L.I.T.A.N.I.E.S. – Nick Cave und seine Kammeroper aus Nachtträumen

Nick Cave ist auch im Lockdown nicht zu stoppen – oder gerade dann nicht. Während wir kürzlich sein Streaming-Event „Alone at Alexandra Palace“ als durchaus kontrovers diskutierte live-CD besprochen haben, ist er jetzt schon wieder mit einem äußerst anspruchsvollen Werk am Start. Hier als Librettist in seinem zweiten Opernprojekt mit dem belgischen Komponisten Nicholas Lens.

Nach ihrem gemeinsamen Projekt „Shell Shock“ aus dem Jahr 2014 taten sich Lens und Cave während des Lockdowns zusammen für das neue Werk „L.I.T.A.N.I.E.S.“ Cave schrieb zwölf Litaneien – „Bittgebete an einen göttlichen Schöpfer“ –, die der Komponist Lens nach eigenen Worten in eine „bescheidene Kammeroper aus Nachtträumen“ verwob.

Dabei sind 12 Stücke entstanden, die klassisch wie gleichsam modern und zeitlos sind. Sie werden von herausragenden Sänger*innen wie Clara-Lane Lens und Nicholas L. Noorenbergh vorgetragen und tragen die magische Atmosphäre einer einsamen Großstadt in der Stille des Lockdowns in sich. Lens begann, seine Heimatstadt Brüssel mit dem Fahrrad zu erkunden, sah ungewohnt leere Straßen, genoss die saubere Luft, merkte auf ob der überraschenden Ruhe und erinnerte sich schließlich an einen völlig anderen Ort: an Yamanouchi, Kamakura, eine grüne Hügellandschaft in der japanischen Kanagawa-Präfektur, wo die ältesten und ehrwürdigsten Rinzai-Zen-Tempel der Welt stehen.

„Die Idee zu L.I.T.A.N.I.E.S war tatsächlich damals dort entstanden – in der natürlichen Stille, die aus dem verregneten, leuchtend grünen Wald aufsteigt, der diese Tempel aus dem 13. Jahrhundert umgibt“, sagt Lens. „Und da mein Gedächtnis in musikalischen Phrasen arbeitet, war die Komposition von L.I.T.A.N.I.E.S meine Art, mich auch an den Frieden zu erinnern, den ich bei meinem Besuch in Japan gefunden hatte.“

Nick Cave, den Lens als Texter im Sinn hatte, musste nicht lange überredet werden: „Ich sagte sofort zu, schlug nach dem Gespräch als Erstes nach, was eine Litanei ist – eine Abfolge von religiösen Bittgebeten – und erkannte, dass ich zeit meines Lebens nichts anderes geschrieben habe.“

Die elf Instrumentalisten nahmen ihre Parts einzeln in Lens’ Haus auf, um den Pandemievorschriften zu genügen. Das Ziel ihrer Arbeit ist dennoch deutlich spürbar. Obwohl jedes musikalische Gebet für sich steht, sind sie im gemeinsamen Konzept verwoben.

Das Ergebnis ist eine ungewöhnliche Oper im modernen Sinn, die nichts mit Pathos und epischem Gehabe gemein hat. Stattdessen sind zwölf musikalische Kunstwerke entstanden – im Zusammenspiel des Kammerorchesters mit erzählenden und flehenden Stimmen. Es sind bewegende Bittgesänge in seltsamen Zeiten.