Eine musikalische Biographie ist eine wirklich wundervolle Art des persönlichen Rückblicks. Das kann auf den unterschiedlichsten Wegen geschehen. Adel Tawil hat es uns in seinem Hit “Lieder” vorgemacht. Doch in der Realität passiert es uns doch fast täglich: Man hört einen Song, der Erinnerungen hervorruft, sei es im Radio, auf einer Party oder im schlimmsten Fall als verhunzte Melodie in der Fernsehwerbung. Was es auch ist – ein Lied ruft Erinnerungen hervor. An die Zeit, in der es die größte Bedeutung hatte. An biographische Momente, an innige Liebeleien, fröhliche Gemeinsamkeiten, familiäre Bande oder schmerzhafte Trennungen.
Der bekannte niederländische Liedermacher und große Poet Herman van Veen verarbeitet in “Es regnet im Radio” den Soundtrack seines Lebens. Es ist eine sentimentale Reise zu den Songs, die ihn und eine ganze Generation prägten. Nat King Cole’s “Unforgettable”, Trini Lopez’ “If I had a hammer”, Bob Dylans “Masters of War” oder John Lennons „Look at me“ ‒ Songs wie diese hatten einen großen Einfluss auf Herman van Veen und lösen bis heute starke Erinnerungen in ihm aus: An seine Kindheit im Utrecht der Nachkriegszeit, an seine Jugend während des Kalten Krieges, an wichtige Begegnungen in seinem Leben.
Der Aufbau des Buches ist dabei keineswegs chronologisch. Vielmehr lässt der Künstler sich von seinen Emotionen treiben, erzählt kleine Anekdoten und verbindet sie mit lyrischen Songtexten. Man erfährt so viel von seiner Persönlichkeit, den Freuden und Schmerzen, dass es im Herzen bisweilen weh tut und bisweilen wohlige Wärme entfaltet.
In “Es regnet im Radio” blickt Herman van Veen zurück und spannt den Bogen bis heute, denn die Musik begleitete und inspirierte ihn ein Leben lang. So verwundert es nicht, dass neben den üblichen Verdächtigen auch ein Rapper wie Kendrick Lamar Einzug in van Veens Soundtrack des Lebens hält. Der Singer-Songwriter, Violinist, Poet, Clown und Schauspieler hat kürzlich seinen 76. Geburtstag gefeiert. Auf gut 200 Buchseiten kann er nur Ausschnitte seines Wirkens und der Einflüsse auf ihn zeigen, doch diese sind gut gewählt. Die Musik bildet den roten Faden, der alles verbindet.
“Es regnet im Radio” ist ein Buch, das einlädt zum Abtauchen in Melodien, mit denen wir alle etwas Besonderes verbinden. Und es ermuntert dazu, sich Gedanken über die eigene musikalische Biographie zu machen.
Das letzte Konzert des Holländers, das ich in Trier gesehen habe, war vor sechs Jahren in der atmosphärischen Reichsabteikirche St. Maximin. Da kann die Europahalle mit ihrem 70er-Jahre-Flair natürlich nicht mithalten. Trotzdem schaffte es der inzwischen 74jährige Singer, Songwriter, Violinist, Clown und Schriftsteller ohne Weiteres, schon mit wenigen Songs – ja alleine damit, über die Bühne zu tänzeln – sein Publikum in der ausverkauften Halle zu begeistern.
Das aktuelle Programm heißt (nach dem im Februar erschienenen aktuellen Album) “Neue Saiten”. Und es sind wahrlich viele Seiten und Saiten, die uns der Altmeister zeigt. Da sind zum Beispiel die musikalischen Saiten von Gitarre, Violine, Kontrabass, Harfe und Piano, die uns in wechselnder Besetzung nahe gebracht werden. Und es ist der gute Herman als Sänger, im Violinen-Duell, als Pianist, als Schauspieler (im ewigen Clinch mit seinem Bassisten), als Pantomime und nicht zu vergessen als Vorleser, an dessen Lippen das Publikum hängt.
Unsere junge Kollegin Hannah Kröll hat vor sieben Monaten einen wunderschönen Artikel zum Auftritt in Siegburg geschrieben, bei dem Herman schon das aktuelle Programm zum Besten gab. Das hat sie in so persönliche und lebendige Worte gepackt, dass ich dem gar nichts hinzufügen mag. Daher hier der Link zu ihrem Konzertbericht:
Meine eigenen Highlights will ich aber auch nicht verschweigen. Es sind die Momente, in denen der Holländer vom Tod erzählt, ohne dass dies die Zuschauer traurig stimmt. Denn er führt stets eine große Portion Trost mit sich. Es sind die Momente, in denen Herman Geschichten vorliest. Kleine Anekdoten, in denen er aus seinem Leben erzählt – von Familie, Persönlichkeiten und Begegnungen. Fast schade, wenn er den sonoren Erzählfluss mal wieder durch ein Lied unterbricht.
