Wie nicht anders zu erwarten, hat es auch das wichtigste PROG-Festival erwischt. Hier die Meldung des Veranstalters WIV Entertainment:
Die anhaltende Corona-Krise hat leider auch Auswirkungen auf das Night Of The Prog Festival 2020. Wir bedauern, dass wir (aufgrund von Entscheidungen unserer Regierung) keine andere Wahl haben, als das diesjährige Festival auf das Jahr 2021 (16. – 18. Juli) zu verschieben. Wir werden in Kürze weitere Informationen zu Tickets usw. veröffentlichen. Bitte habt bis nächste Woche etwas Geduld!
Irgendwann Anfang Oktober sprach mich Winfried Völklein (WiV Entertainment GmbH) an, dass er eine Bewerbung mit einem Youtube-Link einer absolut unbekannten Band für sein Festival „Night of the Prog“ auf seinem Tisch liegen hätte und ob ich diese Band kennen würde. Nein, ich kannte diese Band mit dem komischen Namen SENTRYTURN noch nicht, aber ich war von dem Youtube-Link zum Song „Child of Gold“ angetan.
Also direkt mit der Recherche angefangen, wo kommen die her, bei welchem Label sind die unter Vertrag usw. usf.
Außer der Internetpräsenz und dem facebook-Auftritt nichts Großartiges gefunden. Nun denn, kurze Nachricht an die Band. Labels aufgepasst: die Band ist noch unlabeled. Aber das unter eigener Regie erschienene Album „Upon A Mess“ liegt mir mittlerweile vor und es ist ein echtes Highlight in diesem Jahr.
Satzgesänge/Chöre wie man sie ähnlich von Haken, Leprous und anderen kennt in einer Kombination mit Melancholie (die neue Leprous lässt grüßen), Djent-lastige/lässige Bässe, Post-Rock-Gitarren, Streicher-Samples. Das ist moderner Progressive-Rock/Metal aus Berlin.
Wer sich weniger Keyboard-Sounds bei HAKEN wünscht oder wieder mehr Härte bei Leprous, wer aber dennoch Eingängiges und Eigenständiges fordert, der ist bei diesem Debüt von Sentryturn gut aufgehoben.
Höhepunkt des Album ist unumstritten die dreiteilige Suite und Titelträger des Album „Upon a mess“ (I. Collateral, II. Overtones, III. Revised), die die gesamte Bandbreite des musikalischen Könnens der Band abruft.
Mit diesem Album werden sich die Fünf aus Berlin einen (eigenständigen) Namen in der Prog-Szene machen.
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Thomas Thielen, der unter dem Kürzestkürzel t Ungooglebare, war zum ersten Mal beim Night of the Prog 2019 – nicht verwunderlich, ist t doch zum ersten Mal überhaupt auf Tour. Der Auftritt kann wohl als erfolgreich bezeichnet werden: Die Fan-Community des NOTP wählte ihn zum „Best New Act“ des Festivals, was nach 20 Jahren und 8 Alben vielleicht ein bisschen hinkt, aber den Künstler „unbändig freute“, wie er sagte. Wie t das ganze Drumrum selbst erlebt hat, lest ihr hier:
Vorneweg: Ich glaube, unser Auftritt war echt cool. Die Leute waren begeistert, meine Stimme war nach 3 Wochen Sinusitis trotzdem perfekt da (klassische Ausbildung hat Sinn, das merke ich live immer wieder!), die Band in Topform, das Publikum trotz unseres sehr melancholischen Sets voll dabei, teilweise pathetisch mitsingend, teilweise mucksmäuschenstill zuhörend.
Aber wer denkt, dass damit schon das Entscheidende berichtet wäre, war noch nie Musiker bei einem riesigen Festival. Die Musik ist natürlich zentral – aber viel krasser ist, eigentlich immer, das Drumherum. So auch bei uns.
Ich bin im Studio Perfektionist, legendary so, und dementsprechend ist auch t eine zwanghafte Live-Band. Dieser typische Rock N Roll passiert eher anderen. Beispiel? Da wir keine Ahnung hatten, wie gut das Monitoring vor Ort sein würde, hatten wir folglich unser eigenes System dabei, inklusive Tom Ronney als Tech, der es bediente und uns half, nix kaputt zu machen. Schließlich war das alles von Crystal Palace nur geliehen (Danke, Frank, Jens, Tom, Nils!), und wir… Naja, wir sind besser im Hören als im Einstellen. Wobei auch das nicht immer stimmt: Dominik an den Keyboards zB spielte einen großartigen Gig – ich hörte sehr ausgefallene, aber geschmackvolle, neue Linien in seinen Parts und war begeistert, dass er ausgerechnet bei diesem riesigen Gig so pointiert innovativ arbeitet!
Dom nicht. Sein Kopfhörer wurde wohl irgendwie vom Stagefunk beeinflusst und hatte längere Komplett-Aussetzer. Da unsere Ohrhörer ca 90% der Außengeräusche dämpfen, flogen die Keys also für ungefähr ein Drittel des Gig blind: Dominik erahnte anhand der Tasten, was er da spielte, aber seine Ohren hatten Pause. Dass seine Keyboards trotz Blindfluges in den Songs ohne Bruchlandung ankamen, ist nur für Leute erstaunlich, die Dominik nicht kennen. Ich vorne ahnte jedenfalls nichts und war selig.
Bei mir war mein Wirelesssystem für die Gitarre eine miese Idee. Erstens war die Chance, große Wege zu beschreiten, gar nicht so recht da, wie ich mir das vorgestellt hatte: mein Mikrofonständer hat ja auch auf großen Bühnen keine Flugvorrichtung, und irgendwas war immer zu singen oder am Pedalboard zu switchen. Und zweitens kam auch im Sender (2.4 Ghz? Nie wieder!) bei jedem Funkverkehr backstage ein Knistern in den Ton – so dass ich auf Kabel umstieg, sobald es ging. Lesson learned: Kabel sind bei Festivals die bessere Idee.
Aber sonst? Bühne geht eben immer. Ich habe nur Musiker, die besser sind als ich – was soll passieren? Naja… Also… Es passieren schon Dinge… Schauen wir ein bisschen zur Seite: Vor t spielte Tim Bowness, den ich vor allem von no-man sehr schätze (“Together we re stranger” ist ein riesiges Album!), und mit ihm am Bass kam John Jowitt, einer meiner großen Helden aus der Jugendzeit. Ich war ein bisschen nervös, muss ich zugeben, Tim und John zu treffen, ein bisschen Ehrfurcht und ein bisschen dümmliches Kichern wären backstage bestimmt im Spiel gewesen…
Aber es kam ein bisschen anders. Wie gesagt, t ist eine zwanghafte Band. Wir waren also schon um 10 vor Ort (Stagetime 16.30 Uhr) und um 11 war das komplette Setup fertig aufgebaut hinter der Bühne. Kann ja keiner ahnen, dass alles reibungslos klappt. Um 11.03 hörte das Reibungslose dann auch auf: Da klingelte dann mein Telefon Sturm. Ich hatte von ganz IQ, von John Jowitt, von Graham, Tims Stage Manager, und scheinbar allen, die sonst noch mit GEP oder Konsorten zu tun hatten, Nachrichten erhalten. Wtf?
Nun, John hatte am Abend zuvor mit IQ gespielt, als Aushilfe für den indisponierten Tim Esau, und anscheinend waren da alte Gewohnheiten wieder lebendig geworden: John hatte seinen kompletten Kram auf den IQ-Truck geladen, und als er nun aufwachte, fiel ihm auf, dass ihm für Tim Bowness’ Auftritt irgendwas fehlte, genauer gesagt: Bass und Amp, Kabel und Tuner. Ach so, und: eine Hose. „Thomas, you don t happen to have a spare 5string?“ – Wir hatten. Und einen Amp. Und ein Kabel. Und einen Tuner, genauer gesagt: Graham lieh meinen immer wieder kurz aus (Clip, Thomann, 3,90 Euro) und lief auf die Bühne, um alles zu stimmen, was Saiten hatte und gerade nicht gebraucht wurde.
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Gerade für mich als Studionerd war die Organisation des zu erwartenden Chaos eines solchen Molochs beeindruckend. Wir erhielten Pässe, Essensmarken, Parkkarte, Parkplatz und… die Garderobe neben Nick Mason. Ich bin damit sozusagen fast Rockstar, finde ich, nur eben um eine Garderobe verfehlt, aber wir einigten uns in der Band drauf: Das gilt!
Auch die anderen Musiker waren phantastisch: Als Tim und John ankamen, waren die beiden einfach nur nette Jungs, Lazuli und t (lies: die Band) verstanden sich wieder mal grandios (und das lag nicht nur am, sagen wir, Zigarettenrauch, der so angenehm duftete), kurzum: das Miteinander mit Veranstalter und anderen Bands hinter der Bühne hätte nicht harmonischer sein können. Keine Missgunst, keine Arroganz, kein Schw…Vergleich – einfach nur pure Freude am Event. So saßen denn auch FORS und OVERHEAD und t stundenlang in wechselnder Besetzung in der Sonne und sinnierten über das Universum, die Musik und den ganzen Rest, und es ergaben sich Freundschaften und Verabredungen en masse.
