Schon lange muss Thomas Thielen wohl damit leben, dass seine Musik stets mit den Klängen des Artrock einer Band wie Marillion verglichen wird. Ob ihn das wirklich nervt, sei mal dahin gestellt. Schließlich ist die Nähe zur Band einfach offensichtlich und t (so lautet der ungooglebare Künstlername) ist sich auch nicht zu schade, von Zeit zu Zeit live einen Marillion-Song zu covern.
Vor drei Jahren beendete t mit dem Album “solipsystemology” eine schwermütige Trilogie, die mit den Werken “fragmentropy” und “epistrophobia” ihren Anfang nahm (HIER unsere Review dazu). “Ich habe meinen kinematographischen Ansatz noch mal neu gedacht und in Teilen in einer akustischen Landschaft gemixt, die eine neue Welt bietet, in der andere physikalische Gesetze gelten. Das war ein riesiger Haufen Arbeit, bei der mir einige Freunde mit Ideen zur Seite standen – zur Umsetzung nicht zuletzt der Leiter eines Max-Planck-Instituts mit Hilfe bei der Berechnung der Gesetze dieser neuen Akustik! Eno hat mal gesagt: Ein Tonstudio ist ein Musikinstrument.” So erzählte uns der sympathisch-grummelige Soundarchitekt damals im Interview seine Vorgehensweise. Stilistisch ist das neue Werk noch ein Stück größer geworden. Ob es daran liegt, dass der Multiinstrumentalist und musikalische Alleingänger in Zeiten der Pandemie noch mehr Muße hatte, seine Ideen zu verwirklichen?
Beim ersten Hören muss ich zwangsläufig an meine Lieblingsband denken. Das geht gar nicht anders – und ein untrügliches Zeichen bekomme ich mal wieder von meiner Frau, die beim Mitfahren im Auto fragt, ob “das was Neues von Marillion” ist. Was Thielen leistet, ist ohnehin unglaublich. Er hat eine emotionale Stimme, die an Steve Hogarth erinnert – er wandert durch die Oktaven und hat eine enorme Eindringlichkeit, mit der er seine Lyrics zum Leben erweckt. Hinzu kommen die Klangcollagen, die er als versierter Sounddesigner allesamt selbst schafft. Gitarrensoli klingen stilistisch wie von den progressiven Meistern, namentlich Steve Rothery und David Gilmour. Deren schwelgerische Spielart kann auch Thielen perfekt verkörpern. Dazu kommen ein entspannter Bass und sphärische Keybords. Dabei klingen diese noch versierter als fast alles, was heute im Neoprog geboten wird.
Ts Vocals stehen für mich immer an erster Stelle. Zu Tode betrübt in den melancholischen Tiefen, weinerlich und hochemotional in den Höhen. Er verstärkt sich selbst in polyphonen und chorischen Passagen, legt die Klangspuren übereinander – das ist eine fantastische künstlerische Leistung. Und auch in den Texten geht es ans Eingemachte. Thielen erzählt nicht irgendwas. Er hat philosophische Botschaften, die er vermitteln will. Nicht von ungefähr trägt das Werk den Titel “Pareidoliving”. Natürlich musste ich googeln um herauszufinden, dass Pareidolie das Phänomen meint, in Dingen und Mustern vermeintliche Gesichter und vertraute Wesen oder Gegenstände zu erkennen. Wer verträumt in den Wolkenhimmel blickt, weiß was gemeint ist.
Das Stück “A Relevant Lovesong” findet sich als siebter Song auf dem Album, aber nicht im Tracklisting. Quasi Schrödingers Katze im Songformat. Das Album beschreibt eine Beziehung, die an der Projektion von gefühlter Wahrheit scheitert. Gibt es also überhaupt einen relevanten Lovesong oder ist er ein Trugbild? Mit solchen Details kann Thielen seine Fans in den Wahnsinn treiben – und tut dies mit Genuss.
Musikalisch ist das Album ebenso ausufernd wie die mit vielen Worten erzählte düstere Geschichte. Es geht manchmal opulent zu – mit eingespielten Streichern – dann nimmt ein Piano breiten Raum ein bevor die Gitarren zu alter Stärke zurückkehren. Thomas Thielen fährt im Alleingang alles auf, was der moderne Prog und Artrock zu bieten hat. Sein Perfektionismus macht ihn inzwischen zum deutschen Steven Wilson. Nur besser.
Das Album findet ihr bei den gängigen Progressive Rock-Händlern und HIER direkt beim Label GEP.
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Wie nicht anders zu erwarten, hat es auch das wichtigste PROG-Festival erwischt. Hier die Meldung des Veranstalters WIV Entertainment:
Die anhaltende Corona-Krise hat leider auch Auswirkungen auf das Night Of The Prog Festival 2020. Wir bedauern, dass wir (aufgrund von Entscheidungen unserer Regierung) keine andere Wahl haben, als das diesjährige Festival auf das Jahr 2021 (16. – 18. Juli) zu verschieben. Wir werden in Kürze weitere Informationen zu Tickets usw. veröffentlichen. Bitte habt bis nächste Woche etwas Geduld!
Thomas Thielen, der unter dem Kürzestkürzel t Ungooglebare, war zum ersten Mal beim Night of the Prog 2019 – nicht verwunderlich, ist t doch zum ersten Mal überhaupt auf Tour. Der Auftritt kann wohl als erfolgreich bezeichnet werden: Die Fan-Community des NOTP wählte ihn zum „Best New Act“ des Festivals, was nach 20 Jahren und 8 Alben vielleicht ein bisschen hinkt, aber den Künstler „unbändig freute“, wie er sagte. Wie t das ganze Drumrum selbst erlebt hat, lest ihr hier:
Vorneweg: Ich glaube, unser Auftritt war echt cool. Die Leute waren begeistert, meine Stimme war nach 3 Wochen Sinusitis trotzdem perfekt da (klassische Ausbildung hat Sinn, das merke ich live immer wieder!), die Band in Topform, das Publikum trotz unseres sehr melancholischen Sets voll dabei, teilweise pathetisch mitsingend, teilweise mucksmäuschenstill zuhörend.
Aber wer denkt, dass damit schon das Entscheidende berichtet wäre, war noch nie Musiker bei einem riesigen Festival. Die Musik ist natürlich zentral – aber viel krasser ist, eigentlich immer, das Drumherum. So auch bei uns.
Ich bin im Studio Perfektionist, legendary so, und dementsprechend ist auch t eine zwanghafte Live-Band. Dieser typische Rock N Roll passiert eher anderen. Beispiel? Da wir keine Ahnung hatten, wie gut das Monitoring vor Ort sein würde, hatten wir folglich unser eigenes System dabei, inklusive Tom Ronney als Tech, der es bediente und uns half, nix kaputt zu machen. Schließlich war das alles von Crystal Palace nur geliehen (Danke, Frank, Jens, Tom, Nils!), und wir… Naja, wir sind besser im Hören als im Einstellen. Wobei auch das nicht immer stimmt: Dominik an den Keyboards zB spielte einen großartigen Gig – ich hörte sehr ausgefallene, aber geschmackvolle, neue Linien in seinen Parts und war begeistert, dass er ausgerechnet bei diesem riesigen Gig so pointiert innovativ arbeitet!
Dom nicht. Sein Kopfhörer wurde wohl irgendwie vom Stagefunk beeinflusst und hatte längere Komplett-Aussetzer. Da unsere Ohrhörer ca 90% der Außengeräusche dämpfen, flogen die Keys also für ungefähr ein Drittel des Gig blind: Dominik erahnte anhand der Tasten, was er da spielte, aber seine Ohren hatten Pause. Dass seine Keyboards trotz Blindfluges in den Songs ohne Bruchlandung ankamen, ist nur für Leute erstaunlich, die Dominik nicht kennen. Ich vorne ahnte jedenfalls nichts und war selig.
Bei mir war mein Wirelesssystem für die Gitarre eine miese Idee. Erstens war die Chance, große Wege zu beschreiten, gar nicht so recht da, wie ich mir das vorgestellt hatte: mein Mikrofonständer hat ja auch auf großen Bühnen keine Flugvorrichtung, und irgendwas war immer zu singen oder am Pedalboard zu switchen. Und zweitens kam auch im Sender (2.4 Ghz? Nie wieder!) bei jedem Funkverkehr backstage ein Knistern in den Ton – so dass ich auf Kabel umstieg, sobald es ging. Lesson learned: Kabel sind bei Festivals die bessere Idee.
Aber sonst? Bühne geht eben immer. Ich habe nur Musiker, die besser sind als ich – was soll passieren? Naja… Also… Es passieren schon Dinge… Schauen wir ein bisschen zur Seite: Vor t spielte Tim Bowness, den ich vor allem von no-man sehr schätze (“Together we re stranger” ist ein riesiges Album!), und mit ihm am Bass kam John Jowitt, einer meiner großen Helden aus der Jugendzeit. Ich war ein bisschen nervös, muss ich zugeben, Tim und John zu treffen, ein bisschen Ehrfurcht und ein bisschen dümmliches Kichern wären backstage bestimmt im Spiel gewesen…
Aber es kam ein bisschen anders. Wie gesagt, t ist eine zwanghafte Band. Wir waren also schon um 10 vor Ort (Stagetime 16.30 Uhr) und um 11 war das komplette Setup fertig aufgebaut hinter der Bühne. Kann ja keiner ahnen, dass alles reibungslos klappt. Um 11.03 hörte das Reibungslose dann auch auf: Da klingelte dann mein Telefon Sturm. Ich hatte von ganz IQ, von John Jowitt, von Graham, Tims Stage Manager, und scheinbar allen, die sonst noch mit GEP oder Konsorten zu tun hatten, Nachrichten erhalten. Wtf?
Nun, John hatte am Abend zuvor mit IQ gespielt, als Aushilfe für den indisponierten Tim Esau, und anscheinend waren da alte Gewohnheiten wieder lebendig geworden: John hatte seinen kompletten Kram auf den IQ-Truck geladen, und als er nun aufwachte, fiel ihm auf, dass ihm für Tim Bowness’ Auftritt irgendwas fehlte, genauer gesagt: Bass und Amp, Kabel und Tuner. Ach so, und: eine Hose. „Thomas, you don t happen to have a spare 5string?“ – Wir hatten. Und einen Amp. Und ein Kabel. Und einen Tuner, genauer gesagt: Graham lieh meinen immer wieder kurz aus (Clip, Thomann, 3,90 Euro) und lief auf die Bühne, um alles zu stimmen, was Saiten hatte und gerade nicht gebraucht wurde.
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Gerade für mich als Studionerd war die Organisation des zu erwartenden Chaos eines solchen Molochs beeindruckend. Wir erhielten Pässe, Essensmarken, Parkkarte, Parkplatz und… die Garderobe neben Nick Mason. Ich bin damit sozusagen fast Rockstar, finde ich, nur eben um eine Garderobe verfehlt, aber wir einigten uns in der Band drauf: Das gilt!
Auch die anderen Musiker waren phantastisch: Als Tim und John ankamen, waren die beiden einfach nur nette Jungs, Lazuli und t (lies: die Band) verstanden sich wieder mal grandios (und das lag nicht nur am, sagen wir, Zigarettenrauch, der so angenehm duftete), kurzum: das Miteinander mit Veranstalter und anderen Bands hinter der Bühne hätte nicht harmonischer sein können. Keine Missgunst, keine Arroganz, kein Schw…Vergleich – einfach nur pure Freude am Event. So saßen denn auch FORS und OVERHEAD und t stundenlang in wechselnder Besetzung in der Sonne und sinnierten über das Universum, die Musik und den ganzen Rest, und es ergaben sich Freundschaften und Verabredungen en masse.
Ich persönlich fand, auch vor dem Hintergrund, dass Backstage alles andere als Star-Feeling herrschte und ich die Proggies im Publikum online teilweise mehr als 1 Jahrzehnt kannte, die Idee, dass ich Autogramme im Signing Tent geben sollte, etwas absurd. Zwar hatte mich Tim Bowness mit einem netten “Ah, t, great albums” begrüßt und mir ein ewiges Grinsen auf den Mund gezaubert, aber Autogramme? Ich wollte mir schon, zur Sicherheit, ein großes Schild umhängen (“Ich war eben auf der Bühne und kann fehlerfrei schreiben!”), damit Leute auf die Idee kommen konnten, ich sei irgendwie dazu der Richtige.
