Vier Jahre nach ihrem letzten Studioalbum „Magma“ haben sich Selig Anfang November mit „Kashmir Karma“ auf dem Musikradar zurückgemeldet. In den Neunzigern galten die Hamburger als einzige ernstzunehmende deutschsprachige Alternative zu Grunge-Helden wie Nirvana oder Pearl Jam. Auf „Kashmir Karma“ kehren sie zu ihren musikalischen Wurzeln zurück. Das Album wurde in der Abgeschiedenheit der schwedischen Westküste aufgenommen und schließt den Kreis zu früheren Werken wie „Hier“ oder „Blender“. Einerseits inspiriert von der unberührten Natur, andererseits von dem aufgewühlten Zustand, in dem sich die Welt gegenwärtig befindet.
„Kashmir Karma“ steht deswegen vielleicht auch ein Stück weit sinnbildlich für die bewegte Geschichte der Band. Die als Newcomer direkt mächtig durchstartete, drei Hammeralben rausbrachte, sich eine zehnjährige Pause gönnte und dann ebenso fulminant mit dem nächsten Album in den Zweitausendern zurückkehrte – um sich dabei ganz nebenbei selbst neu zu erfinden. Auf der aktuellen Tour gibt es deshalb nicht nur Neues auf die Ohren, sondern auch Songs aus zwanzig Jahren bewegter Bandgeschichte.
Musicheadquarter-Chefredakteur Thomas Kröll traf Jan Plewka, Lenard „Leo“ Schmidthals, Christian Neander und Stephan „Stoppel“ Eggert vor ihrem Konzert in der Kölner Live Music Hall zu einem ausführlichen Interview über die Tour, das neue Album, die Zeit in Schweden oder die Suche nach einer Plattenfirma.
Selfie mit Selig (Foto: Jan Plewka)
Erstmal willkommen in Köln. Ich war vorgestern auch bei eurem Konzert in Essen und da habt ihr das neue Album „Kashmir Karma“ komplett durchgespielt.
Christian: Wir spielen das die ganze Tour komplett durch.
Stephan: Wir konnten einfach nichts aussortieren. Wir haben versucht da irgendwas wegzulassen, aber bei den Proben haben wir dann festgestellt, dass das alles zu viel Spass macht. Wir muten den Leuten das jetzt einfach mal zu lauter neue Songs zu hören.
Dafür hat es ja schon super funktioniert.
Christian: Ja, erstaunlich. Auch gestern in Frankfurt haben extrem viele die neuen Songs mitgesungen. Was man jetzt nicht so erwarten musste. Aber es macht auch so einen Bock, weil das ist eine gute Challenge die neuen Sachen zu spielen. Es ist irgendwie so befruchtend und aufregend.
Das neue Album habt ihr in Schweden aufgenommen. Ich nehme an ihr seid nicht wegen Ronja Räubertochter nach Schweden gefahren. Warum also gerade Schweden?
Jan: Da ist die Ruhe eine andere. Man kommt besser zu sich und kann sich besser konzentrieren. Im Nichts war das eigentlich. Auf einem Felsen. In so einer kleinen Hütte. Da konnte man sich dem ganzen Trubel entziehen und sehen wer wir sind, wieder zurück zu unserem Wesen kommen, zu unserem Mittelpunkt der Band. Und jetzt im urbanen Wahnsinn, wo hier ein Club ist und da eine Kneipe, da hätten wir das nicht gefunden. Wir sind richtig so in buddhistischer Ruhe zurückgekehrt.
Christian: Das war auch eine Art Neuanfang. Wir hätten auch in Berlin oder Hamburg arbeiten können, wollten uns aber so richtig zurückziehen. Dann kam Jan’s Frau auf die Idee: Fahrt doch in das Haus. Das war die beste Idee der letzten zehn Jahre. (alle lachen)
Jan: Die beste Idee der Menschheit eigentlich.