Ich persönlich fand, auch vor dem Hintergrund, dass Backstage alles andere als Star-Feeling herrschte und ich die Proggies im Publikum online teilweise mehr als 1 Jahrzehnt kannte, die Idee, dass ich Autogramme im Signing Tent geben sollte, etwas absurd. Zwar hatte mich Tim Bowness mit einem netten “Ah, t, great albums” begrüßt und mir ein ewiges Grinsen auf den Mund gezaubert, aber Autogramme? Ich wollte mir schon, zur Sicherheit, ein großes Schild umhängen (“Ich war eben auf der Bühne und kann fehlerfrei schreiben!”), damit Leute auf die Idee kommen konnten, ich sei irgendwie dazu der Richtige.
Ich kam mir jedenfalls ziemlich blöd dabei vor. Unfug, wie sich rausstellte, denn tatsächlich hatte ich eine gute Stunde zu tun, bis alles unterschrieben und alle Selfies gemacht waren. “zu tun” ist da natürlich fehlleitend: Ich habe es unendlich genossen, all die Menschen, die ich oft online schon lange „kannte“, persönlich zu treffen. Und es ergaben sich so viele nette Gespräche, dass ich erst 2 Stunden später wieder zurück im Backstagebereich ankam, um mit der Band das versprochene Kaltgetränk einzunehmen. In meinem Fall übrigens Pfefferminztee (ja, kalt, ach nach 2h)…
Überhaupt, die Menschen bei NOTP… was die t Konzerte bisher für mich so begeisternd machte, war die Bereitschaft des Publikums, unserem sehr melancholisch geprägten Set zuzuhören. Dass die Loreley da keine Ausnahme machte, das überraschte mich, ehrlich gesagt, ein bisschen. Aber es war von der Bühne aus ein unglaubliches Bild: All diese Menschen, und kaum einer redet rein oder holt mal schnell Bier, obwohl wir gerade in strahlender Hitze über die Atmosphären der Nacht sinnierten. Eine riesige Wertschätzung für die Musik selbst scheint das Festival zu umgeben, und das ist open air nicht die Regel, meiner Erfahrung nach. Für mich war das Verhalten des Publikums – ehrlich! – der Höhepunkt an einem sowieso grandiosen Tag.
Die Vorbereitungen im Backstagebereich waren durchwegs von großer Ruhe, zynisch-spitzem Humor und phantastischer Übersicht von “Büffel”, dem Chef hinter der Bühne, geprägt (ja, so stellte er sich vor). Ts Verkabelung ist absurd kompliziert, ich erspare euch Details, erwähne nur kurz, dass über Midi alle time Codes synchronisiert werden. Also: wir reden von mehreren Trilliarden Kabeln, die alle munter durcheinander verlaufen, von synthie zu laptop zu kemper zu basspedal zu Gesangseffektgerät und zurück zu Synthie… . Die haben wir natürlich minutiös beschriftet und vorbereitet – aber in 10 Minuten auf der Bühne bereit zu sein, das ist schon eine Herausforderung.
Dank Büffels Hilfe brauchten wir 7. Hinter der Bühne waren alle Instrumente und Kabel bereits gecheckt, auf rollenden Podesten aufgebaut und ausparkfertig platziert worden. Die größte Problematik bestand eigentlich nur darin, dass ich Dominiks Reisekoffer, der 2 Minuten vor Takeoff aus mir unerfindlichen Gründen offen vor den Keys auf dem Riser lag, noch schnell aus dem Weg räumen musste. Hätte andererseits dem Bühnenbild vielleicht aber auch ein bisschen Beckett gegeben!
Auf der Bühne war ich selbst mit zitternden Händen und hochkompliziertem Setup in 2 Minuten bereit. Soundcheck ist eh für Feiglinge… Also los ging s. Und wie gesagt: Ich glaube, es hat sogar ganz gut funktioniert.
Für uns, t und Band, war das jedenfalls eine grandiose Sache. NOTP als MUSIKER? Jederzeit.
Epilog: Was für die tolle Organisation und das großartige Miteinander in Winfried Völkleins Wohnzimmer, also oben auf dem Felsen, gilt, ist in Hotelzimmern oft ein bisschen anders. Als Musiker ist das aber nicht unwichtig, vor allem als Sänger: Ich hatte auf der Loreley mehr als 3 Oktaven zu besingen, und da sind guter Schlaf und präzise Vorbereitung zentral. Das wird ein bisschen schwierig, wenn man nachts ankommt und die Zimmer beziehen will, aber nicht finden kann… Wir hatten, genauer gesagt, 102, 201, 202 und 48. Auf die Nachfrage von Tour Managerin Tini, die mittags schon die Schlüssel abgeholt hatte, wurde uns gesagt, dass alle Zimmer im Haupthaus des Hotels seien, nicht etwa in den nahen Gästehäusern. Da standen wir dann, um 1 Uhr nachts, völlig erledigt, und suchten… 48 gab es scheinbar nicht, das Erdgeschoss ging von 1 bis 21. Im ersten Stock fanden wir 102 bis 122, der zweite Stock begann mit 201, 202, 203… Also liefen wir doch rüber zu den anderen Häusern, kamen dort aber nicht rein und irrten durch die Straßen, hoffend, dass in der Herberge doch noch Platz sein würde. Inzwischen kamen schon Pläne auf, die mit Rückbänken zu tun hatten – da fanden wir doch noch die 48. Natürlich dort, wo sie hingehört: Zwischen 212 und 214. Wir Trottel.
Danke, lieber Thomas, für diesen Bericht! Nähere Infos zu t und seinen Veröffentlichungen findet ihr HIER: www.t-homeland.de / Ach ja: NIGHT OF THE PROG 2020 steigt vom 17. bis 19. Juli 2020. Infos und Tickets gibt’s HIER: www.nightoftheprogfestival.com
Vom 19.07. bis 21.07.2019 fand zum 14. Mal das größte europäische Progressive Rockfestival – die “Night of the Prog” – im legendären Amphitheater auf dem Loreleyfelsen am Rhein statt. Hier traf sich seit Beginn der Festivalgeschichte das who is who der Progszene wie Dream Theater, Eloy, IQ, Riverside, Jethro Tull, Asia, Anathema, Steven Wilson, Spock’s Beard, Arena, Pendragon, Tangerine Dream, Fish, Steve Hackett, Marillion und viele mehr. Auch in diesem Jahr war das Lineup gespickt mit großen Namen und Newcomern, von denen man in nächster Zeit mehr hören wird.
Pünktlich zum Festivalbeginn am Freitag zeigte sich, dass der Veranstalter wohl einen Deal mit dem Wettergott hatte und das ganze Wochenende weder Unwetter noch Regengüsse ihre Auftritte hatten.
Tag 1 – 19.07.2019
Den Auftakt machten pünktlich um 14:15 die holländisch/britischen Melodic-Progger von DILEMMA um den charismatischen und sympathischen Drummer Collin Leijenaar, der schon bei Neal Morse trommelte und auch Kayak seine Künste zum Besten gibt. Mit einem großen Anteil an Stücken ihres neuen Albums „Random Acts Of Liberation“ bestritten sie stark und umjubelt vom bereits reichlich angereisten Publikum den schwierigen Einstieg in ein langes Festivalwochenende.
Mit den virtuosen Instrumentalmeistern SPECIAL PROVIDENCE aus Ungarn ging es in einen wilden Mix aus Prog, Djent, Jazz, Metal und elektronischer Musik. Sie zeigten auf dem Felsen erneut nach 2015, dass instrumentale Musik eine große Fanbase generieren kann. Das Quartett lieferte unter frenetischem Applaus Stücke ihres aktuellen Outputs „Will“ (2017) und Stücke aus ihren Vorgängeralben „Essence Of Change“, „Soul Alert“ und „Labyrinth“ und bewiesen einmal mehr, dass sie zurecht als Support für Szenegrößen wie „Haken“, „Spocks Beard“ oder „Dream Theater“ gebucht wurden und darüber hinaus auch Headlinerqualitäten besitzen.
Der dritte Act des Tages war für alle Progbegeisterten schon im Vorfeld der Ankündigungen eine echte Überraschung. Nach 22 Jahren Abstinenz wollten es CHANDELIER aus Neuss noch ein einziges Mal wissen und fanden sich zu einer Reunion zusammen, um Songs aus ihrem Album „Facing Gravity“ aus 1992 und weitere Neo-Prog-Klassiker ihrer Schaffenszeit zum Besten zu geben. Und sie enttäuschten nicht. Martin Eden war stimmlich nicht gealtert. Anhand der im Publikum vertretenen Chandelier-Shirts konnte man davon ausgehen, dass viele Anhänger sich dieses einmalige Event nicht entgehen lassen wollten und sogar extra aus Montreal anreisten. Auch Toni Moff Mollo, Sänger der Kult-Rocker Grobschnitt, ließ sich nicht lange bitten und folgte dem Aufruf zum Gastauftritt für einen Song auf den Felsen. Ob es nach diesem gewaltigen Reunion-Erfolg eine einmalige Geschichte bleiben wird, sei nun dahingestellt.