Ich kam mir jedenfalls ziemlich blöd dabei vor. Unfug, wie sich rausstellte, denn tatsächlich hatte ich eine gute Stunde zu tun, bis alles unterschrieben und alle Selfies gemacht waren. “zu tun” ist da natürlich fehlleitend: Ich habe es unendlich genossen, all die Menschen, die ich oft online schon lange „kannte“, persönlich zu treffen. Und es ergaben sich so viele nette Gespräche, dass ich erst 2 Stunden später wieder zurück im Backstagebereich ankam, um mit der Band das versprochene Kaltgetränk einzunehmen. In meinem Fall übrigens Pfefferminztee (ja, kalt, ach nach 2h)…
Überhaupt, die Menschen bei NOTP… was die t Konzerte bisher für mich so begeisternd machte, war die Bereitschaft des Publikums, unserem sehr melancholisch geprägten Set zuzuhören. Dass die Loreley da keine Ausnahme machte, das überraschte mich, ehrlich gesagt, ein bisschen. Aber es war von der Bühne aus ein unglaubliches Bild: All diese Menschen, und kaum einer redet rein oder holt mal schnell Bier, obwohl wir gerade in strahlender Hitze über die Atmosphären der Nacht sinnierten. Eine riesige Wertschätzung für die Musik selbst scheint das Festival zu umgeben, und das ist open air nicht die Regel, meiner Erfahrung nach. Für mich war das Verhalten des Publikums – ehrlich! – der Höhepunkt an einem sowieso grandiosen Tag.
Die Vorbereitungen im Backstagebereich waren durchwegs von großer Ruhe, zynisch-spitzem Humor und phantastischer Übersicht von “Büffel”, dem Chef hinter der Bühne, geprägt (ja, so stellte er sich vor). Ts Verkabelung ist absurd kompliziert, ich erspare euch Details, erwähne nur kurz, dass über Midi alle time Codes synchronisiert werden. Also: wir reden von mehreren Trilliarden Kabeln, die alle munter durcheinander verlaufen, von synthie zu laptop zu kemper zu basspedal zu Gesangseffektgerät und zurück zu Synthie… . Die haben wir natürlich minutiös beschriftet und vorbereitet – aber in 10 Minuten auf der Bühne bereit zu sein, das ist schon eine Herausforderung.
Dank Büffels Hilfe brauchten wir 7. Hinter der Bühne waren alle Instrumente und Kabel bereits gecheckt, auf rollenden Podesten aufgebaut und ausparkfertig platziert worden. Die größte Problematik bestand eigentlich nur darin, dass ich Dominiks Reisekoffer, der 2 Minuten vor Takeoff aus mir unerfindlichen Gründen offen vor den Keys auf dem Riser lag, noch schnell aus dem Weg räumen musste. Hätte andererseits dem Bühnenbild vielleicht aber auch ein bisschen Beckett gegeben!
Auf der Bühne war ich selbst mit zitternden Händen und hochkompliziertem Setup in 2 Minuten bereit. Soundcheck ist eh für Feiglinge… Also los ging s. Und wie gesagt: Ich glaube, es hat sogar ganz gut funktioniert.
Für uns, t und Band, war das jedenfalls eine grandiose Sache. NOTP als MUSIKER? Jederzeit.
Epilog: Was für die tolle Organisation und das großartige Miteinander in Winfried Völkleins Wohnzimmer, also oben auf dem Felsen, gilt, ist in Hotelzimmern oft ein bisschen anders. Als Musiker ist das aber nicht unwichtig, vor allem als Sänger: Ich hatte auf der Loreley mehr als 3 Oktaven zu besingen, und da sind guter Schlaf und präzise Vorbereitung zentral. Das wird ein bisschen schwierig, wenn man nachts ankommt und die Zimmer beziehen will, aber nicht finden kann… Wir hatten, genauer gesagt, 102, 201, 202 und 48. Auf die Nachfrage von Tour Managerin Tini, die mittags schon die Schlüssel abgeholt hatte, wurde uns gesagt, dass alle Zimmer im Haupthaus des Hotels seien, nicht etwa in den nahen Gästehäusern. Da standen wir dann, um 1 Uhr nachts, völlig erledigt, und suchten… 48 gab es scheinbar nicht, das Erdgeschoss ging von 1 bis 21. Im ersten Stock fanden wir 102 bis 122, der zweite Stock begann mit 201, 202, 203… Also liefen wir doch rüber zu den anderen Häusern, kamen dort aber nicht rein und irrten durch die Straßen, hoffend, dass in der Herberge doch noch Platz sein würde. Inzwischen kamen schon Pläne auf, die mit Rückbänken zu tun hatten – da fanden wir doch noch die 48. Natürlich dort, wo sie hingehört: Zwischen 212 und 214. Wir Trottel.
Danke, lieber Thomas, für diesen Bericht! Nähere Infos zu t und seinen Veröffentlichungen findet ihr HIER: www.t-homeland.de / Ach ja: NIGHT OF THE PROG 2020 steigt vom 17. bis 19. Juli 2020. Infos und Tickets gibt’s HIER: www.nightoftheprogfestival.com
Vom 19.07. bis 21.07.2019 fand zum 14. Mal das größte europäische Progressive Rockfestival – die “Night of the Prog” – im legendären Amphitheater auf dem Loreleyfelsen am Rhein statt. Hier traf sich seit Beginn der Festivalgeschichte das who is who der Progszene wie Dream Theater, Eloy, IQ, Riverside, Jethro Tull, Asia, Anathema, Steven Wilson, Spock’s Beard, Arena, Pendragon, Tangerine Dream, Fish, Steve Hackett, Marillion und viele mehr. Auch in diesem Jahr war das Lineup gespickt mit großen Namen und Newcomern, von denen man in nächster Zeit mehr hören wird.
Pünktlich zum Festivalbeginn am Freitag zeigte sich, dass der Veranstalter wohl einen Deal mit dem Wettergott hatte und das ganze Wochenende weder Unwetter noch Regengüsse ihre Auftritte hatten.
Tag 1 – 19.07.2019
Den Auftakt machten pünktlich um 14:15 die holländisch/britischen Melodic-Progger von DILEMMA um den charismatischen und sympathischen Drummer Collin Leijenaar, der schon bei Neal Morse trommelte und auch Kayak seine Künste zum Besten gibt. Mit einem großen Anteil an Stücken ihres neuen Albums „Random Acts Of Liberation“ bestritten sie stark und umjubelt vom bereits reichlich angereisten Publikum den schwierigen Einstieg in ein langes Festivalwochenende.
Mit den virtuosen Instrumentalmeistern SPECIAL PROVIDENCE aus Ungarn ging es in einen wilden Mix aus Prog, Djent, Jazz, Metal und elektronischer Musik. Sie zeigten auf dem Felsen erneut nach 2015, dass instrumentale Musik eine große Fanbase generieren kann. Das Quartett lieferte unter frenetischem Applaus Stücke ihres aktuellen Outputs „Will“ (2017) und Stücke aus ihren Vorgängeralben „Essence Of Change“, „Soul Alert“ und „Labyrinth“ und bewiesen einmal mehr, dass sie zurecht als Support für Szenegrößen wie „Haken“, „Spocks Beard“ oder „Dream Theater“ gebucht wurden und darüber hinaus auch Headlinerqualitäten besitzen.
Der dritte Act des Tages war für alle Progbegeisterten schon im Vorfeld der Ankündigungen eine echte Überraschung. Nach 22 Jahren Abstinenz wollten es CHANDELIER aus Neuss noch ein einziges Mal wissen und fanden sich zu einer Reunion zusammen, um Songs aus ihrem Album „Facing Gravity“ aus 1992 und weitere Neo-Prog-Klassiker ihrer Schaffenszeit zum Besten zu geben. Und sie enttäuschten nicht. Martin Eden war stimmlich nicht gealtert. Anhand der im Publikum vertretenen Chandelier-Shirts konnte man davon ausgehen, dass viele Anhänger sich dieses einmalige Event nicht entgehen lassen wollten und sogar extra aus Montreal anreisten. Auch Toni Moff Mollo, Sänger der Kult-Rocker Grobschnitt, ließ sich nicht lange bitten und folgte dem Aufruf zum Gastauftritt für einen Song auf den Felsen. Ob es nach diesem gewaltigen Reunion-Erfolg eine einmalige Geschichte bleiben wird, sei nun dahingestellt.
Co-Headliner des Auftakttages waren IQ, die Neo-Prog-Legenden aus England, die nunmehr schon seit 38 Jahren im Musikbusiness zu Hause sind und bereits zu vierten Mal bei der Night gastierten. Tim Esau, der Stamm-Bassist der Formation, musste leider krankheitsbedingt zu Hause bleiben. Für ihn sprang kurzfristig sein Vorgänger und Nachfolger (in der Bandgeschichte) John Jowitt ein, der sichtlich viel Spaß hatte, seine (Ex-)Kollegen zu unterstützen. Leider wurde die Freude am Gig getrübt von massiven technischen Problemen zu Beginn und der nachlassenden Laune und einhergehend scheinbar auch der Form von Peter Nicholls. Die Band präsentierte im Verlauf drei Songs vom im kommenden September erscheinenden Longplayer „Resistance“. John Jowitt nutzt vor allem die neuen Songs, bei denen er nichts zu tun hatte, für ein Selfiebad in der Menge. Darüber hinaus gab es eine gewaltige Portion „Road Of Bones“ (2014) und Klassiker ihrer Alben „The Seventh House“ (2000), „Ever“ (1993) und „Frequency“ (2009). Mit der eintretenden Dämmerung konnten die Leinwandanimationen den Auftritt etwas versüßen. Und zum Ende des Sets kam auch die Freunde des Konzeptalbums “Subterranea” auf ihre Kosten, aus dem ein Auszug als Zugabe gespielt wurde.
Zum Abschluss des ersten Tages gaben sich echte Pioniere und Ikonen elektronischer Musik die Ehre. Wassergeplätscher vom Band besorgte die Einstimmung, während das Publikum den Bühnenaufbau mit abgehängten Möbelstücken und leuchtenden PCs bewundern durfte. Thorsten Quaeschning, Hoshiko Yamane und Ulrich Schnauss führen das Erbe von Edgar Froese mit TANGERINE DREAM fort und boten dem Publikum einen phantastischen, sphärischen Kontrapunkt zu den energiegeladenen Auftritten der anderen Akteure mit einem starken zweistündigen Ambient-Set, passenden Animationen und ausufernden Lichtspielen.
Running-Order 14:15 Dilemma 15:45 Special Providence 17:35 Chandelier 19:30 IQ 22:00 Tangerine Dream
Tag 2 – 20.07.2019
Den Auftakt zum längsten und heißesten Tag des Festivals mit sieben Bands machten die sympathischen F.O.R.S., die Famous Or Random Stars, aus der Schweiz. Die Formation von vier Individualisten, die als Samstag-Opener Stücke ihres 2016 erschienenen Instrumental-Debüts „Before“ spielten, hatten die Zuschauer und Zuhörer mit ihrer Mixtur aus Jazz, Musical, Rock, Ambient und Prog schnell auf ihrer Seite. Wie meistens bei einem Festival lässt sich der Erfolg einer Band am Merchandising messen und demnach kamen sie mehr als nur gut an, denn das Publikum hatte den Merch-Stand restlos ausverkauft.
