Die Kindermusik-Reihe „Unter meinem Bett“ erscheint schon seit vielen Jahren im Oetinger Verlag und liefert handgemachte Singer-Songwriter-Musik für Kinder, die auch Eltern gerne hören. Nach der siebten Episode folgte ein „Best of“ Album, doch mit Nummer 8 gibt es jetzt wieder fantastisch gute neue Songs von den besten deutschen Bands und Künstler*innen. Mit an Bord sind Alex Mayr, Wilhelmine, Antje Schomaker, Bruckner, Francesco Wilking, Lotte und viele mehr.
Die bisherigen Alben versammeln die besten Singer-Songwriter*innen, um in verschiedenen Stilen mit mal witzigen, mal nachdenklichen und dabei immer klugen Texten mitten aus dem Alltag moderner Familien zu erzählen. Auch die neuen Themen sind so vielfältig wie ein Kinderleben und könnten auch den Kleinsten im Vorschulalter sowie ihren älteren Geschwistern gut gefallen.
Alex Mayr singt in „Raus“ mit starker Rockstimme von Gefühlen aller Art. Sven van Thom behandelt mit „Du guckst ja gar nicht“ ein Thema, das man heutzutage allzu oft beobachtet: Eltern starren aufs Handy, statt ihre Kinder und deren kleine Abenteuer zu beachten. Bruckner besingen schwungvoll die „Wohnung mit Balkon“ und Lotte macht gemeinsam mit Moritz Krämer die Welt „Bunt“.
Wundervoll finde ich „Chamäleon oder ich entscheide mich nie“ von Wilhelmine, bei dem sich die Künstlerin dem Thema Anpassung widmet. Ebenso cool ist das groovige „Ich bin wichtig“, das Antje Schomaker mit einer Kindergruppe interpretiert und mit ihnen gemeinsam deren Selbstbewusstsein stärkt.
Was auffällt: In allen Fällen haben die Künstler*innen die Songs selbst geschrieben oder daran mitgewirkt. Gerade das macht „Unter meinem Bett 8“ zu einem außergewöhnlichen Album, das den Geschichten und Themen ebenso wie der Musik viel Tiefe verleiht. Ein authentisches Liederalbum, das sich nicht bei Kindern anbiedern will.
Freitag und Samstag sind beim RBF traditionell die Tage, an denen man Konzerte in der wundervollen Elbphilharmonie besuchen darf. Und ich hatte das Glück, in diesem Jahr gleich drei Mal dabei sein zu können. Eigentlich hat man nur Anspruch auf einen Konzertbesuch dort, doch zwei Stunden vor Beginn kann jeder ganz spontan sein und sich am Ticket Desk des Festivals für etwaige Restkarten anstellen. Das lief diesmal recht gut und war vielleicht dadurch begründet, dass viele Zuschauer*innen den komplizierten Weg vom Festivalgelände zur Elphi scheuten, weil die U3 ausgerechnet auf dieser Strecke wegen Bauarbeiten gesperrt war. Sei’s drum – so gab es für mich neben Jeremias und Bruckner am Freitag auch noch den stimmgewaltigen Matt Corby am Samstag.
Der Freitag startete aber zunächst mit Annie Hamilton. Im Club Molotow war nämlich „down under“ angesagt und einige australische Acts gaben sich die Klinke in die Hand. Annie hat im Mai 2020 ihre Debüt-EP herausgebracht, kurz bevor die Pandemie so richtig durchstartete. Doch statt zu verzagen machte sie ihre Wahrnehmung des Lockdowns und die gesellschaftlichen Umbrüche zum Thema für den ersten Longplayer, der dann zwei Jahre später erschien: „The Future Is Here But It Feels Kinda Like The Past“ wandelt zwischen Dreampop und Indierock. Die Texte erzählen von Vergänglichkeit und unerwartetem Positivismus. Im Innenhof des Molotow erzeugten drei Gitarren einen ordentlichen Wall of Sound und Annie sang mit starken Vocals Songs wie „Dynamite“.
Ein flippiger Ansager ging zwischen den Acts ans Mikro um alle gebührend zu begrüßen und dem Australien-Thema einen roten Faden zu verleihen. Nette Witze waren das Ergebnis, beispielsweise vom Flughafen, wo man sich unter dem Schild AUSGANG direkt zuhause fühlte. Musikalisch lieferte dann Thelma Plum schönen Pop mit lauter Rhythmus-Fraktion. Beeindruckend war vor allem die Bassistin, die auch einen perfekten Backgroundgesang beisteuerte. Im Duett klangen die beiden großartig. Die Künstlerin Thelma Plum mit Aborigine-Background überzeugte mit emotionalem Folkpop.
