Alexander Gorkow: Die Kinder hören Pink Floyd

Wer dieses Buch liest, hat die Musik von Pink Floyd im Kopf.

Wow! Was für ein Roman! Beim Lesen haben mich eine Menge Flashbacks begleitet auf der Zeitreise in die Siebzigerjahre, in denen auch ich aufgewachsen bin. Beim Keyword Pink Floyd hellhörig geworden, habe ich direkt Infos über das Buch im Netz eingeholt. Das Cover finde ich eine Wucht, obwohl es außer Text keinen Eyecatcher enthält. Die komplette Schrift auf dem Titelcover ist in dem gleichen Farbverlauf gehalten wie die Strahlen, die vom Prisma auf dem Pink-Floyd-Cover des Albums „Dark Side Of The Moon“, reflektiert werden.

Die Supergroup der Siebzigerjahre zieht sich wie ein roter Faden durch den Alltag des zehnjährigen Protagonisten (ist es der Autor selbst?), der in der Ich-Person erzählt. Man wird sofort in das Flair der Siebziger versetzt, was sich am besten entfaltet, wenn man die Zeit selbst noch erlebt hat. Herrlich die Spitzen auf Heino und Barzel, und die vier Bandmitglieder von Pink Floyd sind in den Augen des Jungen und seiner älteren Schwester, die an einer Herzkrankheit leidet und viel Zeit im Krankenhaus verbringt, die Bekämpfer des Establishments.

Wenn man an den Seiten riecht, glaubt man den Kleinbürgermief der Siebziger zu riechen. Dramatisch und gleichzeitig wunderbar tragisch ist dieser Roman, ebenso herzerwärmend komisch wie melancholisch. Selten einen Roman gelesen, der so expressiv die Magie der Musik erklärt.

Die Jugendlichen, die den Roman tragen, sind im Wesentlichen Außenseiter. Der Junge stottert, seine Schwester hat eine angeborene Herzkrankheit (das Herz nicht am rechten Fleck, was im übertragenen Sinne eben nicht stimmt) und sein bester Freund Hubi leidet unter Trisomie21 und müsste laut Medizinern und Experten längst tot sein. Der Junge fragt sich, warum Hubi von den Mitschülern Mongo genannt wird und folgert daraus, dass er wohl so aussieht wie ein Einwohner der Mongolei. Das Thema Mobbing wird hier aus der Sicht der Betroffenen geschildert, aber ohne anzuklagen, sondern mit Galgenhumor.

Auch die große, herzkranke Schwester, lebt schon viel länger, als die Ärzte den Eltern prognostiziert haben. Obwohl todkrank, strotzt sie vor Lebensfreude und steckt damit den Leser an! Sie ist es, die die Band Pink Floyd vergöttert, sehr zum Ärger des Vaters der lieber klassische Musik hört, dafür jedoch ihren kleinen Bruder für die revolutionäre Musik begeistern kann. Eine Freude zu lesen, welchen Eindruck die einzelnen Plattencover bei beiden hinterlassen und wie und was sie in die Musik interpretieren.

„Atom Heart Mother“, die LP mit der Kuh auf dem Cover, wird dermaßen seziert, dass auch mir völlig neue Eindrücke sichtbar wurden. Dann erschien „Wish you were here“, und wieder wird erzählt, wie diese Musik die Jugendlichen begleitet. Das wochenlange Warten auf „Animals“. Der Plattenhändler nimmt Monate im Voraus bereits Bestellungen entgegen, kennt die Platte angeblich bereits von seinem letzten Londontrip.

Mit dieser Platte endet auch der Hauptteil des Romans. Allerdings folgt noch ein Epilog, den ich in dieser Länge noch nicht erfahren habe. Im Zeitraffer springt darin der Roman bis ins Jahr 2018, als er entstand. Der Junge erzählt, wie er mit seiner Schwester eines der sechs legendären Pink-Floyd-Konzerte 1981 in der Dortmunder Westfalenhalle besucht hat, die Band aber hinter einer riesigen Styropormauer wie auf dem Cover von „The Wall“ versteckt war. So musste er bis zum letzten Drittel des Konzerts warten, bis er seine Stars endlich mit eigenen Augen sehen konnte. In der Folge wird er Musikjournalist und führt mit dem fast 75-jährigen Roger Waters sogar noch ein Interview.

Viel zu kurz ist dieser Roman. Den Preis von 20 Euro (keine Bilder im Buch!) rechtfertigt nur seine Klasse, nicht jedoch der Umfang. Ich wäre gerne noch tiefer in die Zeit eingetaucht, als Schallplatten noch etwas Magisches an sich hatten. Selbstverständlich läuft gerade „Dark Side Of The Moon“ (leider nur als CD), während ich dies hier verfasse. Mein Lieblingssatz in diesem Buch steht als Zitat auf der Buchrückseite: „Schau in die Welt, Junge, nicht in den Himmel!“