In der Metal-Szene ist Finnland stark vertreten, im Progressive Rock und auf der Loreley jedoch eher selten zu Gast. OVERHEAD – die es auch schon zwanzig Jahre gibt – sollten zeigen, dass man sich gerne mehr in Finnland nach Progbands umschauen sollte. Die Mannen um Alex Kekitalo legten für finnische Verhältnisse absolut keinen unterkühlten Auftritt hin, sondern servierten mit der Präsentation ihres 2018er Werkes „Haydenspark“ und einigen anderen Stücke aus ihren vier Vorgängeralben einen hitzigen Kracherauftritt. Trotz eines suboptimalen Soundmixes, der den theatralisch auftretenden Sänger im vorderen Auditorium absaufen ließ, wurde die Band mit Standing Ovations gefeiert. Zum Gigabschluss und als gefeiertes Highlight hauten die Finnen den Zuhörern den King Crimson Klassiker „21st Century Schizoid Man“ um die Ohren.
Nach dem gefeierten Energieritt sollte es mit TIM BOWNESS etwas ruhiger weitergehen. Der Engländer, der seine „no-man“-Arbeit mit Steven Wilson, Robert Fripp (King Crimson), Peter Hammill (Van der Graaf Generator) oder Phil Manzanera (Roxy Music) veredelt hat, konnte mit Spielfreude und einem ruhigen, melancholischen Set, das aus „no-man“- und Solostücken, u.a. aus seinem aktuellen Album „Flowers At The Scene“ bestand, die hitzigen Gemüter des Publikums beruhigen. Am Bass (Ausleihe von t-Bassist Yenz Strutz) konnte wie auch schon am Vortag bei IQ John Jowitt brillieren, der mit seinen Gesten und seiner mitreißenden Spielfreude die Zuschauer und Zuhörer immer wieder für sich gewann.
Scheinbar wusste Winfried Völklein (der Veranstalter), dass es zweier ruhiger Sets bedarf, um anheizende Gigs und tropische Temperaturen in Schach zu halten und schob direkt im Anschluss an Bowness noch Thomas Thielen alias t nach. Der Multiinstrumentalist, dessen Stimme immer wieder mit den Stimmen von Steve Hogarth (Marillion) oder David Bowie verglichen wird, konnte rechtzeitig zum Loreley-Gig seine Sinusitis auskurieren, um seine stimmliche Qualitäten darzubieten. Dass seine ausgefeilten Klangstrukturen nicht nur aus der Konserve funktionieren, konnte er nach langjähriger Zurückhaltung bereits in Oberhausen und Rüsselsheim beweisen. Und nun steht auch fest, dass sein Konzept festivaltauglich ist. Nach seinem 60-Minuten-Set, das aus einem Mix seines alleinigen Studioschaffens bestand, zeigte er sich spürbar adrenalinberauscht überglücklich, dass alles so funktioniert hat und jetzt auch schon Support-Anfragen von anderen Prog-Größen bestehen. “Irrelevant Lovesong” war eines der Highlights. Und überraschenderweise gab es auch einige starke Songs von den Frühwerken “Voices” und “Naive”.
Nur noch zwei Bands vor dem Samstagheadliner sollten die Kanadier von KARCIUS dem Publikum wieder einheizen, die mit ihrem in 2018 erschienenen starken Album „The Fold“ im Gepäck anreisten. Durch die härtere Gangart wurden einige Schlaftrunkene im Publikum umgehen aufgeweckt. Das mächtige und gewaltige Werk mit teilweise sehr vertrackten Songs, sowie weitere Songs aus ihren vier Vorgängeralben rissen das Publikum von den harten und warmen Steinsitzen. Großer Respekt wurde dem hyperaktiven Keyboarder Sébastien Cloutier zuteil, der sich anschickte einen Hitzschlag durch Abreißen seiner Keyboards zu bekommen. Dieses aus dem einzigartigen Stil bestehenden Set wurde mit immer wiederkehrenden Standing Ovations gefeiert.
Wer bei einem Prog-/Rock-Festival eine Bank für gute Laune, Spielfreude, Witz und großartige Musik buchen will, kommt an den Franzosen von LAZULI nicht vorbei. Vor einem begeisterten Publikum und einer großen französischen Fanbase zeigten sich die fünf Publikumslieblinge, die zum vierten Mal zu Besuch auf dem Progfelsen waren, dankbar für den samstäglichen Co-Headliner-Slot. Es gab herzliche Ansagen in deutscher Sprache und wundersame Geschichten von an der Autobahn ausgesetzten Hunden. Mit Ausflügen an die Absperrung zu den Fans, deutschen Ansagen und natürlich hervorragend vorgetragenen Songs aus 20 Jahren Bandgeschichte belohnten und verzauberten sie auch die letzten Lazuli-Unwissenden. Ein begeisterter und grinsender Backstage-Zaungast Nick Mason bestaunte die Zugabe „Money“, die sie wieder auf typische Lazuli-Weise zu fünft an einem (!) Glockenspiel vortrugen.
Wie schon am ersten Tag des Festivals kam am Samstag als Headliner mit NICK MASON’S SAUCERFUL OF SECRETS einer der Pioniere der progressiven Musikgeschichte. Erstmals wurde hier der Zeitablauf durchbrochen, denn Mason konnte schon frühzeitig um 22.15 Uhr beginnen. Passend zum 50. Jahrestag der ersten Mondlandung gab es eine spacige Geräuschkulisse zur Einstimmung. Dann erfolgte der überaus rockige musikalische Start. Mit einem Par Force Ritt durch das „alte“ Pink Floyd-Material wie z.B. Astronomy Domine und Set The Controls wurde das (wohl durch Tages- oder Abendtickets) gut gefüllte Amphitheater verwöhnt. Alle Instrumentalisten (außer Mason) sind auch gute Sänger und so erfolgten einige mehrstimmige Gesangspart von überraschender Virtuosität. Visuell untermalt wurden die Songs durch passende Projektionen u.a. auch von Syd Barrett. Das Publikum dankte es den Musikern mit lautstarken „You’ll Never Walk Alone“-Gesängen bei “Fearless”. Vor dem angeblich größten Publikum wurde das bis dato noch nie live in der Pink Floyd-Ära gespielte und unvollendete „Vegetable Man“ aufgeführt. Nick Mason bedankte sich artig bei Gitarrist Lee Harris, der Anstifter zum Saucerful Of Secrets-Project war.
Running-Order 12:30 F.O.R.S. 13:30 Overhead 15:00 Tim Bowness 16:30 t 18:30 Karcius 20:00 Lazuli 22:15 Nick Mason’s Saucerful Of Secrets
Tag 3 – 21.07.2019
Nach vielen Jahren der erfolglosen Festivalanfragen, durften am letzten Festivaltag WINDMILL aus Norwegen den Tag eröffnen. Die jährlich immer wieder mit ihrer Fahne anreisenden skandinavischen Fans trugen die Band auf einer Welle der Begeisterung zu Höchstleistungen. Im Mittelpunkt ihres opening acts stand die im letzten Jahr erschienene Tribus-Veröffentlichung, aber auch Titel aus ihren 2010 und 2013 erschienen Alben „To Be Continued…“ und „The Continuation“ sollten im Programm nicht fehlen.
Um die norwegischen Fans bei Laune zu halten, kamen im Anschluss die Artrocker von OAK zum Zug, die mit ihrem Shootingalbum „False Memory Archive“ internationale Anerkennung in allen möglichen Rezensionen fanden. Mit ihrem modernen, melancholischen Artrock mit treibenden Parts spielten sich die kühlen und coolen Norweger in die Herzen des Publikums, aus deren Reihen auch schon mal der Ruf kam: „You make me cryin‘!“, was von der Band wohlwollend und zustimmend bestätigt wurde.
Vom nördlichen Teil Europas ging es mit RanestRane nach Italien. Mit ihren Neuinterpretationen und Vertonungen von Filmwerken machten sie sich einen Namen in der Szene, v.a. auch durch die dazu passenden Videoprojektionen, die leider aufgrund der Uhrzeit und Sonneneinstrahlung nicht zur Geltung kamen. Andererseits lenkte dies nicht von den Musikern ab, wie z.B. von Riccardo Romano, der so heftig am Keyboardturm herumzerrte und auf die Tasten einschlug, dass man Angst um das gute Equipment haben konnte.
Und wieder ging es nach Skandinavien zu ALL TRAPS ON EARTH, einem Sideproject der Änglagård-Musiker Johan Brand, Jonas Engdegård, Linus Kåse und Erik Hammarström, erweitert um den Keyboarder und Spezialisten an Saxophon, Klarinette und Flöte Daniel Borgegård Älgå. Mit ihrem chaotischen, sinfonischen, bezaubernden und zerbrechlichen Sounds des Debüts „A Drop Of Light“ sowie Songs von Änglagård mit teilweise schwedischen Lyrics (im Longtrack “Bortglömas Gårdar”) spalteten die Schweden das Publikum von begeistert bis verstört, wobei die Reaktionen am Ende überwiegend positiv waren..
Co-Headliner am Sonntag waren ANATHEMA von der Insel, die bereits 2011 und 2014 die Festivalbesucher überzeugten. Und ihre Performance war atmosphärisch eine Wucht. Mit purer Spielfreude, starker Kommunikation und Bindung zum Publikum waren sie der Topact des Tages. Ausflüge ins Publikum und an den Grabenrand zeigten, dass sie richtig Lust hatten das Festival zu rocken und dass sie eine hervorragende Liveband sind. Der Beginn war rockig, doch ihre größte Stärke zeigten sie mit Sängerin Lee Douglas, als diese nur am Piano begleitet wurde, der Song sich aber im Anschluss zu einem hymnischen Progstück im Duett entwickelte. Zum Ende hin sang der ganze Felsen lautmalerisch mit – ein besonderer Moment. Im Gepäck hatten Anathema Songs ihrer jüngsten hochgelobten Werke „The Optimist“, „Distant Satellites“, „Weather Systems“ und „A Natural Desaster“, um die überwiegende Anzahl der Stücke repräsentativ zu nennen. Wie auf Kommando verschwand zum Ende hin die Sonne auf der gegenüberliegenden Rheinseite. Wer sich jetzt auf den Heimweg machte, konnte ein Bild für die Ewigkeit mit auf den Weg nehmen.
Doch auch am letzten Festivaltag sollte mit STEVE HILLAGE als Headliner ein Urgestein der Progszene für die Ausharrenden auf die Bühne kommen. Als Unterstützung nahm er sich die aktuelle Besetzung seiner damaligen Band GONG als Unterstützung dazu. Es war der erste Festival-Headliner-Job seit vierzig Jahren für Hillage, der einen Mix aus Solo- und Gong-Songs performte. Unter anderem spielte er „Green“, einen in den 70er Jahren nie live gespielten Gong-Song. Hillage und Gong zelebrierten den Sound der 70er unterstützt durch dissonante Duett- und Chorgesänge.
Running-Order 12:15 The Windmill 13:30 OAK 15:30 RanestRane 17:30 All Traps On Earth 19:30 Anathema 21:30 Steve Hillage & Gong
Fazit
Auch in diesem Jahr ist es Veranstalter Winfried Völklein gelungen eine Mixtur für ein Progressive Rock Festival zu brauen, die ihres Gleichen sucht. Melancholischer Artrock, Melodic-Prog, Neo-Prog, Retro-Prog, Newcomer, Urgesteine. Für jeden war etwas dabei. Eingängiges wie auch Polarisierendes. Das jährliche Gejammer, dass das Lineup schlecht ausgefallen wäre, sollte aufhören. Progressive Rock fängt dort an, wo man sich nicht den neuen Herausforderungen verschließt.
Es hat sich seit 2006 zu einer sehr schönen Tradition für Progfans aus ganz Europa entwickelt, im Juli (nur in einem Jahr war es September) zur Loreley zu pilgern, um dort einem Querschnitt der diesem Genre zugehörigen Bands zu lauschen. Auch ich bin in jedem Jahr bisher zumindest einen Tag anwesend gewesen, was sicherlich auch meine Verbundenheit zu diesem Festival ausdrückt. Der gemütliche und familiäre Charakter kann auch einen eigentlichen Festival-Muffel wie mich begeistern.
