Die Ärzte – Fotos von Rock am Ring 2019
Hier findet ihr unsere Fotos von Die Ärzte bei Rock am Ring 2019.
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Silvester 2006 war ein besonderer Tag für die Ärzte. Die selbsternannte „Beste Band der Welt” veranstaltete am 31.12.2006 ihr erstes Stadionkonzert mit Namen „Ärzte statt Böller” in Köln. Für die Zuschauer dort war es damals ein einmaliges Spektakel, inklusive Feuerwerk, mehrerer Songwünsche und einer großartigen Open-Air Atmosphäre im tiefsten Winter. Siebeneinhalb Jahre später steht uns ein ganzes Festival im Rahmen eines Konzerts der Ärzte (aus Berlin!) bevor. „Ärztival” nennt sich das Ganze und füllt deutschlandweit die Fußballstadien in Hülle und Fülle. Trotzdem kauft man BelaFarinRod ihr sogenanntes „Festival” zumindest in Köln nicht komplett ab. Spielen in anderen Locations auf der Ärztival Tour Bands wie die Donots oder NoFX, muss man sich heute mit eher semi-spannenden Acts begnügen.
Den Anfang machen The Damned aus Großbritanien, die wohl die wenigsten Besucher kennen, sich aber soundtechnisch noch am ehesten dem Genre der Ärzte anpassen. Stimmung will trotzdem keine aufkommen. Das ändert sich auch eher nur bedingt bei Triggerfinger, von denen man immerhin das Lykkie Li Cover „I Follow Rivers” kennt. LaBassBranda können die Stimmung etwas steigern, sodass ein paar Ärztefans die Steherei satt haben und erste Aufwärmübungen in Form von Pogo untereinander betreiben.
Die Minuten der Ruhe nach dem Auftritt der letzten Vorband verrinnen zäh wie Gummi. Als auf einmal das Intro von „Planet Punk” (meiner Meinung eines ihrer besten Alben) ertönt und der Vorhang sich nach und nach entblättert, stehen dort die drei Ü-50er und beginnen ihr Set mit „Wie es geht”. Schon rollt die Ärzte Hitparade! „2000 Mädchen” und „Hurra” folgen kurz danach, bis es zum ersten unterhaltsamen Höhepunkt des Abends kommt: „Oma, haben wir noch Curryking?” Mit den Worten hätten die Ärzte ihren Gast auf der Bühne präsentieren können. Dennis alias Martin Klemnow, bekannt aus der Fernsehserie „Switch”, stellt sich beim Publikum als neuer Praktikant des Trios vor und darf direkt sein pantomimisches Können präsentieren, als er die Choreografie von „Lass redn” performen muss.
Irgendwann hat man aber dann doch genug von der Ärzte Hitparade. Wo bleiben die Überraschungen? Kein „Müngersdorfer Stadion”? Keine Songwünsche? Keine Variationen in Songs wie beispielsweise sonst üblich bei „Rock Rendezvous”? Die Enttäuschung darüber schlägt sich durch und durch in der Setlist nieder. Gerade einmal 4 von den 31 gespielten Songs sind aus der Zeit vor ihrer ersten Auflösung. Darunter ist glücklicherweise „Westerland”, welcher von einem crowdsurfenden Eismann begleitet wird. Ohnehin hat das Konzert einiges an Kuriositäten zu bieten: Da will man sich einmal selbst in die etwas maue Atmosphäre am linken Teil der Bühne einbringen, kreiert eine wunderschöne, ausgereifte Wall of Death, der Song beginnt – und keiner läuft los! Selten hat man einen Konzertreporter so perplex gesehen. Scheißegal, wer nicht will der hat schon, also alleine ins Getümmel, irgendwer wird schon mitlaufen. Und siehe da, ein höchstmotivierter Ü-30er taumelt mir brüllend entgegen. Es kommt einem kurz so vor, als wäre man am Set von irgendeinem historischen Spielfilm, wo gerade der Endkampf zwischen den jeweiligen Helden stattfindet. Der Ü-30er, höchstwahrscheinlich ein frustrierter Versicherungsverkäufer, der einfach momentan keine Kunden davon überzeugen kann, dass Tornardos in Köln keine Seltenheit bald mehr sein werden und, dass man sich unbedingt dagegen versichern müsse, läuft mit einem Affenzahn auf den Reporter zu und will seinen ganzen Frust entfesseln. Beide prallen in die hergekommene Richtung zurück. Unentschieden! Immerhin erhält man Anerkennung von der Bühne. Farin Urlaub bedankt sich artig „bei den beiden Typen, die gerade einen Schaukampf auf Leben und Tod veranstaltet haben.” Keine Ursache, und jetzt spielt bitte den alten Kram!
