Purple Schulz ist seit vielen Jahren im Musikgeschäft unterwegs. NDW-Fans kennen ihn noch von seiner Zeit mit der Neuen Heimat, doch auch ganz aktuell gibt es ein fantastisches Album aus seiner Feder. Er tourt ununterbrochenen mit dem Gitarristen Schrader, der vormals bei Guildo Horn tätig waren. Und die Konzerte sind ein Fest! Ich konnte mich erst kürzlich in Saarbrücken und in Trier davon überzeugen. Ein Fest für Menschen, die erwachsene Popmusik mit intelligenten Texten lieben, für Menschen, die nostalgisch in den 80er und 90er Jahren schwelgen möchten, für Menschen, die an die Magie des Augenblicks glauben.
Purple sagt selbst, dass er die Konzerte in drei Teile trennt. Zunächst gibt es die Vorspeise. Damit sind vor allem die Songs der letzten Platte „So und nicht anders“ gemeint. Hier findet ihr unsere ausführliche Review zu So und nicht anders von Purple Schulz. Nach einer Pause geht es zur Hauptspeise, denn es folgen hauptsächlich die bekannten Songs. Wer erinnert sich nicht an „Sehnsucht“, „Verliebte Jungs“, „Kleine Seen“, „Nur mit dir“? Diese werden in akustischen Versionen geboten. Außerdem einige Klassiker, die nicht so oft im Radio vertreten waren – ich nenne mal „Unter der Haut“ und „Herz voller Gold“. Hier spürt man förmlich das Aha-Erlebnis unter den Zuschauern, die viel mehr mitsingen können, als sie zuvor dachten.
Und dann kommt das Dessert, wie Purple sagt. Der Moment, für den Künstler auf die Bühne gehen und Menschen Konzerte besuchen. Zunächst war es noch humorvoll und Purple enterte als Clown die Bühne, um sich „dem Brauchtum“ zu widmen. Wie bekommt man jetzt die Kurve zu einem melancholischen Abschluss? Purple erzählt eine Geschichte von der Beerdigung eines Karnevalisten. Er regt zum Nachdenken an, berichtet vom Abschiednehmen und philosophiert über den Tod. Es ist still im Veranstaltungslokal. Jeder – aber wirklich jeder – hört gebannt zu und hängt an seinen Lippen. Dann setzt er sich ans Klavier und spielt „Der letzte Koffer“, das sich auf bewegende und tröstliche Weise mit dem Thema Sterben auseinandersetzt. Klavierklänge. Vielleicht eine Seele, die zum Himmel schwebt. Keiner wagt es zu klatschen. Stille im Saal und Purple beendet das Konzert mit „Immer nur leben“. Ein verzaubertes Publikum und stehende Ovationen sind der Dank dafür. Man kann Purple nur zu diesem magischen Moment gratulieren und ich empfehle jedem Leser dieser Zeilen einen Konzertbesuch – uneingeschränkt.
Vor dem Konzert in Saarbrücken hatte MHQ die Gelegenheit, dem Soundcheck beizuwohnen und ein Interview mit dem sympathischen Künstler zu führen. Purple stellte sich den Fragen von Redakteur Andreas Weist im beschaulichen Ambiente des deutsch-französischen Gartens:
Als dein Album „So und nicht anders“ vor zweieinhalb Jahren erschien, war das schon eine kleine (oder auch große) Überraschung. Immerhin hatte man schon 15 Jahre nichts Neues von dir gehört. Was war der Grund für die lange Studiopause?
Purple: Es gab viele Konzerte, ich bin viel unterwegs gewesen. Das waren verschiedene Projekte: Kindermusicals, ein Kindertanzballett. Mit dem Ensemble der Stunksitzung war ich fünf oder sechs Jahre lang unterwegs. Und dann habe ich vier Jahre lang mit Heinz Rudolf Kunze getourt. Ich war eigentlich gut ausgelastet, aber ich habe auch ein neues Studioalbum gemacht. Das ist richtig. Es gab ein Livealbum 2003, ansonsten war ich unterwegs.
Das Album beginnt mit „Ich hab Feuer gemacht“ und endet mit „Der letzte Koffer“. Eine Reise also von der Geburt bis zum Sterben. Ist es viel Biographisches, das du dort verarbeitet hast?
