ROCK AM RING 2024 – Tag 2 mit Electric Callboy, Billy Talent, Green Day
Der Samstag startete mit zwei starken Frontfrauen auf der Hauptbühne und einem bekannten Schauspieler auf der Mandora Stage. Den Opener machten Against The Current mit der wundervollen Chrissy Constanza an den Vocals. Die Band ist unter anderem für ihre Kooperationen im Gaming-Bereich bekannt, so wurde natürlich auch „Legends Never Die“ gespielt, was sie für das Spiel „League of Legends“ geschrieben haben. Alles in allem war die Performance durchaus emotional und Chrissy zeigte, dass sie trotz zarter Figur eine äußerst starke Stimme hat. Ob viele ihrer YouTube-Fans im Publikum waren? Egal. Der Circle Pit funktionierte auch ohne detaillierte Kenntnis der Songtexte. Muss man sich merken.
Ebenso wie The Interrupters aus Los Angels mit Aimee Allen am Gesang. Ska-Punk steht auf der Schublade, aber damit wäre zu kurz gegriffen. Es gab ein rockiges Set ohne Genre-Grenzen und Aimee war großartig im Zusammenspiel mit der Band. Das Billie Eilish-Cover „Bad Guy“ hatte sich in die Setlist geschlichen – und gerade zum Schluss gab es dann doch etwas Ska. „What’s your plan for tomorrow?“ fragte die Sängerin und gab die Antwort im Song: „Take Back The Power“.
Schauspieler in Musikgruppen haben wir ja schon öfter erlebt. Man denke an Jack Black bei den legendären Tenacious D oder an Johnny Depp, der gemeinsam mit Alice Cooper und Joe Perry als Hollywood Vampires die Bühnen unsicher macht. Jetzt war es der Star aus „Matrix“ und „John Wick“, der sich als Bassist von Dogstar die Ehre gab: Keanu Reeves mit lausbubenhaftem Grinsen als Teil einer soliden Rockband. Kein Wunder, dass viele Zuschauer*innen – so auch ich – zur Mandora Stage strömten, obwohl die Donots auf der Hauptbühne waren. Deren Gig wurde ebenfalls enthusiastisch umjubelt, aber die Dopplung war zu verkraften, hatte ich Ingo & Co. in letzter Zeit doch inflationär oft (und häufig am Ring) gesehen.
Dogstar boten soliden Rock und sanfte Klänge ohne Ecken und Kanten, vergleichbar mit Bryan Adams oder Bon Jovi. Keanu Reeves spielte sich keineswegs in den Vordergrund. Er war Teil der Band, ganz dezent neben Frontmann Bret Domrose, und wirkte fast schon schüchtern, wenn die Kamera ihn in Großaufnahme zeugte.
Von Royal Republic war gerade erst am Vortag das neue Album „LoveCop“ erschienen. Die Band aus dem schwedischen Malmö zog zu einem majestätischen Intro ein – standesgemäß. Und schon ging sie los, die Hard-Rock’n’Roll-Show. Dafür sind diese Haudegen in Nieten und Leder bekannt. Es machte große Freude, wie Adam Grahn und Hannes Irengård spitzbübig ins Publikum grinsten. Spielfreude und Feierlaune übertrugen sich schnell aufs Publikum, das nicht nur beim eingestreuten „Blitzkrieg Bop“ ausrastete. Immerhin waren da echte Spaßvögel auf der Bühne, die sich für Songs wie „Full Steam Spacemachine“, „Fireman & Dancer“ sowie „RATA-TATA“ verausgabten.
Verausgabung war aber auch das Stichwort für Electric Callboy. Was für ein grandioser Gig auf der Hauptbühne, der den Fans alles abverlangte. Die Donots hatten den Boden bereitet und Electric Callboy um Fronter Nico Sallach nahmen den Ball auf. Die Sause startete mit „Tekkno Train“ und dann ging es über „Spaceman“ hin zum Hit „Everytime We Touch“, den man der schottischen Songwriterin Maggie Reilly und dem Dance-Project Cascada verdankt. Mit Elektronik und Growls wurde der Song aus dem Jahr 1992 zur Mitsing-Hymne und zeigte beeindruckend, wie man Metal und Dancefloor zusammenbringen kann.
Nach einem Geburtstagsgruß für einen achtjährigen Fan aus der ersten Reihe gab es mit „Castrop x Spandau“ unter viel Pyrotechnik auch einen deutschsprachigen Song. Electric Callboy zogen alle Register, mischten Metal mit Disco und fuhren unterschiedlichste Arten von Konfetti auf. Bei „I’m gonna share my love with everyone“ zu „Arrow of Love“ überzog man das komplette Infield mit kleinen roten Herzen. Als Gegenleistung stieg die Fülle an Circle Pits über die ganze Fläche mit jedem weiteren Song. Mit „Döp Döp Döp“-Rufen ging es zu „Hypa Hypa“ und plötzlich standen Babymetal mit auf der Bühne, um den gemeinsamen Hit „RATATATA“ zu zelebrieren.
Jetzt war es Zeit für ruhigere Klänge, aber das an einem skurrilen Piano in Penis-Form. Zur Freude des Kleinvolks wurde erst „Let It Go“ aus „Frozen“ angespielt – und dann sangen alle Fans stimmgewaltig „I Want It That Way“ und machten den Backstreet Boys alle Ehre. Wunderschöne Momente am Ring! Jetzt war der Weg zum Schlager nicht mehr weit: auch „Hurrikan“, der Callboy-Hit im Schlagerbeat, funktionierte hervorragend und brachte die Menge zum Paartanzen, bevor das Crowdsurfen wieder losging. So viele Surfer in allen Zonen sollte der Ring in diesem Jahr nicht mehr erleben.
