RAR 2025 – der Sonntag mit The Warning, Jinjer, Beatsteaks und Sleep Token

Nass und kalt. So sollte der Sonntag bei ROCK AM RING 2025 beginnen. Die Fans waren wirklich nicht zu beneiden. Am Vortag hatte es so viel geregnet, dass man die Autos der Tagesgäste nachts zum Teil mit Traktoren aus dem Schlamm ziehen musste. Als Gegenmaßnahme hatte man jetzt die Nordschleife als Parkfläche geöffnet. Ein kluger Schachzug, um die chaotische Lage zu entzerren. Gegen den Regen waren inzwischen alle gewappnet, aber der kalte Wind machte vielen zu schaffen. Indiz: Hoodies und Mützen waren an allen Merch-Ständen ausverkauft. Aber den Spaß wollte man sich davon nicht verderben lassen – schließlich gab es am dritten Tag noch einige fantastische Bands zu sehen und zu entdecken!

Credit: Julia Nemesheimer

Für mich startete der Tag an der Utopia Stage mit Dead Poet Society. Sehr auffällig der hohe Gesang von Frontmann Jack Underkofler, der sich manchmal recht weiblich anhörte. Die Band aus Los Angeles hatte noch nicht viel Publikum, machte aber das Beste draus. Trotz des philosophischen Bandnamens gab es eher harte Klänge zu hören. Zwischendrin wurde es aber auch akustisch und melodisch, so dass man einen angenehmen Kontrast zwischen dunklerem Alternative Rock und durchaus filigranen Indie-Klängen erleben durfte.

Credit: Julia Nemesheimer

Weibliche Bands und Fronter sind ja am Ring traditionell rar gesät. Um so besser, dass mit The Warning gleich eine komplette Frauenband am Start war, die es den männlichen Kollegen auch ordentlich zeigte. Daniela, Paulina und Alejandra Villarreal Vélez sind drei Schwestern aus Mexiko, die als Trio die Bühne rockten. Bekannt geworden ist man durch Coverversionen bekannter Rocksongs auf Youtube, doch inzwischen funktioniert die Musik längst eigenständig.

Credit: Rainer Keuenhof

Drei grandiose Stimmen, unter denen Daniela besonders herausstach, nutzten ihren einstündigen Set, um neue Fans zu gewinnen. Stücke „Six Feet Deep“, „Apologize“ und „Hell You Call a Dream“ zeigten einen gitarrenlastigen Hardrock, der vor allem dann überzeugte, wenn die drei sich im Harmoniegesang gegenseitig stützten. Eine hervorragende Neuentdeckung für das Festival, die man gerne auch mal später am Abend platzieren darf.

Credit: Rainer Keuenhof

Danach gab es Punk aus Bristol. Die Idles (übersetzt: Faulenzer) wurden 2009 gegründet und haben bislang fünf Studioalben veröffentlicht, von denen zwei den Spitzenplatz der britischen Charts erreichten. Die Mischung aus Indierock mit punkigen Klängen und Hardcore-Elementen war sehr passend und das Publikum ließ sich ordentlich anfeuern. Man zeigte auch politische Haltung und wandte sich explizit gegen homophobe, transphobe sowie faschistische Tendenzen. Ein früher Gegenpol in Richtung von Falling In Reverse, bei denen sich der Frontmann leider mit einigen spitzen Gesten und Bemerkungen ganz anders zeigte.

Die Setlist der Idles reichte von „Colossus“ über „Divide and Conquer“ bis hin zum abschließenden „Rottweiler“. Gerne nutze man diverse Ansagen und Textzeilen, um sich politisch zu positionieren: „My best friend is Palestenian“ hieß es beispielsweise in „Danny Nedelko“. Das Anprangern gesellschaftlicher Misstände liegt den Musikern im Blut.

Credit: Rainer Keuenhof

Etwas zeitversetzt ging es zur Mandora Stage, wo Jinjer aus der Ukraine mit ihrer famosen Sängerin und Shouterin Tatiana Shmayluk aufwarteten. Die Band wurde 2009 in Donezk gegründet und fünf Jahre später ist man aufgrund des Krieges um die Krim aus dem Land geflüchtet. Einerseits gab es starke Metalklänge zu hören, bei denen die Frontfrau ein aggressives und hartes Growling an den Tag legte. Wenn es dann aber zu melodischen Textzeilen ging, überzeugte Tatiana mit einem klassisch anmutenden Klargesang. Der Wechsel zwischen dieses extremen Polen ist ein deutliches Alleinstellungsmerkmal der Band.

Credit: Rainer Keuenhof

Die Beatsteaks aus Berlin werden schon dreißig Jahre alt. Kaum zu glauben! Die Berliner Punkband um Arnim Teutoburg-Weiß feierte die unglaubliche Kulisse vor der Utopia Stage und riss das Publikum von Beginn an mit. Es gab eine Mischung aus deutschen und englischen Texten. Natürlich mit viel beschwingtem Punk, aber auch mit gesellschaftskritischen Momenten. Man feierte das Leben und die Livemusik, ließ aber gleichzeitig dem Hass auf die AFD freien Lauf und ermutigte alle, sich gegen rechte Tendenzen zu stellen.