NotProg IX wird dabei sicherlich in die Annalen eingehen als das mit Abstand sonnigste und – insbesondere auch – heißeste Festival bisher. Zwar wurden oben auf dem Felsen nicht ganz die 36 Grad aus dem Rheintal erreicht, im relativ windgeschützten Kessel vor der Bühne fühlte man sich dennoch bisweilen wie ein Brathähnchen im Backofen. Sonnenschutzfaktor 30 sowie eine angemessene Kopfbedeckung waren an beiden Tagen Pflichtausstattung für die Besucher. Regelmäßiger Flüssigkeitsnachschub war ebenfalls vonnöten. Die Preise für Getränke (insbesondere Mineralwasser) waren zwar relativ hoch, aber man durfte auch kleinere Mengen mit aufs Gelände nehmen, sodass sich ein kleiner Spaziergang zum nahen Parkplatz während der Umbaupausen durchaus anbot.
Da meine Klimaanlage am Vortag (Bericht des Kollegen Andi hier) auf der Fahrt zur Loreley den Dienst verweigerte, verbrachte ich den Samstagmorgen zunächst damit, eine „dienstbereite“ Werkstatt zu finden, nur um dann mitgeteilt zu bekommen, dass es sich um ein Elektronikproblem handelt, das kurzfristig nicht zu beheben sei. Durch diesen Zwischenstopp konnte ich jedoch erst verspätet zum zweiten Tag anreisen, wodurch ich die ersten 3 Bands des Tages (Synaesthesia; A Liquid Landscape; Dream the Electric Sleep) leider verpasste.
Als ich das Festivalgelände betrat, hatten die Schweizer von Clepsydra (16:31 – 17:46 Uhr) gerade ihren Set begonnen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 1000-1200 Leute auf dem Festivalgelände. Einige hatten sich offensichtlich in den Schatten außerhalb des Geländes verkrochen. Vor etwa 20 Jahren spielten Clepsydra ein Konzert in einer Stadt im südwestdeutschen Raum, in der ich damals zu studieren gedachte. Auch damals war ich bereits ein Fan von Progressive Rock, sodass mich ein entsprechender Flyer, der auf dem Unigelände verteilt wurde, neugierig machte und ich beschloss, den entsprechenden Abend nach Vorlesungsende mit Livemusik ausklingen zu lassen. Zwei Dinge irritierten jedoch den jungen Musikfreund. Zum einen lag der Veranstaltungsort in unmittelbarer Nähe von rot beleuchteten Gebäuden, zum anderen war kurz vor Beginn praktisch niemand außer ihm selbst anwesend. Beide Dinge führten dazu, dass er kurzfristig beschloss, den Abend doch anderweitig zu verbringen. Einige Jahre später erfuhr ich dann, Clepsydra hätten sich aufgelöst. So war ich natürlich hocherfreut, dass ich an diesem Tag die Gelegenheit bekam, nachvollziehen zu können, was ich damals verpasst hatte.
2013 war es nämlich zur Wiedervereinigung der Band gekommen. Geboten wurden 75 Minuten 90er Jahre Neoprog in Reinkultur, wobei dies eindeutig positiv gemeint ist. Ähnlich wie die polnischen Kollegen von Collage, die am Vortag einen ähnlichen Festivalslot hatten, gelang es den Schweizern – trotz zahlreicher Parallelen zu anderen Genrevertretern – frisch und unverbraucht zu klingen. Orchestrale Keyboardpassagen und marillionesque Gitarrensoli erfreuten das Herz des Schreibers und vieler anderer Anwesende. Einige Besucher schienen (nur) wegen dieser Band gekommen zu sein und sangen jede Zeile voller Inbrunst mit. Im Gegensatz zu Long Distance Calling am Vortag funktionierte diese Musik auch bei gefühlten 60 Grad im prallen Sonnenschein. Ein gelungener Appetithappen für den Rest des Abends.
Brian Cummins (17:57 – 19:08 Uhr) hatte dann die zunächst scheinbar undankbare Aufgabe, als Ersatz für die kurzfristig wegen Erkrankung eines Bandmitglieds ausgefallenen Bigelf (die auch schon als Ersatz für die John Wesley Band gebucht worden waren) einzuspringen. Dabei bekam er nach eigener Aussage erst am Mittwochabend den Anruf des Veranstalters. Bekannt ist Cummins insbesondere als Sänger der Genesis-Tribute-Band Carpet Crawlers. Ich selbst hatte ihn zuvor mehrfach (u.a. beim NotProg Festival IV, 2009) als Sänger von Mick Pointers Marillion-Tribute-Projekt Script For A Jester’s Tour gesehen. Heute war er jedoch als Solo-Künstler zu sehen, der ein buntes Potpourri von (zumeist) Peter Gabriel Solo-Songs zum Besten gab. Wie immer fröhlich gestimmt, betrat er mit dem Satz „Hello, I’m Bigelf“ die Bühne und hatte die meisten Zuschauer schon auf seiner Seite. Der dargebotene Querschnitt aus Gabriels Karriere wurde ebenfalls dankbar angenommen. Dabei spielte er die Songs nicht einfach mit akustischer Gitarre, sondern untermalte sie mit allerhand Loops, die er mit Hilfe diverser Effektgeräte im Stile von 1-Mann-Drone-Künstlern übereinander schichtete. Dass er dabei bisweilen mehrere Versuche benötigte (- nach eigener Aussage spielte er dieses Programm zum ersten Mal seit einem Jahr live -), trug eher noch zum Charme der Performance bei. Das Ergebnis waren zum Teil überraschende und erfrischende Interpretationen, und er wagte sich sogar an das komplexe Meisterwerk „San Jacinto“. Das Publikum war jedenfalls vollauf begeistert, sodass Cummins’ Schlusssatz „Loreley, you f***ing rock!“ nichts hinzugefügt werden muss.
Setlist Brian Cummins
Here Comes The Flood
Red Rain
Washing Of The Water
Intruder
Come Talk To Me
Carpet Crawlers (Genesis)
Games Without Frontiers
Mercy Street
San Jacinto
Solsbury Hill
Grendel (Marillion; nur die erste Strophe)
Biko
—–
In Your Eyes
Anathema (19:46 – 21:09 Uhr) spielten zum zweiten Mal (nach 2011) beim NotProg Festival und für mich persönlich war es das 15. Anathema-Konzert seit 2005. Dabei kann ich sowohl mit ihrer Doommetal-Phase zu Beginn der 90er Jahre – die die Band schon lange hinter sich gelassen hat – etwas anfangen, als auch mit ihrem massenkompatiblen (?) Alternative Rock, den sie seit spätestens „A Fine Day To Exit“ (2001) perfektioniert haben. Auffällig war, dass sich die Band neu formiert hat – und zwar ohne das Personal zu wechseln. Der bisherige Keyboarder Daniel Cardoso ist nunmehr Schlagzeuger, während der bisherige Drummer (Gründungsmitglied) John Douglas ein reduziertes (und leider auf der Loreley im Livemix untergegangenes) Percussion-Kit bedient. Die Keyboard-Parts werden von Gitarrist (und Sänger) Daniel Cavanagh übernommen, wobei ein Großteil der eher elektronischen Sounds auch „aus der Konserve“ eingespielt wurde. Trotzdem ist die Band nach wie vor eine tolle Liveband. Die Umstellung der Bandbesetzung ist vermutlich eine Folge der diesjährigen Nordamerika-Tour, für die John Douglas (aus mir nicht bekannten Gründen) kein Visum bekommen hatte, sodass Cardoso die Drums quasi zwangsweise übernehmen musste und Cavanagh an den Keyboards improvisierte.
Im Gepäck hatten sie ihr gerade erschienenes zehntes Album „Distant Satellites“, von dem sie auch drei Lieder spielten. Darunter befand sich der Track „Anathema“, den es bisher noch nicht gegeben hatte. Diesen widmete die Band Brian Cummins, den sie bereits als 16-jährige im Liverpool der späten 80er kennen lernten und den sie als guten alten Freund bezeichneten. Der Titelsong des neuen Albums „Distant Satellites“ gefiel mir live deutlich besser als auf CD, da ein Großteil der elektronischen Drums und Loops eben tatsächlich „live“ gespielt wurde. Wie bereits angedeutet, spielten Anathema fast ausschließlich Material aus ihren jüngsten (d.h. den letzten vier) Alben, nur der klassische Set-Closer „Fragile Dreams“ (von „Alternative 4“, 1998) verwies auf die Ursprünge der Band. Ich persönlich fand die Songauswahl dennoch sehr gelungen und eine Karte für das komplette Programm während ihrer Hallentournee im Oktober hängt bereits an meiner Pinnwand.
Setlist Anathema
Untouchable, Part 1
Untouchable, Part 2
Thin Air
The Lost Song, Part 3
Anathema
The Storm Before The Calm
A Simple Mistake
Closer
A Natural Disaster
Distant Satellites
Fragile Dreams
Und zum Abschluss der neunten Auflage des NotProg Festivals beehrten die Briten von Marillion (22:02 – 23:57 Uhr) zum (insgesamt) dritten Mal die Loreley. 1987 spielten sie bereits hier – noch mit dem Originalsänger Fish –, was auf einer sehr schönen Live-DVD dokumentiert wurde. 2010 folgte dann der erste Auftritt beim NotProg. Damals hatte ich mit einem Festival-Set gerechnet, d.h. einem eher hohen Anteil an poppigeren und kürzeren Songs, aber Marillion überraschten mich damals mit einem sehr anspruchsvollen (und progressiven) Programm. Dieses Jahr nun folgte der Festival-Set, der eher die Teilzeit-Fans im Publikum ansprach. Als „Veteran“ (etwa 25 Marillion-Konzerte seit 1987) musste ich somit ein paar „Begeisterungspausen“ einlegen, so u.a. bei den beiden Titeln des eher bescheidenen Albums „Holidays in Eden“ (1991).
Auch sonst gab es einige seichte/leichte Stücke wie z.B. „Beautiful“ und „You’re Gone“. Die anspruchsvollsten Stücke kamen interessanterweise von letzte Album „Sounds That Can’t Be Made“ (2012), insbesondere der Opener „Gaza“, der sicherlich das einzige Stück des Festivals mit derart aktuellem politischen Bezug war. Überraschenderweise fanden ebenfalls vier Stücke aus der Fish-Zeit (vor 1989) ihren Weg in die Setlist, darunter auch der einzige echte Hit der Band, „Kayleigh“ (1985). Bei diesem (und den vorhergehenden „Sugar Mice“ und „Cover My Eyes“) begab sich Sänger Steve Hogarth ins Publikum und ließ einige Besucher ins Mikrophon singen: Ein eher zweifelhaftes Vergnügen für alle anderen Zuhörer.
Als Zugabe wurde uns dann mit „Neverland“ (vom grandiosen „Marbles“-Album aus 2004) noch einmal Bombastrock vom Feinsten geboten: Ein Highlight des kompletten Festivals. Für mich war der Auftritt von Marillion insgesamt also ein eher zwiespältiges Vergnügen. Zugutehalten muss man der Band aber, dass sie eben auch ein komplett anderes Konzert als 2010 gespielt hat, ein Umstand, der bei anderen Bands völlig undenkbar wäre (aus dem Progbereich seinen an dieser Stelle z.B. Saga erwähnt). Das ist natürlich „progressiv“ im eigentlichen Sinn des Wortes.
Setlist Marillion
Gaza
Easter
Beautiful
Power
You’re Gone
Sugar Mice
Fantastic Place
Man Of A 1000 Faces
No One Can
Sounds That Can’t Be Made
Cover My Eyes
Kayleigh/
Lavender (w/ Blue Angel)/
Heart Of Lothian
—–
Neverland
Abschließend noch einige Worte zum Drumherum. Die Organisation lief trotz der klimatischen Bedingungen weitgehend reibungslos; das Personal war freundlich und zuvorkommend. Das Essensangebot war zwar nicht übermäßig vielfältig, aber sicherlich ausreichend. Die Preise lagen gefühlt etwas höher als in der Vergangenheit, aber waren durchaus noch angemessen. Der Sound war – mit einigen wenigen Ausnahmen – gut, vor allem bei den Headlinern der beiden Tage. Der Besucherzuspruch war ähnlich wie in den vorangegangenen Jahren, an beiden Tagen (gegen Ende) jeweils etwa 2500 Personen. Für die Jubiläumsausgabe des Festivals im Juli 2015 sind sogar 3 Tage vorgesehen. Ich werde sicherlich auch wieder dabei sein.