Definitiv lohnt sich die Investition in das “Programmheft” für 7 Euro. Hier nämlich finden sich viele der Lebensweisheiten zum Nachlesen. Van Veen erzählt rührend von seinem ehemailigen Pianisten Erik van der Wurff, der in allen Tourstädten die Wege besser fand als der Taxichauffeur. “Das TomTom hätte man ErikErik nennen müssen.” Oder vom Kreuz mit den Ärzten: “Wenn die Blumen im Wartezimmer deines Hausarztes tot sind, ist es Zeit, den Arzt zu wechseln”. Auch die homosexuelle Tochter muss als Aufhänger herhalten, um zu Toleranz und Friedfertigkeit aufzurufen.
Der Schriftsteller liest zudem aus seinem aktuellen Buch “Solange es leicht ist”, erschienen bei Droemer Kanur. Auch diese Auszüge sprechen dafür, dass diese Lektüre sich lohnen dürfte.
Aber zurück zum Konzert: Glänzend, wenn Herman in Socken über die Bühne tänzelt und im nächsten Moment den gebrechlichen Alten gibt. Er ist immer für eine Überraschung gut – egal ob er den langen Schuhlöffel als Pseudo-Trompete nutzt oder ein fröhliches “Tutti Frutti” anstimmt. Nach 60 Minuten gab es eine Pause.
Im zweiten Teil überließ er die Bühne für lange Zeit seinen Instrumentalisten, die ja auch hervorragende Sänger sind. Edith Leerkes ist ohnehin eine Koryphäe und bestach mit Gitarre und Vocals. Jannemien Cnossen gab die hervorragende Einlage “Your Kisses”. Wieke Garcia (Percussion und Harfe) machte die Bühne mit stimmlichen Lautmalereien lebendig und Kees Dijkstra feierte ein rockiges Bass-Solo.
So nahm der Abend seinen Lauf und spätestens mit Van Veens überzeugender Opernparodie war die Stimmung im Publikum auf dem Siedepunkt. Pünktlich um 22.30 Uhr verabschiedete sich die orchestrale Truppe. es gab nur eine winzige Zugabe, aber das Publikum ließ nicht locker. Durch “Herman”- und “Edith”-Rufe holte man die Akteure zurück, als der Saal schon halb geleert war. Die abschließende Zugabe “Mein Freund und ich” beschloss einen fantastischen Abend. Hoffen wir, dass Herman van Veen auch mit 76 oder 77 Jahren nach Trier zurück kehrt und dem Bühnenleben noch lange erhalten bleibt.
Heute ist Herman zu Besuch in Siegburg. Ich nenne ihn Herman, schließlich kennen wir uns schon seit über 20 Jahren. Naja, also ich kenne ihn schon so lange, er mich glaube ich nicht. In jedem Fall hat er mich heutzutage noch genauso begeistert und gerührt wie vor 20 Jahren, als ich drei Jahre alt war.
Herman van Veen kommt mit seinen vier weiteren Musiker*innen auf die Bühne und der Applaus ebbt kaum ab. In den Gesichtern der Zuschauer*innen sieht man glänzende Augen, die von Vorfreude auf den gemeinsame Abend zeugen. Auf den ersten Blick ist noch nicht zu erkennen, wie viele verschiedene Instrumente eigentlich auf der Bühne stehen – bei der Menge kein Wunder, dass Herman mit einem LKW angereist ist. So wird während des Konzerts zum Beispiel der Hocker an der Harfe zur Cajón und Herman zaubert irgendwann eine Mundharmonika aus seiner Hosentasche. Die Musiker*innen nehmen uns alle zusammen mit auf eine Reise. Und das ist das Schöne daran: Ich habe nicht das Gefühl Herman van Veen plus Band zuzuschauen, sondern einer Gruppe von fünf Menschen, die gemeinsam Musik machen, Spaß haben und denen wir dabei zusehen dürfen. Nicht nur Herman singt, auch Edith Leerkes an der Gitarre bekommt Minuten alleine auf der Bühne und begeistert uns mit ihrem Talent.