Credit: Julia Nemesheimer

Die Hymne „Hey Du“ mit den tröstlichen Textzeilen „Du bist schön, auch wenn du weinst“ wurde zur emotionalen Hymne des frühen Abends und führte zu langen Beatsteaks-Sprechchören. Die Setlist hatte einiges zu bieten – von „Hand in Hand“ über „Frieda und die Bomben“ bis hin zu „I Don’t Care as Long as You Sing“. Es gab eine emotionale Bandvorstellung, bei der man die vergangenen Jahrzehnte Revue passieren ließ. Das Setting war aber auch wie aus dem Bilderbuch. Endlich ist die Sonne rausgekommem. Fans aller Colour schwenkten ihre Arme von den ersten Reihen über das ganze Infield bis in die letzte Ecke, wo man die Menschen kaum noch erkennen konnte. Arnim machte einen Kniefall vor dem Publikum und man hatte mal wieder bewiesen, dass die Beatsteaks einfach eine grandiose Liveband sind. Es war eine Megaparty bis zum Schluss!

Credit: Julia Nemesheimer

Eine der umstrittensten Bands des Festivals war dann sicher Falling In Reverse. Die Band ist 2008 von Sänger Ronnie Radke gegründet worden, während er im Gefängnis saß. Auch als geläuterter Straftäter gibt er weiter den Bad Guy und hat dabei ein recht charismatisches Auftreten. Die Mischung aus Hardcore und Metalcore passte wie die Faust aufs Auge auf die Hauptbühne, wo später noch KORN zu sehen sein sollten. Es gab ein gekonntes Crossover aus Rock und Rap, wobei Ronnie stets mit klarer Stimme sang, ständig in Bewegung war, das Publikum mitriss und fast schon sympathisch erschien, wären da nicht seine transfeindlichen Gesten und Äußerungen. Er spielte damit, lachte, und vermutlich hat die große Mehrheit des Publikums ohnehin nicht zugehört und nicht verstanden, wovon er sang und sprach. Seine Frage, ob die Fans überhaupt Englisch verstehen, sprach Bände.

Credit: Rainer Keuenhof

„Ich bin ein Arschloch wie ihr“, meinte Ronnie und ließ einzelne Fans von einer „Asshole Cam“ filmen und auf die Leinwand übertragen. Vielleicht witzig gemeint, aber ohne großen Effekt. Musikalisch und showtechnisch war der Gig grandios, das muss man zugestehen. Es gab eingeblendete Videosequenzen zu den Songs und die Band zog alle Register, um sich im Glanz der Main Stage zu sonnen.

Die Interaktion mit dem Publikum war durchaus seltsam, so ging der Frontmann zu „No Fear“ von der Kamera begleitet backstage und performte den Song aus dem Off. „Popular Monster“ kokettierte mit dem verdorbenen Image und das Konzert endete mit „Watch The World Burn“ ziemlich abrupt und mehr als eine Viertelstunde früher als geplant. Ronnie hatte mehrfach die frierenden Fans bedauert, aber vielleicht war es ihm jetzt selbst zu kalt und auch das mit den Fans im Chor gesungene „We Are the Champions“ konnte ihn nicht mehr aufwärmen. Wer weiß, was in ihm vorging? Die Show war eine Wucht – ohne Frage -, aber ein fader Beigeschmack bleibt.

Credit: Rainer Keuenhof

Auf der Mandora Stage zelebrierten jetzt Powerwolf ihre ganz besondere Metal-Messe. Die Lokalmatadoren aus dem Saarland wurden 2003 in Saarbrücken gegründet und man lief zur Höchstform auf, als man den rumänischen Sänger Attila Dorn als Frontmann verpflichtete. Was seitdem aus den Boxen dröhnt, ist Powermetal vom Feinsten. Markenzeichen ist aber die sakrale Anmutung der Songs, die sich in weiten Teilen an spirituellen Klängen orientieren, auch mal Orgelmelodien nutzen und neben englischen sowie deutschen Texten zudem auf Latein erklingen. Etwas Gregorianik, rumänische Sagen-Andeutungen, Wölfe, Vampire und Blut. Mit diesen Elementen spielt die Band sehr erfolgreich und feiert den Bombast. Bühnenbild und Kostümierung mögen bisweilen übertrieben erscheinen, doch es funktioniert: Neben europaweit größten Hallen war auch der Headliner-Slot bei Rock am Ring bemerkenswert.

Der Wind war gar nicht mehr so eisig, als KORN als dritter großer Headliner die Utopia Stage übernahmen – und das mit einem Start kurz vor Mitternacht. Für die formidable Lightshow mit beweglichen Strahlern und viel Atmosphäre auf jeden Fall ein Glücksfall. Auch die hohen LCD-Türme durch das ganze Infield waren eine hervorragende Ergänzung für bisweilen fehlende Sicht. Mit fetten Flammen ließ man die Menge immer wieder Jubeln. Es ist halt ein großes Ereignis, wenn die Nu Metal Pioniere endlich mal wieder in Deutschland sind.