Christian: Wir wussten selbst nicht was passiert. Das Best Of war irgendwie ein Abschluss für die Reunion und Malte (Neumann, d.Red.), unser Keyboarder, ist nicht mehr dabei. Es war ein Neuanfang und dafür war das ideal. Wir sind dahin gefahren um Songs zu schreiben, hatten ein bisschen Aufnahmezeugs mit, aber einfach nur zum Dokumentieren. Wir sind ganz viel spazieren gegangen und haben gemeinsam die ersten Songs geschrieben und auch gleich aufgenommen. Irgendwann keimte dann der Gedanke auf: Ey, ist das die Produktion? Das kriegen wir doch nie wieder so hin, diese Aufregung des ersten Mal. Und dann sind wir mit den Aufnahmen nach Hause und haben einen befreundeten Mischer, der auch schon zwei Alben für uns gemischt hat, Michael Ilbert, gefragt: Hast du Lust auf ein lustiges Schweden-Projekt? Wir haben ihm die Sachen vorgespielt und er hat gesagt: Yes I can do it. Let me try.
Leo: Wir wussten natürlich, dass die Aufnahmen auch schon speziell sind, aber er hat das sofort verstanden. Er war fast wie ein fünftes Bandmitglied. Das entstand auch so sukzessiv. Da waren diese ersten zehn Tage und dann war noch gar nicht klar, dass wir da nochmal hinfahren. Ich weiß noch wie wir das dann den Familien zuhause erzählt haben, dass wir da jetzt nochmal hin müssen. Dann sind wir ein zweites Mal dahin und noch ein drittes und noch ein viertes Mal.
Christian: Als das dann so klar war, dass das der Prozess ist und dass es funktioniert, war das schon geil. Wir waren ja auch noch völlig vogelfrei. Kein Management, kein Deal. Und dann sind wir mit den Aufnahmen zu Plattenfirmen gegangen, um mal zu gucken was die sagen. Wir waren so vollkommen euphorisiert von unserer Kommune da. Ist uns alles egal, wir finden es mega geil. Also so glücklich wie noch nie. Wir waren dann bei fünf Plattenfirmen und es war auch so spannend wie das dann auf den Anlagen klingt und was die dazu sagen. Danach hatten wir vier Angebote und konnten in Ruhe gucken, wer das so am besten versteht.
Ich stelle mir vor, dass doch jede Plattenfirma ja sagt wenn Selig kommt, oder?
Stephan: Es hätte ja alles passieren können. Die Leute hätten ja genauso gut sagen können: Hey, das ist nicht zeitgemäß, die Musik geht gerade überhaupt nicht. Oder ihr seid zu alt oder so. Aber wir sind da total offene Türen eingerannt. Die waren schier aus dem Häuschen. Das war toll.
Leo: Die hatten auch alle so Blätter in der Hand. Das war echt interessant.
Blankoverträge?
(alle lachen)
Leo: Nee, so wieviel Googleanfragen, wieviel Facebookfreunde, wieviel Verkäufe. Also man ist da echt ein gläserner Mensch. Das war echt irre. Die waren alle gut vorbereitet. Zum Glück haben aber viele Leute gesucht und bei Youtube wurde das auch geklickt. Das wussten die halt.
Jan: Aber wir wissen jetzt auch einiges über Sony. Es war ein Austausch, ein Geben und Nehmen. (lacht)
Christian: Dann war Willy Ehmann, der Chef von Sony, beim Konzert in Frankfurt. Und wir haben ihm gesagt: So, wir wissen alles über dich. (grosses Gelächter)
Das neue Album klingt weniger glattgebügelt als „Magma“, obwohl ich „Magma“ auch mag. Es hat mehr Ecken und Kanten und ist ein bißchen rauer. Es klingt so als hättet ihr es ausgeschwitzt. Das war ja ein Prozeß, vielleicht auch nicht immer einfach. Man musste sich irgendwie finden. Ihr habt es ja schon beschrieben. Jan hat beim Konzert in Essen gesagt, dass euch zuerst gar nichts einfiel.
