Interview mit Seether: „Seit wann ist Facebook der Gradmesser für die Grösse einer Band?“
Mit millionenfachen Alben- und Singleverkäufen weltweit, über 63 Millionen Youtube-Klicks, Gold- und Platinauszeichnungen gehören Seether zu einer der erfolgreichsten Bands im Alternativ-Rock-Zirkus. Der Song „Broken“ mit Evanescence-Sängerin Amy Lee aus ihrem Debütalbum „Disclaimer“ machte die Band um Sänger Shaun Morgan vor zwölf Jahren schlagartig bekannt. Seitdem hat das ursprünglich aus Südafrika stammende Trio sechs weitere Alben veröffentlicht.
Vor ihrem Konzert in Köln traf sich Musicheadquarter-Chefredakteur Thomas Kröll mit Shaun Morgan, Bassist Dale Stewart, Schlagzeuger John Humphrey und dem zweiten Livegitarristen Bryan Wickmann zu einem kurzen Plausch im Backstagebereich des Gloria Theaters.
In den letzten Jahren habt ihr regelmäßig Konzerte hier in Köln gespielt. Habt ihr ein besonderes Verhältnis zu unserer Stadt entwickelt?
Dale Stewart: Wir mögen es einfach in Köln zu spielen. Wir sehen hier viele bekannte Gesichter auf unseren Konzerten. Und die Menge wird jedesmal größer. Das ist ein gutes Gefühl. Es ist schön wieder hier zu sein.
Ende Juni habt ihr ein interaktives Video zu eurer aktuellen Single „Nobody Praying For Me“ veröffentlicht. Darin thematisiert ihr sehr deutlich die unterschiedliche Darstellung von Polizeigewalt in den amerikanischen Medien. Habt ihr den Eindruck, dass sich das öffentliche Bewußtsein für dieses Thema in den USA gerade Schritt für Schritt ändert?
Dale Stewart: Schwer zu sagen. Wenn sich etwas geändert hat, dann dass wir heutzutage mehr davon mitkriegen. Denn heute hat jeder eine Kamera in der Tasche und kann alles direkt filmen oder fotografieren. Das macht es allerdings nicht besser. Ich hoffe, das Ergebnis ist, dass die Leute zweimal überlegen, bevor sie eine Waffe ziehen. Egal ob sie einen Polizisten oder jemand anderen vor sich haben. Es muss ein Umdenken stattfinden.
Bryan Wickmann: Deshalb auch die drei verschiedenen Blickwinkel in unserem Video. Dadurch kann man sich in verschiedene Rollen hineindenken und die Szene von allen Seiten für sich beleuchten. Es geht nicht nur um Polizeigewalt. Es geht um Gewalt überhaupt.
Auf eurer aktuellen Tour spielt ihr sowohl Festivalgigs als auch Solokonzerte. Wo liegt für euch der grösste Unterschied zwischen diesen beiden?
John Humphrey: In den Temperaturen (allgemeines Gelächter). Die Hallenkonzerte sind schon extrem heiß. Aber Festivalgigs sind auch sehr cool.
Dale Stewart: Ja, man ist früher fertig und kann noch ein bißchen die Musik und das Festival genießen.
Schaut ihr euch auch andere Bands an, wenn ihr auf einem Festival seid?
Dale Stewart: Ja, zuletzt haben wir uns Soulfly angeguckt und das war echt aufregend. Wir sind auch große Sepultura Fans. Das ist schon toll die Jungs live zu sehen. Es kommt halt immer drauf an. Manche Bands mag man und andere eben nicht. Es ist auch immer wieder schön neue Bands zu entdecken, von denen man vorher noch nie etwas gehört hat.
Wie sieht so ein typischer Tourtag bei euch aus? Liegt ihr den ganzen Tag im Bus rum und guckt DVDs?
Dale Stewart: Ja, genauso ist das. Echt langweilig. Es ist lange nicht so verrückt wie die Leute sich das immer vorstellen. Nach der Show hängt man noch ein bißchen ab und macht Blödsinn. Aber vorher sitzt man viel rum, liest E-Mails oder hält Kontakt mit der Familie zu Hause.
John Humphrey: Es sind acht Stunden Zeitunterschied zwischen hier und zu Hause. Da muss man dann schon den richtigen Zeitpunkt abpassen. Sonst schlafen da alle.
Seht ihr auch etwas von den Städten, in denen ihr spielt? Geht ihr nach dem Konzert nochmal raus und trinkt ein Bier oder sowas?
Bryan Wickmann: Manchmal. Kommt darauf an, wo wir gerade sind. Wenn wir mitten im Nirgendwo spielen, dann ist das eher schwierig. In Köln zum Beispiel ist es einfacher. An den Konzerttagen verbringen wir aber die meiste Zeit in der Halle. An freien Tagen hat man mehr Energie um herumzulaufen und sich die Stadt anzuschauen. Es gibt genauso Tage, an denen man viel schläft, einfach mal faul ist und Fernsehen guckt.
Euer letztes Album „Isolate And Medicate“ ist vor einem Jahr erschienen. Arbeitet ihr schon wieder an neuen Songs?