Co-Headliner des Auftakttages waren IQ, die Neo-Prog-Legenden aus England, die nunmehr schon seit 38 Jahren im Musikbusiness zu Hause sind und bereits zu vierten Mal bei der Night gastierten. Tim Esau, der Stamm-Bassist der Formation, musste leider krankheitsbedingt zu Hause bleiben. Für ihn sprang kurzfristig sein Vorgänger und Nachfolger (in der Bandgeschichte) John Jowitt ein, der sichtlich viel Spaß hatte, seine (Ex-)Kollegen zu unterstützen. Leider wurde die Freude am Gig getrübt von massiven technischen Problemen zu Beginn und der nachlassenden Laune und einhergehend scheinbar auch der Form von Peter Nicholls. Die Band präsentierte im Verlauf drei Songs vom im kommenden September erscheinenden Longplayer „Resistance“. John Jowitt nutzt vor allem die neuen Songs, bei denen er nichts zu tun hatte, für ein Selfiebad in der Menge. Darüber hinaus gab es eine gewaltige Portion „Road Of Bones“ (2014) und Klassiker ihrer Alben „The Seventh House“ (2000), „Ever“ (1993) und „Frequency“ (2009). Mit der eintretenden Dämmerung konnten die Leinwandanimationen den Auftritt etwas versüßen. Und zum Ende des Sets kam auch die Freunde des Konzeptalbums “Subterranea” auf ihre Kosten, aus dem ein Auszug als Zugabe gespielt wurde.
Zum Abschluss des ersten Tages gaben sich echte Pioniere und Ikonen elektronischer Musik die Ehre. Wassergeplätscher vom Band besorgte die Einstimmung, während das Publikum den Bühnenaufbau mit abgehängten Möbelstücken und leuchtenden PCs bewundern durfte. Thorsten Quaeschning, Hoshiko Yamane und Ulrich Schnauss führen das Erbe von Edgar Froese mit TANGERINE DREAM fort und boten dem Publikum einen phantastischen, sphärischen Kontrapunkt zu den energiegeladenen Auftritten der anderen Akteure mit einem starken zweistündigen Ambient-Set, passenden Animationen und ausufernden Lichtspielen.
Running-Order 14:15 Dilemma 15:45 Special Providence 17:35 Chandelier 19:30 IQ 22:00 Tangerine Dream
Tag 2 – 20.07.2019
Den Auftakt zum längsten und heißesten Tag des Festivals mit sieben Bands machten die sympathischen F.O.R.S., die Famous Or Random Stars, aus der Schweiz. Die Formation von vier Individualisten, die als Samstag-Opener Stücke ihres 2016 erschienenen Instrumental-Debüts „Before“ spielten, hatten die Zuschauer und Zuhörer mit ihrer Mixtur aus Jazz, Musical, Rock, Ambient und Prog schnell auf ihrer Seite. Wie meistens bei einem Festival lässt sich der Erfolg einer Band am Merchandising messen und demnach kamen sie mehr als nur gut an, denn das Publikum hatte den Merch-Stand restlos ausverkauft.
In der Metal-Szene ist Finnland stark vertreten, im Progressive Rock und auf der Loreley jedoch eher selten zu Gast. OVERHEAD – die es auch schon zwanzig Jahre gibt – sollten zeigen, dass man sich gerne mehr in Finnland nach Progbands umschauen sollte. Die Mannen um Alex Kekitalo legten für finnische Verhältnisse absolut keinen unterkühlten Auftritt hin, sondern servierten mit der Präsentation ihres 2018er Werkes „Haydenspark“ und einigen anderen Stücke aus ihren vier Vorgängeralben einen hitzigen Kracherauftritt. Trotz eines suboptimalen Soundmixes, der den theatralisch auftretenden Sänger im vorderen Auditorium absaufen ließ, wurde die Band mit Standing Ovations gefeiert. Zum Gigabschluss und als gefeiertes Highlight hauten die Finnen den Zuhörern den King Crimson Klassiker „21st Century Schizoid Man“ um die Ohren.
Nach dem gefeierten Energieritt sollte es mit TIM BOWNESS etwas ruhiger weitergehen. Der Engländer, der seine „no-man“-Arbeit mit Steven Wilson, Robert Fripp (King Crimson), Peter Hammill (Van der Graaf Generator) oder Phil Manzanera (Roxy Music) veredelt hat, konnte mit Spielfreude und einem ruhigen, melancholischen Set, das aus „no-man“- und Solostücken, u.a. aus seinem aktuellen Album „Flowers At The Scene“ bestand, die hitzigen Gemüter des Publikums beruhigen. Am Bass (Ausleihe von t-Bassist Yenz Strutz) konnte wie auch schon am Vortag bei IQ John Jowitt brillieren, der mit seinen Gesten und seiner mitreißenden Spielfreude die Zuschauer und Zuhörer immer wieder für sich gewann.
Scheinbar wusste Winfried Völklein (der Veranstalter), dass es zweier ruhiger Sets bedarf, um anheizende Gigs und tropische Temperaturen in Schach zu halten und schob direkt im Anschluss an Bowness noch Thomas Thielen alias t nach. Der Multiinstrumentalist, dessen Stimme immer wieder mit den Stimmen von Steve Hogarth (Marillion) oder David Bowie verglichen wird, konnte rechtzeitig zum Loreley-Gig seine Sinusitis auskurieren, um seine stimmliche Qualitäten darzubieten. Dass seine ausgefeilten Klangstrukturen nicht nur aus der Konserve funktionieren, konnte er nach langjähriger Zurückhaltung bereits in Oberhausen und Rüsselsheim beweisen. Und nun steht auch fest, dass sein Konzept festivaltauglich ist. Nach seinem 60-Minuten-Set, das aus einem Mix seines alleinigen Studioschaffens bestand, zeigte er sich spürbar adrenalinberauscht überglücklich, dass alles so funktioniert hat und jetzt auch schon Support-Anfragen von anderen Prog-Größen bestehen. “Irrelevant Lovesong” war eines der Highlights. Und überraschenderweise gab es auch einige starke Songs von den Frühwerken “Voices” und “Naive”.
Nur noch zwei Bands vor dem Samstagheadliner sollten die Kanadier von KARCIUS dem Publikum wieder einheizen, die mit ihrem in 2018 erschienenen starken Album „The Fold“ im Gepäck anreisten. Durch die härtere Gangart wurden einige Schlaftrunkene im Publikum umgehen aufgeweckt. Das mächtige und gewaltige Werk mit teilweise sehr vertrackten Songs, sowie weitere Songs aus ihren vier Vorgängeralben rissen das Publikum von den harten und warmen Steinsitzen. Großer Respekt wurde dem hyperaktiven Keyboarder Sébastien Cloutier zuteil, der sich anschickte einen Hitzschlag durch Abreißen seiner Keyboards zu bekommen. Dieses aus dem einzigartigen Stil bestehenden Set wurde mit immer wiederkehrenden Standing Ovations gefeiert.
Wer bei einem Prog-/Rock-Festival eine Bank für gute Laune, Spielfreude, Witz und großartige Musik buchen will, kommt an den Franzosen von LAZULI nicht vorbei. Vor einem begeisterten Publikum und einer großen französischen Fanbase zeigten sich die fünf Publikumslieblinge, die zum vierten Mal zu Besuch auf dem Progfelsen waren, dankbar für den samstäglichen Co-Headliner-Slot. Es gab herzliche Ansagen in deutscher Sprache und wundersame Geschichten von an der Autobahn ausgesetzten Hunden. Mit Ausflügen an die Absperrung zu den Fans, deutschen Ansagen und natürlich hervorragend vorgetragenen Songs aus 20 Jahren Bandgeschichte belohnten und verzauberten sie auch die letzten Lazuli-Unwissenden. Ein begeisterter und grinsender Backstage-Zaungast Nick Mason bestaunte die Zugabe „Money“, die sie wieder auf typische Lazuli-Weise zu fünft an einem (!) Glockenspiel vortrugen.
