Vermutlich ist es nicht nur Segen, sondern auch Fluch, dass Tanita Tikaram stets mit ihrem Megahit „Twist In My Sobriety“ in Verbindung gebracht wird. Immerhin ist sie mit ihrem Debütalbum „Ancient Heart“ weltberühmt geworden – und die Oboenklänge besagten Songs können wohl viele noch auf Anhieb mitsummen. Seitdem sind aber 28 Jahre vergangen und die britische Sängerin, die in Münster / Westfalen geboren wurde, hat sich musikalisch enorm weiter entwickelt. Gerade das neue Album hat mit dem Folkpop des Erstlings kaum noch was zu tun. Trotzdem (oder gerade deshalb) ist es definitiv ein Ohr wert.
Auf dem Cover und den Fotos im Booklet scheint Tanita nicht wesentlich gealtert zu sein, und auch ihre Stimme ist noch genauso unverkennbar wie bei ihrem Debüt, rau und ungewöhnlich tief. Allerdings lotet die Sängerin die Möglichkeiten dieser Stimme heute intensiver aus und auch der Sound ihrer Musik hat sich verändert, ist von Blues-, Jazz- und Soulelementen beeinflusst. Vor allem aber klingt Tanita heute entspannter und fröhlicher als zu ihren Teenagerzeiten.
Für ihr neuestes Werk wurde sie beeinflusst von ihrer Live-Band (die bereits gemeinsam mit Van Morrison und John Marty spielten), von einem ganzen Leben voller Platten und von zeitgemäßen Recordingansätzen, die der Musik einen ganz eigenen und dynamischen Sound verleihen. „Glass Love Train“ startet mit viel Groove und dezentem Streicher-Einsatz. Das ist schon mal ein ordentlicher Auftakt, der Akzente setzt. Beschwingt geht es voran und erst weiter hinten in der Songliste erzählt Tanita poetisch verträumt aus ihrem Leben und lässt uns daran teilhaben.
„Food On My Table“ ist beispielsweise ein gelungenes Blues-Stück. „Night Is A Bird“ versinkt in jazzigen Gefilden und der letzte Song „My Enemy“ zeigt, dass Tanita Tikaram auch heute noch eine sehr schwermütige Atmosphäre schaffen kann. Die Band trägt dazu mit vielfältigen Arrangements bei, die auch mal deutlichen Bläser-Einsatz vorsehen.
„Closer To The People“ ist kein leicht zu konsumierendes Album und damit meilenweit vom Pop der Anfangszeit entfernt. Es lohnt sich aber, Tanita Tikaram mit ihrer charismatischen Stimme auch heute eine Chance zu geben. Wer sich darauf einlässt, den erwartet ein hervorragendes Singer/Songwriter-Album, das zwischen ausgelassen und nachdenklich schwankt.
Freitags war der Auftritt des famosen Projekts „Tubular Bells for two“, am Samstag gab es den nächsten akustischen Leckerbissen in der ehemaligen Reichsabteikirche St. Maximin in Trier. Diesmal gastierte Tanita Tikaram, weltweit bekannt geworden durch ihr Debütalbum „Ancient Heart“ im Jahr 1988, das vor allem in Europa höchste Chartplatzierungen einfuhr. Jeder, der in dieser Zeit musikalisch sozialisiert wurde, kann wohl die Oboenklänge von „Twist In My Sobriety“ mitsummen.
So hatte sich die ehemalige Kirche, die inzwischen zu einer Turn- und Konzerthalle mutiert ist, bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Publikum war gut durchmischt, bestand aber in der Mehrzahl aus älteren Semestern. Tanita Tikaram ist zwar seit ihrem Erstling immer als Sängerin aktiv geblieben, konnte aber nie an die alten Erfolge anknüpfen. So fragte auch ich mich, ob die Songs überhaupt einen Wiedererkennungswert haben werden – doch da musste ich mir keine Sorgen machen.
Zunächst aber gab es ein Vorprogramm mit der Künstlerin Stephanie Neigel. Die junge Sängerin stammt aus Mannheim und ihr Album „Introducing Stephanie Neigel“ ist gerade ganz frisch erhältlich. Sie kam mit einem Gitarristen (Nils Becker) auf die Bühne und brachte vor allem sich selbst mit – in einer vielfältigen Variante. Eigentlich stammt die Gute nämlich aus der A-cappella-Szene und ist sehr erfolgreich mit der Gruppe Les Brünettes unterwegs. Dabei handelt es sich um ein weibliches Vokalquartett, das ein Programm aus Stücken zwischen Jazz und Soul präsentiert.