Die Erfolgsgeschichte eines großen Prog-Festivals auf der Loreley (heute gern als “heiliger Felsen des Prog” bezeichnet), begann im Jahr 2006 und erfuhr bereits ihre neunte Auflage. WIV Entertainment haben es geschafft, das Event Jahr für Jahr mit angesagten Progbands der Vergangenheit und Gegenwart zu füllen. Hut ab dafür.
Eigentlich wollten meine Mitstreiter und ich noch einige Töne der polnischen Band Collage mit bekommen, als wir freitags anreisten, doch es hat leider nicht hingehauen. Wir erreichten den Felsen zur Pause vor dem Auftritt von Long Distance Calling. Die dem Postrock zugehörigen Progger stammen aus Münster und lieferten einen musikalisch harten, hauptsächlich instrumentalen Set mit ausufernden Solo-Passagen. Das Hinzukommen von Marsen Fischer hat also nicht dazu geführt, dass plötzlich in jedem Track gesungen wird. Stattdessen gibt es weiterhin eine effektgeladene Soundcollage mit sphärischen Elementen und immer wieder starken Gitarrenriffs, die dem Metalfreund vermutlich ein Schmunzeln entlockten, Long Distance Calling aber für die Begriffe des Progressive Rock zu einer der härtesten Bands des Festivals machten.
Setlist Long Distance Calling – Loreley, 18.07.2014 (danke an Karsten fürs Raushören)
Nucleus
Black Paper Planes
Ductus
Keyboard Air (unveröffentlicht) The Figrin D’an Boogie
I Know You, Stanley Milgram!
Invisible Giant
NH 0550 (von der neuen EP “Night Hawk”, die verkauft wurde, aber noch nicht offiziell erschienen ist)
Timebends
Arecibo (Long Distance Calling)
Metulsky Curse Revisited
Die Stimmung auf dem Felsen war zu dieser Zeit noch sehr träge. Die hochsommerlichen Temperaturen sorgten dafür, dass sich das Gros der Fans ein Schattenplätzchen an den Seiten des Amphitheaters suchte oder sich ganz nach oben unter die Bäume zurück zog. Der Konsum von Flüssigkeiten war enorm wichtig, trotzdem sah man nur wenig wirklich Betrunkene. Ein Zeichen dafür, dass es im Prog meist sehr gesittet zugeht. Zum Glück gab es genug Hartgesottene, die sich auch in den heißen Stunden vor der Bühne sammelten und Party machten.
Als es um 19.45 Uhr Zeit für IQ war, hatten sich die Steinstufen gut gefüllt und man hörte am Stimmengewirr, dass Fans aus ganz Europa und von noch weiter angereist waren. Viele Holländer und Briten waren auszumachen, wobei vor allem in England das Mitbringen eigener Klappstühle momentan groß in Mode zu sein scheint.
Musikalisch waren IQ ein erstes Highlight des Abends. Die Prog-Heroen der 80er haben auch heute nichts von ihrem einstigen Glanz verloren haben. Vor allem ist mit “The Road Of Bones” im Jahr 2014 ein wahres Meisterwerk erschienen. Ein Konzeptwerk allererster Güte, das sich in die Liste hervorragender Alben der Truppe einreiht. Ich zähle noch immer “Ever” und “Subterranea” zu meinen Favoriten, aber eigentlich hat es in der Geschichte der Band kein wirklich schlechtes Album gegeben. Das will schon was heißen.
Was aber immer passiert: zunächst musste ich mich an die ungewöhnlich hohe, gepresst klingende Stimme von Peter Nicholls gewöhnen. Aber dann konnte ich die Spielfreude der Band richtig genießen. Vier neue Songs und damit fast das komplette Album “The Road Of Bones” waren über den Set verteilt und mischten sich mit altbekannten Klassikern. Die düstere Atmosphäre des Konzeptwerks sollte mit einer visuellen Show im Hintergrund unterstrichen werden, was aber nicht funktionierte, da es dafür einfach zu hell war. Egal – die Musik sprach für sich.
An alten Stücken gab es das melodische “In The Darkest Hour”, “Frequency” vom vorletzten Album und den umjubelten Klassiker “The Wake”. “Leap Of Faith” aus dem Album “Ever” markiert meinen persönlichen Einstieg in die IQ-Welt. Darum immer wieder gern gehört. Zum Abschluss erklang “The Seventh House” aus dem Jahr 2000, was mich persönlich enttäuschte, da mein Lieblingsalbum “Subterranea” somit unberücksichtigt blieb. Momentan ist von einer Verfilmung dieses musikalischen Konzepts die Rede. Bleibt also zu hoffen, dass das Album bald wieder einen höheren Stellenwert bekommt.
Setlist IQ – Loreley, 18.07.2014
From the Outside In
The Darkest Hour
The Road of Bones
Frequency
Without Walls
The Wake
Leap of Faith
Until the End
The Seventh House
Transatlantic waren neben Marillion sicher die am sehnsüchtigsten erwartete Band des Festivals. Wann sieht man sonst so viele Prog-Heroen in einer Band? Neal Morse, ehemals Sänger von Spock’s Beard, Roine Stolt, der die Flower Kings groß gemacht hat, Pete Trewavas, der als Bassist von Marillion natürlich unermüdlich im Einsatz war, und Mike Portnoy, der bis vor wenigen Jahren Dream Theater an den Drums in harte Sphären führte. Das ist das Stamm-Quartett von Transatlantic, zu dem sich noch Ted Leonard als Verstärkung gesellte, der früher bei Enchant sang und der jetzt Spock’s Beard vorsteht.
Ted war dann auch die Überraschung des Abends, den seine Vokal-Performance stand Neal und Roine in nichts nach. Sehr erfrischend, wenn er aus dem Hintergrund nach vorne kam. Allerdings dauerte es noch einige Zeit, bis Transatlantic bereit waren. Umbau und Soundcheck dauerten bis nach 22 Uhr und der erste Song “Into The Blue” führte dann das Austesten des Zusammenspiels noch eine Zeit lang fort, was Portnoy in seiner darauf folgenden Begrüßung augenzwinkernd bemerkte.
Die Setlist war dann aber ein Fest. Entweder man vergöttert die Heroen, oder sie lassen einen kalt. Eine Hit-Zusammenstellung würde allein aufgrund der gigantischen Songlängen schon keinen Sinn machen. Nein – stattdessen erfreuten wir uns an den gesanglichen Fähigkeiten von Neal Morse, der wie ein Prediger auf der Kanzel hinter seinem Keyboard stand und die Massen erleuchtete. Und natürlich an der Creme de la Creme der Prog-Instrumentalisten, die sich (ich will es mal dezent ausdrücken) für kein Solo zu schade waren.
Portnoy war mal wieder der eigentliche Star – oder hielt sich zumindest dafür. Er lenkte und dirigierte hinterm Schlagzeug, während der obercoole Roine Stolt der Gitarre lässig wundervolle Töne entlockte und Pete Trewavas selig ins Publikum grinste, das ja auch am Freitag schon vor allem aus Marillion-Fans bestand, was den Gig für ihn zum Heimspiel machte. Zunächst gab es zwei Titel vom aktuellen Album “Kaleidoscope”. Dann folgte ein ellenlanges Medley aus dem dritten Album “Whirlwind”, das die Zuschauer von den Sitzplätzen riss. Und den Abschluss machte ein Hitreigen der ersten beiden CDs: “We All Need Some Light”, “All Of The Above” und “Stranger In Your Soul”. Damit waren alle Favoriten in epischer Länge vertreten und zwei Stunden wie der Blitz vorbei.
Setlist Transatlantic – Loreley, 18.07.2014
Into the Blue
Shine
(Whirlwind Medley) Overture Rose Colored Glasses Evermore Is It Really Happening? Dancing With Eternal Glory
We All Need Some Light
Black as the Sky
All of the Above
Stranger in Your Soul
Den Samstag mit Anathema und Marillion konnte ich leider aus persönlichern Gründen und schweren Herzens nicht mit erleben. Darüber wird der Kollege Karsten Bier in Kürze berichten. Mein Fazit muss ich also schon früh ziehen:
WIV haben auch mit der neunten Auflage des Festivals das Mekka der Progszene belebt und dafür gesorgt, dass sich die Veranstaltung auf der Loreley weiter etabliert. Der Termin für das Jubiläumsfestival 2015 steht schon fest: Es wird vom 17. bis 19. Juli starten. Ich hoffe schon mal drauf, dass zum Zehnjährigen wieder Onkel Fish als Patron des Festivals mit am Start ist. Mir macht es immer wieder große Freude, den Weg zur Loreley anzutreten. Wann erlebt man schon so viele großartige Bands en bloc? Ihr werdet mich definitiv auch bei der zehnten Auflage in den Rängen finden – egal welche Progbands die Veranstalter an Land ziehen.
Unmittelbar beim Betreten des Innenbereichs der Freilichtbühne der Loreley war zu erahnen, dass nicht nur aufgrund des absolut perfekten Sommerwetters ein erinnerungswürdiger Open-Air Konzertabend bevorstehen wird:
Der Blick fällt zunächst unweigerlich auf eine heißluftballongroße, gasgefüllte Riesen-Glühbirne, welche aufrecht inmitten des Publikums steht und vor dem Hintergrund des sonnenbeschienen Rheintals ein surreales Bild abgibt. Während die Zuschauermenge bei kalten Getränken und warmem Essen in der noch scheinenden Sonne auf den Hauptact wartet, betritt um 19.45Uhr zunächst die 6- köpfige Band “Deaf Havana” die Bühne, um den Konzertabend mit einer guten Dreitviertelstunde britischem Alternative Gitarrenrock einzuleiten.
Schließlich nehmen Matt Bellamy, Chrisopher Wolstenhome und Dominic Howard, ergänzt durch einen vierten Mann am Keyboard, die Bühne mit ihrem elektronischen Dubstep Opener “The 2nd Law: Unsustainable” ein und eröffnen damit ihr erstes Open-Air Konzert in Deutschland auf ihrer “The 2nd Law” Welttournee. Passend zum Intro wird das entsprechende Musikvideo auf den großen Leinwänden abgespielt, zu dem gleich am Anfang wie aus dem Nichts der dem Musikvideo entsprungene übergroße Roboter “Charles” inmitten des Publikums auftaucht und sich seinen Weg mitten durch die faszinierte Menge bahnt. Als Fortsetzungen folgen direkt der Gitarrenknaller “Supermacy” vom aktuellen Album “The 2nd Law” und der Klassiker “Supermassive Black Hole” mit einem stets wie gewohnt wild auf der Bühne umherspringenden Matt Bellamy, der trotz seiner Bühnenakrobatik nie einen einzigen falschen Ton auf der Gitarre greift.
Das bis dahin insbesondere für die hinteren, höher positionierten Ränge gefühlte Fehlen der Lightshow, welche aufgrund der Helligkeit unter freiem Himmel noch gar nicht in ihrem vollen Ausmaß wahrgenommen werden kann, wird zwischenzeitlich durch die musiksynchrone Pyrotechnik, bestehend aus Rauch- und Feuerspeiern an der vorderen Bühnenkante, mehr als wett gemacht! Doch je weiter sich die Sonne schließlich senkt, desto mehr kommt auch die durch etliche im Publikum positionierte Nebelmaschinen unterstützte Lightshow zur Geltung und setzt der Performance von MUSE die Krone auf.
