Die Brüder Kai und Thorsten Wingenfelder waren ein Teil von Fury In The Slaughterhouse – aber gleichzeitig auch die Gesichter und Stimmen, die man mit dieser Band verbunden hat. Mit ihrer Auflösung 2008 machten die Furies eine große Fangemeinde sehr unglücklich. Klar waren die ganz großen Erfolge in den letzten Jahren ausgeblieben, doch die “Farewell And Goodbuy”-Tour zeigte nochmal die große Klasse der Band.
Das Jahr 2007 gab mit den Soloalben der Wingenfelder-Brüder schon erste Hinweise darauf, dass sich die Ära Fury dem Ende zuneigte. Kai veröffentlichte das Album “Alone” mit ziemlich typischem Fury-Sound und englischen Texten, Thorsten allerdings wagte sich auf das gefährliche Feld der deutschen Musik und legte mit “360° Heimat” ein wahres Meisterwerk hin, das sich über Monate immer wieder in meinem Player fand. Doch nach dem Ende der Band machte man zunächst mal was ganz anderes: Thorsten wurde Fotograf, Kai zum Filmemacher in aller Welt.
Jetzt heißt das Motto “Besser zu zweit”. Die zwei stehen endlich wieder auf der Bühne. Wie sie selbst sagen, ist der Titel von Album und Tour gar nicht überheblich gemeint. Könnte ja einer denken, die zwei halten sich für besser als Fury. Vielmehr haben sie erkannt, dass die alleinigen Gehversuche nicht der richtige Schritt waren. Am besten sind die Brüder im Doppelpack. Die vereinten Talente ergeben den typischen Fury-Sound und die stets charismatische Stimme von Kai Wingenfelder funktioniert gut mit den Texten, die schon auf Thorstens Soloalbum die Herzen der Zuhörer trafen. Und das will jetzt gar nicht heißen, dass Kai singt und Thorsten die Texte schreibt. Es sind echte Kooperationen und die beiden teilen sich Mikrofon und Feder.
Interessanterweise hat man sich beim ersten gemeinsamen Release für ein deutsches Album entschieden. Neben großen, hymnischen Stücken gibt es einige Balladen, die wie Liebe auf den ersten Blick gefallen. “Perfekt” beispielsweise, die Single-Auskopplung, die aber nur zarte Hinweise auf die ganze Klasse der neuen Songs gibt. Das melancholische “Dinge, die wir nicht verstehen” und “9 Leben” als Stücke, die klingen als seien sie direkt der “Hook A Hey”-Phase entliehen und pure Gänsehaut verursachen. Und wenn dann “Besser zu zweit” und “Nie zu spät” als Mottosongs der neuen Ära erklingen, gibt es ungewollt Pipi in die Augen.
Kai und Thorsten verzaubern ihre Zuhörer mit einer Mischung aus Melancholie und Rock, aus starken neuen Songs und den harmonischen Hits der alten Ära. Leider hat sich das noch nicht überall herumgesprochen, denn das Konzert musste in den kleinen Club der Saarbrücker Garage verlegt werden. Wer dort war, wurde aber mit 150 Minuten genialer Musik belohnt. Hervorragende Stimmung im gut gefüllten Saal, Fans, die auch von den neusten Songs jedes Wort mitsingen konnten, und ein bestens aufgelegtes Brüderpaar. Thorsten durfte zweimal den Text vergessen – das Publikum verzieh ihm alles und übernahm an den richtigen Stellen.
Für die Fury-Fraktion gab es “Radio Orchid”, “Won’t Forget These Days”, “Time To Wonder” und “Trapped Today, Trapped Tomorrow”. Alles neu arrangiert und trotzdem mit hohem Wiedererkennungswert und Mitsing-Faktor. Die I-Tüpfelchen in einem Konzert, das über die ganze Länge gefiel. Durchhänger: Fehlanzeige. Jeder Song traf den Nerv der Zuschauer. Auf dem zweiten Soloalbum “Off The Record” gibt es auch englische Songs, wie “A Girl Called Torch” – eine schön verruchte Erzählung über die Tochter eines Leuchtturmwärters. Auch das gab es hier live zu hören.
Die Wingenfelders erzählten viel zu den Liedern. Sie lästerten über die Atzen ab – und auch über Marius Müller-Westernhagen, dessen Klassiker “Der Junge mit dem weißen Pferd” sie coverten. Ganz besondere Songs wurden ihren Kindern gewidmet – wie Thorstens ergreifendes “Irgendwann zurück” – und man griff auch schwierige Themen auf. “Revolution” beispielsweise, in dem Kai von seinen Erfahrungen in Syrien berichtet, oder “360 Grad Heimat”, das Thorsten bewusst als Liebeserklärung an Deutschland geschrieben hat, auch wenn dies in unserer Gesellschaft so verpönt ist.
Ganz still wurde es, als Kai für “Angst” sein Seelenleben entblößte und davon erzählte, wie er in den 90ern an Angstattacken litt und psychisch am Ende war, während die Band einen Erfolg nach dem anderen einfuhr. Das macht die Wingenfelders so sympathisch: dass sie hier auf der Bühne stehen, einstige Superstars, sich jetzt als “Independent Band” bezeichnen, und solche Nähe zum Publikum aufbauen. Ich habe den Weg von Fury schon lange verfolgt und erinnere mich an ein Konzert in St. Wendel Anfang der 90er, als sie gar nicht mit Spielen aufhören wollten und nach regulärem Konzertende einfach noch eine unendliche Reihe Stones-Titel raus hauten.
Dieses Gefühl durfte man auch in Saarbrücken wieder haben: Musik ist ihre Berufung und Livekonzerte sind keine lästige Pflicht. Da gingen Band und Zuschauer nach den letzten Klängen von “Trapped Today” hochzufrieden nach Hause. Die aktuellen Alben kann ich Freunden handgemachter Musik wärmstens empfehlen. “Besser zu zweit” für die aktuelle Deutschrock-Fraktion. “Off The Record” mit schönen Anleihen an die Musik der 80er und 90er Jahre.