Purple: Naja – gestorben bin ich noch nicht. Es ist ein Album über das Leben, vor allem über das Leben meiner Generation. Ich werde nächstes Jahr 60, meine Frau ist 52. Wir haben andere Nöte und Sorgen. Unser Leben ist anders. Damals waren wir jung und rebellisch. Die Musik war immer ein Ausdruck davon. Das war früher Sinn und Zweck der Popmusik: dass sie reflektiert hat, was in der Generation der Jugendlichen passiert ist. Die Musik hat zum Beispiel meine Position zum Vietnamkrieg sehr gut dokumentiert. Jetzt sind wir alle älter geworden und sind immer noch leidenschaftliche Popmusikhörer, aber wir haben nicht mehr die Inhalte in dem Pop, wie wir ihn aus dem Radio kennen. Wir wollten ein Album machen, das speziell etwas mit unserer Generation zu tun hat. Ein Album für Erwachsene, denn Pop ist im Moment ein großes Kinderkasperletheater.
Inzwischen ist deine Frau Eri Schulz neben dir die Haupt-Songwriterin. Wie funktioniert das mit der Zusammenarbeit? Entwickelt ihr eure Ideen im Alltag oder strukturiert ihr das in Schreib-Sessions?
Purple: Ideen kommen immer auch im Alltag, aber wenn wir schreiben, dann tun wir das sehr konzentriert. Wir schreiben, bis wir fertig sind, gehen dann runter ins Studio, nehmen alles auf und schauen, ob es funktioniert.
Auch mit deinem Sohn Ben hast du schon zusammen Musik gemacht. Wird Purple Schulz langsam zum Familienbetrieb? Sind da weitere Kooperationen geplant?
Purple: Nein, meine Jungs sind mittlerweile älter geworden und gehen ihre eigenen Wege. Mein Jüngster spielt sensationell Gitarre, aber er hat keinen Bock, auf Tour zu gehen. Das kann ich gut verstehen. Ein paar Mal hat er Schrader vertreten, aber er ist ein Filmfreak. Er macht Filme, er macht Werbung. Das läuft bei ihm sehr gut und er lebt mittlerweile in Berlin. Mein Sohn Ben hat sich von der Musik sehr zurück gezogen und schreibt Drehbücher. Er ist fest beim Fernsehen beschäftigt.
Du widmest dich vor allem in deinen neuen Songs Themen, um die andere einen großen Bogen machen. „Fragezeichen“ beschäftigt sich mit Demenz und Alzheimer, „Die dünne Wand“ mit plötzlich auftretenden Psychosen. Was ist der Hintergrund dafür? Wie werden dir solche Themen nahe gebracht?
Purple: Wir gehen einfach offen durchs Leben. Die Frau an meiner Seite ist eine unglaublich gute Beobachterin. Eri hat durch die Tatsache, dass sie auch Therapeutin ist, einen sehr wachen Blick und eine große Auffassungsgabe. Wir erleben einfach wahnsinnig viel, sind viel unterwegs, sehen viele Menschen, haben beide auch große Familien und insofern steht man mitten im Leben. Da ergeben sich die Themen eigentlich von selbst.
Inzwischen hört man, dass Internet-Portale und sogar Dozenten an Pflegeschulen dein Video „Fragezeichen“ einsetzen, um für die Demenz-Problematik zu sensibilisieren. Bist du in den Prozess involviert? Hältst du als Prominenter selbst Vorträge zum Thema?
Purple: Ich fahre öfter mal hin, mache Eröffnungen für Demenz-Tage und spiele das Stück live zum Video. Oder ich erzähle etwas zu der Geschichte und wie wir darauf gekommen sind. Das funktioniert sehr gut und wird hervorragend angenommen. Ich habe mich sehr gefreut, als Jan Josef Liefers mir schrieb und die Umsetzung lobte.
Wenn ich „Die dünne Wand“ höre, werde ich an deinen ersten großen Hit „Sehnsucht“ erinnert. Auch da gibt es unvermittelt einen lauten Schrei. Das verursacht bei beiden Songs auch nach mehrmaligem Hören immer wieder Gänsehaut. Kann man das live noch umsetzen? Wie geht es dir selbst dabei?