Im Festival Village gab es inzwischen die „Homeless Gallery“ zu bewundern. Ein Kunstprojekt, das von der Obdachlosenzeitung „Hinz & Kunzt“ initiiert worden ist. Obdachlose konnten ihre Vision eines Kunstwerks schildern, das ihre Lebenswelt und ihre Gefühle beschreibt, und eine KI hat dies in großformatige Kunstwerke verwandelt. Dass Ergebnis fand ich absolut beeindruckend – und alle Erlöse aus Katalogen, Postkarten und der Versteigerung der Bilder gehen an die Obdachlosenhilfe. Tolle Aktion, auch wenn man die Verwendung einer KI durchaus kritisch sehen kann.
Auf der Fritz-Kola-Bühne traten nun Girl Scout an, um ihre Musik mit hohem Spaßfaktor an die Festivalbesucher*innen zu bringen. Das Quartett aus Stockholm schuf mit drei Gitarren einen Sound zwischen punkrockig und chillig. Zwei Frauen waren mit an Bord, was wieder einmal den hohen weiblichen Anteil des Festivals bestätigte. Gut so! Songs wie die aktuelle Single „Bruises“ weckten die Menge aus dem Mittagsschlaf und machten uns bereit für neue Taten.
Am Reeperbus hörte ich mir erneut Brockhoff an, diesmal aber ganz anders als bei der rockigen Performance vom Mittwoch. Jetzt konnte man sie akustisch mit Gitarrenbegleitung erleben und es war eine ganz andere Sicht auf die Künstlerin, die nun melancholisch und balladesk rüberkam.
Dann aber auf in die Elbphilharmonie. Hier feierten Jeremias die Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Von Wind und Anonymität“, das just an diesem Tag erschienen ist. Wo kann man das schöner zelebrieren als vor zweitausend Menschen in der Elphi? Die Indie-Pop-Band brachte alle zum Tanzen und verwandelte die ehrwürdige Location in einen atmosphärischen, bisweilen mystischen Ort. Das war pures Konzertfeeling! Vor allem Gitarrist Oliver Sparkuhle legte sich mit seiner Performance schwer ins Zeug, auch wenn Sänger Jeremias Heimbach stets im Mittelpunkt stand. Besonders als er allein am Piano für Gänsehautmomente sorgte. Auch neue Stücke wie „Da für dich“ und „Julia“ wurden frenetisch bejubelt. Kein Problem, das neue Album an diesem Abend in den Mittelpunkt zu stellen. Nach dem wundervollen „Grüne Augen lügen nicht“ setzte der Frontsänger noch eins drauf und holte seine Cousine inklusive Cello mit auf die Bühne. Standing Ovations mitten im Set hat wohl auch die Elphi bisher selten erlebt. Genauso wenig wie den Ausflug des Sängers in die obersten Zuschauerränge zu „Mit dir kann ich alleine sein“. Das spanische Stück „Pasajero“ ließ die Location durch tausend Handylichter leuchten. Alles in allem eine magische Performance, bei der es einige Zugaben gab.
Im Hangar auf dem Heiligengeistfeld hatte sich jetzt Florian Künstler bereit gemacht. Auch er mit einem Album-Release am selben Tag, nämlich dem Debüt „Gegengewicht“. Florian ist ein ganz besonderer Mensch. Das kann man mit Fug und Recht behaupten. Sein Song „Kleiner Finger Schwur“ kam quasi aus dem nichts und hat ihn in der Szene deutschsprachiger Songpoeten weit nach oben katapultiert. Es war kein Zufall, dass er ausgerechnet in der Festival Village auftrat, denn Florian unterstützt die oben erwähnte Homeless Gallery. Wenn man Künstlers Lebensweg anschaut, ist das verständlich. Er hatte drogenabhängige Eltern, wurde zum Pflegekind, war zeitweise selbst obdachlos und lernte soziale Berufe, um anderen Menschen zu helfen. Beim Konzert zeigte sich der Mittdreißiger als durch und durch sympathischer und bodenständiger Typ, der immer im Kontakt zum Publikum blieb. Florian ist ein Mann der ruhigen, sentimentalen Worte. Und er hatte zu jedem Stück eine Geschichte zu erzählen. Von seinem Leben als Pflegekind und der Liebe zu den Ersatz-Großeltern. Der Trauer um einen geliebten Menschen, die er in „Tausend Raketen“ besang. Die Textzeile „Wenn du jetzt glücklich bis“ wurde zum krassen Moment, denn die Zuschauer*innen schleuderten ihm diese entgegen und man konnte ihm das Glück ansehen. Auch schwierige Themen verschwieg er nicht und thematisierte in „Vergiss die guten Tage nicht“ eine zeitweilige Depression.