Wie schon am ersten Tag des Festivals kam am Samstag als Headliner mit NICK MASON’S SAUCERFUL OF SECRETS einer der Pioniere der progressiven Musikgeschichte. Erstmals wurde hier der Zeitablauf durchbrochen, denn Mason konnte schon frühzeitig um 22.15 Uhr beginnen. Passend zum 50. Jahrestag der ersten Mondlandung gab es eine spacige Geräuschkulisse zur Einstimmung. Dann erfolgte der überaus rockige musikalische Start. Mit einem Par Force Ritt durch das „alte“ Pink Floyd-Material wie z.B. Astronomy Domine und Set The Controls wurde das (wohl durch Tages- oder Abendtickets) gut gefüllte Amphitheater verwöhnt. Alle Instrumentalisten (außer Mason) sind auch gute Sänger und so erfolgten einige mehrstimmige Gesangspart von überraschender Virtuosität. Visuell untermalt wurden die Songs durch passende Projektionen u.a. auch von Syd Barrett. Das Publikum dankte es den Musikern mit lautstarken „You’ll Never Walk Alone“-Gesängen bei “Fearless”. Vor dem angeblich größten Publikum wurde das bis dato noch nie live in der Pink Floyd-Ära gespielte und unvollendete „Vegetable Man“ aufgeführt. Nick Mason bedankte sich artig bei Gitarrist Lee Harris, der Anstifter zum Saucerful Of Secrets-Project war.
Running-Order 12:30 F.O.R.S. 13:30 Overhead 15:00 Tim Bowness 16:30 t 18:30 Karcius 20:00 Lazuli 22:15 Nick Mason’s Saucerful Of Secrets
Tag 3 – 21.07.2019
Nach vielen Jahren der erfolglosen Festivalanfragen, durften am letzten Festivaltag WINDMILL aus Norwegen den Tag eröffnen. Die jährlich immer wieder mit ihrer Fahne anreisenden skandinavischen Fans trugen die Band auf einer Welle der Begeisterung zu Höchstleistungen. Im Mittelpunkt ihres opening acts stand die im letzten Jahr erschienene Tribus-Veröffentlichung, aber auch Titel aus ihren 2010 und 2013 erschienen Alben „To Be Continued…“ und „The Continuation“ sollten im Programm nicht fehlen.
Um die norwegischen Fans bei Laune zu halten, kamen im Anschluss die Artrocker von OAK zum Zug, die mit ihrem Shootingalbum „False Memory Archive“ internationale Anerkennung in allen möglichen Rezensionen fanden. Mit ihrem modernen, melancholischen Artrock mit treibenden Parts spielten sich die kühlen und coolen Norweger in die Herzen des Publikums, aus deren Reihen auch schon mal der Ruf kam: „You make me cryin‘!“, was von der Band wohlwollend und zustimmend bestätigt wurde.
Vom nördlichen Teil Europas ging es mit RanestRane nach Italien. Mit ihren Neuinterpretationen und Vertonungen von Filmwerken machten sie sich einen Namen in der Szene, v.a. auch durch die dazu passenden Videoprojektionen, die leider aufgrund der Uhrzeit und Sonneneinstrahlung nicht zur Geltung kamen. Andererseits lenkte dies nicht von den Musikern ab, wie z.B. von Riccardo Romano, der so heftig am Keyboardturm herumzerrte und auf die Tasten einschlug, dass man Angst um das gute Equipment haben konnte.
Und wieder ging es nach Skandinavien zu ALL TRAPS ON EARTH, einem Sideproject der Änglagård-Musiker Johan Brand, Jonas Engdegård, Linus Kåse und Erik Hammarström, erweitert um den Keyboarder und Spezialisten an Saxophon, Klarinette und Flöte Daniel Borgegård Älgå. Mit ihrem chaotischen, sinfonischen, bezaubernden und zerbrechlichen Sounds des Debüts „A Drop Of Light“ sowie Songs von Änglagård mit teilweise schwedischen Lyrics (im Longtrack “Bortglömas Gårdar”) spalteten die Schweden das Publikum von begeistert bis verstört, wobei die Reaktionen am Ende überwiegend positiv waren..
Co-Headliner am Sonntag waren ANATHEMA von der Insel, die bereits 2011 und 2014 die Festivalbesucher überzeugten. Und ihre Performance war atmosphärisch eine Wucht. Mit purer Spielfreude, starker Kommunikation und Bindung zum Publikum waren sie der Topact des Tages. Ausflüge ins Publikum und an den Grabenrand zeigten, dass sie richtig Lust hatten das Festival zu rocken und dass sie eine hervorragende Liveband sind. Der Beginn war rockig, doch ihre größte Stärke zeigten sie mit Sängerin Lee Douglas, als diese nur am Piano begleitet wurde, der Song sich aber im Anschluss zu einem hymnischen Progstück im Duett entwickelte. Zum Ende hin sang der ganze Felsen lautmalerisch mit – ein besonderer Moment. Im Gepäck hatten Anathema Songs ihrer jüngsten hochgelobten Werke „The Optimist“, „Distant Satellites“, „Weather Systems“ und „A Natural Desaster“, um die überwiegende Anzahl der Stücke repräsentativ zu nennen. Wie auf Kommando verschwand zum Ende hin die Sonne auf der gegenüberliegenden Rheinseite. Wer sich jetzt auf den Heimweg machte, konnte ein Bild für die Ewigkeit mit auf den Weg nehmen.
Doch auch am letzten Festivaltag sollte mit STEVE HILLAGE als Headliner ein Urgestein der Progszene für die Ausharrenden auf die Bühne kommen. Als Unterstützung nahm er sich die aktuelle Besetzung seiner damaligen Band GONG als Unterstützung dazu. Es war der erste Festival-Headliner-Job seit vierzig Jahren für Hillage, der einen Mix aus Solo- und Gong-Songs performte. Unter anderem spielte er „Green“, einen in den 70er Jahren nie live gespielten Gong-Song. Hillage und Gong zelebrierten den Sound der 70er unterstützt durch dissonante Duett- und Chorgesänge.
Running-Order 12:15 The Windmill 13:30 OAK 15:30 RanestRane 17:30 All Traps On Earth 19:30 Anathema 21:30 Steve Hillage & Gong
Fazit
Auch in diesem Jahr ist es Veranstalter Winfried Völklein gelungen eine Mixtur für ein Progressive Rock Festival zu brauen, die ihres Gleichen sucht. Melancholischer Artrock, Melodic-Prog, Neo-Prog, Retro-Prog, Newcomer, Urgesteine. Für jeden war etwas dabei. Eingängiges wie auch Polarisierendes. Das jährliche Gejammer, dass das Lineup schlecht ausgefallen wäre, sollte aufhören. Progressive Rock fängt dort an, wo man sich nicht den neuen Herausforderungen verschließt.
Es war mal wieder an der Zeit für die große Gemeinde des Progressive Rock, auf den Felsen zu pilgern. Ein wichtiges Datum im Terminkalender weltweiter Fans, die sich von Melodic Rock, Artrock, Progmetal und ähnlichen Spielarten begeistern lassen. Wer hätte das gedacht, als am 28.7.2006 das Festival erstmals über die Bühne ging – damals noch eintägig und mit Altmeister Fish als Headliner. Inzwischen fand die “Night of the Prog” bereits zum zwölften Mal statt, wurde auf drei Tage ausgedehnt und gilt als Open-Air-Heimstätte junger, innovativer Progbands ebenso wie als Spielwiese für die Veteranen des Genres. Veranstalter Win Völklein hat seit Jahren eine Händchen dafür, eine gesunde Mischung darzustellen und die aktuelle Szene ebenso abzubilden, wie mit vielen Heroen als Headliner ein nostalgisches Publikum anzulocken. In den Abendstunden stand auch diesmal die Nostalgie im Vordergrund: Es gab Titel von King Crimson, Genesis, Yes, Manfred Mann’s Earth Band und den unverwüstlichen Marillion.
Am Freitag konnte ich aus beruflichen Gründen leider noch nicht vor Ort sein, doch einige Anwesende schwärmten noch an den nächsten Tagen von der atmosphärischen Stimmung, die Crippled Black Phoenix schufen, und von dem neuen virtuosen Projekt “Shattered Fortress”, das Mike Portnoy ins Leben gerufen hat. So kam ich am Samstag gegen 17 Uhr auf das Gelände, das momentan kräftig umgebaut wird. Die alte Bühne mit ihrem Zeltdach-Flair ist einem stabilen Konstrukt gewichen, das bombastisch in die Höhe geht, während die Grundfläche der Bühne gleich geblieben ist. Auf jeden Fall sind die technischen Möglichkeiten besser geworden – wenn auch etwas vom ursprünglichen Charme fehlt. Der Eingangsbereich wurde nach oben verlegt, in den Zuschauerreihen ist aber alles gleich geblieben: die Liegeplätze unter den Bäumen, die oberen Terrassenplätze zum Aufstellen von Klappstühlen und die gewohnten Steinreihen, wo man sich mit Decken oder Sitzkissen einen Platz reservieren konnte – alles gemütlich und entspannt wie immer.