Purple: Gerade solche Stücke – nehmen wir mal ruhig „Sehnsucht“, was ja schon viel älter ist, über dreißig Jahre alt. Diese Stücke haben für mich an Intensität auf der Bühne nichts eingebüßt. Es ist immer ein ganz großer Moment, wenn ich diese Songs dort leben kann. „Die dünne Wand“ ist gerade in dieser Zeit ein sehr wichtiger Song. Es ist mir wichtig, ihn immer wieder zu spielen. Vielleicht der orchestralste Song, den ein Klavierspieler und ein Gitarrist je auf der Bühne gespielt haben. Wir setzen ihn um, wie man das zu zweit kann, ohne das die Intensität leidet. Man kann das mit großem Orchester machen, es kann aber auch alleine Weltklasse sein. Entscheidend ist der Song, die Geschichte und dass man das Herz trifft. Das ist das Allerwichtigste.
Du warst viele Jahre mit Josef Piek unterwegs, den du schon seit der Neuen Heimat kanntest. Jetzt hast du Schrader mit dabei, der vor allem hier im Südwesten als Gitarrist von Guildo Horns orthopädischen Strümpfen bekannt geworden ist. Wo habt ihr euch kennen gelernt und wie kam es zum Wechsel?
Purple: Mit Josef habe ich 33 Jahre gespielt. Dann kann so eine Ehe auch mal an einem Punkt enden, wo man gemeinsam nicht mehr weiter kommt und sich gegenseitig im Weg steht. Es ist nie zu spät für eine Trennung. Egal, ob das eine Ehe ist oder eine musikalische Zusammenarbeit. Schrader habe ich auf der Hochzeit meines Bookers kennen gelernt. Wir haben eine Session zusammen gespielt und das hat Spaß gemacht. Er ist ein klasse Typ, ein lustiger Kerl. Man sieht ja auch, was bei uns auf der Bühne passiert.
Ich habe deine Show mit Josef Piek vor einigen Jahren in Trier gesehen. Dann später ein Konzert mit Schrader hier im Saarland. Da gab es schon bemerkenswerte Änderungen. Früher standen die Songs im Mittelpunkt, heute passiert viel drum herum: Kabarett, Comedy, Anekdoten. Ist Schrader eine neue Inspirationsquelle für dich?
Purple: Nein. Josef war halt nie so der Komödiant und insofern war das damals anders. Ich fühle mich ganz wohl mit dem Schrader. Es ist sehr lustig. Wenn man mit anderen Menschen zusammen Musik macht, entsteht immer etwas Neues. Das ist ein Segen. Es kann auch übermorgen jemand anderes da sein und dann geschieht wieder etwas ganz anderes. Das ist einfach schön.
„Verliebte Jungs“, „Gerade noch gefehlt“, „Bis ans Ende der Welt“ – solche Titel gehörten einmal zu den meistgespielten deutschsprachigen Titeln im Radio. Eigentlich gehört doch ein Song wie „Ich hab Feuer gemacht“ auch dort hin. Was läuft falsch heutzutage? Muss man über Fußball singen, um im Radio gespielt zu werden?
Purple: Oder über nackte Frisösen? Ich weiß es nicht. Der ganze Markt hat sich sehr geändert und verändert. Ich bin froh, dass ich die 80er erlebt habe, so wie sie waren, als das Musikgeschäft noch halbwegs funktioniert hat. Es ist schade, wie sich alles verändert hat. Es ist sehr mainstreamig geworden. Früher hatten wir den Deutschen Schallplattenpreis, der an außergewöhnliche deutsche Künstler verliehen wurde, die qualitativ hochwertige Sachen gemacht haben. Heute werden Preise nur noch nach Umsätzen vergeben. Das ist sehr schade, denn das Kapital regiert mittlerweile alles. Kunst und Kultur werden davon in Mitleidenschaft gezogen. Wohin entwickelt sich das? Ich bin ja mit Popmusik groß geworden. Ich hatte zwei ältere Brüder, bin Jahrgang 56 und so waren die Beatles und die Stones die ersten Sachen, die ich gehört habe. The Small Faces, The Who. Wir wurden damals mit jedem Album einer Band überrascht, denn es gab immer wieder etwas Neues. Und heute gibt es nur noch Trends. Man setzt auf die Trends und kopiert diese, weil es Erfolg verspricht. Niemand traut sich mehr, Künstler aufzubauen. Das ist ein Jammer, denn es gibt viele begabte junge Leute, die tolle Stimmen haben und tolle Songs schreiben. Dann macht man ein Album, maximal zwei. Wenn es dann nicht läuft, dann war’s das. Ich musste erst einmal zehn Jahre Musik machen, bevor ich ein Studio von innen gesehen habe. Das war gut, weil ich so viel Erfahrung sammeln und reifen konnte. Für mich ist Alter nichts Schlimmes, sondern ein Schatz. Ich habe den jungen Musikern viel voraus. Ich spiele länger, habe mehr gesehen, weiß besser mit kritischen Situationen umzugehen. Das muss man lernen und diese Zeit muss man jungen Künstlern lassen.