Nach der Elektronik-Einlage „Mc Thunder“ ging ihr Auftritt mit „Pump It“, „Mindreader“ und „We Got the Moves“ zu Ende. Diese Band muss man einfach live erlebt haben, zumal sie mit jedem Zuschauer besser wird. Pflicht für einen Headliner-Slot in den nächsten Jahren!
Billy Talent waren bereits zum fünften Mal im Line-up und brachten ihre Show dementsprechend souverän unter die Leute. Von „Devil in a Midnight Mass“ bis „Fallen Leaves“ gab es eine vielfältige Setlist, die ich mir aber nur in Teilen anschauen konnte, da ich natürlich dem Versprechen an Electric Callboy folgen musste, den Gig ihrer Freundinnen Babymetal auf der Mandora Stage zu besuchen.
Bei Babymetal gab es die übliche Tanz-Choreo zu Metalsound, gepaart mit mal piepsigen, mal hysterischen Stimmchen. Die Japanerinnen sind eine Bank und werden von Jahr zu Jahr bekannter. Mit ihrer quirligen Performance haben sie sich den Headliner-Slot auf der Mandora Stage redlich verdient. Und wieder wurde der Song „RATATATA“ interpretiert, da Electric Callboy natürlich zum Gegenbesuch erschienen sind.
Green Day mussten gar nicht auf der Bühne erscheinen, um die Masse aufzuwecken. Als Intro vom Band gab es „Bohemian Rhapsody“ und gefühlt 90.000 Menschen sangen komplett und fehlerfrei vom ersten bis zum letzten Ton mit. Gänsehaut? Aber hallo! Danach zum zweiten Mal heute der „Blitzkrieg Bop“ von den Ramones mit dem kultigen Drunken Bunny auf der Bühne, der die Tanzvorlage für alle Anwesenden lieferte.
Green Day hatten doppelten Grund zum Feiern. Ihr Durchbruchsalbum „Dookie“ wird in diesem Jahr 30 Jahre alt und die erste weltweite Nummer 1 „American Idiot“ wird 20 – perfektes Timing und Grund genug, beide Werke fast komplett zu spielen. Spätestens bei „Longview“ und „Basket Case“ wurde allen klar, warum das so sein musste. Songs für die Ewigkeit.
Trotzdem musste ich kurz bei Marsimoto vorbei schauen, dem alter ego von Marteria, der kurzfristig für Bad Omens eingesprungen war. Kein adäquater Ersatz für eine der angesagtesten Metalbands der Gegenwart. Schließlich sollten die Rapper doch in diesem Jahr möglichst zuhause bleiben. Die Atmosphäre färbte sich grün und der Protagonist erschien wie E.T. mit Maske in der Nebelwand. Ganz konsequent war zwar nicht so viel los, aber egal. Marsimoto zelebrierte vor allem sich selbst in einer Mischung aus Rap und Elektronik mit wenigen Reggae-Klängen. Bezeichnend war seine Hommage an „Eine kleine Bühne“, die dann doch sehr passend schien.
Auf der Utopia Stage waren Green Day langsam aber sicher bei „American Idiot“ angelangt und die Show nahm nochmal Fahrt auf, als das kultige Cover mit der herzförmigen Handgranate in riesiger Form als Symbol für die nächste Stunde aufgeblasen wurde. Die Feierstunde für die Fans ging vom Titelsong über „Boulevard of Broken Dreams“ bis hin zum Smasher „Wake Me Up When September Ends“. Insgesamt eine grandiose Show, die gut über zwei Stunden dauerte und das Publikum begeistert hat.
Da konnten die Broilers trotz vieler Gäste nicht mehr ganz mithalten. Die Masse des Pubklikums machte sich bereits auf den Heimweg. Es war einfach zu spät und der Gig startete auch noch mit einer Viertelstunde Delay um 1 Uhr.
Die Punker aus Düsseldorf sind langsam aber sicher im Mainstream angekommen, hat doch Sänger Sammy Amara momentan TV-Präsenz in der Primetime, da er bei „Sing meinen Song“ zu Gast ist. Als Hommage an das Format gab es gleich zwei Songs, bei denen die Kolleg*innen für ein Duett bereit standen. Eva Briegel von Juli erschien für „Fette wilde Jahre“ auf der Bühne und Eko Fresh bereicherte „Die beste aller Zeiten“. Das waren nicht die einzigen Features, denn auch Danger Dan von der Antilopen Gang fand sich zu „Alice und Sarah“ ein.
Eine familiäre Zusammenstellung an Künstlerkolleg*innen, doch eine andere Familie stand heute trotzdem im Vordergrund: die Ring-Familie. Seit über dreißig Jahren stehen die Broilers inzwischen auf der Bühne und wo feiert man das? Natürlich bei und mit der Familie – so sagte Sammy „Meine Familie“ an. Sympathisch wie immer performte er durch die Nacht, die von Bengalos und Feuerwerk erleuchtet wurde.
Ein würdiger Abschluss für den Samstag. Morgen geht’s weiter mit H-Blockx, Madsen, Kraftklub, Machine Head, Måneskin, Corey Taylor und Parkway Drive. Die Sause 2024 ist noch lange nicht vorbei. Rock on!
Alle Fotos auf dieser Seite von Rainer Keuenhof.