Rockaway Beach 2018 – das Punkfestival in Losheim am See – Konzertbericht
Im Jahr 2017 fand das „Rockaway Beach“ in Losheim am See zum ersten Mal statt. Damals konnte ich aus urlaubstechnischen Gründen nicht dabei sein – aber im zweiten Anlauf sollte es nun klappen. Braucht die Welt ein weiteres Indiepop-Punk-Festival? Auf jeden Fall, kann man nach diesem Event nur sagen. Klar, es hätten mehr Zuschauer da sein können. Schließlich fasst das Strandbad am schönen Losheimer See (wenn es ganz dicke kommt) 15.000 Zuschauer. Jetzt war das Ganze doch recht überschaubar mit geschätzten 2.000 Leuten. Doch was soll’s? Die Infrastruktur war ohnehin vorhanden, da tags drauf das Elektronik-Festival „Lucky Lake“ stattfand. Und so konnte man sich gemütlich zwischen zwei Bühnen bewegen, die tolle Atmosphäre am See genießen – und ich stelle mir vor, wie die weiter angereisten Fans dann in der Nacht auf dem Campingplatz das Lagerfeuer mit den Elektronik-Enthusiasten teilten. Das spricht doch für unbezahlbare Erlebnisse.
Das Line-up des Festivals war wieder hervorragend. Doch dazu später mehr. Einmal angekommen, freute ich mich zunächst über fehlende Parkplatzprobleme (der Seeparkplatz bietet massig Platz) und ein schönes Ambiente mit vielen Getränke-, Essens-, Süßigkeiten- und Merchandise-Ständen. Bei meiner Ankunft um 17.45 Uhr war das Festival schon seit drei Stunden dran und ich musste mir den Weg zur Second Stage suchen, auf der Fortuna Ehrenfeld ihre extravagante Indie-Show abzogen. Da fühlte man sich doch wie im Kölner Büdchen, wenn Martin Bechler die Zuhörer in blauem Altherren-Pyjama mit gelber Federboa begrüßte. Es gab einfache, sparsam instrumentierte Melodien mit ziemlich abgedrehten Texten und Ansagen. Hat Spaß gemacht.
Großes Plus des Festivals sind die zwei Bühnen, die einen Nonstop-Musikgenuss versprechen. Also schnell zur Main Stage, wo Gurr gerade ihren Soundcheck beendet hatten und auch direkt mit ihrer Mischung aus Punk und Deutschrock losfetzten. Andreya Casablanca und Laura Lee boten eine hervorragende, aber durchaus launische Show. Vor allem die Ansagen zeugten davon, dass sie sich mehr Engagement vom Publikum wünschten, das aber in den frühen Abendstunden noch nicht zur Ekstase bereit war. Egal. Sie spielten ihren Set überaus lässig runter und boten ein kurzweiliges Vergnügen.
Dann ging es zu den sphärischen Keyboardklängen von Belgrad. Das Quartett bot einen sehr elektronischen Sound mit nachdenklichen und überaus intensiven Texten. Der Sänger wirkte oft sehr vernuschelt und in sich gekehrt, hatte aber auch heiser raus gebrüllte Passagen im Postpunk-Stil zu bieten. Die Musik war nicht einfach zu konsumieren, aber durchaus ein Ohr wert.
Dann enterten FJØRT die Mainstage mit lauten, verzerrten Soundcollagen. Die Band aus Aachen wird gerne mal dem Post-Hardcore zugeordnet und so gab es oftmals hysterischen, zum teil recht energisch heraus gebrüllten Gesang. Einen glatten Sound suchte man hier vergebens. Stattdessen hörte ich emotionale Songs mit intelligenten Texten. Die vielfältigen Aussagen gegen Rechts weckten auch das Publikum auf, das jubelnd zustimmte.
Der Niederländer Tim Vantol war aus Amsterdam angereist, um im Alleingang die Second Stage für sich einzunehmen. Gegen ca. 20.30 Uhr fand er hier ein dankbares Publikum, um die Abenddämmerung einzuläuten. Es gab schnelles Gitarrenspiel und einen netten Akzent bei den Ansagen. Tim lobte dieses „Losheim am Teich“ und schaffte es, sein Publikum mit minimalen Mitteln zu begeistern. Die Tempowechsel von Akustikballaden bis hin zum Punkkracher waren schon beeindruckend.
