, in einer Flutwelle aus dröhnendem Bass, Jubelrufen und klatschenden Snares, die Bühne zu ihrem Herrschaftsgebiet erklären und daran mit ihrem Opener „99 Bierkanister“ keine Zweifel aufkommen lassen.
„Achtung, alle Hände hoch“ skandiert die Gruppe im Refrain und ihr Wunsch ist dem Publikum Befehl: Alle Anwesenden reißen die Hände in die Luft und toben zu den Klängen der Männer in den futuristischen Silberrüstungen, an denen die LED-Leuchten verrückt spielen; genau wie das Publikum, das nicht wie gewohnt nur eine auditive Funktion hat, nein, die Fans sind Teil des Bühnenprogramms; ob sie nun Gummiboote samt MC über ihre Köpfe hinweg tragen („Hovercraft“), Texte gekonnt mitgrölen oder auf Kommando das Deichkind-Zeichen mit den Händen formen – sie werden zu einer tragenden Rolle des Kunstproduktes Deichkind.
Die Bühnenbilder wechseln minütlich ihre Konstellation, bilden verschiedene geometrische Muster, werden zu Treppen oder Podesten, die Bühnenelemente scheinen sich wie von Geisterhand über die Bühne zu bewegen, bestrahlt von den irren Lichteffekten dieses musikalischen Zirkus. Ob Deichkind rappend auf Trampolinen springen, sich in einem gigantischen Fass performend den Weg durch die Crowd bahnen („Roll das Fass rein“), oder auf Bademeisterhochsitzen singen, wild tanzen und dabei rosane Flamingos oder Cowboyhüte auf dem Kopf tragen… bei jedem neuen Lied übertrumpft sich das Spektakel selbst, untermalt durch die wummernde Musik, die Deichkind, zusätzlich zu der Verrücktheit ihrer Performances, so auszeichnet und besonders macht.
Nicht nur ihr neues Album „Befehl von ganz unten“, von dem die Hits „Leider geil“ und „Bück dich hoch“ stammen, wird ausführlich zelebriert, sondern auch Klassiker, wie„Bon Voyage“, ihr erster großer Erfolg, lassen die halbentkleideten Fans wild und fanatisch pogen und Party machen. Das erste Stück der Zugabe ist „Krawall und Remmi Demmi“, der Klassiker, dessen Name Programm ist, wenn Deichkind, die glitzernde Discoabrisskugel, sich zum Ziel gesetzt haben, den Laden zum Kochen zu bringen. Eines der letzten Stücke des Auftritts ist der Song „Limit“ und genau an dieses Limit geht die Hamburger Formation immer wieder, zeigt jedoch im selben Augenblick, dass dieser Begriff für sie keine Bedeutung hat und für sie neu definiert werden muss. Für Deichkind gibt es kein Limit, weder beim Ideenreichtum (z.B. Hüpfburgen auf der Bühne) noch beim Abfeiern.
Alles in allem ist das Konzert ein Spektakel der Superlative, das wohl keiner der Anwesenden so schnell vergessen wird. Die meisten Fans werden das grelle Flackern des imposanten Lichteffektgewitters noch am nächsten Tag auf der Netzhaut spüren. Aber erst einmal geht es nach dem Konzert nach Hause, „mit der Luftbahn durch die Nacht“.