Die Gier nach Leben und den Extremen

Vielen ist Monchi alias Jan Gorkow vermutlich als Sänger der Punkband Feine Sahne Fischfilet bekannt. Wer einmal ein Konzert dieser politischen Rockband aus Mecklenburg-Vorpommern gesehen hat, dem wird vor allem der charismatische und kraftvolle, übergewichtige Frontmann in Erinnerung geblieben sein. Zu Spitzenzeiten brachte er nach eigenen Angaben 182 Kilo auf die Waage. Heute sagt er: „Ich wiege 120 Kilo und fühle mich wie ein Schmetterling“.

Vermutlich ist es nicht politisch korrekt – und fällt vermutlich unter den Tatvorwurf „Bodyshaming“ – sich über Monchis Gewicht auszulassen. Doch Feine Sahne Fischfilet haben auch nicht gerade die politische Korrektheit neu erfunden. Man erinnere sich an die Textpassage „Niemand muss Bulle sein“ aus dem Song „Wut“. Und Monchi macht mit dem Titel „Niemals satt“ seine Fressgier ganz unumwunden zum Thema. Dabei ist das aber nur der oberflächliche Anlass für diese Autobiografie. In wirklich geht es um viel mehr: nämlich um den Hunger nach Leben, den sich die Rampensau und der Grenzgänger der Maßlosigkeit nicht nehmen lassen will.

Schonungslos ehrlich und mit kumpelhafter Sprache erzählt das Buch zwei Geschichten. Im Hintergrund schwingt (natürlich) immer die Band mit und der beispiellose Aufstieg aus der Provinzstadt Jarmen vom Hansa-Rostock-Hooligan zur Galionsfigur der linken Szene. Die Band hatte er mit Schulfreunden gegründet und lange Zeit wurden sie aufgrund der expliziten Texte und der Teilnahme an gewalttätigen Demonstrationen vom Verfassungsschutz beobachtet.

Ebenso wichtig ist aber der Selbstfindungsprozess nach der schockierenden Entdeckung backstage bei einem Konzert 2019 in Bamberg, dass die Waage ohne Klamotten 182 Kilo anzeigt. Wer sich selbst zerstören will, googelt in dem Moment nach dem BMI und findet heraus, dass 49,4 fast das doppelte der gängigen Definition von Übergewicht ist.

Vielleicht war es Karma, dass diese Entdeckung mit dem Beginn der Corona-Pandemie einherging. Dem Jahr 2020, in dem sich Feine Sahne Fischfilet ohnehin eine mindestens einjährige Bandpause verordnet hatten. Wo will man denn auch noch hin, wenn man als deutschsprachige Band bei Rock am Ring die Hauptbühne zur besten Sendezeit geknackt hat, als Punkband auf Platz 3 der deutschen Charts gelandet ist und Charly Hübner eine Dokumentation („Wildes Herz“) zu Band und Frontmann gedreht hat?

Fotocredit: Bastian Bochinski

Wir hören von seiner Essstörung, von der Zuckersucht, von der Scham, wenn man Freunden die Süßigkeiten weg frisst, von den Schwierigkeiten, sich den Arsch abzuwischen. Auf der einen Seite stehen die Maßlosigkeit, das exzessive Leben, die Gier nach immer mehr und nach Leben. Auf der anderen Seite der Wunsch, etwas daran zu ändern, eine Waage zu finden, die mehr als 160 Kilo anzeigt, mit den Kumpels beim Paragliding mitzumachen.

Und plötzlich geht es um Selbstdisziplin, um den Wunsch, etwas zu ändern. Fitnessstudio, Ernährungsberatung, Sport, Kalorienzählen, das ganze drum und dran. So wird die Biografie über zwei erstaunliche Lebensjahre und die entsprechenden Hintergründe zu einer Art Selbsthilfebuch. Aber ohne esoterisches Gelaber – allein schon die Wortwahl zwischen Arschloch und Fotze sprechen entschieden dagegen. Die Gefühle auf der Reise zwischen Erfolgen und Rückschlägen werden schonungslos offen gelegt. Und Monchi wird mir als Leser sympathischer, als er es als prolliger Frontmann je gewesen ist. Auch die Familie – vor allem die Eltern – spielen eine Rolle und machen diese seltsame Reise sehr emotional.

Monchi beschreibt mit schonungsloser Ehrlichkeit und Selbstkritik, wie er es in nur einem Jahr geschafft hat, 65 Kilo abzunehmen, und wie ihn der Kampf gegen die Maßlosigkeit seitdem täglich beschäftigt; mit vielen kleinen Erfolgen, aber genauso vielen Rückschlägen – denn die Herausforderung hat gerade erst begonnen. Auf diesem steinigen Weg ist ein besonderes Buch entstanden, das voller faszinierender Gedanken und Geschichten steckt. Monchi trägt sein großes Herz auf der Zunge – und so schreibt er auch!

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