Ich glaube, am heutigen Abend ist kaum ein Auge trocken geblieben, sei es vor Rührung oder vor Lachen. Beim Lied „Anne“ jubelt das Publikum schon nach den ersten Tönen und die Stimmung wird auf einmal ganz andächtig. Aber nur Sekunden später schafft Herman es wieder uns alle zum Lachen zu bringen. Besonders schön ist dabei seine Parodie der Oper. Mehrere Minuten lang imitiert er eine Sopranistin, einen Tenor und den Chor in einer Oper – ich habe Tränen gelacht und war dabei sicher nicht die einzige! Doch Herman macht nicht nur allein Quatsch auf der Bühne, immer wieder bezieht er den jungen Bassisten mit ein, dem seine Rolle als Tollpatsch auch zu gefallen scheint. Kaum eine Sekunde lang ist Stille auf der Bühne, denn Herman leitet von einem Song zum nächsten mit kleinen Anekdoten über. So erzählt er zum Beispiel davon, dass seine Tochter mit einer Frau verheiratet ist und dass darauf in manchen Ländern der Welt leider noch die Todesstrafe steht. Auf diese Botschaft hin folgt eines meiner Highlight-Zitate des Abends: „In Holland wurde vor über 100 Jahren die Todesstrafe abgeschafft, jetzt fehlt nur noch der Tod.“ Und wenn ich mir das so anhöre, wünsche ich mir auch, dass dieser großartige Musiker, Clown und Entertainer noch lange auf den Tod warten muss!
Deswegen können die Abende mit Herman meiner Meinung nach auch gar nicht so recht unter dem Begriff „Konzert“ zusammengefasst werden. Vielmehr ist es ein Bühnenabend, bei dem man lacht, weint und sich riesig freut dabei sein zu können. Trotz seines stolzen Alters – er verrät uns, dass er 1945 geboren ist – ist Herman nicht außer Atem zu bringen. Er tanzt und hüpft über die Bühne, als wäre er nicht fast 74, sondern vier Jahre alt, klettert auf einen Stuhl und lässt beim Cover des Songs „Tutti Frutti“ von Little Richard auch sein Talent im Hüftschwung erkennen. Dafür hat er auf jeden Fall meinen Respekt verdient, so viel Energie bei einer so langen Tour an den Tag zu legen, würde mir mit meinen knapp 23 Jahren schon schwer fallen. Doch anstatt nach dem zweieinhalbstündigen Konzert mit nur 25 Minuten Pause müde zu sein und von der Bühne ins Bett zu fallen, erzählt Herman uns bei der gefühlt 27. Zugabe, dass er leider nicht mehr so lange spielen kann, schließlich müssten sie ja heute Nacht noch nach Castrop-Rauxel fahren. Er lässt es sich dennoch nicht nehmen auch nach der Verabschiedung mit den Worten „Fahren Sie vorsichtig, bleiben Sie gesund, dann sehen wir uns hier in zwei oder drei Jahren wieder!“ noch mehrfach wieder auf die Bühne zurück zu kommen und durch das Publikum zu rennen, um dann am Ende doch noch einen Song mit den anderen vier Musiker*innen zu spielen – und das während fast alle Leute schon zum Gehen bereit im Gang stehen und ihre Jacken anhaben.
Gestanden haben viele Leute aber eigentlich das ganze letzte Drittel des Konzerts, denn die Musiker*innen konnten sich über Standing Ovations freuen. Das hat Herman auch direkt ausgenutzt und das Publikum zum Kreischen animiert. Ich muss zugeben, dass die von mir aus rechte Hälfte des Saals mehr drauf hatte als wir auf der linken Seite… Herman kann gar nicht genug Applaus bekommen und scheint sich ehrlich über den gemeinsamen Abend zu freuen. Um 22.45 Uhr verlässt er dann nach zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten zufrieden die Bühne. Wir Zuschauer*innen laufen auch langsam hinaus in die Kälte, viele mit einem Lächeln auf den Lippen und froh, dass es so ein schöner Abend war. Danke Herman!
Tickets für alle weiteren Konzerte der “Neue Saiten”-Tour 2019 gibt es hier oder bei
Um Herman van Veen zu beschreiben, muss man weit ausholen. Er ist Holländer, 68 Jahre alt, geboren in Utrecht. Er ist Liedermacher, Komponist, Sänger, Violinist, Pianist, Texter, Schriftsteller, Clown. Werde ich nach einem bekannten Lied des Künstlers gefragt, fällt mir als erstes natürlich seine Zeichentrick-Schöpfung Alfred Jodocus Kwak ein – und damit der gute Laune verbreitende Song “Warum bin ich so fröhlich”. Geschrieben hat diesen der Pianist Erik van der Wurff. Beide zusammen feiern, wie Herman van Veen erzählt, gerade gemeinsam ihr 50jähriges Bühnenjubiläum. “Damals habe ich an der Universität eine junge hübsche Pianistin gesucht – und Erik hat sich gemeldet.” Fünfzig gemeinsame Jahre auf der Bühne. Unzählige Songs und Alben. Doch ein wirklicher Chartbreaker war nicht dabei. Darum fällt es auch so schwer, seine Kunst zu erklären.