Wieder zurück in der Elbphilharmonie waren Bruckner mit zunächst elektronisch angehauchtem Indiepop am Start. Jakob und Matti Bruckner sind die Söhne eines Musiklehrers und haben sich inzwischen eine große Fangemeinde erspielt. Zuerst blieb es beim Synthiesound, doch mit Gästen wie Paula Carolina und Dominik Hartz kam Bewegung in die Sache. Zu „Josephine“ gab es hymnische Gitarren und schließlich wurde gar ein Streicherensemble aufgefahren. Die beiden Bruckners wollten die phänomenale Akustik der Elphi zeigen und standen zunächst als Duo, später mit der kompletten Band um ein einfaches Studio-Standmikro im Kreis und lieferten akustische Stücke aus ihrem Repertoire. Was für ein Sound – gerade im Verbund mit den Streichern! Selbst die Tourmanagerin durfte als Backgroundsängerin in Erscheinung treten. Der denkwürdige Abend endete dann mit einer Reihe tanzbarer Stücke. Die Elphi hat gebebt, das Publikum ging glücklich in die Hamburger Nacht.
Am Samstag musste ich mir dann erst einmal eine Pause gönnen, um die Eindrücke des Festivals sacken zu lassen. Als Erstes stand abends der Australier Matt Corby an – standesgemäß in der Elbphilharmonie. Sein psychedelischer Soul will Kraft und Hoffnung spenden. Dazu kam er wie ein bärtiger Hobbit barfuß auf die Bühne und gab sich seiner Passion hin. Er ist eine charismatische Erscheinung, ob er nun am Piano sitzt oder am Mikro steht. Die Begleitband war eine positive Begleiterscheinung, aber sie blieb dezent im Hintergrund und wurde nicht einmal namentlich vorgestellt. Matt war ohnehin kein Mann der großen Worte. Er freute sich über die ihm zuteil werdende Aufmerksamkeit, aber schwelgte nicht darin. Die Augen blieben meist geschlossen und er war tief in seine Melodien versunken. Krass fand ich den Wechsel durch die Oktaven – Matt kann in tiefem Bass ebenso bestehen wie in höchsten Sphären. Einen Akustikpart bestritt er ganz allein, was absolut ausreichte. Und danach gab es dreckigen Bluesrock – wie um die Vielfalt zu betonen. Was mir etwas gefehlt hat, war ein Ausschöpfen der Akustik im Saal. Matt Corby sang alles mit Verstärkung, dabei hätte er ruhig mal weg vom Mikro gehen können. Die Elphi trägt jeden Ton nach oben.
Als Kontrast sollten es jetzt in der Großen Freiheit 36 die Pretenders mit der 72jährigen Chrissie Hynde sein. Sie hatte eine junge Band im Gepäck, was ihr Alter noch betonte. Aber sollte das eine Rolle spielen? Ihre Performance war purer Rock’n’Roll wie in alten Zeiten. So als habe Alice Cooper hier sein weibliches Pendant. Es gab einige Unstimmigkeiten, da Chrissie sich nicht filmen lassen wollte und sich mit Zuschauer*innen in der ersten Reihe und auf der Empore anlegte. Das fand ich überkandidelt, aber so sind die Stars der Szene nun mal. Bis auf die Ballade „You Can’t Hurt A Fool“ gab es vor allem den üblichen Rocksound der Pretenders. Daran hat sich auch mit dem neuen Album nichts geändert. Einen Unterschied in der zeitlichen Einordnung mancher Songs konnte man nicht ausmachen. So war das Konzert zwar solide, aber der Musik-Ikone nicht unbedingt würdig.
Nebenan im Grünspan sollte mit Stimming und dem NDR Vokalensemble etwas ganz Besonderes zum Festivalabschluss warten. Größer konnten die Gegensätze kaum sein. Stimming ist bekannt für seine elektronische Kunst aus Beats und sphärischen Melodien. Das Ensemble hat sich eher der Klassik verschrieben. Kann man das verbinden? Man kann – in einer grandiosen Form. Die gewählten Stücke waren zwischen 40 und 400 Jahre alt. Der Chor aus acht Männern und acht Frauen interpretierte diese alte Musik, während Stimming passende Beats dazu komponiert hatte. Im Lauf der Nacht wurde die Kombination immer komplexer und ich musste vor allem den Chor bewundern, dass man den Takt noch halten und die Melodien harmonisch einbringen konnte. Das Konzept des Konzerts erzählte vom Zustand der Welt und war damit natürlich sehr traurig, von Naturgeräuschen mit dem Mund bis hin zu einem beklemmenden Schluss aus Lautmalereien des Krieges. Ein Bach-Choral wurde gesampelt und verfremdet, um das Wehklagen „O Traurigkeit, o Herzeleid“ noch zu steigern. Das Klangexperiment wurde zu Recht bejubelt und hat nachhaltig Eindruck hinterlassen.
