Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Shows, die mehr oder weniger erfolgreich durch Deutschland touren und ihrem Publikum die umfangreiche Welt der Musicals in komprimierter Form nahe bringen wollen. So viele, dass man schon gar nicht mehr weiß, welche davon man Interessenten empfehlen soll. Darum bin ich froh, wenn ich über ein Ensemble wie das Musical Project von David Steines berichten kann. Sein größtes Alleinstellungsmerkmal ist es, dass dort sehr junge Leute auf der Bühne stehen, die allesamt noch Amateure sind bzw. ihre ersten zaghaften Schritte in Richtung einer professionellen Laufbahn gehen.
Gegründet wurde das Ensemble als Projektgruppe des Gymnasiums Hermeskeil. Schon damals war der Saarländer David Steines die treibende Kraft. Er hat inzwischen das Musical-Wesen zu seinem Beruf gemacht und unter anderem an der „Stage School Hamburg“ studiert. Die Liebe zur bunten Welt zwischen Schauspiel und Gesang hat ihn und viele seiner Mitstreiter nicht mehr losgelassen – das erkennt man, wenn man die Lebensläufe im Programmheft liest und vor allem, wenn man die Akteure auf der Bühne erlebt. Wie ich es auch aus dem Chorgesang kenne: viele weibliche, wenig männliche Mitglieder. So müssen Steines und sein Kollege Patrik Sänger viel Kraft aufwenden, um sich gegen die geballte Weiblichkeit durchzusetzen.
Das Musical Project hat vor dreieinhalb Jahren in einer kleinen Halle begonnen und nach einer Vielzahl von regionalen Auftritten diesmal den Weg nach Trier gewagt. Die Europahalle mag die nächste Sprosse auf der Erfolgsleiter sein – etwas gewagt, doch es hat funktioniert. Der vordere Teil der Halle war mit einem Vorhang abgetrennt und so füllten über Tausend Zuschauer den Saal. Die Anspannung aufgrund ihres bisher größten Publikums war den Akteuren bei den ersten Songs noch anzumerken, legte sich aber nach kurzer Zeit, als die Begeisterungswelle aus der Zuhörerschaft die Bühne erreichte.
Das Ensemble packt viele Musicals in seine Show. So viele, dass man zeitweise Angst vor einer Überfrachtung haben muss: 26 nämlich insgesamt, wenn man die Zugaben mit zählt. Es geht darum, die schönsten und intimsten Momente auszuwählen, die einen hohen Bekanntheitsgrad haben. Das können bei „Les Misérables“ mal zwei Songs sein („Lied des Volkes“ und „Ich hab geträumt“), beim Musical „Elisabeth“ mal ein längerer Auszug – oder es kann sich auf einen einzigen Lieblingssong beschränken. Ich nenne mal „Erinnerung“ aus „Cats“. Aus dem Off gibt es in den meisten Fällen eine kurze Beschreibung des Stücks, die zum folgenden Lied hin führt.
Die Requisiten beschränken sich auf ein Mindestmaß. Highlight ist ein hohes LCD-Fenster, das jeweils ein wichtiges Szenen-Element zeigt, hinzu gesellen sich kleine Gegenstände wie Schachfiguren oder eine Schreibfeder. Das reichte aus, um die richtige Atmosphäre zu schaffen – zusammen mit den Kostümen der Darsteller, auf die ein hohes Augenmerk gerichtet wird. Man spürte, dass da sehr viel Herzblut drin steckt – wie in der gesamten Produktion.
Die Sängerinnen und Sänger sind zwischen 15 und 24 Jahre alt, stammen vor allem aus der Region Hochwald (nahe Trier) und haben sehr frische, klanglich saubere Stimmen. Das merkt man in der Vielzahl von Soli, aber auch in den chorischen Passagen, wenn bis zu 14 Stimmen polyphone Arrangements präsentieren. Einziges Manko: Die instrumentale Musik kommt vom Band. Das hat (logisch) finanzielle Gründe, nimmt aber der Show viel von der Spontanität und Lebendigkeit, die sie über das jetzige Geschehen hinaus noch haben könnte. Zumindest wurde Publikumsnähe zelebriert, wenn sich die Darsteller bei „Les Misérables“ oder „Rocky“ durch die Sitzreihen bewegten.