Ich traf pünktlich zur David Cross Band ein. Der ehemalige Violonist von King Crimson hat eine beeindruckende Band um sich versammelt und spart nicht mit der Verwendung von Instrumenten, die über das gewohnte Bild einer Rockband hinaus gehen. Es gab spannende Klänge von Geige, Querflöte und Saxofon. Zu Beginn spielte David Cross eigene Titel wie das ungewohnt harte “Sign Of The Crow”, ein sphärisch verspieltes “The Pool” und das melodische “Rain Rain”. Spannende Stücke, die allesamt mit feinen Jazz-Anleihen versehen sind und fürs entspannte Zurücklehnen relativ ungeeignet waren. Das Publikum dankte es dem Briten mit riesigem Applaus und stehenden Ovationen zum Schluss, als es aus der Mottenkiste auch noch Songs von King Crimson im Repertoire gab. Für mich ein gelungener Einstieg in den Konzertabend.
Es folgte Ray Wilson, auf den ich mich persönlich sehr freute. Man wird ihm sicher nicht gerechnet, wenn man ihn auf sein One-Hit-Wonder “Inside” reduziert oder auf seine kurze Zeit als Sänger von Genesis. Auch sein Solowerk ist absolut hörenswert. Davon gab es diesmal auf der Loreley allerdings wenig. Sein Konzertset stand unter dem Motto “Calling All Stations”. Das war das Genesis-Album, das Ray als Sänger mit einspielte. Es enthält keine Superhits der Band, ist aber ein durchaus solides Werk, das mehr Beachtung verdient hätte. Und es war eine Freude zu sehen, wie Ray durch die Kulisse aus mehreren tausend Fans zu Glanztaten angespornt wurde.
Er startete mit zwei Genesis-Klassikern und dem Solotitel “Take It Slow”, bevor er “Calling All Stations” und den Progtitel “The Dividing Line” vom gleichen Album zum Besten gab. Später wurden “There Must Be Some Other Way”, “Not About Us” und “Congo” eingestreut. Damit war das Mottowerk des Abends gut vertreten, wenn ich mir auch noch einige der sonst nie gespielten Stücke gewünscht hätte. Sei’s drum – stattdessen gab einen fulminanten Genesis-Set mit einem gefeierten “Carpet Crawlers” und einem düsteren “Mama”, die zweifelsohne zu den Konzerthöhepunkten zählten. Auch das 90er-One-Hit-Wonder “Inside” wurde gespielt und als Zugabe kam “Solsbury Hill”. Da war dann auch kein Halten mehr und der komplette Felsen feierte einen gut aufgelegten Ray Wilson ab, der in gut 100 Minuten einige progressive Highlights spielte. Dabei will ich auch “Makes Me Think Of Home” nicht vergessen, dass als Titelstück seines aktuellen Albums gut in den Set passte.
Setlist Ray Wilson, 15.7.2017, Loreley – Night of the Prog
No Son of Mine (Genesis)
That’s All (Genesis)
Take It Slow
Calling All Stations (Genesis)
The Dividing Line (Genesis)
Home by the Sea (Genesis)
There Must Be Some Other Way (Genesis)
Makes Me Think of Home
Not About Us (Genesis)
Follow You Follow Me (Genesis)
The Carpet Crawlers (Genesis)
Congo (Genesis)
Inside (Stiltskin)
Mama (Genesis) Zugabe: Solsbury Hill (Peter Gabriel)
Nun wartete alles gespannt auf YES featuring Jon Anderson, Trevor Rabin und Rick Wakeman. Oft wird der Name der Band auch mit ARW abgekürzt, denn sie sind ja neben der eigentlichen Formation YES unterwegs, die unter anderem Howe, Downes und White in der Band hat. Wer sich nun legitim als “Original” bezeichnen darf, sei also dahin gestellt. Auf jeden Fall war es ein besonderes Ereignis, YES mit dem stimmgewaltigen Anderson zu sehen. Und da es das einzige Deutschlandkonzert 2017 war, sind unendlich viele Fans zur Loreley gekommen, was die Reihen bis nach oben komplett füllte.
Die Show dauerte weit über zwei Stunden und Klassiker reihte sich an Klassiker. Der Beginn mit “Cinema” war noch etwas holprig, doch man konnte von Beginn an erkennen, dass Jon Anderson stimmlich in Topform war. Das war die Hauptsache! Rick Wakeman erschien im langen weiten Umhang – stilgerecht, wie man es von dem Keyboard-Heroen nicht anders erwartet. Die 70er und 80er Jahre wurden ausgiebig zelebriert. Oft mit schönen, mehrstimmig arrangierten Passagen. Hier zeigte sich die Klasse der ganzen Band ebenso wie an den Instrumenten. Vor allem Lee Pomeroy am Bass stach glänzend heraus. “Long Distance Runaround” wurde dem seligen Chris Squire gewidmet und Lee legte im Anschluss mit “The Fish” ein Bass-Solo zu Squires Ehren hin, dass es manchen die Tränen in die Augen trieb. Das waren echte Gänsehaut-Momente.
Eine Lanze will ich an dieser Stelle auch für Trevor Rabin brechen. Er war ja nur kurzzeitig in den 80ern und Anfang der 90er bei der Band, hat aber auf Alben wie “90125” und “Union” deutliche Spuren hinterlassen. So glänzte er bei “Lift Me Up” und “Changes” auch an den Vocals. Zum Abschluss des regulären Sets gab es “Owner Of A Lonely Heart” in einer ausgedehnten Version, die es weit weg von allen Pophit-Ambitionen führte. Und die Zugabe “Roundabout” machte den Gig zu einer runden Sache. Hier ging nach Mitternacht jeder mit strahlenden Augen nach Hause (oder ins Zelt).
Setlist YES featuring ARW, 15.7.2017, Loreley – Night of the Prog
Cinema
Perpetual Change
Hold On
I’ve Seen All Good People
Drum Solo
Lift Me Up
And You and I
Rhythm of Love
Heart of the Sunrise
Changes
Long Distance Runaround
The Fish
Awaken
Owner of a Lonely Heart Zugabe: Roundabout
Am Sonntag war ich dann ab 16 Uhr pünktlich zu Gong am Start. Die 1968 gegründete Band besteht auch nach dem Tod der Band-Gründer Daevid Allen und Gilli Smyth fort. Es gibt sogar ein aktuelles Album, das den Flair alter Tage atmet. Live kam die Band auf jeden Fall ganz schön schräg und jazzig rüber. Nicht so ganz mein Fall, doch sie wurden von Teilen des Publikums durchaus abgefeiert. Gong sind eine spacige Prog-Legende und konnten diesem Status auf der Loreley gut gerecht werden. Durchaus ein Fall für Nostalgiker.
Die wurden dann ebenso von Chris Thompson bedient, seines Zeichens Ex-Leadsänger von Manfred Mann’s Earth Band, der er von 1975 bis Ende der 90er Jahre als Sänger vorstand. Auch danach gab es noch eine Zusammenarbeit mit Manfred Mann. Das Tischtuch scheint also nicht zerschnitten, wie man an den schönen Anekdoten erkennen konnte, die Chris aus seinen Bandzeiten erzählte. Das Programm auf der Loreley sollte sich den progressiven Zeiten der Earth Band in den 70er Jahren widmen. Dem wurde Chris voll und ganz gerecht und erfüllte den Auftrag mit Bravour. Schon der instrumentale Start, den er selbst an der Gitarre gestaltete, war ein Meisterstück.
Die Alben von 1973 bis 1976 standen im Fokus und das war ein musikalisches (und durchaus progressives) Fest. Titel wie “The Road To Babylon”, “Spirit In The Night” und “Don’t Kill Carol” bestimmten den Set. Bei “Martha’s Madman” konnte ich erstmals den Refrain mitsingen und wirklich familiär wurde es schließlich im letzten Drittel des Konzerts. “Blinded By The Light” – wundervoll im Duett mit Elisabeth Moberg – und “Davy’s On The Road Again” hoben die letzten Zuschauer aus den Sitzen. Im Zugabenteil gab es ein herzerwärmendes “For You”, das Chris zu Beginn ganz allein vortrug, gefolgt vom Gassenhauer “Quinn, The Eskimo”.
Chris Thompson war gut aufgelegt und erzählte zu “Father of Day, Father of Night” von seinem ersten Gig mit der Earth Band, als beim Reading Festival nur eine einzige kleine Wolke am Himmel war und genau zu diesem Song ihre Schleusen über dem Konzertgelände öffnete. Oder davon, wie Manfred Mann bei einem Test-Gig im Jahr 1975 zwanzig Leute bezahlte, die nach vorne stürmten und “Where is Mick Rogers?” skandierten, dessen Nachfolge Thompson angetreten hatte. So öffnete Chris gut gelaunt das Feld für den Headliner Marillion. Und ich will auch nicht die restliche Band unerwähnt lassen, die sich um den Norweger Mads Eriksen gruppierte und die anspruchsvolle Songliste gekonnt über die Bühne brachte. Chapeau!
