Eugen und Roger – Leben für die Bühne
Der Tod von Roger Cicero kam völlig unerwartet. Einen Tag nach seinem letzten Live-Auftritt im Bayerischen Fernsehen traten plötzlich akute neurologische Symptome infolge eines Hirninfarktes auf. Im Krankenhaus verschlechterte sich sein Zustand rapide. Der 45jährige verstarb am Abend des 24. März 2016 im Kreise seiner Lieben ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Sehr plötzlich hat er die Musikbühne verlassen.
Schnell taten sich Parallelen zu seinem Vater Eugen Cicero auf, der im Alter von 57 Jahren ebenfalls sehr früh verstarb. Eugen war ein bekannter rumänischer Pianist, der während einer Konzerttournee 1960 mittels eines Visums von Ost-Berlin nach West-Berlin wechselte und nicht mehr zurückkehrte. Während viele seiner Kollegen nach Nordamerika gingen, blieb Eugen Cicero in Westdeutschland und spielte fünf Jahre später die Platte „Rokoko-Jazz“ ein, die sich weltweit über eine Million mal verkaufte. Er spielte beim RIAS Tanzorchester und bei der SFB Big Band.
1970 wurde Roger geboren. Der Vater erlebte noch mit, dass sein Sohn ebenfalls zum Jazz ging und von 1991 bis 1996 Gesang studierte, doch die erfolgreiche Karriere des Sohnes, der sich zu einem der beliebtesten deutschsprachigen Pop- und Jazzsänger der Gegenwart entwickelte, erlebte er nicht mehr mit.
Im berührenden Dokumentarfilm „Cicero – zwei Leben, eine Bühne“, der am 24.3.22 in den Kinos startete, offenbaren Kai Wessel, Katharina Rinderle und Tina Freitag die einzigartige Vater-Sohn-Beziehung zweier Ausnahmetalente. Engste Wegbegleiter und namhafte Zeitzeugen beleuchten zwei Genies, die es immer wieder auf die Bühne zurücktrieb. Außergewöhnliche Konzertmomente lassen die schmerzliche Lücke, die ihr früher Tod hinterließ, umso deutlicher werden. Der Film ist eine emotionale Hommage an zwei strahlende Persönlichkeiten voller Widersprüche, Humor und Inspiration – so frei und überraschend wie ihre Musik.
Während Eugen in den 60er Jahren als Klaviervirtuose Berühmtheit erlangte und mit Starsängerinnen wie Ella Fitzgerald oder Shirley Bassey auftrat, füllte Roger Jahre später als einer der begnadetsten Sänger Deutschlands riesige Konzerthallen. Ihre Lebensgeschichten sind untrennbar miteinander verwoben und weisen faszinierende Parallelen auf – Genialität gepaart mit einer beispiellosen Leidenschaft, das Überwinden von Grenzen, der Balanceakt zwischen kommerziellem Erfolg und künstlerischer Integrität und schlussendlich der tragische Ausgang, der die Musikwelt bis heute erschüttert.
Leider habe ich den Film noch nicht gesehen, aber der Soundtrack ist bereits ein hervorragender Einstieg. Erstmals sind Werke beider Künstler auf einem Album vereint und man mag sich vorstellen, wie beide zusammen gewirkt hätten. Die Zusammenstellung der Songs wirkt wie eine musikalische Einheit, die es so leider nie gegeben hat.
Roger ist mit einigen ungewöhnlichen Interpretationen bekannter Popklassiker im Swing-Format vertreten. „Kiss“ (Prince), „No Moon At All“ (Redd Evans) und „I Cannot See“ (Julia Hülsmann Trio) zeigen eindrucksvoll die stimmlichen Fähigkeiten des Sängers. Liveversionen von „Have A Talk With God“, „From The Morning“ und dem wundervollen „Just The Way You Are“ beweisen Rogers Talent, jedes Stück mit verjazzten Improvisationen zu seinem eigenen zu machen.
Und dieses Talent hatte auch der Vater. Wie wundervoll vermischt Eugen die Pianoversion von „Easy“ mit Mozarts „Alla Turca“ sowie weiteren klassischen Versatzstücken von Claude Debussy und anderen Komponisten. Allein dieses Klavierstück zeigt ein enormes Talent, frei zu improvisieren und doch immer wieder in gespielter Leichtigkeit zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Das Publikum dankt es mit enthusiastischem Zwischen- und Endapplaus. Weitere Tracks liefern verswingte Versionen von Frederic Chopins „Prelude E-Minor“ und Johann Sebastian Bachs „Badinerie“. Wenn man das hört, wird klar, woher Roger sein Talent hatte. Mit solchen musikalischen Wundern aufzuwachsen, muss einfach prägend sein.
Auch Rogers deutschsprachige, eigen Stücke werden nicht vergessen. Der Hit „Zieh die Schuh aus“ erinnert ebenso an die beliebten Pop- und Swing-Alben wie der Livesong „Ich hätt‘ so gern noch Tschüss gesagt“, dessen berührende Worte man sowohl als Abschied Rogers an seine Fans als auch an den verstorbenen Vater verstehen kann.
Rogers Musikschaffen ist nahezu die Fortsetzung des Weges, den sein Vater beschritten hat. Es scheint, als wäre er gerade in der Zeit vor seinem Tod dort angekommen, wo er immer hinwollte. Von dort wollte er weitermachen, vieles hatte er noch vor sich. In seinem letzten Interview sagte er, „dass für ihn alle Türen offen stehen und er sich nur entscheiden müsse, durch welche er geht.“ Diese Worte lassen das Ausmaß der Tragik erkennen, denn genau dazu sollte es nicht mehr kommen. Diese beiden Lebenswege – ihre Wirkung, ihre Intensität, ihr Nachhallen und musikalische Einmaligkeit – konnten nur gemeinsam für die Leinwand erzählt werden. Und der Soundtrack bringt zusammen, was zusammen gehört.