Jon Flemming Olsen ist der „Mann auf dem Seil“

Auch wenn Jon Flemming Olsen nicht jedem auf Anhieb ein Begriff ist – vielleicht macht es Klick, wenn man an den Eurovision Song Contest 2006 und seine Band Texas Lightning denkt. „No No Never“ bewegte sich (wie so viele deutsche ESC-Titel) zwar nur im hinteren Bereich der Ergebnistabelle, wurde aber in DEutschland trotzdem ein respektabler Erfolg und bewegte sich 38 Wochen lang in den Charts.

Solo legt das Multitalent aus Düsseldorf inzwischen sein drittes Album vor. Seine 13 neuen Lieder – live mit Streichquartett eingespielt – ähneln inhaltlich und musikalisch durchaus einem Drahtseilakt: Mal fokussiert auf den Weg, mal in den Abgrund blickend, mal traumtänzerisch leicht. Ob sich da ein einsamer Tropf vergebens um die Rückkehr eines geliebten Menschen bemüht („Wenn Du wiederkommst“). Oder ob jemand augenzwinkernd anzweifelt, inwiefern der Nachwuchs tatsächlich ein steter Quell der Freude ist („In zwanzig Jahren“). Und auch die eigene Vita kommt bei Olsen auf den poetischen Prüfstand: In „König in meiner Baracke“ singt er sich frei von den Zwängen, die sich mit schnellem Ruhm einstellen können. Davon könnten sicher viele ESC-Teilnehmer ein Lied singen.

Natürlich nehmen auch die Folk- und Country-Ideen breiten Raum ein. „Es wird etwas geschehen“ ist mitreißend und optimistisch. „Alles wahr“ ist eine 1-a-Verschwörungspersiflage und „Wildes Tier“ zeigt in dunkel leuchtenden Skizzen, wie in Menschen lange unterdrückter Groll ausbricht. „Die Decke unserer Zivilisation ist hauchdünn. Das Lied ist vielleicht auch ein Plädoyer dafür, das Archaische in uns zuzulassen, bevor sich der angestaute Frust ins Wutbürgerhafte verkehrt.‟ Olsen ist einer, der an Solidarität glaubt. Der den Menschen vertraut, seinen Fans sowieso. Deshalb setzte er auch erneut erfolgreich auf das Prinzip Crowdfunding, um die Produktion von „Mann auf dem Seil“ zu finanzieren.

Die ruhigen akustischen Balladen harmonieren hervorragend mit den Streichern. Eine durchaus spannende Kombi. Und auch wenn es laut und energisch wird, gibt das begleitende Quartett eine ordentliche Dynamik mit. Olsen hat seinen Songs viel Zeit zum Reifen gelassen. Mit seinem neuen Material ist er Anfang 2019 nicht geradewegs ins Studio gegangen, sondern hat seine Singer-Songwriter-Oden live ein Jahr lang atmen, fliegen und auch mal scheitern lassen – „bis sie so richtig schön rundgespielt waren‟. Um diese beglückende Energie des Moments festzuhalten, hat er seine Lieder schließlich live aufgenommen. An nur einem Abend, vor vollem Saal (im Theater Schmidtchen) in seiner Heimat Hamburg, in Begleitung des Kammerensembles Konsonanz. So verbindet „Mann auf dem Seil‟ nun die Leidenschaft für Singer-Songwriter-Sound, Folk und Country mit einem intuitiven Gespür für eingängige Popmelodien, die dank der Streicher zum tief berührenden Ereignis werden. Ein überaus geglückter Balanceakt.