Marillion machten den Abschluss. Das war so nicht geplant, denn eigentlich waren Kansas Headliner für den Sonntag. Diese hatten ihre Europa-Tour aber kurzfristig abgesagt. Eigentlich aus fadenscheinigen Gründen: Anscheinend gibt es in den USA eine Reisewarnung für Europa wegen Terrorgefahr. Na dann. So durften wir uns auf Marillion freuen, die fast genau dreißig Jahre zuvor (nämlich am 17. Juli 1987) ihr legendäres Konzert mit Fish hier hatten, das zu den Live-Klassikern der Band zählt. Klar wäre das die Chance gewesen, ein paar Titel vom “Clutching At Straws” Album zu spielen, um nostalgische Gefühle zu wecken. Doch weit gefehlt. So etwas machen Marillion höchstens mal auf ihren umjubelten Weekends. Sie sind die einzige Band, die in den 80ern einen Megaerfolg hatte und heute noch existiert, es dabei aber nicht nötig hat, Titel aus dieser Ära zu spielen.
Stattdessen gab es das Prog-Highlight des vergangenen Jahres, nämlich das aktuelle Album “Fuck Everyone and Run (F E A R)” fast komplett! Und es war ein fantastisches Konzert, das mit dem epischen “The Invisible Man” begann und im Anschluss direkt in das aktuelle Werk führte. Im Hintergrund lief auf LCD Leinwand eine Videoshow, die den Songs genau angepasst war und die Atmosphäre unterstützte. 135 Minuten Musik, aber nur neun Songs. So läuft das bei den bestens aufgelegten Briten, die gerade ihre Deutschland-Tour starten.
“Living in FEAR” widmete Steve Hogarth Deutschland und dem, was wir für die Verzweifelten der Welt getan haben. Als einige ungläubig schauten und das Publikum nicht direkt in Jubel ausbrach, betonte er nochmal, wie ernst er diese Aussage meinte. “England hat einen scheiß für diese Menschen getan”. Überhaupt war es ein sehr politisches Konzert der Band. Denn neben den hochaktuellen Titeln über die Jagd nach Gold und Reichtum gab es auch noch den Longtrack “Gaza”, der sich mit harten Klängen dem Geschehen im Gaza-Streifen widmet, ohne dabei Stellung für eine der beiden Seiten zu beziehen. Hogarth sieht in seinen Texten die Menschen im Mittelpunkt.
“Easter” als Mitsingnummer hätte nicht unbedingt sein müssen. Um so mehr freute ich mich über “Man Of A Thousand Faces” im stimmungsvollen Gewand und über Hogarths autobiographische Zugabe “This Strange Engine”. Hier waren alle mit ihm und das Konzert, das abgesehen von “Easter” ausschließlich Bandtitel aus den letzten zwanzig Jahren bereit hielt, wurde mit Beifallsstürmen umjubelt. Schade, dass Kansas nicht da waren – aber Marillion waren ein mehr als würdiger Ersatz.
Setlist MARILLION, 16.7.2017, Loreley – Night of the Prog
The Invisible Man
El Dorado: I. Long-Shadowed Sun
El Dorado: II. The Gold
El Dorado: III. Demolished Lives
El Dorado: IV. F E A R
El Dorado: V. The Grandchildren of Apes
Living in F E A R
The Leavers: I. Wake Up in Music
The Leavers: II. The Remainers
The Leavers: III. Vapour Trails in the Sky
The Leavers: IV. The Jumble of Days
The Leavers: V. One Tonight
Easter
The New Kings: I. Fuck Everyone and Run
The New Kings: II. Russia’s Locked Doors
The New Kings: III. A Scary Sky
The New Kings: IV. Why Is Nothing Ever True?
Man of a Thousand Faces
Gaza Zugabe: This Strange Engine
Es gilt mal wieder, Win Völklein ein Kompliment zu machen. Auch die zwölfte Auflage des NOTP Festivals war ein Fest! Das Line-Up war absolut stimmig, jeder konnte seine Heroen alter Tage wiederfinden oder Neues entdecken. So muss das sein. Auf dem Plateau der Loreley ändert sich einiges, doch für die dort stattfindenden Rockfestivals bleibt es eine Bank. Genügend Parkplätze und große Wiesen zum Campen. Die Freilichtbühne war mit ausreichend Verpflegungsständen, CD-Läden und Sanitäranlagen bestückt. So konnten sich Fans aller Altersgruppen gut versorgt fühlen. Der Termin für 2018 steht schon fest: NOTP startet dann vom 13. bis 15. Juli. Wer jetzt schon zuschlagen will, findet bis zu. 31.7. “Early Bird Tickets” auf der Homepage des WIV Ticket Shop. Bands oder gar Headliner stehen noch nicht fest, doch das sollte kein Problem sein. Proggies werden ganz sicher gut bedient werden.
Es hat sich seit 2006 zu einer sehr schönen Tradition für Progfans aus ganz Europa entwickelt, im Juli (nur in einem Jahr war es September) zur Loreley zu pilgern, um dort einem Querschnitt der diesem Genre zugehörigen Bands zu lauschen. Auch ich bin in jedem Jahr bisher zumindest einen Tag anwesend gewesen, was sicherlich auch meine Verbundenheit zu diesem Festival ausdrückt. Der gemütliche und familiäre Charakter kann auch einen eigentlichen Festival-Muffel wie mich begeistern.
NotProg IX wird dabei sicherlich in die Annalen eingehen als das mit Abstand sonnigste und – insbesondere auch – heißeste Festival bisher. Zwar wurden oben auf dem Felsen nicht ganz die 36 Grad aus dem Rheintal erreicht, im relativ windgeschützten Kessel vor der Bühne fühlte man sich dennoch bisweilen wie ein Brathähnchen im Backofen. Sonnenschutzfaktor 30 sowie eine angemessene Kopfbedeckung waren an beiden Tagen Pflichtausstattung für die Besucher. Regelmäßiger Flüssigkeitsnachschub war ebenfalls vonnöten. Die Preise für Getränke (insbesondere Mineralwasser) waren zwar relativ hoch, aber man durfte auch kleinere Mengen mit aufs Gelände nehmen, sodass sich ein kleiner Spaziergang zum nahen Parkplatz während der Umbaupausen durchaus anbot.
Da meine Klimaanlage am Vortag (Bericht des Kollegen Andi hier) auf der Fahrt zur Loreley den Dienst verweigerte, verbrachte ich den Samstagmorgen zunächst damit, eine „dienstbereite“ Werkstatt zu finden, nur um dann mitgeteilt zu bekommen, dass es sich um ein Elektronikproblem handelt, das kurzfristig nicht zu beheben sei. Durch diesen Zwischenstopp konnte ich jedoch erst verspätet zum zweiten Tag anreisen, wodurch ich die ersten 3 Bands des Tages (Synaesthesia; A Liquid Landscape; Dream the Electric Sleep) leider verpasste.
Als ich das Festivalgelände betrat, hatten die Schweizer von Clepsydra (16:31 – 17:46 Uhr) gerade ihren Set begonnen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 1000-1200 Leute auf dem Festivalgelände. Einige hatten sich offensichtlich in den Schatten außerhalb des Geländes verkrochen. Vor etwa 20 Jahren spielten Clepsydra ein Konzert in einer Stadt im südwestdeutschen Raum, in der ich damals zu studieren gedachte. Auch damals war ich bereits ein Fan von Progressive Rock, sodass mich ein entsprechender Flyer, der auf dem Unigelände verteilt wurde, neugierig machte und ich beschloss, den entsprechenden Abend nach Vorlesungsende mit Livemusik ausklingen zu lassen. Zwei Dinge irritierten jedoch den jungen Musikfreund. Zum einen lag der Veranstaltungsort in unmittelbarer Nähe von rot beleuchteten Gebäuden, zum anderen war kurz vor Beginn praktisch niemand außer ihm selbst anwesend. Beide Dinge führten dazu, dass er kurzfristig beschloss, den Abend doch anderweitig zu verbringen. Einige Jahre später erfuhr ich dann, Clepsydra hätten sich aufgelöst. So war ich natürlich hocherfreut, dass ich an diesem Tag die Gelegenheit bekam, nachvollziehen zu können, was ich damals verpasst hatte.
2013 war es nämlich zur Wiedervereinigung der Band gekommen. Geboten wurden 75 Minuten 90er Jahre Neoprog in Reinkultur, wobei dies eindeutig positiv gemeint ist. Ähnlich wie die polnischen Kollegen von Collage, die am Vortag einen ähnlichen Festivalslot hatten, gelang es den Schweizern – trotz zahlreicher Parallelen zu anderen Genrevertretern – frisch und unverbraucht zu klingen. Orchestrale Keyboardpassagen und marillionesque Gitarrensoli erfreuten das Herz des Schreibers und vieler anderer Anwesende. Einige Besucher schienen (nur) wegen dieser Band gekommen zu sein und sangen jede Zeile voller Inbrunst mit. Im Gegensatz zu Long Distance Calling am Vortag funktionierte diese Musik auch bei gefühlten 60 Grad im prallen Sonnenschein. Ein gelungener Appetithappen für den Rest des Abends.