Leo: Das stimmt nicht so ganz. Eigentlich war es echt super. Wir kamen an und haben aufgebaut und es waren so glückliche Zufälle. Also erstmal klang dieser Raum total gut. Dann waren die Instrumente, die wir uns geliehen haben, ideal. Und wir waren auch einfach in einer super Laune. Wir waren wie aufgeregte Jungs. Es ging eigentlich gleich am ersten Abend los. Wir wollten das auch pur machen. Wir sind halt eine Rockband. Das stimmt schon mit „Magma“. Da war ja Steve Power Produzent. Ein super Typ. Wir hatten eine super Zeit in England und auch so einen kleinen Radiohit. Aber es ist halt ein Pop-Produzent. Wir sind aber eigentlich viel rockiger. „Alles auf einmal“ ist super und die „Magma“-Platte ist toll, aber es war schon bewusst so, dass wir wieder zurück zu unseren Wurzeln wollten.
Ich finde auf jeden Fall, dass „Kashmir Karma“ sehr authentisch und ehrlich klingt. Und auch sehr abwechslungsreich. „DJ“ zum Beispiel kommt eher esoterisch rüber, „Feuer und Wasser“ rockt, „Lebenselixier“ ist so eine fröhliche Mitklatschnummer und „Kashmir Karma“ hätte auch von Alice In Chains oder Soundgarden sein können. Ich brauchte ein wenig um mich damit anzufreunden, aber meistens sind ja im Nachhinein die Alben die besten, die erst mit Verzögerung zünden. Würdet ihr mir zustimmen, wenn ich sage „Kashmir Karma“ ist das beste Selig-Album aller Zeiten?
Christian: Ja, irgendwie ja. Also die Nähe, die wir da zu Viert haben, die haben wir vielleicht noch nie erreicht. Das erste Album ist natürlich auch super stark, aber der Entstehungsprozess von „Kashmir Karma“ und dieses Gemeinsame, das man auch hört, das ist schon echt sehr nah.
Jan: Ich würde sagen, es ist mal wieder das beste Selig-Album aller Zeiten. (alle lachen)
Leo: Es ist halt echt ein Album. Wir haben es selber so oft gehört und so lange gehadert mit der Reihenfolge. Heute ist ja alles so ein Trackbusiness. Da gibt’s dann eine Single und der Rest des Albums ist so naja. Auf „Kashmir Karma“ hat jedes Stück seine eigene Atmosphäre. Das ist wie ein Poesiealbum oder wie ein Fotoalbum. Ich schlage die nächste Seite auf und da kommen andere Erinnerungen oder Bilder. Wenn man das so durchhört dann hat das auch eine Dramaturgie. Jan hat mal gesagt: Elf Stufen zur Seligwerdung.
Jan: Was wir dieses Mal echt vergessen haben ist ein Hidden Track. Das haben wir noch nie vergessen. Oder? Auf der „Magma“ ist auch kein Hidden Track. Irgendwann haben wir aufgehört Hidden Tracks zu machen.
Leo: Wir waren diesmal auch mutiger, glaube ich. Wir haben uns selber die „Hier“-Platte nochmal angehört und gedacht: Wow, das ist irgendwie gut als wir uns um nix gekümmert haben und das gemacht haben was wir wollten. „Unsterblich“ war zum Beispiel eine Session.
Stephan: Die konnten wir erst nicht nehmen. Bei den Aufnahmen hatte es irgendwelche technischen Ungereimtheiten gegeben. Das fanden wir schade. Und dann haben wir echt versucht das nachzuturnen. Das ist immer schwierig. Bis wir gesagt haben: Okay, das ist jetzt so nah dran, das können wir nehmen.
„Kashmir Karma“ erschien am 03.11.2017 bei Sony Music.
Das Intro zu „Zu bequem“ klingt auch so als hätte es jemand mit einem Kassettenrecorder aufgenommen.
