„Let Go“ – Nada Surf feiern sich selbst im Bürgerhaus Stollwerck
Nachdem er in den Tagen zuvor ordentlich durchgestartet ist, gönnt sich der Frühling heute eine Verschnaufpause. Nada Surf sind zu Gast im Bürgerhaus Stollwerck und über Köln regnet es Bindfäden. Noch dazu legt der Streik im Öffentlichen Dienst den Bahnverkehr in der Domstadt komplett lahm. Dabei gibt es ein besonderes Jubiläum zu feiern. Am 17. September 2002 erschien mit „Let Go“ das dritte Album des Quartetts aus New York, welches der Karriere der Band nach der unangenehmen Trennung von ihrem ursprünglichen Label Elektra Records neuen Schwung verlieh. Die Kollegen von MOJO schrieben damals: „Eines der 50 besten Alben des Jahres 2002. 12 textlich durchdachte Songs über alles verzehrende Liebe im Ungleichgewicht, voller großer Melodien und genug Staunen über die Welt, um jegliche schlechte Laune immer wieder aufs Neue zu vertreiben.“ Nada Surf zementierten mit „Let Go“ ihren Status als Helden der Indieszene, gerade und vor allem auch in Deutschland. Kein Wunder also, dass 500 Fans dem Regen und Streik trotzen und standesgemäß für ein ausverkauftes Haus sorgen.
Pünktlich um 21 Uhr – erfreulicherweise ohne Vorgruppe – betreten Matthew Caws, Daniel Lorca, Doug Gillard und Ira Elliot unter großem Applaus die Bühne. Die erste Stunde ihres Konzertes ist ausschließlich den 12 Stücken von „Let Go“ gewidmet. Später im Set spielen sie mit dem ruhigen „Neither Heaven Nor Space“ noch einen weiteren Song des Albums, der vor 15 Jahren zu den Bonus-Tracks auf der europäischen Version von „Let Go“ gehörte. Es ist als würde man alte Klassenkameraden wiedersehen und erstmal vorsichtig „Was machst du denn so?“ fragen. So verwandelt sich die anfangs noch respektvoll-zurückhaltende Stimmung nach und nach in ein ausgelassenes Hüpfen und Tanzen. Bei „Là pour ça“ übernimmt Bassist Daniel Lorca kurzzeitig den Gesangspart. Das melancholische „Paper Boats“ sorgt schließlich für den emotionalen Abschluss der „Let Go“-Festspiele und die Band verabschiedet sich in eine umjubelte zwanzigminütige Pause. Regen und Streik sind längst vergessen. Hier spricht die Musik. Eine sparsame Lightshow und ein paar silberne Halbschalen mit blitzenden Leuchtdioden im Bühnenhintergrund lassen die Atmosphäre fast schon familiär erscheinen.
Nach der Pause geht es mit „Imaginary Friends“ weiter und der Song könnte vom Titel her sinnbildlich für alle Songs von Nada Surf stehen. Nicht nur die Stücke von „Let Go“, sondern auch alle, die danach kommen, fühlen sich an wie Freunde, die man teilweise ewig nicht gesehen hat. Das gilt besonders für den Über-Hit „Popular“ oder „Stalemate“ von ihrem ersten Album „High/Low“. „Stalemate“ schlägt nebenbei noch die Kurve zum Joy Division-Klassiker „Love Will Tear Us Apart“. An die Songs des aktuellen Longplayers „You Know Who You Are“ muss man sich hingegen live noch etwas gewöhnen, aber davon finden sich mit „Cold To See Clear“ und „Out Of The Dark“ auch nur zwei Abgesandte im Set. Meinen persönlichen Lieblings-Mitsingsong „Amateur“ sparen sich Nada Surf fast bis zum Ende des zweiten Teils auf. Dafür widmet Matthew Caws „The Fox“ allen ehrlichen Journalisten dieser Welt und ich bin wieder versöhnt.
Die letztendliche Zugabe besteht dann noch aus dem bereits erwähnten „Popular“, „Always Love“ und dem rotzigen „Blankest Year“, zu dem die Fans im Bürgerhaus Stollwerck nochmal alles geben. Es wird hemmungslos getanzt und gegröhlt („Fuckin‘“!), bevor nach 2 Stunden und 45 Minuten (!!!) der nicht vorhandene Vorhang fällt. Als das Licht angeht schaut man rings um sich herum in viele erschöpfte aber glückliche Gesichter. Nicht wenige von ihnen haben vor 15 Jahren von der Existenz dieser Band, die ihnen gerade einen schweißtreibenden Abend beschert hat, noch nichts gewusst und stattdessen lieber CDs von den „Drei Fragezeichen“ gehört. Was wiederum dafür spricht, dass Nada Surf und insbesondere „Let Go“ bis heute zeitlos geblieben sind. Wenn es dafür noch eines Beweises bedurfte, dann wurde er im Bürgerhaus Stollwerck erbracht. Auf die nächsten 15 Jahre!