Den ersten Höhepunkt erreicht das Konzert, als Bassist Christopher Wolstenholme mit seiner Mundharmonika das Intro zu Ennio Morricones “Man with a Harmonica” einleitet, in welches nach und nach die gesamte Band einsteigt und schließlich nahtlos in “Knights of Cydonia” übergeht. Die bis dahin absolut perfekte Performance von MUSE, deren Stil sich mit Recht als Progressive Rock bezeichnen lässt, in dem zahlreiche Gitarren, ein meist hart verzerrter Bass und zahlreiche elektronische Elemente vermischt werden, wird aber noch ein weiteres mal getoppt:
Passend zu “Guiding Light”, dem inzwischen 15. Song des Abends, steigt plötzlich die eingangs erwähnte Riesen-Glühbirne zum Himmel empor, um 20 Meter über den Köpfen des Publikums mitten in der Luft zu verharren. Der an sich schon atemberaubende Effekt wird aber zusätzlich noch durch eine Tänzerin gesteigert, die aus dem unteren Ende der Glühbirne fällt und nur an einem Seil hängend in der Luft zu tanzen beginnt. Dabei lässt sie mehrere Hände voller Konfetti über den fasziniert dreinblickenden Zuschauern niedergehen, wodurch der Eindruck entsteht, dass die riesige Glühbirne tatsächlich Funken sprüht. Unterstützt durch die Lightshow mögen sich an dieser Stelle zahlreiche Zuschauer an Live Perfromances von Pink Floyd erinnert fühlen, die ihre Konzerte stets mit ähnlich bombastischen Effekten geschmückt haben.
Die beiden letzten Stücke “Undisclosed Desires” und “Stockholm Syndrome” runden das Hauptset des Konzert schließlich ab. Danach betreten MUSE abermals die Bühne zur Zugabe: Ähnlich wie zu Beginn des Konzerts wird auch die Zugabe eingeleitet – diesmal durch “Isolated System”. Letztendlich folgen “Uprising”, “Starlight” und “Survival”, womit ein absolut fantastischer Konzertabend zu Ende geht und überglückliche, feiernde Fans zurücklässt, deren Hochstimmung noch beim Verlassen des Konzertgeländes von allen Seiten zu spüren ist.
Die Freilichtbühne auf der Loreley, hoch über dem Mittelrheintal, gehört sicherlich zu den schönsten Veranstaltungsorten, die die Republik zu bieten hat. In den (späten) 70er und 80er Jahren fanden hier viele legendäre Festivals statt, u.a. war der WDR-Rockpalast mehrfach zu Gast. Ab den 90er Jahren wurde es dann gefühlt etwas ruhiger, aber in den vergangenen Jahren finden wieder vermehrt Konzertveranstaltungen auf der Loreley statt, so auch das Rock La Roca Festival, das dieses Jahr zum ersten Mal veranstaltet wurde. Musikalisch bot es im weitesten Sinne das, was allgemein als „Indie”-Musik bezeichnet wird.
Aus privat-logistischen Gründen konnte ich erst am späten Nachmittag zu dem Festival anreisen, sodass ich die beiden Opener And Also The Trees und Triggerfinger verpasste. Da mir dann auch noch eine Fähre vor der Nase wegfuhr, konnte ich auch von Turbonegro (17:30 – 18:33) nur noch die letzten 30 Minuten sehen. Ich meine mich zu erinnern, dass ich die Band aus Norwegen vor einigen Jahren schon einmal bei einem Festival gesehen habe, aber konkrete Erinnerungen habe ich nicht mehr daran. Der diesjährige Auftritt gefiel mir gut. Der (u.a. von Wikipedia) als „Punk’n’Roll” bezeichnete Stil-Mix funktioniert live gut und dass die Band seit 2011 einen neuen Sänger hat, wussten/merkten scheinbar nur echte Fans der Band. Als Turbonegro zu den Outro-Klängen von God Save The Queen die Bühne verlassen hatten, sah ich mich etwas genauer auf dem Gelände um. Gerade einmal etwa 1500 Besucher verloren sich auf dem doch großen Areal. Dies hatte natürlich auch den Vorteil, dass die Wartezeiten an den Verpflegungsstationen nahezu nicht vorhanden waren. Wettertechnisch schienen sich die Vorhersagen (85% Regenwahrscheinlichkeit laut der einschlägigen Internet-Seiten) glücklicherweise nicht zu bewahrheiten. Im Gespräch mit pünktlichen Festivalbesuchern stellte sich jedoch heraus, dass es am früheren Nachmittag noch ganz ordentlich geregnet hatte.
Der gebürtige Dortmunder Phillip Boa (bürgerlich Ernst Ulrich Figgen) gehört seit Mitte der 80er Jahre zur Speerspitze der alternativen deutschen Musikszene – auch wenn seine musikalische Biografie sicherlich einige Brüche aufweist. Ich selbst sah Phillip Boa & The Voodooclub (19:03 – 20:05) zum allerersten Mal und war zunächst auch durchaus angetan, insbesondere vom Kontrast zwischen Boas (nicht unbedingt schöner aber) charismatischer Stimme und dessen weiblichen Counterpart von Pia Lund. Mit zunehmender Dauer der Sets stellte sich bei mir jedoch eine gewisse Langeweile ein, wobei der Auftritt von vielen Anwesenden aber durchaus abgefeiert wurde.
Feiern ist ein gutes Stichwort um die Musik von Gogol Bordello (20:33 – 21:48) zu beschreiben. „Gypsy Punk” wird deren Musikstil bisweilen genannt, und dies trifft es ziemlich gut. Schon die Tatsache, dass ein Akkordeon und eine E-Geige sowie verschiedenartige Percussion zum Instrumentarium des 7-köpfigen (Live-)Ensembles gehören, belegt, dass es sich hier um einen – im Vergleich zu den Vorgängerbands – anderen musikalischen Ansatz handelte. Ich muss zugeben, dass ich nicht unbedingt positiv gestimmt war, als ich mich über die Band aus New York (deren Mitglieder jedoch aus aller Herren Länder stammen) informierte, da die oben beschriebenen Elemente nicht unbedingt mit meinem Musikgeschmack korrelieren. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich gut unterhalten fühlte, und dies ist nun einmal – gerade bei einem Festival – die Hauptsache. Bei vielen Fun-Punk bzw. Fun-Ska-Bands habe/hatte ich bisweilen nach einer Viertelstunde das Gefühl, immer wieder denselben Song zu hören. Diesen Eindruck hatte ich bei Gogol Bordello definitiv nicht. Dass während ihres Sets ein 5-minütiger Regenschauer niederging, trug eher noch zur Begeisterung vor der Bühne bei, wo die Band – zurecht – abgefeiert wurde und auch für eine Zugabe auf die Bühne zurückgeholt wurde.
Kannte ich die bisherigen Bands vor dem Festival (fast) nicht, war die Situation beim Headliner des Abends eine komplett andere. New Model Army (22:28 – 0:00) sah ich an diesem Tag zum 68. Mal seit 1995. Insofern darf man getrost annehmen, dass ich mich im Universum der Band auskenne. 1980 als Punkband gegründet, die sich kritisch mit Margaret Thatchers Politik auseinandersetzte, entwickelte sich New Model Army gegen Ende der 80er Jahre Richtung Folkrock, um dann in der zweiten Hälfte ihrer Existenz eine mehr oder weniger staighte Rockband zu werden. Obwohl ich NMA bereits so häufig gesehen hatte, war dieser Auftritt dennoch etwas Besonderes für mich, da ich zum ersten Mal den neuen Bassisten Ceri Monger in Aktion sehen konnte, der zu Beginn dieses Jahres das langjährige Mitglied Nelson (seit 1990) ersetzt hat, der aus persönlichen Gründen die Band verließ. Der neue Mann (rot gefärbte Haare, knapp 30 Jahre alt) machte seine Sache gut, wobei zugegebenermaßen die Musik von NMA nicht unbedingt filigrane Fähigkeiten an den Instrumenten voraussetzt. Ehrliche Rockmusik erfordert dies oft auch nicht. Traditionell dauerte der Soundcheck länger als bei den anderen Bands und ebenso traditionell gab es trotzdem (oder gerade deswegen?) zu Beginn einige technische Probleme (mit Justin Sullivans Gitarre). Das Set begann jedoch mit einem Bonbon für die Fans und einer Verneigung vor der Folkrock-Phase der Band Ende der 80er Jahre. Der Fanfavorit Vagabonds eröffnete den Auftritt und die Band wurde dabei unterstützt vom E-Violinisten von Gogol Bordello, der die ursprüngliche Violinenmelodie (von Ed Alleyne Johnson) nicht imitierte, sondern (durchaus gelungen) neu interpretierte. Ein – trotz der technischen Probleme – schöner Beginn. Es folgten zwei Klassiker aus dem Repertoire von NMA – Get Me Out und der größte (und einzige wirkliche) Hit 51st State. Nicht gerade meine persönlichen Favoriten, aber zum Anwärmen des Publikums waren die beiden Titel sicherlich geeignet. Der neue Bassist zeigte seine Vielseitigkeit bei Flying Through The Smoke und Red Earth. Bei beiden ohnehin sehr rhythmuslastigen Stücken unterstütze er Drummer Michael Dean an einem zweiten Minidrumkit (Snare + Tom), was den Liedern gut tat. Ich hatte mich auf den Song Frightened (von No Rest For The Wicked, 1985) gefreut, den die Band in diesem Jahr zum ersten Mal seit 1989 wieder live gespielt hat, aber meine Hoffnung wurde enttäuscht, wie ich ohnehin die Setlist nicht besonders gelungen fand. Insbesondere Mambo Queen Of The Sandstone City (vom letzten Album Today Is A Good Day, 2009) ist m.E. ein Tiefpunkt in der Diskografie von NMA. Vor dem abschließenden I Love The World wies Bandkopf Justin Sullivan darauf hin, dass die Band an gleicher Stelle vor 25 Jahren (bei einem frühen Bizarre Festival) gespielt hatte, und dass der Song eventuell auch unter dem Eindruck des Auftrittes dort kurze Zeit später geschrieben wurde. Nach den für NMA üblichen 80 Minuten war das Hauptset beendet. Da die Curfew-Regelungen der Freilichtbühne recht streng sind, war klar, dass um 23:48 nur noch 2 Titel als Zugabe gespielt werden konnten: Rivers (von High, 2007 – und ebenfalls nicht unbedingt einer meiner Favoriten) sowie Christian Militia. Diesen Titel von 1982 hat die Band erst seit vergangenem Jahr nach langer Zeit – und in modernisierter Form – wieder im Programm und der treibende „Rausschmeißer” versöhnte mich etwas mit der m.E. doch etwas enttäuschenden Songauswahl des Auftritts. Pünktlich um eine Minute vor Mitternacht verhallten die letzten Feedback-Klänge und die erste Ausgabe des Rock La Roca Festivals war Vergangenheit.
Organisatorisch war das Festival – bis auf wenige Kleinigkeiten (Auslass mit Kinderstempel und daher sofort wasserlöslicher Stempelfarbe) – sicherlich gelungen. Angesichts der doch recht bescheidenen Besucherzahlen (unter 2000 zum Ende des Tages) stellt sich jedoch die Frage, ob das Festival in dieser Form eine Zukunft hat. Selbstverständlich werden die (schlechten) Wettervorhersagen viele Leute von einem spontanen Besuch der Loreley abgehalten haben. Das Lineup war aber wohl insgesamt auch zu inhomogen und der Eintrittspreis (knapp über 50€) gleichzeitig etwas zu hoch. Ein echter Headliner aus dem Independent-Bereich (z.B. The Cure) wäre wohl nötig, um die Besucherzahlen in finanziell lohnender Bereiche zu treiben. Man wird abwarten müssen, wie der Veranstalter sich diesbezüglich entscheidet.
Zum siebten Mal fand das Night of the Prog (NotP) Festival in diesem Jahr statt, d.h. zum 7. Mal seit 2006 trafen sich die Fans der progressiven Musik auf dem “heiligen Felsen” oberhalb von Sankt Goarshausen, um dort mit Gleichgesinnten zu feiern, an den zahlreichen Verkaufständen die eigene Sammlung zu ergänzen oder einfach nur um gute Musik zu hören. Was als Eintages-Event begann und sich im dritten Jahr zu einer Dreitagesveranstaltung entwickelt hatte, ist mittlerweile wieder auf 2 Tage “gesundgeschrumpft”. Der Schreiber dieser Zeilen selbst ist jedes Jahr anwesend gewesen (wenn auch nicht immer an allen Tagen).