Christian: Die erste Strophe ist tatsächlich eine iPhone-Aufnahme. Wir hatten halt diesen Fetzen, den wir so abgefeiert haben. Was machen wir nun damit? Dann kam Jan und hatte noch mehr Text. Dann war halt die Idee damit anzufangen und dann weiter zu bauen. So haben wir daran rumgedoktert und einen Abend ganz schreckliche stinkende Bluesrock-Kacke gemacht. Ganz furchtbar.
Leo: Aber an demselben Abend hat Christian durch Zufall noch so einen Treter gedrückt. Das war spät Abends. Da ging plötzlich dieses Pedal an und dann wussten wir, das ist der Weg.
Christian: Morgens nach dem Frühstück haben wir es dann gleich aufgenommen. First Take, yes. Leo war der Löffel- und Schnips-Spezialist. Am Abend haben wir es dann angehört und gedacht: Wow, das ist richtig gut. Dann kam Jan und wollte im Mittelteil noch irgendwie so Flugzeuggeräusche. Leo und ich haben also noch Flugzeug gespielt und dann war das Lied fertig. (alle lachen)
Dann ist „Zu bequem“ ja vielleicht so ein bißchen das Sinnbild für die Zeit in Schweden insgesamt.
Christian: Auf jeden Fall. Es war so ein schöner Abend mit dem Nachbarn da. Der heisst Pelle und kam ab und zu rüber. Pelle war früher Punkgitarrist in einer ziemlich wilden Band und dann hat seine Freundin gesagt: Also entweder die Band oder ich. Und dann ist er Postbote geworden. Pelle kam halt immer rüber, der ist jetzt 65. Kurz vor Midsommer hatte er seinen letzten Arbeitstag. I’m a free man. Ein extrem cooler Typ. Dann haben wir gesagt: Okay free man, du musst jetzt bei „Zu bequem“ Ukulele spielen. Weil er auch dabei war als das entstand. Und dann hat er in Hamburg auf der Bühne Ukulele gespielt. Das war so geil. Er hat das sehr genossen. Sein Schwiegersohn hat so ein kleines Studio und sammelt alte Instrumente. Alles was gut aussieht und alt ist kauft der. Von dem haben wir uns Sachen ausgeliehen. Und das sind beides ganz schöne Styler. Also mit einem sehr klaren Musikgeschmack. Das ist cool, das ist uncool. Das waren eigentlich die einzigen Menschen, die uns da in Schweden begegnet sind und die am Wochenende mal vorbeikamen und zugehört haben. Das war so ein Weltgeschmack. Die coolen Schweden. Bei „Wintertag“ gibt es eine Bridge wo wir dachten, da machen wir was aus der Beatleschor-Abteilung. Und Pelle sagte: I won’t do. You hear it anyway. Und wir so: Okay. Er war so etwas wie der heimliche Produzent. Auch wenn er das nicht weiß.
Jan: Wir meinten dann zu ihm: Hey, wir überlegen ob wir die Platte „Kashmir Karma“ nennen sollen. Und die Tour auch. Und er so: Gibt es schon, könnt ihr nicht machen. Und wir so: Och schade, aber wenn er das sagt. Und am nächsten Tag kam er dann mit dem Cover von so einer Platte und sagte: Okay, ich hab mich verguckt, ich meinte das. Und dann stand da „Kuala Lumpur“ (grosses Gelächter)
Wie muss ich mir den Prozess des Songschreibens bei euch vorstellen?
Leo: Nehmen wir als Beispiel „Feuer und Wasser“. Da war ein Kamerateam dabei und die haben gesagt, dass sie uns einfach beim Aufnehmen filmen. Wir wollten eigentlich was ganz anderes machen. Wir hatten einen richtigen Plan für den Tag gemacht. Und dann hat es draußen geregnet und das Fenster stand auf. Es kamen Luftzüge rein und die Gardinen wehten ein wenig. Christian daddelte an der Gitarre rum. Ich kam rein und sagte: Das ist gut. Ich weiß auch nicht mehr genau. Und dann haben wir plötzlich angefangen zu jammen und dachten: Hier entsteht gerade was. Und der Regen passte so gut zu diesem Moment. Dann haben wir das aufgenommen und gemerkt, dass da gerade ein Song entsteht. Das Kamerateam hatten wir total vergessen. Wir haben unseren Plan umgeschmissen und an der Strophe gefeilt und tausendmal umgestellt. Bei „Feuer und Wasser“ haben wir wirklich ganz viel ausprobiert. Und plötzlich war der Refrain da. Dann kam Jan mit dieser Textidee und dann nahm das so seinen Lauf. Am Ende des Tages war der Song da.