In Trier war er mit seinem Programm “Bevor ich es vergesse”. Ein sehr passender Titel, denn man hatte das Gefühl, van Veen gibt uns einen Rundumschlag durch sein Leben, erzählt von Begebenheiten und Beziehungen, so als wolle er noch einiges los werden, bevor es ihm nicht mehr einfällt. Dafür war die ehemalige Reichsabteikirche St. Maximin ein schöner Schauplatz. Eine großartige Band nahm dort gemeinsam mit dem Meister Platz: Erik van der Wurff am Piano, von den Zuschauern bei jeder Vorstellrunde begeistert gefeiert, Jannemien Cnossen an der Violine und zudem mit einer fantastischen Jazz-Stimme, Willem Wits an diversen Percussion-Instrumenten und Dave Wismeijer am Bass. Hinzu gesellte sich Edith Leerkes, eine niederländische Gitarristin und Sängerin, die selbst schon auf eine beachtliche Anzahl an Veröffentlichungen zurück blicken kann.
Van Veens Lieder erzählten von Dingen, bei denen jeder mitreden kann. Das machte sie so greifbar für die Zuschauer. Er sang von glücklichen und gescheiterten Beziehungen, von Kindern und Enkelkindern, vom Sterben seiner geliebten Frau. Hier kam der Clown durch, der ein trauriger Clown ist, aber die Menschen zum Lachen bringt. So erzählte er vom Tod und man spürte, wie es ruhig wurde im Saal und auch unbequem. Zu den sentimentalen Gedanken gesellten sich aber schöne Erinnerungen und ein Witz. Plötzlich verwandelte sich das Trauern in ein herzhaftes Lachen – so wurden die Zuschauer mitgenommen auf eine emotionale Reise.
Van Veen und seine Mitstreiter ließen uns kaum durchatmen. Es gab zwar viele stille, leise, ruhige Momente mit Schlafliedern, Nachdenklichkeiten, philosophischen Ideen zum Grübeln. Dann aber plötzlich wieder ein schnelles Stück, van Veen sprang über die Bühne, tanzte , schrie. Ein wundervoller Entertainer und zugleich ein wunderbarer Mensch, denn er kann erzählen, so dass man ihn schon ewig zu kennen glaubt. Dann hatte er plötzlich eine imaginäre Panflöte im Mund und fabrizierte ein lustiges Flötensolo. Natürlich spielte er allerlei echte Instrumente wie Gitarre, Piano, Violine und Mundharmonika. Doch auch die übrigen Musiker bekamen viel Raum, konnten sich in Szene setzen. Jannemien sang ein Lied, Edith gleich mehrere.
Das Konzert zog sich fast bis 23 Uhr hin. Zu Beginn schien das Schema noch ziemlich strikt. Nach der Halbzeitpause aber erzählte van Veen von Liedwünschen, die ihn per Mail erreicht haben. Er sang ein Lied von Alfred Jodocus Kwak und spielte weitere Wünsche. Sein Repertoire ist ohnehin unerschöpflich und so wollte dann auch der Zugabenblock kein Ende finden. Das Publikum feierte einen fantastischen Künstler wild applaudierend und stehend. Er kam ein ums andere Mal zurück und präsentierte weitere Songs. Auch ein holländisches Lied, bei dem er zu einem kleinen Sprachkurs ausholte und alle mitsangen. Irgendwann war Schluss und er verabschiedete sich mit den Worten: “Ich will jetzt das tun, was ihr auch tun solltet: ein gutes Glas Wein trinken und ein Brötchen mit Lachs essen.”
Wenn ich jetzt zurück denke, habe ich vor dem Konzert nur eines der Lieder gekannt: den Song “Küsschen”, der von der neuen Frau an Papas Seite handelt, der man plötzlich abends ein Küsschen geben muss. Alles andere war Neuland für mich. Ein Abend voller Poesie, in den man sich fallen lassen konnte. Herman van Veen hat ein Händchen für tief gehende Texte, die in Erinnerung bleiben. Wie der Titelsong seiner aktuellen CD “Für einen Kuss von dir”: “Wenn du keinen See hast, ich mal dir einen. Hast du keinen Himmel, ich glaub dir einen.” Hier konnte das kirchliche Ambiente seine Wirkung voll entfalten, auch wenn die Räume heutzutage als Schulturnhalle genutzt werden.