Doch vergebens. Das Hauptaugenmerk liegt auf den letzten beiden Alben „auch” und „Jazz ist anders”. Richtig Fahrt will da aber eher bei anderen Stücken aufkommen, wie „Schrei nach Liebe” und „Unrockbar”. Was man immerhin noch von alten Konzerten kennt, sind jede Menge Blödeleien. So wird für die neue Ärzte-DVD „Die Nacht der Dämonen” das gesamte Konzert Farin Urlaubs Teetasse gefilmt, sodass man vor dem Fernseher miterleben kann wie oft er während des Konzerts an diesem richtigen Männergetränk nippt. O-Ton: „Das beste Bonusmaterial, was wir je hatten.” Halt mittendrin, statt nur dabei!
Zur Zugabe wird es plötzlich düster. Die Sonne hat sich verzogen und macht Platz für die Nacht. Endlich kommt mal richtig Atmosphäre auf. Bela B. erscheint alleine auf der Bühne, beginnt mit sanften Gitarrenklängen das Publikum mit auf eine Reise zu einem ausgedienten, alten Mann in Transsilvanien mitzunehmen, zum Grafen höchstpersönlich. Das absolute Konzert-Highlight! Die Stimmung toppen kann da nur noch „Zu Spät” in einer ungewohnt kurzen Version, da sind normalerweise 10 Minuten an der Tagesordnung.
Seit heute sollte man den Begriff „Routinierter Klamauk” mit in das Wörterbuch der Deutschen aufnehmen. Ein Widerspruch in sich, die Ärzte können ihn jedoch perfekt ausführen. Die Live-Qualitäten waren wie immer vorhanden, jedoch war gerade die Setlist eine lieblose Aneinanderreihung von Hits ohne große Überraschungen. Nächstes Mal bitte ein wenig mehr Vielfalt, dann klappt es auch bestimmt mal mit einer schönen Wall of Death am linken Bühnenrand.
Echten Ärzte-Fans ist der Medienhype um die Papstwahl ziemlich egal. Für sie gibt es nur einen Gott namens BelaFarinRod. Das ist seit den 80er Jahren das Dogma aller Fans. Und auf ihrem letzten Album haben selbige durch den “Waldspaziergang mit Folgen” einen neuen Aspekt hinzu gefügt. Der Song, der schnell zum Publikumsliebling wurde, widmet sich dem Thema Religion und beinhaltet durchaus philosophisches Gedankengut – wenn auch in der typischen Ironie, die vor allem zwischen den Zeilen wirkt.
“Sohn der Leere” hingegen ist eher melancholisch gehalten und passt perfekt zu einer Doppel-A-Seiten-Single. Gute Idee, dieses Format mal wieder aufleben zu lassen. Und die Ärzte haben noch einen drauf gelegt: Um das Format aufzupeppen, hat Bela “Waldspaziergang mit Gott” mit einem Audiokommentar belegt und poliert den Schluss mit Ukulele und Mundharmonika auf. Auch an dem zweiten Song hat er sich vergangen und ihm mit “Sohn der Lehre” einen neuen Text und einen neuen Sinn gegeben.
Die neuen Ulk-Versionen sind nicht essentiell, aber ein netter Gag. Hinzu kommen zwei Videos. Und auf dem Cover gibt es “My little pony” unterm Regenbogen und als skelettiertes Einhorn. Fehlt nur noch die Lasagne.
Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Arena Trier ihr volles Fassungsvermögen von 8.000 Zuschauern füllt. Doch wenn die selbsternannte beste Band der Welt ruft, dann folgt auch die Region im Südwesten – ohne wenn und aber. Die Ärzte sind auf “Comeback”-Tour, die sich direkt an die “Das Ende ist noch nicht vorbei”-Tournee anschließt. Ein feiner Schachzug, um allen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die in regelmäßigen Abständen Auflösungstendenzen am Horizont entdecken wollen. In Trier zumindest keine Spur davon – die Zuschauer sahen eine Band in der Blüte ihrer Jahre. Ein Powertrio ohne Alterserscheinungen. Farin und Bela können bald gemeinsam ihr 100jähriges feiern. Na und?