Christian: Wir haben tierisch viel gejammt und dann immer nochmal angehört. Man merkt meistens beim Spielen schon, dass da irgendwas rumfliegt. Dann ist es natürlich wichtig eine textliche Haltung dazu zu finden. Wir haben sowieso immer viel gesprochen und Jan hat Ideen reingebracht. So wächst das dann so langsam. Plötzlich hast du das Gefühl, dass da was ist. Und dann musst du weiterforschen. Manchmal kommt das so bäm, bäm, bäm und fertig. Und manchmal ist es Knechterei. Was echt ganz geil war, dass wir Pausen gemacht haben. Also wir sind immer zehn Tage hin und dann wieder nach Hause und hatten dazwischen immer Zeit zu reflektieren. Leo hat zum Beispiel immer sehr an „Unsterblich“ geglaubt, an diese Session. Wir haben ihm auch zu danken, dass er da so gebissen hat.
Leo: Oder Stoppel kam mit der Aufnahme zu „Zu bequem“ an. Das war ja auch eine Session. An dem Abend war der Hammer eigentlich schon gefallen. Wir haben am Küchentisch gesessen und zufälligerweise lief dieses iPhone. Zwei Runden später kam Stoppel in Schweden dann wieder damit an. Er hatte das ein bißchen zurechtgeschnitten und wir dachten, dass wir daraus was machen müssen. Es war ein Sammeln und Entdecken von Tönen.
Christian: Wir haben uns Zeit genommen. Ohne Stress. Wir hatten genug Zeit zu forschen. Und wir hatten aber auch total Lust, weil es so einen Spass gemacht hat. Und wir waren frei von dem normalen Bedröhnungsfaktor.
Leo: Oder eine andere Situation die mir einfällt. Wir saßen vor dem Kamin und Christian daddelt aus Spass auf der Gitarre rum. Dann habe ich einfach so mitgespielt und plötzlich war da wieder was. Wir wollten eigentlich ins Bett gehen und dann entstand da doch noch was nachts um Eins.
Das hört man ja auch. Das Album klingt ja jetzt nicht so als müsste man irgendwie auf die Radioquote schielen. Was ist mit den Texten? Wie entstehen die? Läufst du da so klassisch mit der Kladde unter dem Arm rum, Jan, und notierst dir Dinge, wenn sie dir in den Kopf kommen?
Jan: Ja, eigentlich so alles was geht. Ich nehme alle Werkzeuge die mir zur Verfügung stehen. Ich bin mit sehr wenigen selbstgeschriebenen Textbüchern nach Schweden gefahren, weil mir in der Zwischenzeit so viele Textzeilen durch den Kopf gegangen sind. Einige lagen dann so eingefräst und die habe ich dann alle rausholen können. Es war ein Schwall (lacht). Es war so reduziert. Und das steht eigentlich auch ein bißchen als Überschrift bei dieser Platte. Echt reduzieren. Ohne Produzent, ohne Techniker, ohne großes Brimborium, ohne andere Menschen. Die Töne sind in dem Sinne ja auch sparsam. Die sind ja nicht überproduziert. Gerade in dieser Zeit, wo du schon an einem Vormittag zwölf Reizüberflutungen kriegen kannst, wenn du nur ins Netz schaust, ist es tatsächlich auch eine Platte, die zur Entschleunigung beiträgt.
