Ein „Festival der Liebe“ in Losheim

In den 90er Jahren sind sie plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht und sorgten in der deutschen Konzertlandschaft für Furore: Guildo Horn und Dieter Thomas Kuhn. Zwei Kunstfiguren, die dem etwas entschlafenen Metier Schlager neues Leben einhauchten. Allein aus regionalen Gründen war ich natürlich immer Teil der Fraktion Guildo. Immerhin hat dieser Mann, bürgerlich Horst Köhler, den ich schon von meiner Arbeit bei der Lebenshilfe Trier kannte, das Erbe von Roy Black angetreten und durfte mit Hilfe von Stefan Raab gar zum ESC nach Birmingham, um seine Heimat piepend zu vertreten.

Tatsächlich habe ich bis gestern die zweite neue Schlager-Ikone Thomas Kuhn (das „Dieter“ wurde als Künstlername hinzugefügt) noch nie live gesehen. Nur seine spezielle Version von „Über den Wolken“ war mir als Ohrwurm ein Begriff. Es wurde also höchste Zeit für das „Festival der Liebe“, das 2024 am schönen Strandbad am Losheimer See über die Bühne ging.

Guildo hatte seine Clubkarriere 1991 gestartet, Dieter war drei Jahre später am Start. Und trotz vieler Gemeinsamkeiten sind die beiden von ihrer Art doch sehr unterschiedlich. Während Guildo die rockige Seite des Schlagers sucht und seine Stücke immer mal wieder mit Versatzstücken von AOR anreichert, hält Dieter Thomas Kuhn die alten Werte der ZDF-Hitparade zwischen Love & Glamour hoch. So hatte die eindrucksvolle Bühne in Losheim eine bühnenfüllende LCD-Wand und eine umlaufende Showtreppe.

Die mehr als 4.000 Zuschauer*innen hatten sich in einen Festival-Look gekleidet, der irgendwo zwischen Hippies und Prilblumen anzusiedeln ist. Die Stimmung war von Beginn an sehr ausgelassen, bier- und weinselig mit dem allumfassenden Wunsch, jeden Schlager lauthals mizusingen. DTK ließ sich auch nicht lumpen und füllte mit seiner Band locker 170 musikalische Minuten. Es wurde schon recht kühl am See, als sich alle gegen 22.50 Uhr wieder auf den Heimweg machten.

Erste Hits waren „Sag mir quando“, „Hello Again“, „Michaela“ und „Griechischer Wein“ – also Klassiker, die jeder kennt. In seinem Glamour-Outfit lud Dieter das Publikum zum kollektiven Nacktbaden im See ein. Ob es später wirklich dazu kam, will ich bezweifeln, hatte aber auch nicht die Muße, das zu überprüfen. Immer wieder flogen BHs auf die Bühne oder es durften sich Zuschauerinnen neben dem Star einfinden, um mit ihm zu tanzen und am Ende ein Küsschen abzustauben.

Die „singende Föhnwelle“ machte aber nicht nur Party. Mit „Am Tag als Conny Kramer starb“ wurde es psychedelisch. „Keiner muss allein nach Haus,“ sagte der Sänger. „Wenn am Ende noch jemand übrig bleibt, sind wir ja auch noch da“. Songs wie „Eine neue Liebe“ und „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ kamen mit starken Bläsern und ordentlich Tempo aus den Boxen. „Über den Wolken“ interpretierte DTK zunächst stilecht allein mit Gitarre, bevor es dann Fahrt aufnahm.

Dieter zog sich nicht auf der Bühne aus (Guildo ist ja spätestens nach 45 Minuten oberkörperfrei), zeigte aber schon um 21.10 Uhr sein Brusthaar-Toupet und verteilte Teile davon freigiebig in die ersten Reihen. In fast drei Stunden gab es nicht nur bekannte Gassenhauer, sondern durchaus auch interessante Kuriositäten wie „Die Zeit macht nur vor dem Teufel halt“ (im Original von Barry Ryan), „Bind ein blaues Band um unseren Birkenbaum“ (Bata Illic) und „Der Teufel und der junge Mann“ (Paola). Das sind Schlager, die nur für Insider ein Begriff sind und dennoch – oder gerade deshalb – sehr gehaltvoll erscheinen.

Beeindruckt war ich von der melancholischen Performance „Du hattest keine Tränen mehr“. Das verursachte wirklich Gänsehaut. Richtung Finale war dann aber wieder die große Show angesagt mit „Fiesta Mexicana“, „Wunder gibt es immer wieder“ und „Es war Sommer“. Die Fans sangen selig „Dieter Thomas Kuhn“ auf die Melodie von „Sierra Madre“ und zum unvermeidlichen „Hossa“ brannte gar dezente Pyro in Schlagermanier.

Um 22.15 Uhr gab es die ersten Zugaben mit „Anita“ und „Ti Amo“. Zu Udos „Merci chérie“ kam Dieter zwar nicht im Bademantel auf die Bühne, setzte sich aber gediegen ans Klavier. Und „Butterfly“ sowie „Tränen lügen nicht“ beendeten ein ultimatives Schlagererlebnis. Interessanterweise wurde „Ein Festival der Liebe“ von Jürgen Marcus am ganzen Abend nicht gespielt, trotzdem hatte man ihn ob des Tourtitels durchgängig (und während der ganzen Nach) als Ohrwurm im Hinterkopf.

Braucht es ein Fazit? Grönemeyer oder Marius, Ärzte oder Hosen, U2 oder Simple Minds, Guildo oder Dieter – früher waren das ernsthafte Glaubensfragen. Heute weiß man, dass alles nebeneinander existieren kann. Und der Schlagerbarde Dieter Thomas Kuhn hat mich absolut überzeugt. Hut ab für den 59jährigen aus Tübingen. Ich bin gespannt, was er sich nächstes Jahr zum Einstieg ins Rentenjahrzehnt einfallen lässt.

Dieter Thomas Kuhn – „Festival der Liebe“ – die ultimative Setlist am 30.8.2024 in Losheim am See

Sag mir quando, sag mir wann
Hello Again
Michaela
Griechischer Wein
Am Tag als Conny Kramer starb
Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben
Ich war noch niemals in New York
Wann wird’s mal wieder richtig Sommer
Der Junge mit der Mundharmonika
Über den Wolken
Tanze Samba mit mir
Die kleine Kneipe
Die Zeit macht nur vor dem Teufel halt
Amore mio
Du hattest keine Tränen mehr
Bind ein blaues Band um unsern Birkenbaum
Ich liebe das Leben
Über sieben Brücken mußt Du gehn
Der Teufel und der junge Mann
Vielen Dank für die Blumen
Fiesta Mexicana
Wunder gibt es immer wieder
Willst du mit mir geh’n?
Und es war Sommer
Fremde oder Freunde

Anita
Ti amo
Liebe ohne Leiden
Merci chérie
Butterfly
Tränen lügen nicht