So endete das Reeperbahn Festival 2023. Der nächste Termin steht schon fest: Das nächste RBF findet vom 18. – 21. September 2024 statt. Tickets sind ab sofort HIER zur vergünstigten Early-Bird-Rate erhältlich.
Matti und Jakob Bruckner legten mit ihrer Musik einen weiten Weg zurück: Die ersten Sessions auf dem Sprungturm des heimischen Badesees, dann mit dem Bus auch im Nirgendwo Deutschlands gespielt und jetzt endlich das erste eigene Album in Berlin aufgenommen. Wer sich die bisherige Geschichte von Bruckner vor Augen führt, der lernt zwei Brüder und ihre Vision auf einem gemeinsamen Trip kennen. Eine deutsche Indie-Pop-Reise durch Stilwelten und Inspirationsmuster, eine Freundschaft die sie gemeinsam durch die Schattenseiten des Musikerdaseins geführt hat. Das neue Album „Hier“ klingt danach, das eigene Ding gefunden zu haben und endlich durchzuziehen. Nach viel Zeit zu zweit auf den Landstraßen der Republik, vielen Nächten auf den Konzertbühnen zwischen Hamburg und München, nach dem ewigen Reiten auf dem eigenen Gedankenkarussell und schließlich dem erlösenden Sprung ins kalte Wasser.
Titel und Namen sind bei Bruckner keine Zufälle, sondern immer auch ganz konkrete Verweise auf Aufenthaltsorte und Gemütszustände. Aufgewachsen am idyllischen Chiemsee veröffentlichten sie Anfang 2019 ihre „Sprungturm“-EP. Vier Songs, die an früher erinnern. An die großen Ferien, Freundschaft und die erste Reise nach dem Schulabschluss. Dann sind Bruckner erstmal mit ihrem Bus unterwegs, viele Konzerte in großen und kleinen Städten. Die „Nirgendwo-Sessions“ klingen nach viel Spaß auf der ersten Tour aber auch nach Zukunftsängsten und Zweifeln. Nach ein paar Monaten Pause seit dem Release von „In drei Jahren“ sind sie nun angekommen an einem Ort, der zwar weder Heimat noch Endpunkt ist, aber sich richtig und echt anfühlt.
„Hier“ ist keine typische Berlin-Platte und dennoch ein Album, das von der Generation Großstadt erzählt, von der Gesellschaft derer die alles haben und dennoch nie zufrieden sind. Von denen, die zu oft darüber nachdenken, warum sie eigentlich auf diesem Planeten sind und sich ständig mit anderen vergleichen. Von Menschen die politikverdrossen sind und dennoch eine sehr genaue Ahnung davon haben was hier schief läuft. Von Geliebten, die ihre Liebe gehen lassen mussten und von Nachtschwärmern, die einfach mal Lust haben sich die Birne weg zu knallen und an gar nichts zu denken. Vor allem aber ist es die Geschichte zweier Brüder, die sich endlich freigeschwommen haben, seit sich ihre Füße vom Sprungturm gelöst haben. Die mehr denn je Spaß an dem wichtigsten in ihrem Leben haben: Der Musik.
Bruckner unterwerfen ihre Ideen keinem Gesamtkonzept sondern folgen immer ihrer Intuition. „Verpeilter Pop“ nennen sie es selber liebevoll und lassen sich immer wieder anschieben von neuen Einflüssen. Ob HipHop-lastige Autotune-Ballade oder IndieRock-Nummer, den roten Faden geben immer ihre beiden Zugpferde: Die Gitarren. Gemeinsam mit dem Produzenten Robert Stephenson (u.a. Von Wegen Lisbeth, Mighty Oaks, Milliarden) ist so ein vielgesichtiges Album entstanden, das sowohl zum Nachdenken als auch zum Nonsens anregt. Egal ob grade on the road oder im Studio, ob am Baggersee oder in den eigenen vier Wänden: BRUCKNER klingen 2020 so wie sie schon immer klingen wollten und sind vor allem endlich „Hier“.
Die Melodien erklingen cool und lässig mit einer Attitüde voller Entspannung. Die Vocals sind weder smart noch wohlig, sondern irgendwo zwischen lapidarem Erzählen und sommerlicher Strandwiesenromantik. Man könnte sich gut vorstellen, den Brüdern abends am Lagerfeuer zuzuhören und vielleicht in melancholisch-tanzende Bewegungen zu geraten. Und ein größeres Kompliment kann man einem Songwriter-Duo zum Sommeranfang gar nicht machen: Perfekte Musik für perfekte Momente.