Meist sind es die Ohrwürmer aus bekannten Musicals wie „Starlight Express“, „Les Misérables“, „Elisabeth“ und „König der Löwen“, die geboten werden. Doch selbst der bewanderte Fan des musikalischen Theaters kann unter Umständen noch ganz neue Perlen entdecken wie die Geistergeschichte „Rebecca“ (nach dem Roman von Daphne du Maurier) oder die tragische Story „Ghost“, die auf dem gleichnamigen Film mit Patrick Swayze basiert. Hier will ich auch mal damit ansetzen, einzelne Solisten hervor zu heben – in der Hoffnung, damit niemanden zu verärgern, denn wirklich schwach war niemand an diesem Abend.
Amelie Michel beeindruckte mit dem Elisabeth-Song „Ich gehör nur mir“ und glänzte auch in höchsten Tonlagen. Diese Klasse will ich ebenso Hannah Weiler zugestehen, die über ein beachtliches Stimmvolumen verfügt und in „Mozart“ und „König der Löwen“ brillierte. Dann aber kamen die Musicals, die nicht über einen so hohen Bekanntheitsgrad verfügen. „Aida“ zum Beispiel, das von Elton John geschrieben wurde und die Geschichte um die nubische Prinzessin erzählt. Die Pharaonin Amneris wurde von Janina Jungbluth mit großem Glamourfaktor dargestellt – und mit einer Powerstimme zwischen Diva und Rockröhre. Sehr emotional präsentierte Lisa Vandrey den Song „With You“ aus „Ghost“, mit welchem die Protagonistin den Verlust ihres Geliebten betrauert, und erzeugte in der Europahalle tausendfache Gänsehaut.
Franziska Wollscheid zeigte ihre dynamischen vokalen Fähigkeiten unter anderem als „leichtes Mädchen“ in „Jekyll & Hyde“ und später wieder als Teil eines Damen-Trios in „3 Musketiere“. Bei ihr spürte man die gesangliche und schauspielerische Erfahrung, die sie mit 19 Jahren schon hat, und inklusive Gestik und Mimik war ihr gesamtes Auftreten sehr stimmig. David Steines schließlich lief im Musical „Rebecca“ zur Hochform auf, wo er das Duett „Kein Lächeln war je so kalt“ mit Amelie Michel sang. Er interpretierte viele Hauptstimmen an diesem Abend, doch besonders gut stehen ihm die dämonischen Rollen mit aggressiven Zügen, rezitativem Sprechgesang und emotionalen Ausbrüchen. Nach der Vielzahl von Eindrücken des Abends ist zumindest eins sicher: Die Musicals „Rebecca“, „Ghost“ und „Aida“ möchte ich in voller Länge sehen. Da hat Steines das Ziel erreicht, mich auf diese (doch recht unbekannten) Werke neugierig zu machen.
Obwohl ich jetzt viel von tragischen und emotionalen Songs geschrieben habe, kamen auch die Comedy-Elemente nicht zu kurz. David Steines spielte die gewichtige Edna Turnblad („Hairspray“), Patrik Sänger gab den „Sweet Transvestite“ in der „Rocky Horror Show“ und beide Männer bejammerten in „Der Schuh des Manitu“ ihr Schicksal „Wieder mal am Marterpfahl“. Die reine Programmdauer (!) belief sich auf rund drei Stunden. Das Publikum wurde aber nicht müde, noch weitere Zugaben zu fordern.
Der Abend endete mit einem Zugaben-Medley aus „Ich war noch niemals in New York“ und als die Standing Ovations kein Ende nahmen stimmten Darsteller und Publikum gemeinsam „Nessaja“ aus Peter Maffays „Tabaluga“ an. Alles in allem ein sehr gelungener Abend mit einer von den Laiendarstellern getragenen Begeisterung, die das Publikum mitriss. Die jungen Sängerinnen und Sänger, die Leute im Hintergrund, die für Bühnenbild und Kostüme, für Klang und Maske verantwortlich sind, haben ganze Arbeit geleistet. Es war nicht alles perfekt – und doch konnte man durchgehend vergessen, dass hier keine Profis am Werk waren. Der Sprung von den regionalen Kulturhallen auf die große Bühne ist geglückt und ich warte gespannt ab, was das Ensemble als nächstes anzugehen wagt.