Nächster Konzerttermin in der Region: Herman van Veen – “Für einen Kuss von dir” am 26. Oktober 2013 in der Gebläsehalle Neunkirchen
Die letzten Monate sind wahre Festwochen für Herman Van Veen-Fans. Ende September veröffentlichte der 67-jährige Holländer sein neues Album “Für einen Kuss von Dir” und mit diesem Programm ist er aktuell zum zehnten Mal in seiner Karriere auf Deutschland-Tour. Parallel dazu erscheint jetzt noch ein gleichnamiges Buch. Es ist nach der Autobiographie “Bevor ich es vergesse” bereits sein zweites innerhalb von nur zwei Jahren. Buch und Album hat er seinen beiden Enkelsöhnen gewidmet. So sind Enkel eines der zentralen Themen in “Für einen Kuss von Dir” – ob nun die eigenen oder der von Charlie Chaplin. Herman Van Veen erzählt von seiner Mutter im speziellen, Müttern im allgemeinen und solchen, die pupsen. Und er spricht von seinem kleinen Heimatland: “Wenn man in den Niederlanden beispielsweise in Den Haag erkältet ist und stark hustet, hört man das in Enschede”.
Über das Foto auf dem Buchdeckel hat Herman Van Veen kürzlich in einem Interview mit uns gesagt, es zeige “ungefähr ein Lachen” (das komplette Interview findet ihr hier). Und tatsächlich sind all die Geschichten, die er in “Für einen Kuss von Dir” erzählt auch so etwas wie “ungefähr ein Lachen”. Es sind seltsame, lustige oder nachdenkliche Geschichten, die manchmal keinem Erzählfaden zu folgen scheinen und die sich oftmals erst beim zweiten Durchlesen erschließen. Auf 312 Seiten philosophiert er darin über “Schimenschen”, über Haarausfall, Elfen, Krokodile, alte und neue Hotels. Er bewundert kleine Spinnennetze und erklärt uns ganz nebenbei, warum Gott einem Brötchen gleicht. Er tut das so, wie nur Herman Van Veen das kann. Man amüsiert sich mit ihm zusammen über kostbare Zwiebeln und andere heitere Irrtümer, legt gemeinsam den Kopf schief und sinniert über das Älterwerden oder das Langsamleben oder schluckt auf der Suche nach Zärtlichkeit den Kloß im Hals hinunter. Egal, ob Herman Van Veen in der Gestalt eines Großvaters auftritt, ob er Musiker, Clown, Kabarettist, Komponist, Maler oder wie hier Schriftsteller ist, eines ist stets sicher: Er berührt!
Das eigentlich Wundersame daran ein Buch von Herman Van Veen zu lesen ist jedoch, dass es sich anfühlt, als würde er selbst es vorlesen. In Gedanken höre ich ihn Seite für Seite in diesem für ihn typischen Deutsch mit dem symphatischen holländischen Akzent sprechen. Manchmal sehe ich ihn auch dabei lächeln. Es ist “ungefähr ein Lachen”.
Mit leisen Tönen und geistreichen, rätselhaften, lustigen und verrückten Worten verzückt Herman van Veen sein Publikum seit vier Jahrzehnten auch in Deutschland. Wie kaum ein anderer hat sich der niederländische Ausnahmekünstler einen festen Platz in der europäischen Kulturlandschaft erobert. Herman van Veen berührt jeden, der jemals mit ihm in Berührung gekommen ist. Er singt Lieder von der Liebe, ohne kitschig zu sein. Er bedient sich feiner Ironie, selbstironischer Heiterkeit und erzählt tragikomische Geschichten, die das Publikum in einen Zustand nachdenklicher Heiterkeit versetzen. Er ist ein scharfer Beobachter und vorsichtiger Erzähler, dessen Themen sich, wie er selbst sagt, auf die Begriffe “Baum – Haus – Straße – Papa – Mama – Mann – Frau” herunterbrechen lassen. Herman van Veen ist in seinem Genre vollkommen einzigartig. Die Kreativität des Musikers, Clowns, Kabarettisten, Komponisten, Poeten und Malers scheint schier unerschöpflich.