Dale Stewart: Nicht wirklich. Wir wollen erstmal die Tour abschließen und vielleicht nächstes Jahr an einem neuen Album arbeiten. Es ist hart neue Songs zu schreiben, wenn man so viel auf Tour ist. Wenn du nicht auf der Bühne stehst ist es schwierig dich zu motivieren und die Gitarre in die Hand zu nehmen. Man ist auch mal froh freie Zeit zu haben. Wir müssen jetzt noch ein Album bei unserer aktuellen Plattenfirma abliefern. Danach können wir frei entscheiden was wir gerne tun möchten.
Vor zwei Jahren habe ich euren Unplugged-Auftritt in der wunderschönen Kulturkirche hier in Köln gesehen. Das war wirklich grossartig. Können wir in Zukunft nochmal etwas ähnliches von euch erwarten?
Dale Stewart: Vielleicht. Das hat richtig Spass gemacht. Und es war mal etwas anderes. In diesen ganzen Kirchen zu spielen war unglaublich. Ja, warum nicht?
Wie sieht der Prozess des Songschreibens bei euch aus? Bringt jeder gleichberechtigt seine Ideen ein? Oder ist jemand verantwortlich für die Musik und ein anderer für die Texte?
John Humphrey: Shaun schreibt alle Texte. Manchmal hat er auch schon eine fertige Songidee dazu. Manchmal sind wir aber auch einfach nur im Proberaum oder im Studio und jammen. Daraus entsteht dann ein Song. Das ist nicht festgelegt. Das Hauptkriterium dabei ist immer, dass wir alle den Song mögen müssen.
Letzten Monat hast du, Shaun, mit den Fans auf Facebook gechatted. Wie wichtig sind für euch die sozialen Netzwerke?
Shaun Morgan: Ich persönlich finde das nervig. Ich nutze das nur für die Band, aber nicht für mich. Es interessiert mich nicht, was die Leute da tun und es hat sie auch nicht zu interessieren, was ich privat tue. Es interessiert mich nicht, was wer zum Frühstück gegessen hat. Manche Bands glauben, dass sie gross sind, nur weil sie so und soviele Likes auf Facebook haben. Seit wann ist Facebook der Gradmesser für die Grösse einer Band? Es kommt doch auf den direkten Draht zwischen einer Band und ihren Fans an. Ich spiele da nicht mit. Das brauche ich in meinem Leben echt nicht. Und oft ist es ja so, dass die Leute, die etwas in guter Absicht posten, auch noch einen Shitstorm dafür ernten. Als Band ist es gut, um die Fans mit Informationen zu versorgen. Aber letzten Endes kommt es doch einzig und alleine auf die Musik an. Das wird heute leider oft vergessen. Dieser ganze Scheiß von wegen „Oh, er hat mir zum Geburtstag gratuliert“ kann mir gestohlen bleiben. Das ist so armselig. Komm zu mir und gratuliere mir gefälligst persönlich. Entschuldige, ich rege mich gerade etwas auf.
Kein Problem. Wie sehen die anderen das?
Bryan Wickmann: Als ich angefangen habe in einer Band zu spielen, habe ich mich jedenfalls nicht als Superheld gefühlt. Das waren andere für mich. Mit 14 Jahren habe ich 25 Dollar bezahlt, um irgendwo Mitglied eines Fanclubs zu sein. Alles was man dafür bekommen hat war ein Stück Papier, das der Mitgliedsausweis sein sollte (lacht). Das hat sich verdammt gut angefühlt. Man hat sich irgendwie frei gefühlt.
Shaun Morgan: Ich erinnere mich, dass Pearl Jam lange Zeit gar keine Interviews gegeben haben. Das war etwas Besonderes. Es gab keine Informationen aus erster Hand. Heute kannst du dir im Internet jede beliebige Information innerhalb von kürzester Zeit besorgen. Es hat sich in den letzten zehn Jahren wahnsinnig viel verändert. Und vieles davon ist einfach nur Scheiße.
Heute abend spielt ihr hier im Gloria. Für mich einer der schönsten Clubs in ganz Köln. Was ist für euch der schönste Ort, an dem ihr bisher gespielt habt?
Shaun Morgan: Die ganzen Kirchen. Besonders die Union Chapel in London. Da ist Dale eine Flasche Rotwein runtergefallen. Aber er hatte Glück. Sie war aus Plastik. Ich sehe heute noch diese hüpfende Plastikflasche vor mir. Das nennt man Rock’n’Roll in einer Kirche. Eine tanzende Flasche (alle lachen). Normalerweise sehen wir nicht so viele Kirchen von innen.
Habt ihr schon den Dom besucht? Leider finden dort keine Rockkonzerte statt.
Shaun Morgan: Oh ja, ich war schon einige Male im Dom. Da sollte wirklich mal ein Rockkonzert stattfinden. Vielleicht spielen wir ja irgendwann mal dort.
Wenn ihr das schafft, dann stehe ich in der ersten Reihe. Versprochen! Vorerst danke ich euch für eure Zeit und das sehr nette Interview.
Vielen Dank auch an Alex Bujack von Oktober Promotion für die freundliche Vermittlung des Interviews!