Purple Schulz – der Urvater der deutschen Songpoeten war in der Pfalz

Wenn von den „neuen deutschen Songpoeten“ die Rede ist, denkt man natürlich an Philipp Poisel, Tim Bendzko, Andreas Bourani & Co. Man sollte aber nicht vergessen, dass es da bereits seit Anfang der 80er Jahre jemanden gibt, der dieses Genre nicht nur begründet und vorgelebt hat, sondern es bis heute mit neuen Alben bereichert. Wer sich davon überzeugen will, sollte ein Konzert der „nach wie vor“ Tour besuchen – und er wird nicht nur die alten Hits (zum großen Teil in neuem Gewand) sondern auch ganz neue und wunderschöne Balladen sowie mitreißende Hymnen geboten bekommen.

Die evangelische Kirche in Offenbach-Hundheim, die am 19.10.2019 mal wieder zur „Kulturkirche“ mutierte, ist ein echtes Schmuckstück. Mit drei Schiffen und einem grandiosen Ambiente ist die frühere Klosterkirche das bedeutendste kirchliche Kulturdenkmal der Westpfalz. Man muss allerdings einiges in Kauf nehmen, um in den 1000-Seelen-Ort Offenbach-Hundheim zu gelangen: Baustellen und Umleitungen haben mir den Weg gepflastert – und es schien eine Reise ans Ende der Zivilisation zu sein. Wie Purple Schulz es noch drastischer ausdrückte: „nicht der Arsch der Welt, aber man kann ihn schon riechen“.

Die Zuhörer in der nahezu ausverkauften Kirche nahmen ihm diesen Spruch jedoch nicht übel. Vielmehr wurde allen (Purple und seine Mannschaft eingeschlossen) mehr und mehr deutlich, dass sich jeder Kilometer dorthin gelohnt hatte. Das Publikum war anfangs noch etwas verhalten beim Lachen und schien die Andacht des Gebäudes nicht zu sehr stören zu wollen, doch mit seinem bunten Programm, das auch das religiöse und gesellschaftliche Ambiente mehr als einmal auf die Schippe nahm, sorgte Purple für eine aufgelockerte und zum Ende hin ausgelassene Atmosphäre.

Das neue Album trägt den Titel „Nach wie vor“ und mit dem Song „Stand der Dinge“ startete das Konzert. Es war Ehefrau Eri, die Purple auf die Idee brachte: „Welches sind eigentliche deine Lieblingslieder und wie würdest du sie jetzt schreiben?“. Daraus wurde eine bunte Mischung aus alt und neu mit zum Teil stark veränderten Arrangements. Trotzdem wirkt das Album wie aus einem Guss, da Purple alle Phasen seiner Karriere in die Gegenwart geholt hat – und vieles ist aktuell wie nie.

Zwischendurch erzählte Purple Anekdoten aus seinem Leben und das Publikum hing gebannt an seinen Lippen. Von der Erfindung des Stagedivings, die ihm auf einer vernebelten Bühne beim Stolpern über die Monitorbox gelungen ist. Von diesem Stahlgestell um seinen Mund, das nicht etwa ein kieferorthopädisches Gerät sondern das Hauptinstrument jedes Protestsängers war – die Mundharmonika. Von dem Kreuz bei den ostdeutschen Landtagswahlen hinter der AFD, „bei dem man irgendwann merken wird, dass es einen Haken hat“. Von Fridays for future, denen er das Lied „Schwalben“ widmete.

An sehr vielen Stellen wurde es gesellschaftskritisch. „Du bist da“ ist ein Lied für die helfenden Berufe. Und da bezog Purple unter großem Applaus explizit die Seenotretter mit ein. „Da denkst du jetzt mal drüber nach“ wurde zur Ansprache an den lieben Gott, der sich nach Purples Ansicht zu wenig um das Ergebnis des sechsten Schöpfungstages gekümmert hat. Sehr wirkungsvoll im Kirchenraum. Nach einer Stunde gab es eine längere Pause und man konnte sich im angrenzenden Pfarrheim gut bewirten lassen.