Was von Beginn an Sympathien weckt, ist ein gepflegter Dilettantismus. Auch nach 30 Jahren im Showgeschäft sind die Ansagen alles andere als glatt. Man schlittert haarscharf an gekonnten Übergängen vorbei, verliert sich in Wortgefechten und es scheint als vergäßen die Ärzte häufig, dass ja auch noch ein Publikum im Saal ist. Egal wie groß die Bühne ist, egal wie riesig die Halle. Das Trio verliert sich auf der Bühne – und zugleich schafft man Präsenz: durch Licht und effektvolles Auftreten. Bela stehend am Schlagzeug, Rod vor einer zur Faust geballten Wand aus Boxen, die im Lauf des Konzerts abgebaut werden, um den Blick auf die LCD-Wand frei zu machen. Wie um das Understatement auf die Spitze zu treiben, wird diese dann weit unter ihren Möglichkeiten genutzt.
Los geht’s mit dem Mottosong des Abends “Wir sind die Besten” vom Album “Jazz ist anders”. Direkt gefolgt von “Blumen”, welches sich in den 80ern auf “Das ist nicht die ganze Wahrheit… ” fand. Endlich kann auch ich jede Textzeile mitsingen. “Tamagotchi” ist ein ganz aktueller Titel, der dann doch für leichte Irritationen bei Teilen des Publikums sorgt, aber spätestens mit “2000 Mädchen” ist alles wieder gut und der Jubel kennt keine Grenzen.
Die Ärzte versuchen, die Balance zwischen alten und neuen Songs zu finden. Das funktioniert nicht immer. Natürlich will man das neue Album “auch” vorstellen, mit dem man 2012 das Dutzend voll gemacht hat. Und es wird fast komplett gespielt. Man muss sich also durch “Sohn der Leere” durchkämpfen und wird andererseits mit “TCR” (prägnante Textzeile: “Wir kümmern uns um den Rock”) belohnt. “Ist das noch Punkrock?” beschreibt selbstkritisch und mit viel Sarkasmus den gesellschaftlich etablierten Punk, dem die traute Zweisamkeit plötzlich vor die Protestkultur geht. Ein gnadenlos fetter Ohrwurm. “Waldspaziergang mit Folgen” widmet sich dem Thema Religion und beinhaltet durchaus philosophisches Gedankengut – wenn auch in der typischen Ironie, die vor allem zwischen den Zeilen wirkt. Und dann ist da noch die Abrechnung mit der Ex in “Miststück”. Solche Teeniesongs waren in den 80ern die große Stärke der Ärzte und funktionieren auch heute noch.
Der Mitsingfaktor erhöht sich bei “Sweet Sweet Gwendoline”, dem “Schunder-Song” und “Hurra”. Es gibt so viele geniale Titel der Band, dass man sich auch an Klassikern erfreut, die man gar nicht erwartet hat. Allerdings werden auch einige Tracks in drei Stunden Konzertlänge schmerzlich vermisst. Nur werden es wohl bei jedem Zuhörer andere sein. Ich nenne mal “Teenager Liebe”, “Westerland”, “Du willst mich küssen” oder aus jüngeren Jahren “Lasse redn”. Man kann sicher nicht jeden zufrieden stellen, doch ich stelle mir vor, dass vor allem Gelegenheits-Ärzte-Hörer manches Highlight schmerzlich vermisst haben. Da nutzte auch der Zuschauerchor nichts, der im Zugabenblock mehrfach “Ohne ‚Elke‘ gehn wir nicht nach Haus” intonierte.
Was es allerdings gab war viel Spaß mit “Junge”, “Unrockbar” und dem abschließenden “Schrei nach Liebe”. Die Ärzte hatten ihre Fans fest im Griff, ließen La-Ola-Wellen durch die Galerie und den Saal laufen, brachten alle dazu, sich auf den Boden zu setzen, riefen zum Ansagen-Surfing auf und sammelten Unterwäscheteile. Was die Ärzte tun, riecht immer noch nach Punk. Und zumindest haben sie die Selbstironie, sich immer wieder in Frage zu stellen. Mit dem Album “Le Frisur” hatte ich in den 90ern kurz den Anschluss verloren – und die Schlagerattitüde von “Ein Schwein namens Männer” hatte kurz darauf auch einen bitteren Beigeschmack. Doch 2012 sind die Ärzte Punk wie eh und je. Drei Akkorde – und der Abend ist gerettet. Bis zum nächsten Mal!
Setlist – TRIER, 18.10.2012