Brian Cummins (17:57 – 19:08 Uhr) hatte dann die zunächst scheinbar undankbare Aufgabe, als Ersatz für die kurzfristig wegen Erkrankung eines Bandmitglieds ausgefallenen Bigelf (die auch schon als Ersatz für die John Wesley Band gebucht worden waren) einzuspringen. Dabei bekam er nach eigener Aussage erst am Mittwochabend den Anruf des Veranstalters. Bekannt ist Cummins insbesondere als Sänger der Genesis-Tribute-Band Carpet Crawlers. Ich selbst hatte ihn zuvor mehrfach (u.a. beim NotProg Festival IV, 2009) als Sänger von Mick Pointers Marillion-Tribute-Projekt Script For A Jester’s Tour gesehen. Heute war er jedoch als Solo-Künstler zu sehen, der ein buntes Potpourri von (zumeist) Peter Gabriel Solo-Songs zum Besten gab. Wie immer fröhlich gestimmt, betrat er mit dem Satz „Hello, I’m Bigelf“ die Bühne und hatte die meisten Zuschauer schon auf seiner Seite. Der dargebotene Querschnitt aus Gabriels Karriere wurde ebenfalls dankbar angenommen. Dabei spielte er die Songs nicht einfach mit akustischer Gitarre, sondern untermalte sie mit allerhand Loops, die er mit Hilfe diverser Effektgeräte im Stile von 1-Mann-Drone-Künstlern übereinander schichtete. Dass er dabei bisweilen mehrere Versuche benötigte (- nach eigener Aussage spielte er dieses Programm zum ersten Mal seit einem Jahr live -), trug eher noch zum Charme der Performance bei. Das Ergebnis waren zum Teil überraschende und erfrischende Interpretationen, und er wagte sich sogar an das komplexe Meisterwerk „San Jacinto“. Das Publikum war jedenfalls vollauf begeistert, sodass Cummins’ Schlusssatz „Loreley, you f***ing rock!“ nichts hinzugefügt werden muss.
Setlist Brian Cummins
Here Comes The Flood
Red Rain
Washing Of The Water
Intruder
Come Talk To Me
Carpet Crawlers (Genesis)
Games Without Frontiers
Mercy Street
San Jacinto
Solsbury Hill
Grendel (Marillion; nur die erste Strophe)
Biko
—–
In Your Eyes
Anathema (19:46 – 21:09 Uhr) spielten zum zweiten Mal (nach 2011) beim NotProg Festival und für mich persönlich war es das 15. Anathema-Konzert seit 2005. Dabei kann ich sowohl mit ihrer Doommetal-Phase zu Beginn der 90er Jahre – die die Band schon lange hinter sich gelassen hat – etwas anfangen, als auch mit ihrem massenkompatiblen (?) Alternative Rock, den sie seit spätestens „A Fine Day To Exit“ (2001) perfektioniert haben. Auffällig war, dass sich die Band neu formiert hat – und zwar ohne das Personal zu wechseln. Der bisherige Keyboarder Daniel Cardoso ist nunmehr Schlagzeuger, während der bisherige Drummer (Gründungsmitglied) John Douglas ein reduziertes (und leider auf der Loreley im Livemix untergegangenes) Percussion-Kit bedient. Die Keyboard-Parts werden von Gitarrist (und Sänger) Daniel Cavanagh übernommen, wobei ein Großteil der eher elektronischen Sounds auch „aus der Konserve“ eingespielt wurde. Trotzdem ist die Band nach wie vor eine tolle Liveband. Die Umstellung der Bandbesetzung ist vermutlich eine Folge der diesjährigen Nordamerika-Tour, für die John Douglas (aus mir nicht bekannten Gründen) kein Visum bekommen hatte, sodass Cardoso die Drums quasi zwangsweise übernehmen musste und Cavanagh an den Keyboards improvisierte.
Im Gepäck hatten sie ihr gerade erschienenes zehntes Album „Distant Satellites“, von dem sie auch drei Lieder spielten. Darunter befand sich der Track „Anathema“, den es bisher noch nicht gegeben hatte. Diesen widmete die Band Brian Cummins, den sie bereits als 16-jährige im Liverpool der späten 80er kennen lernten und den sie als guten alten Freund bezeichneten. Der Titelsong des neuen Albums „Distant Satellites“ gefiel mir live deutlich besser als auf CD, da ein Großteil der elektronischen Drums und Loops eben tatsächlich „live“ gespielt wurde. Wie bereits angedeutet, spielten Anathema fast ausschließlich Material aus ihren jüngsten (d.h. den letzten vier) Alben, nur der klassische Set-Closer „Fragile Dreams“ (von „Alternative 4“, 1998) verwies auf die Ursprünge der Band. Ich persönlich fand die Songauswahl dennoch sehr gelungen und eine Karte für das komplette Programm während ihrer Hallentournee im Oktober hängt bereits an meiner Pinnwand.
Setlist Anathema
Untouchable, Part 1
Untouchable, Part 2
Thin Air
The Lost Song, Part 3
Anathema
The Storm Before The Calm
A Simple Mistake
Closer
A Natural Disaster
Distant Satellites
Fragile Dreams
Und zum Abschluss der neunten Auflage des NotProg Festivals beehrten die Briten von Marillion (22:02 – 23:57 Uhr) zum (insgesamt) dritten Mal die Loreley. 1987 spielten sie bereits hier – noch mit dem Originalsänger Fish –, was auf einer sehr schönen Live-DVD dokumentiert wurde. 2010 folgte dann der erste Auftritt beim NotProg. Damals hatte ich mit einem Festival-Set gerechnet, d.h. einem eher hohen Anteil an poppigeren und kürzeren Songs, aber Marillion überraschten mich damals mit einem sehr anspruchsvollen (und progressiven) Programm. Dieses Jahr nun folgte der Festival-Set, der eher die Teilzeit-Fans im Publikum ansprach. Als „Veteran“ (etwa 25 Marillion-Konzerte seit 1987) musste ich somit ein paar „Begeisterungspausen“ einlegen, so u.a. bei den beiden Titeln des eher bescheidenen Albums „Holidays in Eden“ (1991).
Auch sonst gab es einige seichte/leichte Stücke wie z.B. „Beautiful“ und „You’re Gone“. Die anspruchsvollsten Stücke kamen interessanterweise von letzte Album „Sounds That Can’t Be Made“ (2012), insbesondere der Opener „Gaza“, der sicherlich das einzige Stück des Festivals mit derart aktuellem politischen Bezug war. Überraschenderweise fanden ebenfalls vier Stücke aus der Fish-Zeit (vor 1989) ihren Weg in die Setlist, darunter auch der einzige echte Hit der Band, „Kayleigh“ (1985). Bei diesem (und den vorhergehenden „Sugar Mice“ und „Cover My Eyes“) begab sich Sänger Steve Hogarth ins Publikum und ließ einige Besucher ins Mikrophon singen: Ein eher zweifelhaftes Vergnügen für alle anderen Zuhörer.
Als Zugabe wurde uns dann mit „Neverland“ (vom grandiosen „Marbles“-Album aus 2004) noch einmal Bombastrock vom Feinsten geboten: Ein Highlight des kompletten Festivals. Für mich war der Auftritt von Marillion insgesamt also ein eher zwiespältiges Vergnügen. Zugutehalten muss man der Band aber, dass sie eben auch ein komplett anderes Konzert als 2010 gespielt hat, ein Umstand, der bei anderen Bands völlig undenkbar wäre (aus dem Progbereich seinen an dieser Stelle z.B. Saga erwähnt). Das ist natürlich „progressiv“ im eigentlichen Sinn des Wortes.
Setlist Marillion
Gaza
Easter
Beautiful
Power
You’re Gone
Sugar Mice
Fantastic Place
Man Of A 1000 Faces
No One Can
Sounds That Can’t Be Made
Cover My Eyes
Kayleigh/
Lavender (w/ Blue Angel)/
Heart Of Lothian
—–
Neverland
Abschließend noch einige Worte zum Drumherum. Die Organisation lief trotz der klimatischen Bedingungen weitgehend reibungslos; das Personal war freundlich und zuvorkommend. Das Essensangebot war zwar nicht übermäßig vielfältig, aber sicherlich ausreichend. Die Preise lagen gefühlt etwas höher als in der Vergangenheit, aber waren durchaus noch angemessen. Der Sound war – mit einigen wenigen Ausnahmen – gut, vor allem bei den Headlinern der beiden Tage. Der Besucherzuspruch war ähnlich wie in den vorangegangenen Jahren, an beiden Tagen (gegen Ende) jeweils etwa 2500 Personen. Für die Jubiläumsausgabe des Festivals im Juli 2015 sind sogar 3 Tage vorgesehen. Ich werde sicherlich auch wieder dabei sein.