Dein Album „So und nicht anders“ ist äußerst vielseitig. So viele unterschiedliche Facetten findet man heute kaum noch auf deutschsprachigen Alben.
Purple: Das liegt auch daran, dass es viele verschiedene Geschichten sind. Es sind keine 13 Liebeslieder, sondern ganz verschiedene Sachen. Denen muss man sich mit anderen Instrumenten und Mitteln nähern. Man muss schauen, wie setze ich das um? Eigentlich müsste man auch auf der Bühne für jeden Song ein anderes Licht haben. Das ist für mich eine dramaturgische Arbeit.
Du packst auch gesellschaftskritische Themen an („Uns kann nix passieren“, „So macht das keinen Spaß“) und steckst sie dann in lustige Melodien. Bleibt einem da nicht manchmal das Lachen im Halse stecken?
Purple: Das kann natürlich sein und es wäre auch beabsichtigt. Ich glaube, diesen schwierigen Themen kann man sich am besten mit Humor nähern. Ansonsten wäre ein solches Konzert oder ein Album sehr deprimierend. Eigentlich leben wir in einer Zeit, die einen wahnsinnig machen muss. Es gibt drei Möglichkeiten, auf diesen Irrsinn zu reagieren, der in der Welt abläuft: Depression, Panik oder Aggression. Alle drei sind schlecht, deshalb muss man über bestimmte Dinge einfach lachen. So wie Charlie Hebdo das gemacht hat. Anders können wir die Welt nicht aushalten.
Ich freue mich schon, weil du in Zukunft wieder öfter in der Region spielst. In Trier (23.4.), Landstuhl und Birkenfeld (beides im Januar 2016). Aber was mich zum Abschluss brennend interessiert: Ist ein neues Studioalbum in Planung?
Purple: Das steht im Moment etwas hinten an. Ich arbeite an einem Buch, das im Herbst zur Messe raus kommen soll. Es beschäftigt sich mit dem Thema „Sehnsucht“. Klar – es ist mein größter Hit. Ich wollte aber auch schauen, was denn damals unsere Sehnsucht war. Warum hatte dieses Lied in der Zeit einen solchen Erfolg? Im Westen wie auch im Osten. Was ist aus den Sehnsüchten von damals geworden? Welche Sehnsüchte hat man heute? Damals wollten wir alle raus. Wir hatten die Friedensbewegung und es gab einen Kampf gegen das Establishment. Man muss sich Dokumentaraufnahmen ansehen. Wie wurde in dieser Zeit Politik gemacht? Und wo sind wir heute? Wer ruft heute noch „Ich will raus“? Komischerweise tut das gar keiner mehr. Eher hat man das Gefühl, viele Menschen sind inzwischen so aus der Gesellschaft ausgegrenzt, dass sie gerne wieder rein wollen. Es hat sich da eine ganze Menge getan und das Thema „Sehnsucht“ ist breit aufgestellt. Damit wollte ich mich auseinander setzen. Wenn das Buch fertig ist, dann setzen wir uns ans neue Album. Das ist immer eine Reise und wir wissen nicht, wohin sie geht.
Es wird also keine 15 Jahre dauern?
Purple: Ganz sicher nicht. Dann wäre ich 75 und das wäre doch knapp, um es zu promoten.
Vielen Dank, Purple, für deine Zeit. Ich hoffe, wir haben dich nicht allzu sehr vom Essen abgehalten. Es war eine große Freude, mit dir zu sprechen und wir freuen uns sehr auf das Konzert gleich in der Bel Etage Saarbrücken!