Auf der Mainstage wartete mit Adam Angst die große Überraschung des Abends auf mich. Was für eine knallharte Performance der deutschen Punkrock-Band! Sänger Felix Schönfuss verfügt über eine geniale Stimme und eine fantastische Bühnenpräsenz. Dazu gab es deutliche Worte und verzerrte Gitarren. Der erste Headliner-Slot auf der abendlichen Mainstage war genau richtig für das Quintett. In einer grellen und hektischen Lightshow konnten wir einen Sänger bewundern, der ständig in Bewegung war und dessen Musiker die Texte häufig mit einer witzigen Schauspiel-Performance begleiteten. Das half beim Verorten der Texte, wenn man in „Wunderbar“ die Spaßgesellschaft aufs Korn nahm: „Wir glauben nicht mehr an Minister / Wir glauben lang‘ nicht mehr an Gott / Wir glauben an Helene Fischer / Und wir feiern uns kaputt.“
Beim Agieren gegen Rechts darf es auch keine Klischees geben: „Es wird uns nie peinlich sein, uns auch im Umfeld, wo alle unserer Meinung sind, gegen rechte Gewalt auszusprechen.“ Passend dazu gab es den Song von den selbsternannten „Professoren“, die abends lamentierend in der Imbissbude stehen und zu wissen glauben, wie die Ausländer unser Land verändern. Ein ebenso nachdenklicher Song wie der neue Titel „Alexa“ vom kommenden zweiten Album „Neintology“ (VÖ: 28.9.2018), der sich mit den Unbillen der selbst verordneten Überwachung durch die neuen Medien beschäftigt. Sehr schön, dass Adam Angst fast eine Stunde Raum bekamen – ein perfektes Konzert für diesen Zeitpunkt.
Nahtlos übernahmen The Baboon Show aus Schweden. Die Stockholmer Band mit der aufreizenden Frontfrau Cecilia Boström. Sie ist die perfekte Shouterin für energiegeladene Songs. Ihr Punk mit Rock’n’Roll-Attitüde ließ mich oftmals an Jennifer Rostock denken. So würde Jennifer Weist wohl klingen, wenn sie denn in englischer Sprache sänge. Dazu war Cecilia ständig in Bewegung und verdrehte vor allem den Männern im Publikum den Kopf, die sich zu fortwährenden Crowd-Surf-Attacken hinreißen ließen, um ihr näher zu kommen. Abgefahren, was sie da mit ihren teil aggressiven, teils melodiösen Songs leistete. Ein echtes Party-Highlight, bevor es dann mit dem Headliner etwas gediegener zugehen sollte.
Pünktlich um 22.40 Uhr enterten Kettcar die Mainstage. Und es war mir ein Genuss, diese Band zum ersten Mal live erleben zu dürfen. Fünf LCD-Wände nahmen das Publikum mit auf eine Videoreise durch Hamburgs Straßen, während Marcus Wiebusch mit warmer, sonorer Stimme „Trostbrücke Süd“ anstimmte. Ein atmosphärischer Song über die Verlorenen im Frühbus, der in einem skurillen Moment an der Endstation gipfelt, wenn alle verbliebenen Fahrgäste auf ihre Sitze steigen und dem Busfahrer skandieren: „Wenn du das Radio ausmachst, wird die Scheißmusik auch nicht besser“. Wie geil ist das denn? Und wie perfekt wirkt dieser Song in nächtlicher Konzertkulisse?