Dieses Jahr konnte der Veranstalter zwar keinen absoluten Topact der Szene aufbieten (wie Dream Theater im vergangenen Jahr), dafür war das Programm aber über zwei Tage so ausgewogen, dass ich 2012 nach mehreren Jahren wieder beide Tage des Festivals besuchen wollte.
Als wir das Festivalgelände am Samstagabend kurz vor Mitternacht zu den letzten Klängen von Saga verließen, konnte ich mir fast nicht vorstellen, dass es am folgenden Tag regnen sollte, aber der Wetterbericht traf zu. Am Sonntagmorgen gingen recht heftige Schauer über der Loreley nieder. Da ich selbst jedoch nach Hause gefahren war, konnte ich am PC die Wetterradarbilder entspannt genießen – und losfahren, als sich die Front nach Osten verabschiedete. Zwar gab es auch im Verlauf des Sonntagnachmittags noch einige Schauer; diese fielen jedoch vergleichsweise harmlos aus und dauerten nur 5-10 Minuten.
Ich betrat also das Festivalgelände um halb 2, just als Lazuli (13:30 – 15:13) die Bühne enterten. Die Band aus Südfrankreich hatte bereits 2009 auf der Loreley gespielt, damals allerdings noch in Originalbesetzung. Ursprünglich bestand die Band aus 6 Musikern, die ich bisweilen als am skurrilsten behaarte Band meines Konzertlebens beschrieben habe. Einen weiteren Superlativ könnte man allerdings auch für das Instrumentarium der Musiker benutzen. Neben zwei Gitarristen (akustisch und elektrisch) fanden sich dort ebenfalls zwei (sehr variabel ausgestattete) Perkussionisten, ein Warr-Gitarrist (ein Chapman-Stick für Fortgeschrittene) sowie ein Léode-Spieler. Bei Letzterem handelt es sich um ein einzigartiges Instrument, das für Claude Léonetti angefertigt wurde, nachdem er bei einem Motorradunfall teilweise in einem Arm gelähmt war. Für Kenner sei gesagt, dass es sich quasi um eine Kreuzung aus Chapman-Stick und Midi-Controller handelt, mit der alle möglichen Töne erzeugt und mittels eines elektronischen Griffbrettes verändert werden können. Der aus diesem Lineup resultierende Gesamtsound war definitiv einmalig und eben dies ließ mich nach meinem ersten Konzertbesuch 2007 auch nahezu sprachlos zurück.
Ende 2009 verließen drei der Musiker die Band. Anstatt der beiden Percussion-Spieler und des Warr-Gitarristen stießen ein “normaler” Drummer sowie ein Keyboard-Spieler zur Band. Dabei handelte es sich um (ehemalige) Fans der Band, die ihre “Dienste” nach der Auflösung der Urbesetzung anboten. Man muss allerdings nicht Musik studiert haben, um (zutreffend) zu vermuten, dass durch diese Veränderungen der Sound der Band sich deutlich dem einer normalen Rockband angenähert hat. (Auch behaarungstechnisch sind die beiden Neulinge eindeutig näher am Mainstream als der Rest der Band und die Musiker, die sie ersetzt haben, aber dies nur nebenbei.)
Allerdings wird immer noch einiges an Abwechslung geboten, wenn Lazuli auf der Bühne stehen. So blies der Keyboarder gleich beim zweiten und dritten Stück in ein Waldhorn, oder aber er übernahm bei einem Lied das Schlagzeug, während der Schlagzeuger zum Vibraphon wechselte oder auch mal zur Akustikgitarre griff. All dies trug zur Unterhaltung des Publikums bei, ebenso wie die traditionell mit starkem Akzent abgelesenen deutschen Ansagen von Dominique Léonetti. Seht sympathisch. Überhaupt merkt man den 5 Männern an, dass es ihnen unheimlichen Spaß macht, genau das zu tun was sie dort tun – und das überträgt sich auch auf das Publikum.
So weit so gut. Vielen der neueren Kompositionen der Band fehlt allerdings meines Erachtens dieses gewisse Etwas, das das Gros der beiden ersten Alben ausgezeichnet hat. Aus diesem Grund war es mir auch nicht möglich, eine vollständige Setlist mitzuschreiben, da die Stücke der letzten Alben für mich persönlich nicht ausreichend “Identität” haben, um sofort wiedererkannt zu werden.
2009 war ein Highlight des Programms eine instrumentale Coverversion von Depeche Modes erstem Hit “Just Can’t Get Enough” (!), gespielt von allen (!) Bandmitliedern gleichzeitig (!) auf einem (!) Vibraphon. Vermutlich aus logistischen Gründen hatte die Band dieses Mal kein “echtes” Vibraphon dabei, sondern nur ein elektronisches Exemplar. Das hinderte die 5 Musiker aber nicht daran, sich als Zugabe erneut vollständig um eben dieses Instrument zu versammeln, um gleichzeitig draufloszuspielen. Dabei wurden auch zwischenzeitig die Positionen gewechselt und der diesjährige Über-Hit “Somebody That I Used To Know” von Gotye eingebaut. Die Spielfreude auf der Bühne und die Begeisterung im Publikum erreichten trotz des zwischenzeitlich einsetzenden Regens einen frühen Höhepunkt an diesem Tag. Es bleibt zu hoffen, dass sich eine Bemerkung von Dominique Léonetti (“Alle guten Dinge sind drei”) bewahrheitet und Lazuli in einem der nächsten Jahre wieder beim NotProg auftreten.
Im vergangenen Jahr kam ich gerade auf dem Festivalgelände an, als Haken ihr Set spielten. Damals waren sie gerade erst in der Prog-(Metal)-Szene aufgetaucht und galten als Geheimtipp. Ich persönlich war damals nicht besonders beeindruckt und so waren meine Erwartungen in diesem Jahr auch nicht besonders hoch, als Haken (15:33 – 16:53) erneut auf der Loreley-Bühne spielten. Trotz der recht kurzen Umbaupause war der Sound gut – wie überhaupt bei fast allen Bands im Verlauf der zwei Tage. Für echtes Livemusik-Feeling zwar durchgehend etwas zu leise, dafür aber zumeist differenziert und man brauchte auch in Bühnennähe keine Ohrstöpsel. Aber zurück zu Haken. Ich selbst höre gerne (auch) härtere Musik bis hin zu (progressivem) Deathmetal, aber mit Hakens Interpretation von progressivem Metal kann ich einfach nicht viel anfangen. Insbesondere die oft quietschenden Keyboard-Sounds gingen mir (wieder) recht schnell auf die Nerven. Als dann während “Insomnia” Supermario und (eine Art) Prinzessin Lilifee (?) auf der Bühne erschienen, um rumzuhampeln und headzubangen (!), war mein Geduldsfaden dann doch gerissen. Vermutlich bin ich zu alt, um derartigen Firlefanz lustig zu finden. Zur Ehrenrettung der Band sei jedoch hinzugefügt, dass Haken für viele (zumeist jüngere) Besucher des Festivals das/ein Highlight des zweiten Tages waren. Nun denn.
Setlist – Haken (laut setlist.fm)
Premonition
Nocturnal Conspiracy
Insomnia
The Mind’s Eye
Portals
Shapeshifter
Deathless
Visions
The Flower Kings (17:18 – 18:48) aus Schweden traten nach 2007 zum zweiten Mal beim NotProg Festival auf. Damals standen sie kurz vor der längsten Auszeit in der Bandgeschichte. Nach einer Tour im November 2007 legte Bandkopf Roine Stolt seine Hauptband auf Eis und die Mitglieder verfolgten danach diverse Soloprojekte (Agents Of Mercy, Karmakanic, etc.).
Nach einem Auftritt beim Sweden Rock Festival im Juni, war dies erst das zweite Konzert der Band seit 2007. Neu im Lineup ist Felix Lehrmann aus Berlin an den Drums, der auch auf der neuen CD “Banks Of Eden” zu hören ist. Die restlichen Mitglieder spielen seit 1999 zusammen. Stolt, Hasse Fröberg und Tomas Bodin sind sogar bereits seit 1995 Kern der Truppe. Mit ihrem elegischen Retro-Prog stellten sie sicherlich einen starken Kontrast zu Haken dar. Trotz lediglich 7 Tracks (in 90 Minuten) auf der Setlist boten die Flower Kings einen Querschnitt über einen Großteil ihrer Karriere, was mir als “Teilzeitfan” durchaus zusagte. Während “Paradox Hotel” ging der letzte Schauer des Tages auf dem Gelände nieder. Kein Wunder, wo doch der erste Track des Sets – “Last Minute On Earth” – vom Album “The Rainmaker” stammte. Während des abschließenden “I Am The Sun” (!) wurde es jedoch langsam wieder heller, und zum Ende des Sets glaubte man tatsächlich die Sonne zwischen den Wolken hervorlugen zu sehen (was sie kurze Zeit später tatsächlich tat und fortan blieb es trocken und sonnig).
Insgesamt merkte man sicherlich, dass ihr Zusammenspiel nach der langen Pause noch nicht perfekt war, aber dennoch gelang den Schweden ein – im positiven Sinne – solider Auftritt beim Notprog VII.
Setlist The Flower Kings Night of the Prog Festival 2012
Last Minute On Earth
In The Eyes Of The World
The Truth Will Set You Free (gekürzt)
Numbers (zum allerersten Mal live gespielt)
Stardust We Are (Pt 3)
Paradox Hotel
I Am The Sun
Als ich das endgültige Lineup für das diesjährige Festival zum ersten Mal sah, dachte ich sofort, dass Katatonia (19:14 – 20:41) ein Fremdkörper sein würden. Auch wenn ich die Band nur grob über die Jahre verfolgt hatte, so war ich mir doch sicher, dass der Prog-Gehalt ihres Oeuvres eher in Promille denn in Prozent zu messen ist, zumal auch im Vergleich mit ihren schwedischen Kumpels von Opeth. Letztere hätten m.E. ganz hervorragend in das diesjährige Lineup gepasst. Der mangelnde Prog-Gehalt war jedoch nicht der alleinige Grund für meine Skepsis. Ich hatte Katatonia 2010 schon einmal live gesehen (hauptsächlich wegen der Kombination mit dem damaligen Support Long Distance Calling) und mein damaliges Fazit war, dass es sich – zumindest an dem damaligen Abend – um die langweiligste Liveperformance die ich je auf einer Bühne gesehen habe, gehandelt hat. Insbesondere die (mangelnde) Bühnenpräsenz von Bassist und Sänger Jonas Renkse (der zusammen mit Mikael Akerfeld “echten” Deathmetal bei der Band Bloodbath macht) empfand ich als sehr ermüdend und langweilend. Ganz so schlimm war es an diesem Abend nicht, aber dennoch war ich spätestens nach dem dritten Song gelangweilt, weil subjektiv alles doch sehr ähnlich klang, weshalb ich den Rest des Sets auch weitgehend für einen Rundgang über das Gelände nutzte. Deutlich unter 2000 Leute waren anwesend. Was für den Veranstalter sicherlich weniger erfreulich war, hatte für die Besucher jedoch den Vorteil, dass man wirklich problemlos über das Gelände schlendernd konnte. Auch die Wartezeiten an den Essens- und Getränkeständen waren minimal. Katatonia spielten derweil sicherlich ein ordentliches Set und ein Gutteil des Publikums ging auch mit. Ich persönlich fand sie jedoch bei einem *Prog*-Festival fehlbesetzt.