Ende September ist sein neues Album “Für einen Kuss von Dir” erschienen (hier findet ihr unser Review) und mit diesem Programm ist er aktuell zum zehnten Mal in seiner Karriere auf Deutschland-Tour. Im folgenden Interview gibt er gutgelaunt Auskunft über sich, sein Album, das Verliebtsein oder sein Verhältnis zu Deutschland. Aber erstmal überlassen wir es ihm sich vorzustellen…
Herman Van Veen: Hallo, hier spricht Herman van Veen mit einem “n”. Ich bin ein Mann, ich bin ein Holländer, ich bin 67 Jahre alt, 1945 geboren und ich bin Musikant. Ich singe und schreibe, nebenbei male ich auch. Ich reise mit meinen Liedern durch die Welt. Hier in Deutschland, wo wir jetzt sind, weil wir auf eine neue Tournee gehen, ist gerade meine neue CD erschienen. Sie heißt “Für einen Kuss von Dir”. Auf dieser CD gibt es nur Sachen, die ich erlebt habe. Die habe ich mir nicht ausgedacht, die habe ich nicht fantasiert, es sind autobiografische Lieder. Die singe ich mit sehr jungen Musikanten und ein paar alten Freunden und ich bin sicher, wenn Sie das Ding kaufen, dann genießen Sie fünfzig Minuten Jemanden.
Für wen haben Sie den Titelsong Ihres neuen Albums ”Für einen Kuss von Dir” geschrieben?
Herman van Veen: ”Für einen Kuss von Dir auf der Spitze meiner Nase”, das ist ein Liebeslied für meine Enkelsöhne. Ich würde doch nie eine CD mit dem Titel “Für einen Kuss von Dir” machen, die mit Mann und Frau zu tun hätte. Das kann man doch nicht. Das wäre doch unpassend. Aber meine Enkelsöhne sind eine der größten Überraschungen in meinem Leben. Diese zwei Elfen. Da ist mein Vater wieder, da ist meine Mutter wieder, da ist meine Tochter wieder, da ist mein Sohn wieder, da bin ich wieder, da ist meine Frau wieder. In einer anderen Gestalt. In Elfen, die alles schon genetisch haben, was wir durchleben. Phänomenal!
“Man objektiviert. Man tut nichts anderes als objektivieren. Und dadurch wird es subjektiv” (Foto: Peter Thomsen)
Ist das Verliebtsein Ihre Motivation dafür, mit 67 Jahren noch neue Alben aufzunehmen und auf Tournee zu gehen?
Herman van Veen: Wenn man verliebt ist, sieht man etwas oder jemanden immer mit neuen Augen. Du staunst. Sie steht auf, er steht auf, whatever mit wem du bist und dann: Wow, ist der schön! Wow, ist die lieb! Und das ist eigentlich das, was wir tun. Man objektiviert. Man tut nichts anderes als objektivieren. Und dadurch wird es subjektiv. Aber wir subjektivieren nicht auf einer Bühne. Wir singen so wie es ist. So dass du deine Geschichte sehen kannst.
Worin verlieben Sie sich mit 67 Jahren nach wie vor leicht?
Herman van Veen: Immer wenn ich Bach höre, egal was es ist, verliebe ich mich wieder in diesen Komponisten. Dann denke ich: Wow, bist du ein Typ. “Guten Morgen”, wie das klingt, wie das geschrieben ist, das ist phänomenal. Oder man sieht ein Gemälde. Ich bin ein Bewunderer von James Ensor, das ist ein enormer Maler. Und dann sehe ich das und denke: Gott, oh Gott. Oder Bob Dylan. Dann kommt das Gefühl wieder zurück. Dann weißt du wieder, wie es gerochen hat, auf der Straße, als du diesen Song gehört hast.
“Für einen Kuss von Dir” ist Ihr 29. Studio-Album in deutscher Sprache. Blicken Sie manchmal auf Ihr Gesamtwerk zurück?
Herman van Veen: Meine persönliche Lebensgeschichte, die ist dokumentiert in Büchern, Gemälden, Gedichten, Liedern, Theaterstücken, Filmen. Man kann diesen Mann spüren. Ich gucke mich nicht um. Ich mache weiter und das was gewesen ist, ist für mich gewesen. Das wird mir zu komplex. Das war, wie ich ich es damals in dieser Situation gesungen und gesagt habe. Heute spielen wir das, was wir heute vorhaben zu spielen. Und das ist etwas anderes als wir morgen spielen.
“Es ist immer mein Anliegen gewesen, mein ganzes Leben lang, wenn jemand aufhört, stirbt, tot umfällt, krank wird oder uns verlässt, weil er sich in einen Indonesier verliebt hat, dann soll der Neue immer der Jüngste sein” (Foto: Roli Walter)
Ihr neues Album klingt musikalischer als Ihre letzten Studioeinspielungen. Woher stammt der neue, musikalische Elan?
Herman van Veen: Das hat vor allem damit zu tun, dass wir auf der Bühne und im Studio drei junge Männer in unserem Team haben, die alle jetzt vom Konservatorium kommen. Einer ist ein Percussionist, einer ist ein Bassist, ein anderer ist ein Gitarrist. Einer ist nach der holländischen Presse zu urteilen der beste holländische Popkünstler. Die anderen zwei sind hochbegabte, junge 20-, 21-jährige Musikanten.