Das neue Album „Ich vs. wir“ stand deutlich im Mittelpunkt des Konzerts, doch auch die Klassiker kamen nicht zu kurz. „Graceland“ wurde angekündigt als „Song vom würdevollen Älterwerden“ – und das ist es auch, was Kettcar nach fünfjähriger Schaffenspause gerade tun: Aus der lauten Rockband ist eine nachdenkliche Truppe geworden, die mit ihrem Politpunk (so bezeichnet es Wiebusch gern selbst auf den Konzerten) immer noch wichtige Geschichten erzählt, den Fokus aber mehr aufs Erzählen als aufs eingängige Abfeiern legt. So kam dann auch die wichtige Erzählung „Sommer ’89“ recht früh im Set, in die Wiebusch soviel Text gelegt hat, dass er ihn gar nicht mehr singen kann, sondern in Form eines musikalischen Hörspiels (inklusive Video im Hintergrund) interpretiert und mit den Worten beschließt: „Helfen durch Zäune ist ein zutiefst menschlicher Akt.“
Dann mit „Wagenburg“ quasi der Song zum Albumtitel, vom Egoismus der sogenannten besorgten Bürger und Wir-sind-das-Volk-Brüller: „Wo Egoschweine erst alleine / Und dann zusammen, nur an sich denkend / Sich zu einem Wir verlieren“. Damit gab es genug zum Nachdenken und Kettcar ließen einen drei Songs umfassenden Emo-Block mit Liebesliedern folgen. Nicht alle mit gutem Ausgang, wie der Wochenend-Beziehungssong „48 Stunden“ zeigte, aber dann auch gemütlich und fröhlich wie im Klassiker „Balu“.
Zum Glück war der Auftritt nicht zu ernst. Großen Anteil daran hatte Bassist Reimer Bustorff, der schon beim nachmittäglichen T-Shirt-Verkauf am Merchandise fröhlich sein Bier schwenkte und jetzt zu fortgeschrittener Stunde sehr selig wirkte, wenn er vom Telefonat mit seiner Mutter erzählte, die anscheinend das „Rockaway Beach“ nicht als geeigneten Auftrittsort für Kettcar ansah, oder vom Besuch eines Eagle-Eye-Cherry-Konzerts in Hamburg vor vielen Jahren, als ein Zuschauer beim Warten auf das One-Hit-Wonder „Save Tonight“ irgendwann brüllte: „Jetzt spiel endlich deinen Scheiß-Hit und hau ab“. Man konnte seiner Konklusion nur zustimmen: „Gut, dass wir nie einen Hit hatten.“ Wiebusch nutzte die ausufernde Heiterkeit des Bassisten und überredete Reimer gar zu seiner ersten Crowd-Surf-Erfahrung. Ein Traum, dass wir diesem Ereignis beiwohnen durften.
Die Setlist will ich mal als (aus heutiger Sicht) perfekt bezeichnen. „Benzin und Kartoffelchips“ aber auch „Ankunftshalle“ sind Songs von Meer und Freiheit bzw. der rührenden Heimkehr. Selbst Wiebuschs formidabler Solosong „Der Tag wird kommen“ über einen homosexuellen Fußballstar fand seinen Platz im Set und verursachte mir Gänsehaut – wie immer, wenn ich das dazu gehörige Video sehe, das auch hier im Hintergrund ablief. Zu „Deiche“ kam punkt Mitternacht nochmal Feierstimmung auf. Dann verabschiedete sich die Band erstmals von der Bühne.
Die 2018er Tour hatte im Saarland (Garage Saarbrücken) begonnen und sollte mit diesem Spät-Festival-Auftritt auch enden. Als letztes folgte das umjubelte „Landungsbrücken raus“, das Marcus Wiebusch mit den Worten einläutete: „In Städten mit Häfen haben die Menschen noch Hoffnung“. Nun hat das Strandbad Losheim zwar keinen echten Hafen zu bieten, aber ein wunderschönes Ambiente fürs Ende der Festival-Saison. Kettcar hatten einen fantastischen Auftritt hin gelegt. Hoffentlich machen sie jetzt keine lange Pause, sondern bleiben im Flow. Hoffnung habe ich auch für das „Rockaway Beach Festival“. So schön wie in 2018 soll es gerne auch die nächsten Jahre werden. Das haben sich die Veranstalter von Popp Concerts redlich verdient, die hier neben den antiken Stätten in Trier und dem Bostalsee eine weitere kultige Konzertstätte bespielen. Alle, mit denen ich während und nach der Veranstaltung gesprochen habe, waren jedenfalls begeistert.
Setlist – KETTCAR – 31.8.2018, Strandbad Losheim am See
Trostbrücke Süd
Graceland
Money Left to Burn
Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)
Wagenburg
Rettung
48 Stunden
Balu
Benzin und Kartoffelchips
Auf den billigen Plätzen
Der Tag wird kommen
Ankunftshalle
Im Taxi weinen
Balkon gegenüber
Deiche
Ich danke der Academy
Kein Außen mehr
Landungsbrücken raus