Wenn ich an die Band Tears for Fears denke, kommen mir natürlich als erstes die Hits „Shout“, „Everybody Wants to Rule the World“ und „Mad World“ aus den 80ern in den Sinn. Mit genau diesen drei Songs ist das Quartett aus Bath in England unsterblich geworden. 1989 gab es ein letztes Aufbäumen mit „Sowing the Seeds of Love“. Danach ist es recht ruhig geworden um die Synthiepop-Band, die aber immer noch existiert und inzwischen vor allem aus den Gründungsmitgliedern Roland Orzabal und Curt Smith besteht. Bassist und Sänger Smith hatte sich zwischenzeitlich von der Band abgewandt, doch 2004 gab es ein kongeniales Comeback mit dem vielsagenden Titel „Everybody Loves a Happy Ending“. Dass es dann nochmal 17 Jahre bis zum zweiten Reunion-Album dauern würde, konnte zwar niemand ahnen – aber besser spät als nie.
Die neue Musik reflektiert viele der persönlichen und beruflichen Wendepunkte, die das Duo in den letzten siebzehn Jahren erlebten. Auf die Frage, warum es (erst) jetzt ein neues Album gibt, sagt Roland Orzabal: “Bevor mit diesem Album alles so gut lief, musste erst alles schief gehen. Es hat Jahre gedauert, aber es passierte etwas, wenn wir unsere Köpfe zusammenstecken. Wir haben diese Balance, dieses Push-me-pull-you-Ding – und es funktioniert wirklich gut.” Curt Smith stimmt dem zu: “Wenn diese Balance auf einem Tears For Fears-Album nicht funktioniert, dann funktioniert die ganze Sache einfach nicht. Um es einfach auszudrücken, ein Tears For Fears-Album und das, was die Leute als den Sound von Tears For Fears wahrnehmen, ist das, worauf wir uns beide einigen können.”
Im Gegensatz zu den energischen und fröhlichen Songs der 80er geht es diesmal sehr schwermütig und melancholisch zu. Das Titelstück „The Tipping Point“ ist Dreh- und Angelpunkt des Albums. Der Song fängt die Trauer ein, wenn man mit ansehen muss, wie jemand, den man liebt, seinen langjährigen Kampf gegen eine schwere Krankheit verliert. Ebenso traurig klingen das aufmunternde „Please Be Happy“ und die fein arrangierte Ballade „Master Plan“ mit floydesken Klängen.
Ganz stark ist der Eröffnungssong „The Small Thing“ als folkige Gitarrenballade mit sonorer Stimme vorgetragen. Nach diesem ungewöhnlichen Start folgen die gewohnten sphärischen Synthiesounds und ein Gesang, der auch mal in hohe Lagen abdriftet. „Break The Man“ schwebt förmlich aus den Boxen, bis die Gitarren einsetzen, und „My Demon“ klingt so genial nach einem 80er-Jahre-Sound, als hätten Depeche Mode ihre Ideenschmiede mal wieder geöffnet.
„The Tipping Point“ bietet zehn solide Tracks in 42 Minuten – wie in alten Zeiten und doch mit einigen Überraschungen versehen. Wenn dann zum Schluss die wundervolle Ballade „Stay“ geschmachtet wird, die man schon vom Best Of „Rule The World“ kennt, hat man eine Ahnung davon, warum Tears for Fears auch nach vierzig Jahren immer noch relevant sind.