Rockmusical „Serpentina“ – Zwischen Poesie und Wahnsinn
Normalerweise finden Musical-Premieren in Großstädten wie Hamburg oder Berlin statt. An diesem Wochenende bietet jedoch Hermeskeil, eine kleine Stadt im Hochwald, die Bühne für die Weltpremiere des Rockmusicals „Serpentina“. Schuld daran ist der Hermeskeiler Autor und Musiker Matthias Leo Webel, der die Texte und Songs des Musicals geschrieben hat und das Projekt nun mit Sängern, Schauspielern und Tänzern aus der Region verwirklicht hat.
„Serpentina“ basiert auf der fantastischen Erzählung „Der goldenen Topf“ von E.T.A. Hoffmann und erzählt die Geschichte des jungen Studenten und Künstlers Anselmus, der unter den Einfluss geheimnisvoller Wesen gerät und sich infolgedessen zunehmend zwischen Poesie und Wahnsinn bewegt. Auch für die Zuschauer verschwimmen im Laufe der Geschichte immer wieder die Grenzen zwischen Realität und Fantasie. Das beginnt schon mit dem Intro, in dem das Ensemble tanzend märchenhafte Geschehnisse rund um einen goldenen Topf darstellt, während Anselmus schlafend im Vordergrund liegt.
Das Bühnenbild wird von einer Treppe im Hintergrund dominiert, verdeckt von einer grünen Wand, bemalt mit zur Geschichte passendenden Illustrationen von Sarah Thomsen. Mit einfachen Requisiten wird diese Grundszenerie in die verschiedenen Schauplätze verwandelt. Eine tolle Lichttechnik sorgt zusätzlich für Atmosphäre. Einfach aber effektvoll auch die Kostüme der Ensemblemitglieder, die sich mit wenigen Accessoires mal in Festbesucher, mal in phantastische Wesen aus Atlantis verwandeln und mit Tanzeinlagen für die richtige Musicalstimmung sorgen.
Getragen wird „Serpentina“ aber hauptsächlich von seinen starken Hauptdarstellern, die sowohl schauspielerisch als auch gesanglich überzeugen, allen voran Philipp Groetzner als Anselmus. Großartig auch Manuel Lothschütz als Archivarius Lindhorst, der Anselmus zur Vertonung seiner Werke anstellt und in dessen Schlangentochter Serpentina – unschuldig und verführerisch zugleich verkörpert von Selina Dohr – sich der junge Student unsterblich verliebt. Nicole Kirch spielt die alte Runkel-Lise, die Anselmus am Anfang der Geschichte mit einem Fluch belegt und sich als Gegenspielerin zu Lindhorst herausstellt, und punktet mit ihrem unglaublich rockigen Gesang und einer beeindruckenden Performance.
Auch die Vertreter der äußerst bürgerlichen Realität sind gut besetzt: Michael Schmittberger mimt den Konrektor Paulmann, der Anselmus die Anstellung bei Lindhorst verschafft, um ihn auf die rechte Bahn zu bringen. Unterstützt wird er dabei von Herrbrand (Gunter Berthold), der es aber eigentlich nur auf Paulmanns schöne Tochter Veronika (Kimberley Schummer) abgesehen hat. Diese wiederum ist in Anselmus verliebt und lässt sich auf die Magie der Runkel-Lise ein, um ihn für sich zu gewinnen. Und schließlich ist da noch Lisa Vandrey als Dienstmädchen Angelika, die Veronika zur Seite steht und zwischendurch die bürgerliche Idylle ironisch kommentiert.
Musikalisch wird Rockmusik unterschiedlichster Art geboten, passend zu den verschiedene Charakteren. Anselmus‘ Soli sind kraftvoll und mitreißend, in den Szenen mit Serpentina dominieren dagegen sehnsüchtige Balladen. Bei Lindhorsts Auftritten wird es leicht psychedelisch, bei der Runkel-Lise düster und hart. Wenn die feine Gesellschaft feiert, oder Veronika sich die perfekte Ehe erträumt, werden selbst Schlager-Motive zitiert. Im Finale vermischen sich dann noch einmal Poesie, Wahnsinn und Realität und die verschiedenen musikalischen Motive werden erneut aufgegriffen. Am Ende bleibt es dem Zuschauer überlassen, den Ausgang der Geschichte für sich zu interpretieren.
Mit „Serpentina“ haben Webel und sein Team ein ungewöhnliches, sehr komplexes, aber faszinierendes Musical geschaffen und präsentieren es für ein Laien-Ensemble auf recht professionellem Niveau. Wer das Stück selbst erleben will, hat heute – am 22. April 2018 – um 20 Uhr in der Hochwaldhalle Hermeskeil noch einmal die Möglichkeit dazu.