Christian: Der einzige Spiegel für uns waren eigentlich die beiden Schweden. Es gab da einen Moment, wo wir „Unsterblich“ fertig hatten und das Martin, dem Schwiegersohn von Pelle, vorgespielt haben. Und Martin ist so dermaßen abgegangen. Yeah, this is crowd rock. If you have this sound you can travel the world. Das ist auch so ein grosser, lauter, geiler Styler und der ist so abgegangen. Das war ein guter Spiegel und hat einen so motiviert. Das war sehr nett.
Leo: Wir sind ja immer mit der Fähre gefahren und dann haben wir die Aufnahmen auf CD gebrannt und die auf der Fähre gehört. Das war sehr schön.
Christian: Wenn ein Song fertig war, haben wir den auch immer ungefähr zehn bis zwanzig Mal durchgehört und abgefeiert. (alle lachen)
Selig am 17.11.2017 in der Live Music Hall in Köln.
Wenn ich den Rest meines Lebens auf einer einsamen Hütte in Schweden verbringen müsste, welche vier Platten müsste ich unbedingt mitnehmen?
Jan: „Music For Airports“.
Leo: Und dann die „Kashmir Karma“.
Jan: Und „Blue Note“ von Miles Davies. Das haben wir da oft beim Kochen gehört.
Stephan: Und eine Astrud Gilberto-Platte.
Jan: Ja, da bin ich dabei. Das ist geil.
Welche Bedeutung steckt hinter dem Titel „Kashmir Karma“?
Leo: Wir haben echt viel geredet über das Weltgeschehen. Das war auch eine Facette, die neu war. Es war so viel im Wandel. Trump war Präsident geworden. Dann gab’s den Brexit. Das waren eigentlich schon alles sehr sehr beängstigende Nachrichten. Die Erdogan-Nummer war da auch, glaube ich. Einmal am Tag haben wir immer „Tagesschau“ geguckt und uns gefragt was da eigentlich los ist. Der Name „Kashmir Karma“ schwebte wie so ein Karma über dem Ganzen. Dass man eben Sachen tun sollte, die gut für’s Karma sind. Im Gegensatz zu diesen ganzen schlechten Nachrichten. Oder jetzt, Trump will Nordkorea auslöschen. Dass man so etwas überhaupt sagen darf heutzutage. Das ist eigentlich eine Katastrophe. Früher wären die Leute, wenn ein Präsident sowas gesagt hat, auf die Straße gegangen. Man hat sich so daran gewöhnt. Man stumpft ab. Und das darf eigentlich nicht sein. Ganz wichtig für unsere Demokratie und dass das weitergeht, ist, dass man sich unterhält, dass man sich ausreden lässt und dass man Interessenausgleich betreibt. Dass man zusammenkommt und zusammen was herstellt. Und das bedeutet auch so ein bißchen der Name „Kashmir Karma“. Also dass man versucht Gutes zu tun. Und auch sagt und das benennt, was wir meinen, was Gutes sein kann. Bei „Feuer und Wasser“ in der zweiten Strophe, da gibt es richtig deutliche Ansagen wie man sich das eigentlich vorstellen kann. Als Utopie in der Zukunft. Wie geht das nochmal?
Jan (erhebt seine Stimme): Organisiere die Liebe. Zelebriere den Frieden. Kannst du dir das nicht merken? (lacht)
Christian: Wir haben ja auch schon einiges durch in unserem Zusammenleben. Und wie friedlich und respektvoll und begeistert das in Schweden war. Wir haben da eine kleine Kommune gegen diesen ganzen Wahnsinn veranstaltet. Wir alle Vier sind schon sehr extrem, aber wir haben das über die Zeit schätzen gelernt, was man eigentlich doch für ein Glück hat.
Das ist doch ein schönes Schlusswort. Ich danke euch für eure Zeit und das überaus nette Gespräch.
Musicheadquarter bedankt sich ebenso bei Annett Bonkowski (Verstärker Medienmarketing GmbH) für die freundliche Vermittlung des Interviews und bei Mika Bode für die nette Betreuung vor Ort! Wir werden uns wiedersehen!