Während der Pause kam ich ins Gespräch mit meiner Sitznachbarin, einem Purple-Neuling. „Ich kannte ja keins seiner Lieder, aber sie sind so bewegend und schön. Außerdem gefallen mir seine Erzählungen dazwischen.“ Ich konnte der Frau versprechen, dass es im zweiten Teil viele Lieder gibt, die sie kennen wird – und so war es auch. Und ich verwies auf Purples Biographie „Sehnsucht“, in der man seine Anekdoten noch viel umfangreicher und äußerst lebendig nachlesen kann.

Nach der Pause gab es zunächst den Song „Ich hab Feuer gemacht“ in einer furiosen Gitarrenversion. Purple wechselte selbst ständig zwischen Piano, Gitarre und Mundharmonika. Unterstützt wurde er von Markus Wienstroer, der sehr schweigsam war, aber Gitarre, Violine und Banjo virtuos spielte.

Was waren jetzt die Klassiker? Natürlich „Kleine Seen“, aber in einer verspielten Version unterlegt mit einer Melodie von Johann Sebastian Bach, die Purples Liebe zum Klavierspiel ausdrückte. Der Überhit „Sehnsucht“ hat auch nach mehr als 35 Jahren nicht an Intensität verloren und wurde mit einer Kraft dargebracht, die vielen Zuhörern eine Gänsehaut einbrachte. „Verliebte Jungs“ ist eine ebenso schöne jugendliche Hymne wie „Du hast mir grade noch gefehlt“ – und urplötzlich beendete das Stones-Cover „You Can’t Always Get What You Want“ den Hauptteil des Konzerts. Was? Schon so spät?

Zum Glück kam Purple für drei Zugaben zurück: Den Udo Jürgens-Titel „Bis ans Ende meiner Lieder“ hat er ganz neu im Programm. Dazu das zarte und nachdenkliche „Immer nur leben“, das mir regelmäßig Tränen in die Augen treibt. Zum Abschluss gab es kurz vor 23 Uhr „Nimm es mit“ als Aufforderung an alle, die schönen Momente des Abends im Herzen zu bewahren. Und es hat funktioniert: die unübersichtliche Wegstrecke voller Baustellen hat ob des wunderschönen Konzerterlebnisses ihren Schrecken verloren.

Purple Schulz misst nur 168 cm, aber er ist immer noch ein ganz Großer. Seine Konzerte sind ein Fest für Menschen, die erwachsene Popmusik mit intelligenten Texten lieben, für Menschen, die nostalgisch in den 80er und 90er Jahren schwelgen möchten, für Menschen, die an die Magie des Augenblicks glauben. Diese Magie hat er bei seinem Konzert in der evangelischen Kirche in fast drei Stunden Länge heraufbeschworen und viele Menschen verzaubert. Es war ein ganz besonderer Abend, bei dem wirklich alles gestimmt hat und für den man den Veranstaltern von „Rockevents“ und „Anderswelt Event“ nur danken kann. Was ich bisher noch nicht erwähnt habe, ist die atmosphärische Lightshow, die die Kirche zu einem wundervollen Ort machte und die Herzen ebenso berührte, wie die Musik. Das war wirklich gewaltig!

Zwei Konzerte in ganz besonderer Atmosphäre stehen für 2019 noch an:

9.11.2019 – Ray Wilson & Band – SWR Kaiserslautern
22.11.2019 – Donovan Aston plays Elton John – evangelische Kirche Altenkirchen

Weitere Infos unter www.anderswelt-event.de

Setlist – Purple Schulz in Offenbach-Hundheim, 19. Oktober 2019

Der Stand der Dinge
Durch Ruinen
Es tut weh
Du bist da
Es reicht
Schwalben
Vermisst
Ich seh was du siehst
Da denkste jetzt mal drüber nach

Ich hab Feuer gemacht
Kleine Seen
Das ist nicht fair
Das letzte Mal
Wohin willst du gehen
Sehnsucht
Verliebte Jungs
Du hast mir grade noch gefehlt
You Can’t Always Get What You Want (The Rolling Stones)

Bis ans Ende meiner Lieder (Udo Jürgens)
Immer nur leben
Nimm es mit

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