Es gab einen umtriebigen Set, der mit „Blind“, „Twist“ und „Here To Stay“ startete. Der Backkatalog ist groß und jeder fand vermutlich etwas nach seinem Geschmack. Jonathan Davis growlte sich durch die Setlist und griff (leider selten) auch mal zum Dudelsack. Die Fans feierten die Show mit einem Moshpit neben dem anderen. Natürlich gab es auch Dubstep und schnelle Rap-Einlagen, doch der Schwerpunkt des Konzerts lag auf harten Gitarren. Songs wie „Cold“, „Dirty“ und „Somebody Someone“ ließen die Kälte vergessen. Und gleich drei Zugaben gab es kurz vor 1 Uhr nachts, bevor ein (kleines) Feuerwerk das diesjährige Ende für die Utopia Stage bedeutete.

Credit: Julia Nemesheimer

Und dann Sleep Token. Was für ein grandioser Abschluss! Man musste sich sputen, um zur Mandora Stage zu gelangen, denn jetzt wollten alle dorthin. Mit zehn Minuten Verspätung startete die Band der Stunde, die sich dem Progressive Metal verschrieben hat. Die Londoner Band erinnert mich an die Glanzzeiten von Anathema und Opeth. Gerade ist das ambitionierte Album „Even in Arcadia“ erschienen, das im Mittelpunkt der Performance stand.

Der Set war in vier Teile gegliedert, die durch kleine Zwischenspiele voneinander getrennt wurden. Die Band trat maskiert auf, was wie bei Slipknot zum Markenzeichen gehört. Die Identität der Mitglieder wird streng gehütet. Der Sänger, genannt Vessel, spielt auch Gitarre und Keyboard. Texte und Melodien sind von melancholischer Schönheit. So passte es, dass ständig ein Blüten-Konfetti-Regen vom Bühnendach fiel. Die zärtlichen Melodien standen brachialen Vocals mit Growls entgegen. Das Ergebnis ist keine Musik zum Abfeiern, stattdessen lauscht man den sphärischen Klängen, bewundert den Gesang und lässt sich während der harten Passagen einfach gehen. Dabei wurden nicht nur Gitarren und Drums geliefert, sondern bisweilen auch filigrane Pianomelodien. Und diese Stimme! In den Höhen absolut grandios. Sleep Token sind eine musikalische Wucht und lieferten eine Performance wie vom anderen Stern. Man musste einfach ausharren, um dem beizuwohnen.

So bleibt es dabei, am Ende ein Fazit zu ziehen. Was waren die Highlights, was die Überraschungen? Ein Hoch jedenfalls auf die neuen LCD-Türme. Hoffentlich wird das beibehalten. Die vierte Bühne hätte ich nicht gebraucht, aber sie trägt zur Vielfalt bei. Wo hätte man sonst nachts die kölschen Klänge von Kasalla untergebracht? Mit der Öffnung der Rennstrecke zum Parken hat der Veranstalter Flexibilität bewiesen. Auch die Kommunikation über Social Media fand ich ausgesprochen gut.

Überraschungen wie Electric Callboy hat man gerne mal. Das Infield war freitags schon früh gefüllt und die Fans konnten auch Roy Bianco was abgewinnen (zum Teil zumindest). Ein wirklich großer Wurf war bei den Secret Acts aber nicht zu finden. Auch Kraftklub gingen in der Zuschauermasse unter. Da hätte es einer besseren Übertragung bedurft, so wie bei den Donots im Jahr 2024 vor der Hauptbühne.

Freitags waren erwartungsgemäß Bring Me The Horizon das Highlight. Auch Feine Sahne Fischfilet sorgten mit dem gut aufgelegten Monchi für beste Stimmung. Am Samstag hat mich – ganz ehrlich – Kontra K extrem abgeholt. Ist doch ein sympathischer Kerl, der mit den Ringrockern eine gute Zeit haben wollte und alles dafür tat. Slipknot haben mich in der Vergangenheit schon mehr begeistert. Es war halt solide. Und am dritten Tag? Die Beatsteaks in melancholischer Feierlaune und Sleep Token mit einer überwältigenden Show. So konnte das Festival grandios zu Ende gehen.

2026 geht’s weiter. Wieder am ersten Juni-Wochenende und mit Linkin Park als Headliner. Was will man mehr? Der VVK startet schon morgen, High Noon. Und vermutlich wird es wieder ausverkauft sein. Auf Tagestickets braucht wohl keiner zu hoffen. Die Zukunft von Rock am Ring ist so lange gesichert, wie es Bands gibt, die gestandene Rocker sehen wollen. Und das dürfte wohl auch bis zum 50jährigen Jubiläum gesichert sein. Rock on!