Van Canto legen nochmal eine Schippe drauf: „Voices Of Fire“
Unglaubliche zehn Jahre lang verzaubert das Sextett nun schon zwei Welten, die so gar nicht zusammen passen wollen: Die A-cappella-Szene und das weite Feld der Metal-Jünger. Als die Power-Metal-a-cappella Truppe mit ihrer Idee begann, gab es Fragzeichen in vielen Augen. Denn im Prinzip war das, was dieses Sextett aus einer Frau und fünf Männern da von sich gab, weder Fisch noch Fleisch. A-cappella-Puristen störten sich an dem Schlagzeug, das einfach nötig war, da kein Beatboxer der Welt stundenlang ein Metal-Schlagwerk imitieren kann. Und die Metaller konnten sowieso nur müde lächeln, wenn sie hörten, dass eine Metalband ganz ohne Gitarren antreten will.
Inzwischen hat sich das Blatt zugunsten von Van Canto gewendet. Und ich muss neidlos zugestehen, dass es vor allem die Metalszene ist, die der Band inzwischen ein Zuhause bietet. Inzwischen werden Van Canto nicht mehr nur abgefeiert, wenn sie Coverversionen von Metallica, Manowar oder Nightwish auf die Meute abfeuern, denn die eigenen Tracks bekommen einen immer höheren Stellenwert. Und das vor allem aus einem Grund: Es sind in der Regel Bombastrock-Ohrwürmer, die den Vergleich mit jeder Art von Metalhymne bestehen können.
Ihre Studioalben werden immer besser. Man muss sich nicht mehr vor Augen führen, dass die Band hier (abgesehen vom Schlagzeug) instrumentenlos vorgeht, denn die Songs können auch für sich stehen und begeistern. Das sechste Album „Voices Of Fire“ hat nochmal ganz Besonderes zu bieten: Es handelt sich um ein „Metal Vocal Musical“, dem ein Roman des Fantasy-Autors Christoph Hardebusch zu Grunde liegt. Man geht hier also den kompletten Vertriebsweg: Ein Roman, ein von Leadsänger Sly eingelesenes und von Van Canto musikalisch verfeinertes Hörbuch und natürlich das Album – ein Rundumschlag, wie es ihn in dieser Größenordnung noch nie gab.
Wenn man nun das Album hört, wird geklotzt und nicht gekleckert. John Rhys-Davies spricht den Prolog und den Epilog. Das hört sich dann sehr nach Manowar zu ihren Glanzzeiten an: martialisch und bedeutungsschwanger. Die Songs bieten epischen Rock und klingen, vor allem wenn Inga Scharf ihre Stimme erhebt, sehr nach Nightwish. Dass die Arrangements perfekt ineinander greifen und die Soundkulisse hervorragend trägt, muss gar nicht mehr erwähnt werden. Das sind wir von Van Canto schon seit langem gewohnt. Hinzu kommen chorische Passagen mit den London Metro Voices, die bisher unter anderem auf dem Soundtrack zu „Herr der Ringe“ zu hören waren. Obwohl es reine Stimmen sind, die man hier hört, bekommt das Album durch die chorische Vielfalt einen symphonischen Touch. Ein kluger Schachzug.
Inhaltlich dreht sich das Konzeptalbum um die üblichen Fantasy-Themen: konkurrierende Königreiche, große Schlachten, Drachen, Feuer und Barden. Sänger Sly und Autor Hardenbusch haben die Rahmenhandlung zusammen entworfen und bitten darum, das Ganze nicht zu ernst zu nehmen. Muss man auch nicht. Die Idee funktioniert im Gesamtpaket und hebt Van Canto auf eine Stufe, die man ihnen vor zehn Jahren niemals zugetraut hätte. Aus dem Spaßprojekt ist eine ernsthafte Metalband geworden. Und das (fast) ohne Instrumente. Immer wieder ein Genuss und live besonders stark.