Wie groß war der Einfluss Ihrer drei neuen Musiker auf ”Für einen Kuss von Dir”?
Herman van Veen: Die haben großen Einfluss gehabt auf diese Produktion. Das sind Jungs die sind 21. Das Durchschnittsalter in unserem Team ist jetzt, glaube ich, 31 1/2. Ich bin weitaus der Älteste. Und es ist immer mein Anliegen gewesen, mein ganzes Leben lang, wenn jemand aufhört, stirbt, tot umfällt, krank wird oder uns verlässt, weil er sich in einen Indonesier verliebt hat, dann soll der Neue immer der Jüngste sein. Prinzipiell. Das finde ich lustig und interessant, weil ich von diesen Jungs unwahrscheinlich viel lernen kann und die können von mir Sachen lernen. Das finde ich schön. Und die haben großen Einfluss gehabt auf den Sound, die Produktion und die Art und Weise wie wir die Dinge tun. Das hörst du. Das ist total frisch. Und wenn du auch die Konzerte mit diesen Jungs siehst, das ist super. Ich kriege neuen Wind im Rücken und das geniesse ich sehr.
Seit Mitte der 1970er Jahre gab es kein Plattencover mehr, auf dem Ihr Gesicht hutlos in Großaufnahme zu sehen war. Haben Sie Ihr Gesicht für das Cover von “Für einen Kuss von Dir” fotografieren lassen, weil das Album starke autobiografische Züge besitzt?
Herman van Veen: Dieses Foto ist gemacht worden von einem Fotografen vom Algemeen Dagblad in Holland. Das ging mit diesem Mann. Das war okay. Dieser Mann hatte etwas Lustiges. Er hat mich gefragt: Können Sie auch lachen? (lacht) Dann habe ich ihm dieses Lachen gegeben, verstehst du?! Das ist ungefähr ein Lachen. Aber es bleibt ernst und wenn man das so sieht, dann könnte es Lachen sein, aber es könnte auch was anderes sein. Und als ich das Foto dann sah, sagten meine Frau und Edith (Leerkes, die Herman Van Veen schon lange an der Gitarre begleitet. Anm.d.Red.) und andere Freunde: Ja, das bist du. Man sieht nicht oft ein Foto, wo Du du bist, weil du bist dann meistens eine Idee von dem Fotografen. Das bin ich, das bist du und der Du guckt uns an und sagt: Kaufen (lacht). So ungefähr. Und da lacht er ein bißchen dabei.
“Ich gehe nachts in die Stadt und zähle Adler. Ich bin jetzt gerade bei 160 oder so” (Foto: Letja Verstij)
Sie kommen seit 40 Jahren regelmäßig für Tourneen nach Deutschland. Hat sich Ihre Deutschland-Wahrnehmung im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Herman van Veen: Für mich war Deutschland immer sexy. Ich fands herrlich und finds herrlich. Deutsch ist eine grandiose Sprache um zu singen. Nicht umsonst hat die deutsche Literatur so eine Dichter- und Liedergeschichte. Man denkt an Schubert, man denkt an Mozart. Deutschland hat eine Liedhistorie, die ist enorm. Und es hat sehr viel mit der Sprache zu tun. Deutsch gesungen ist eine der schönsten Sprachen die ich kenne.
Wie gut kennen Sie Deutschland?
Herman van Veen: Ich kenne es natürlich viel besser als die meisten Deutschen, weil ich überall bin. Ich bin fünf Tage in Hannover. Ich komme zum zehnten Mal. Zehn mal fünf macht fünfzig Tage Hannover. In der Zeit hat man ungefähr sehr viel von Hannover gesehen (lacht). Das ist in München so, das ist in Berlin so. Ich kenne diese Städte und ich kenne sie vor allem nachts. Ich gehe nachts raus und dann, das finde ich schön, suche ich Adler. Ich gehe nachts in die Stadt und zähle Adler. Ich bin jetzt gerade bei 160 oder so. Immer wenn ich dann wieder einen neuen entdeckt habe, so einen gemeißelten, dann sind das Sachen, die schreibe ich nicht auf, aber dann denke ich: Hey, die habe ich noch nie gesehen auf dieser Brücke. Und so gibt es allerlei Sachen und Kneipen und Buchläden, Museen und Kirchen und Theater. Ich kenne diese Städte anders als die Menschen die hier wohnen. Als Gast, aber natürlich sehr intensiv.