Das Festival abschließen sollte in diesem Jahr Steve Hackett mit seiner Band (21:16 – 22:59), der zum zweiten Mal nach 2009 beim NotProg Festival vertreten war. Die Besetzung der Band unterschied sich nur bei der Bassposition. Diese wird in Hacketts Band traditionell je nach Verfügbarkeit von verschieden Personen besetzt. Statt Nick Beggs, der zwischenzeitlich hauptsächlich mit Steven Wilson unterwegs ist, wurde der Fünf(!)saiter – wie auf der Hallentour im vergangenen Herbst – von Phil Mulford bedient. Im Gegensatz zu eben dieser Hallentour war Amanda Lehmann jedoch nicht von der Partie, was wohl auch dazu führte, dass von “Shadow Of The Hierophant” nur der instrumentale Schlussteil gespielt wurde. Eine kleine Enttäuschung für mich persönlich war die Tatsache, dass das Set statt der angekündigten 2 Stunden nur etwas über 100 Minuten dauerte. Zwar sind die Curfew-Regelungen auf der Loreley inzwischen scheinbar extrem streng (0 Uhr am Samstag, 23 Uhr am Sonntag), mit etwas gutem Willen (des Bühnenpersonals) hätte Hackett sein Set aber auch schon um 21 Uhr beginnen können. Andererseits war die Songauswahl sicherlich sehr gelungen. Frühe Solowerke fügten sich mit Genesis-Klassikern und Songs der letzten Soloalben zu einem erstaunlich harmonischen Ganzen zusammen. Für das Publikum dieses Prog-Festivals waren die Genesis-Titel – performed vom damaligen Gitarristen – alleine die Reise zur Loreley wert. Insbesondere “Firth Of Fifth” (mit dem legendären Solo) und “Los Endos” führten zu Standing Ovations im weiten Rund des Amphitheaters. Zur abschließenden Zugabe “Watcher Of The Skies” wurde ein Gastsänger auf die Bühne geholt, Nad Sylvan von Agents Of Mercy (und Unifaun). Stimmlich war dieser dem Original (Peter Gabriel) sicherlich näher als der Hackett-Drummer (und Sänger) Gary O’Toole; das extravagante Styling und Verhalten von Sylvan lenkte jedoch etwas stark von seiner ansprechenden stimmlichen Leistung ab.
Insgesamt also ein würdiger Abschluss des diesjährigen Festivals. Es bleibt zu hoffen, dass die eher enttäuschenden Besucherzahlen den Veranstalter nicht davon abhalten, auch im kommenden Jahr wieder ein Festival auf der Loreley auf die Beine zu stellen.
Setlist Steve Hackett Night of the Prog Festival 2012
Bereits zum siebten Mal hatten Wiv-Entertainment zur “Night oft the Prog” geladen. Die Freilichtbühne auf dem Loreley-Felsen ist einfach die perfekte Location für diese Veranstaltung. Der Wettergott war uns gnädig und erfreute die Prog-Fans mit strahlendem Sonnenschein. Das Line-up ließ mal wieder Großes erwarten: Progressive Rock aus Skandinavien, Deutschland, Großbritannien, den USA und Kanada. Es ist das Konzept dieses Festivals, eine möglichst große Bandbreite zu zeigen – und das ist Winfried Völklein auch in diesem Jahr gelungen.
Der weiten Anreise geschuldet kamen wir erst zu den Klängen von Airbag auf dem Festivalgelände an. Die Norweger gründeten sich ursprünglich als Pink Floyd-Coverband. Das kann man auch heute noch ahnen, denn flächige Keyboards und eine floydige Atmosphäre bestimmen das Klangbild. Ihr Live-Debüt auf deutschem Boden ist in jedem Fall gelungen und das aktuelle Album “All Rights Removed” hat sicher einige Abnehmer gefunden.
Dann kamen die Hamburger Sylvan (16:20-17:46), die ihrem Status als Platzhirsche des Progressive Rock aus deutschen Landen mal wieder alle Ehre machten. Grund genug, sich von dem schnuckeligen Biergarten mit Blick auf den Rhein zu trennen und die Open-Air-Arena zu betreten. Das weite Rund war locker gefüllt und die Stimmung unter den Fans hervorragend. Sylvan hatten viel neue Musik zu bieten. Das Album “Sceneries” ist erst kürzlich erschienen und nahm dementsprechend breiten Raum ein. Es besteht aus fünf Kapiteln, die sich jeweils einem Bandmitglied widmen. Ein sehr introvertiertes Album mit vielen ruhigen Passagen. Live ist so etwas schwierig an die Leute zu bringen – doch mit Marco Glühmann verfügen Sylvan über einen Ausnahme-Vokalisten, der diese Kunst aus dem Effeff beherrscht und (nicht alle, aber viele Anwesende) mitzureißen vermochte. Ganze drei Chapter aus dem sperrigen neuen Werk wurden gespielt – und dann noch zur Freude aller zwei Songs von Sylvans Meisterwerk “Posthumous Silence”, das als komplexes Konzeptalbum noch immer das Maß aller Dinge für die Band ist.
Setlist Sylvan Night of the Prog Festival 2012
Sceneries Chapter I: The Fountain Of Glow
Sceneries Chapter II: Share The World With Me
The Colors Changed
Posthumous Silence
Sceneries Chapter V: Farewell To Old Friends
Auf Arena (18:10-19:30) war ich ganz besonders gespannt – bin ich doch seit den Anfangszeiten der Band im Jahr 1995 großer Fan und verfolge alles, was die Truppe um Mick Pointer und Clive Nolan so macht. Vor allem gab es über die Jahre einige Wechsel am Mikro und Paul Manzi (der den schmierigen Rob Sowden ersetzt) ist ganz neu mit dabei. Lange mussten die Fans auf ein neues Album ihrer Neo-Prog-Heroen warten. Kürzlich erschien (nach sechs Jahren Pause) das neue Werk “The Seventh Degree Of Separation”. Die stilistische Bandbreite bleibt zwischen Symphonic Rock und härteren Elementen. Doch man muss sagen, dass das Album eher Richtung Hard Rock als in die reine Prog-Schiene läuft. Weniger Bombast, spärliche Keyboards, stattdessen ab und an derber Hau-drauf-Rock. Paul Manzi ist absolut geeignet dafür – er hat eine sehr rockige Stimme und singt die neuen Songs in Höhen und Tiefen perfekt. Ein Frontmann, der perfekt zu Arena passt – das bewies er auch auf dem Loreleyfelsen. Allerdings war schon zu bemerken, dass er mit den älteren Songs große Schwierigkeiten hatte. Vor allem die Tracks aus den 90ern, die im Set eingebaut waren, wollten bei ihm nicht so recht funktionieren. Darüber hinaus war das Konzert aber absolut stimmig. John Mitchell und der zurückgekehrte John Jowitt sind ein Dreamteam an den Gitarren und die Setlist umfasste mit “A Crack In The Ice”, “(Don’t Forget To) Breathe” und “Valley Of The Kings” einige Highlights. Allerdings gab es nur einen Song aus den Anfangstagen – und das war für mich absolut zu wenig. Schade.
Setlist Arena Night of the Prog Festival 2012
The Great Escape
A Crack In The Ice
(Don’t Forget To) Breathe
Riding The Tide
What If ?
Burning Down
Serenity
Valley Of The Kings
Ghost In The Firewall
Rapture
The Ghost Walks
Bedlam Fayre
Echoes Of The Fall
The Tinder Box
Ascension
Die nächste Band mit neuem Frontmann war Spock’s Beard (20:04-21:48), frisch eingeflogen zum exklusiven Deutschlandkonzert aus den USA. Für viele waren sie das Highlight des Festivals, denn man wollte sehen, wie sich der neue Sänger Ted Leonard gegenüber den extrovertierten Bandmitgliedern Alan Morse und Ryo Okumoto behaupten kann. In der Prog-Szene war er bisher als Fronter von Enchant in Erscheinung getreten und Fans wissen daher um seine charismatischen, gefühlvollen Vocals. Dennoch muss er als Nachfolger von Neal Morse (unter dessen Ägide Spock’s Beard ihre Hochphase hatten) und Nick D‘Virgilio (der weiland wie Phil Collins vom Schlagzeuger zum Mann am Mikro aufrückte) in große Fußstapfen treten. Das gelang ihm mit Bravour. Ted Leonard tritt frisch, dynamisch und unverbraucht auf. Die große Fanschar hatte er schnell im Griff. Und dazu gab es eine Setlist, von der sich jeder mitreißen ließ. Zunächst einige kurze Highlights wie “On A Perfect Day” und “Day For Night”, zwei gänzlich neue Songs, die Großes für das elfte Album (vermutlich Frühjahr 2013) erwarten lassen – und zwei epische Progwerke, die jedes Fanherz höher schlagen ließen: “The Doorway” und “The Light”. Ted meisterte alle stimmlichen Hürden, Ryo gab wie immer den Keyboard-Clown und Alan spielte ein souveränes Solo ums andere. Wer Spock’s Beard kennt, weiß, dass alle Bandmitglieder gerne mal sängerisch tätig werden und es oft chorische Passagen in den Songs gibt. In der Vergangenheit kam das live nicht immer perfekt aus den Boxen. Doch seit Jimmy Keegan an den Drums sitzt und man Ryo Okumoto in diesen Momenten das Mikro etwas leiser dreht, sind die mehrstimmigen Passagen sehr schön anzuhören. Einziger Wermutstropfen am Abend: Während “The Light” kam es zu einem Pfeifgeräusch am Keyboard-Monitor, das die Band sehr irritierte und dieses wichtige Stück leider leicht beeinträchtigte. Trotzdem ein Kompliment für das Neoprog-Flaggschiff aus den USA: Der Drops ist noch lange nicht gelutscht.
Setlist Spock’s Beard Night of the Prog Festival 2012
Edge Of In-Between
On A Perfect Day
Day For Night
Submerged (neu, unveröffentlicht)
Kamikaze (instrumental)
The Doorway
She Is Everything
Something Very Strange (neu, unveröffentlicht)
Walking On The Wind
The Light
Der Abend neigte sich dem Ende zu und mit Saga (22:12-23:58) durfte der Headliner des ersten Abends ran. Diesmal kein neuer Sänger, sondern ein zurückgekehrter. Blöd für Rob Moratti, der drei Jahre lang als Lückenbüßer fungierte, in meinen Augen einen Superjob machte, aber der großen Fanschar Michael Sadler nicht ersetzen konnte. Das Album “The Human Condition” bot guten Prog. Morattis Stimme klang ganz anders als die des Vorgängers, was auch eine gute Wahl war. Jetzt muss er sich wohl vorkommen wie Ray Wilson damals bei Genesis: Der Meister will zurück zu uns – du hast deine Schuldigkeit getan. Also Schlussstrich. Es gibt ein neues Album – vielleicht eines der besten in der langen Diskographie. Der Titel “20/20” ist mehrdeutig: Das zwanzigste Album der Band. Gleichzeitig medizinischer Begriff für perfekte Sehkraft und damit ein Wunsch für Jim Gilmour, der während der letzten Tour ausfiel und fast sein Augenlicht verlor. Ich muss gestehen, dass ich den Auftritt mit gemischten Gefühlen erwartete. Im vergangenen Jahr bei der Co-Headliner-Tour mit Marillion sah es so aus, als lebten Saga ausschließlich in der Vergangenheit und spulten ein reines Best-of-Programm ab. Auf der Loreley hingegen (gerade in einem Setting, in dem viele Bands nur ihre Hits spielen) gab es einen abwechslungsreichen und gut durchdachten Querschnitt durch viele Alben, sogar unter Berücksichtigung des selten gespielten “Generation 13”. Und tatsächlich zwei Tracks vom neuen Werk! “Six Feet Under” und “Anywhere You Wanna Go” zeigten uns eine wieder erstarkte Truppe mit markanten Gitarrenriffs, gewagtem Synthesizer-Einsatz und den ach so typischen Vocals. Prägnanter geht es kaum. Sadler ist nun mal ein begnadeter Sänger und was die anderen drum herum spinnen, ist handwerklich perfekt.
Setlist SAGA Night of the Prog Festival 2012
Anywhere You Wanna Go
Mouse In A Maze
‘Book Of Lies
Careful Where You Step
Framed
Corkentellis
The Perfectionist
The Cross
Drum Solo
Runaway
Tired World
Scratching The Surface (piano version)
It’s Time
Six Feet Under
Pitchman
On the Loose
Don’t Be Late
So endete der erste Tag dann doch mit einem Highlight und ich war schon etwas traurig, dass ich den Sonntag in diesem Jahr leider nicht mitnehmen konnte. Einen Bericht bekommt ihr trotzdem – vom Kollegen Karsten Bier. Und ich freue mich auf die achte Auflage des Festivals, die schon terminiert ist: “Night Of The Prog VIII” steigt am 13. und 14. Juli 2013.