Die Erfolgsgeschichte eines großen Prog-Festivals auf der Loreley (heute gern als “heiliger Felsen des Prog” bezeichnet), begann im Jahr 2006 und erfuhr bereits ihre neunte Auflage. WIV Entertainment haben es geschafft, das Event Jahr für Jahr mit angesagten Progbands der Vergangenheit und Gegenwart zu füllen. Hut ab dafür.
Eigentlich wollten meine Mitstreiter und ich noch einige Töne der polnischen Band Collage mit bekommen, als wir freitags anreisten, doch es hat leider nicht hingehauen. Wir erreichten den Felsen zur Pause vor dem Auftritt von Long Distance Calling. Die dem Postrock zugehörigen Progger stammen aus Münster und lieferten einen musikalisch harten, hauptsächlich instrumentalen Set mit ausufernden Solo-Passagen. Das Hinzukommen von Marsen Fischer hat also nicht dazu geführt, dass plötzlich in jedem Track gesungen wird. Stattdessen gibt es weiterhin eine effektgeladene Soundcollage mit sphärischen Elementen und immer wieder starken Gitarrenriffs, die dem Metalfreund vermutlich ein Schmunzeln entlockten, Long Distance Calling aber für die Begriffe des Progressive Rock zu einer der härtesten Bands des Festivals machten.
Setlist Long Distance Calling – Loreley, 18.07.2014 (danke an Karsten fürs Raushören)
Nucleus
Black Paper Planes
Ductus
Keyboard Air (unveröffentlicht) The Figrin D’an Boogie
I Know You, Stanley Milgram!
Invisible Giant
NH 0550 (von der neuen EP “Night Hawk”, die verkauft wurde, aber noch nicht offiziell erschienen ist)
Timebends
Arecibo (Long Distance Calling)
Metulsky Curse Revisited
Die Stimmung auf dem Felsen war zu dieser Zeit noch sehr träge. Die hochsommerlichen Temperaturen sorgten dafür, dass sich das Gros der Fans ein Schattenplätzchen an den Seiten des Amphitheaters suchte oder sich ganz nach oben unter die Bäume zurück zog. Der Konsum von Flüssigkeiten war enorm wichtig, trotzdem sah man nur wenig wirklich Betrunkene. Ein Zeichen dafür, dass es im Prog meist sehr gesittet zugeht. Zum Glück gab es genug Hartgesottene, die sich auch in den heißen Stunden vor der Bühne sammelten und Party machten.
Als es um 19.45 Uhr Zeit für IQ war, hatten sich die Steinstufen gut gefüllt und man hörte am Stimmengewirr, dass Fans aus ganz Europa und von noch weiter angereist waren. Viele Holländer und Briten waren auszumachen, wobei vor allem in England das Mitbringen eigener Klappstühle momentan groß in Mode zu sein scheint.
Musikalisch waren IQ ein erstes Highlight des Abends. Die Prog-Heroen der 80er haben auch heute nichts von ihrem einstigen Glanz verloren haben. Vor allem ist mit “The Road Of Bones” im Jahr 2014 ein wahres Meisterwerk erschienen. Ein Konzeptwerk allererster Güte, das sich in die Liste hervorragender Alben der Truppe einreiht. Ich zähle noch immer “Ever” und “Subterranea” zu meinen Favoriten, aber eigentlich hat es in der Geschichte der Band kein wirklich schlechtes Album gegeben. Das will schon was heißen.
Was aber immer passiert: zunächst musste ich mich an die ungewöhnlich hohe, gepresst klingende Stimme von Peter Nicholls gewöhnen. Aber dann konnte ich die Spielfreude der Band richtig genießen. Vier neue Songs und damit fast das komplette Album “The Road Of Bones” waren über den Set verteilt und mischten sich mit altbekannten Klassikern. Die düstere Atmosphäre des Konzeptwerks sollte mit einer visuellen Show im Hintergrund unterstrichen werden, was aber nicht funktionierte, da es dafür einfach zu hell war. Egal – die Musik sprach für sich.
An alten Stücken gab es das melodische “In The Darkest Hour”, “Frequency” vom vorletzten Album und den umjubelten Klassiker “The Wake”. “Leap Of Faith” aus dem Album “Ever” markiert meinen persönlichen Einstieg in die IQ-Welt. Darum immer wieder gern gehört. Zum Abschluss erklang “The Seventh House” aus dem Jahr 2000, was mich persönlich enttäuschte, da mein Lieblingsalbum “Subterranea” somit unberücksichtigt blieb. Momentan ist von einer Verfilmung dieses musikalischen Konzepts die Rede. Bleibt also zu hoffen, dass das Album bald wieder einen höheren Stellenwert bekommt.
Setlist IQ – Loreley, 18.07.2014
From the Outside In
The Darkest Hour
The Road of Bones
Frequency
Without Walls
The Wake
Leap of Faith
Until the End
The Seventh House
Transatlantic waren neben Marillion sicher die am sehnsüchtigsten erwartete Band des Festivals. Wann sieht man sonst so viele Prog-Heroen in einer Band? Neal Morse, ehemals Sänger von Spock’s Beard, Roine Stolt, der die Flower Kings groß gemacht hat, Pete Trewavas, der als Bassist von Marillion natürlich unermüdlich im Einsatz war, und Mike Portnoy, der bis vor wenigen Jahren Dream Theater an den Drums in harte Sphären führte. Das ist das Stamm-Quartett von Transatlantic, zu dem sich noch Ted Leonard als Verstärkung gesellte, der früher bei Enchant sang und der jetzt Spock’s Beard vorsteht.
Ted war dann auch die Überraschung des Abends, den seine Vokal-Performance stand Neal und Roine in nichts nach. Sehr erfrischend, wenn er aus dem Hintergrund nach vorne kam. Allerdings dauerte es noch einige Zeit, bis Transatlantic bereit waren. Umbau und Soundcheck dauerten bis nach 22 Uhr und der erste Song “Into The Blue” führte dann das Austesten des Zusammenspiels noch eine Zeit lang fort, was Portnoy in seiner darauf folgenden Begrüßung augenzwinkernd bemerkte.
Die Setlist war dann aber ein Fest. Entweder man vergöttert die Heroen, oder sie lassen einen kalt. Eine Hit-Zusammenstellung würde allein aufgrund der gigantischen Songlängen schon keinen Sinn machen. Nein – stattdessen erfreuten wir uns an den gesanglichen Fähigkeiten von Neal Morse, der wie ein Prediger auf der Kanzel hinter seinem Keyboard stand und die Massen erleuchtete. Und natürlich an der Creme de la Creme der Prog-Instrumentalisten, die sich (ich will es mal dezent ausdrücken) für kein Solo zu schade waren.
Portnoy war mal wieder der eigentliche Star – oder hielt sich zumindest dafür. Er lenkte und dirigierte hinterm Schlagzeug, während der obercoole Roine Stolt der Gitarre lässig wundervolle Töne entlockte und Pete Trewavas selig ins Publikum grinste, das ja auch am Freitag schon vor allem aus Marillion-Fans bestand, was den Gig für ihn zum Heimspiel machte. Zunächst gab es zwei Titel vom aktuellen Album “Kaleidoscope”. Dann folgte ein ellenlanges Medley aus dem dritten Album “Whirlwind”, das die Zuschauer von den Sitzplätzen riss. Und den Abschluss machte ein Hitreigen der ersten beiden CDs: “We All Need Some Light”, “All Of The Above” und “Stranger In Your Soul”. Damit waren alle Favoriten in epischer Länge vertreten und zwei Stunden wie der Blitz vorbei.
Setlist Transatlantic – Loreley, 18.07.2014
Into the Blue
Shine
(Whirlwind Medley) Overture Rose Colored Glasses Evermore Is It Really Happening? Dancing With Eternal Glory
We All Need Some Light
Black as the Sky
All of the Above
Stranger in Your Soul
Den Samstag mit Anathema und Marillion konnte ich leider aus persönlichern Gründen und schweren Herzens nicht mit erleben. Darüber wird der Kollege Karsten Bier in Kürze berichten. Mein Fazit muss ich also schon früh ziehen:
WIV haben auch mit der neunten Auflage des Festivals das Mekka der Progszene belebt und dafür gesorgt, dass sich die Veranstaltung auf der Loreley weiter etabliert. Der Termin für das Jubiläumsfestival 2015 steht schon fest: Es wird vom 17. bis 19. Juli starten. Ich hoffe schon mal drauf, dass zum Zehnjährigen wieder Onkel Fish als Patron des Festivals mit am Start ist. Mir macht es immer wieder große Freude, den Weg zur Loreley anzutreten. Wann erlebt man schon so viele großartige Bands en bloc? Ihr werdet mich definitiv auch bei der zehnten Auflage in den Rängen finden – egal welche Progbands die Veranstalter an Land ziehen.