Warum sind die meisten Texte auf “Für einen Kuss von Dir” Zustandsbeschreibungen?
Herman van Veen: Warum soll das abgeschlossen werden? Es ist wie eine Zugfahrt. Man nimmt den nächsten Zug. Da ist keine Konklusion (für die, die es nicht wissen: Schlussfolgerung. Anm.d.Red.). Die liegt bei dir, nicht bei mir. Das hat mit dem Älterwerden zu tun. Man nimmt was wahr, man beschreibt etwas, aber man zieht keine Konklusion. Es ist nur eine Feststellung. Es riecht nach Narzissen. Was ist die Bedeutung davon, dass es nach Narzissen riecht? Mehr nicht, weniger nicht.
Und hier die Tourdaten 2012 von Herman Van Veen auf einen Blick (die Tour wird 2013 fortgesetzt – alle Termine findet ihr hier):
Herman Van Veen ist Holländer. Es gibt bessere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Musikerkarriere in Deutschland. Doch der 67-Jährige ist viel mehr als das. Er ist Komponist, Sänger, Schriftsteller, vierfacher Vater, zweifacher Großvater, Zauberer und Clown, vor allem aber ein stets scharfsinniger Alltagsbeobachter. Die üblichen Klischees von Tulpen, Wohnwagen, Käse, Holzschuhen oder spuckenden Fußballspielern dreht er seit nunmehr vierzig Jahren genüßlich durch die Mangel und hält sie uns – wie so vieles andere – als häßliches Spiegelbild unter die eigene Nase. Mal leise und mitfühlend, dann wieder laut und emotional. Ein Mann, der mit seinen Liedern und Geschichten mehr für das Verhältnis zwischen uns und unseren westlichen Nachbarn getan hat als alle anderen zusammen. Nicht rein zufällig hieß sein erstes deutschsprachiges Album von 1973 auch “Ich hab’ ein zärtliches Gefühl”. Wäre Herman Van Veen kein Holländer, er könnte glatt Deutscher sein.
Im Herbst diesen Jahres bis zum Herbst des nächsten Jahres kommt Hermannus Jantinus Van Veen zum zehnten Mal in diesen vier Jahrzehnten auf Tour nach Deutschland. Im Gepäck hat er seine neue CD “Für einen Kuss von dir”, benannt nach einem Lied, das er für seine beiden Enkel komponierte, für die er einst “Kleiner Fratz” schrieb. Produziert wurden die vierzehn Songs von ihm selbst, Marnix Dorrestein und Edith Leerkes, die auch Gitarre spielt und singt (“Im Nebel”). Natürlich ist Erik van der Wurff am Piano wieder dabei, der ihn bereits seit 1961 begleitet. Dazu Dave Wismeijer am E-Bass, Willem Wits (Percussion), besagter Marnix Dorrestein (Gitarre, Bass, Tasten & Gesang) sowie der Jazz-Geiger Jasper leClerq vom berühmten Zapp-Quartett.
Irgendjemand hat Herman Van Veen mal als “Hausmeister im Museum der Gefühle” bezeichnet und in “Für einen Kuss von dir” wird er diesem Ruf mehr als gerecht. Er erzählt von “Lucas”, einem kleinen Jungen, der sich fragt, warum er so ist, wie er ist, davon, wie sich der Kuss auf die Nasenspitze eines Opas anfühlt, von “Mütter” im Allgemeinen und seiner “ernsthaft witzigen Mama” im Speziellen (“Morgen ist es vorbei”). “Ein Witz ist eine besiegte Träne”, hat sie ihm mit auf den Weg gegeben. Wir begleiten Herman Van Veen zurück in seine Kindheit (“In unsrer Strasse”) oder beim Besuch in einer Klinik (“Später, wenn ich klein bin”). “Heute” war schon Bestandteil seines letzten Live-Programms “Im Augenblick”.
Herman Van Veen malt Bilder mit Worten. Die Farbe liefern seine exzellenten Mitmusiker, allen voran Jasper leClerq, der besonders im abschließenden, orientalisch angehauchten Instrumental “Dabadibab” mit seiner Violine Glanzpunkte setzt. Laut Van Veen “ein Lied zum Mitpfeifen”. Mit “Für einen Kuss von dir” ist ihnen ein Album voller Poesie gelungen. 41 Minuten lang geben wir unseren Alltag an der Garderobe ab und tauchen ein in diese spezielle Welt des Herman Van Veen. Eine melancholische, nachdenkliche, aber ebenso fröhliche und hoffnungsvolle Welt. Eine Welt, die keine Grenzen kennt. Schon gar nicht zwischen Holland und Deutschland.