Reviews zu Taylor Swift müssen zwangsläufig mit Superlativen einhergehen. Der STERN hat sie auf dem Titelbild als „Königin der Welt“ betitelt – wem wird schon eine solche Ehre zuteil? Zuletzt gab es solcherlei Pop-Kronen für Michael Jackson, Prince, Whitney Houston und Beyoncé. Das Ergebnis der ultimativen Lobhudelei und der Treue der Swifties-Gemeinde sind 32 Songs der Künstlerin in den US-Billboardcharts, wobei 14 Titel die ersten Plätze belegen. Okay, das ist vermutlich der Download- und Streaming-Kultur geschuldet, aber auch die verkaufte Anzahl von mutmaßlich 1,5 Millionen physischen Exemplaren – davon gut die Hälfte auf Vinyl – spricht für sich.
Dieser Erfolg von „The Tortured Poets Department“ ist keine Überraschung. Man denke nur an die in Windeseile ausverkaufte Welt-Tournee. Doch der Output der Sängerin ist momentan kaum zu übertreffen. Zunächst waren da unterschiedliche Bonustracks, die über verschiedene Ausgaben des Albums angekündigt wurden, und dann erwies sich zwei Stunden nach der Veröffentlichung des Albums am 19. April das aktuelle Werk als Doppelalbum, nachdem 15 weitere Tracks unter dem Albumtitel „The Tortured Poets Department: The Anthology“ erschienen. Jetzt also statt einer Stunde gleich das Doppelte an Musik, die man streamen und downloaden kann.
Ach ja, die Musik: Längst hat sich Taylor vom Country-Sternchen emanzipiert und transformiert nach und nach auch ihre älteren Alben in neuen Versionen in Richtung Pop. „The Tortured Poets Department“ führt die Künstlerin musikalisch in die Zukunft. Es ist ein Album, das der melancholischen Feder einer gequälten Poetin entspringt und Herzschmerz in Form von musikalischen Essays verarbeitet. Der Opener “Fortnight” dient als Illustrator der darauffolgenden Themen und ist die erste Single-Auskopplung des Albums. Zusammen mit Post Malone eröffnet Taylor Swift die Abteilung der gequälten Dichter, indem sie auf zwei prägende Wochen ihres Lebens zurückblickt. Empfindungen aus einer Zeit des Schmerzes erwachen zu einem Sound, der typischer nicht sein könnte und doch eine neue Seite der Sängerin widerspiegelt. “I´d written so much tortured poetry in the last 2 years and wanted to share it with all of you”, verkündet Taylor selbst auf Instagram. Damit schließt sie das Kapitel einer schmerzhaften Phase und befreit sich metaphorisch vom traurigen Ende einer Liebesgeschichte.
Man darf eine Mischung aus allen Musikstilen erwarten, die Taylor in der Vergangenheit genutzt hat. Viel Pop ohne allzu große elektronische Experimente, etwas Folk, eine Prise Country. Auch wenn es einige schnellere Stücke gibt, ist die Grundhaltung sehr melancholisch. Highlights? Auf jeden Fall „So Long, London“ und „Florida!!!“ im Duett mit Florence Welsh. Schön finde ich auch die Hommage an Stevie Nicks im letzten Stück „Clara Bow“.
Größter Unterschied zwischen dem physischen Album, das mir in der Version mit dem Bonustrack „The Manuscript“ vorliegt, und der „Anthology“-Version, sind die Co-Songwriter. Während es zunächst schien, als habe Taylor vor allem mit dem Musiker Jack Antonoff zusammen gearbeitet, wird dieser auf der „Anthology“ von Aaron Dessner (The National) überrundet. Egal, von wem die genialen Ideen stammen, musikalisch nehmen sie sich nichts. „The Tortured Poets Department“ klingt wie aus einem Guss und wird den Swifties wieder jede Menge Material zum auswendig lernen, mitsingen, abfeiern geben. Natürlich wird auch Kritik laut und man wirft Taylor Eintönigkeit im Songwriting vor. Der Erfolg gibt ihr aber Recht – und die Antwort auf alle Lästerei hat sie auf „Shake It Off“ längst gegeben: „And the haters gonna hate, hate, hate, hate, hate“.