In Trier musste Stephanie nun ihre Vokalbegleitung selbst erzeugen und nutze dafür eine Loop Station, auf der sie live ihre eigene Stimme mehrfach aufnahm und eine mehrstimmige Begleitung erzeugte, zu der sie zauberhaft sang. Der Auftritt dauerte nur 30 Minuten, doch es gelang ihr hervorragend, mit Songs wie „I Need Your Loving“ und „Rainbow“ die Zuhörer zu verzaubern. Egal ob mit Loop Station, mit akustischer Gitarrenbegleitung oder allein am Flügel – in dieser Stimme steckt viel Potential.
Tanita Tikaram betrat dann mit größerer Band die Bühne. Als Instrumente waren neben den Gitarren auch Kontrabass, Flügel und Saxofon im Gepäck. Später dann Querflöte und Klarinette. Schon vor dem ersten Ton wurde sie mit riesigem Applaus bedacht. Die Britin, die 1969 in Münster geboren ist, verfügt in Deutschland noch immer über eine große Fanbasis. Als ersten Song gab es „Good Tradition“ vom Debütalbum – und das war auch für mich ein Aha-Erlebnis. Damals besaß ich das Album nur auf Musikkassette, doch ich muss es oft gehört haben, denn der Song ist noch deutlich im Gedächtnis geblieben. Auch „World Outside Your Window“ hat diesen Erinnerungswert. Schließlich gab es aber auch neue Songs wie „Dust On My Shoes“.
Vor allem der der begleitende Kontrabass und ein Multi-Instrumentalist, der wahlweise Saxofon, Klarinette und Querflöte spielte, verliehen den Songs viel Glanz. Und natürlich die charakteristische Stimme von Tanita Tikaram, die vielleicht in der tiefen Tonlage nicht mehr ganz so fest ist, dafür aber sehr ausgereift und wie geschaffen, um die Akustik der ehemaligen Kirche perfekt zu füllen.
Es gab Songs, bei denen sich Tanita selbst am Flügel begleitete („Make The Day“), Töne, die fast schon nach Progressive Rock klangen, wenn die Querflöte einsetzte, und auch eine recht füllige Jazz- und Blues-Mischung, als „He Likes The Sun“ erklang. Die Sängerin hat immer noch eine enorme Ausstrahlung. Ganz stark fand ich „Cathedral Song“ vom Debütalbum. Nur mit Gitarre begleitet passte dieser Song perfekt in das Ambiente und entführte textlich in die Zeit der ersten großen Liebe, wenn das unbekannte Gefühl die beängstigende Größe einer düsteren Kathedrale erreicht. Stark!
Natürlich gab es auch „Twist In My Sobriety“ – noch vor der Zugabe. Ein Zeichen dafür, dass sich Tanita nicht auf die Songs reduzieren lassen will, die ihr als 18jährige einfielen. Schließlich hat sie aktuell mit „Can’t Go Back“ ein hervorragendes Album auf dem Markt. Und wie zum Trotz sang sie gleich dessen Titelsong hinterher. Dieser ist voll süßer Melancholie, welche die Britin mit ihrem tiefen Timbre noch immer perfekt vermittelt. Hörenswert ist das neue Album allemal und eine Empfehlung nicht nur für treue Fans.
Im Zugabenblock gab es zunächst nach 75 Minuten Konzertlänge den Coversong „Love Is In The Air“. In Tanitas Arrangement ganz neu und auf das Klangbild mit Kontrabass zugeschnitten. Ein Klassiker, den sie sich so zu eigen machte. Das Konzert schien zu Ende, doch sie ließ sich nochmal auf die Bühne bitten und sang ganz allein zu eigener Gitarrenbegleitung die Ballade „Little Sister Leaving Town“ vom Album „Sweet Keeper“. Ein berührender Abschluss für ein wundervolles Konzert. Kompliment auch an das Publikum, das nach vielen Songs andächtig auf den letzten Ton lauschte, bevor ein tosender Applaus startete. So soll das sein!