Man fragt sich schon, wann Thorsten und Kai Wingenfelder nach dem ereignisreichen Fury-Jahr 2017 überhaupt noch Zeit gefunden haben, neue Songs zu schreiben. Immerhin gab es da die Konzertreihe in Hannover zum 30jährigen Jubiläum der Kultband Fury in the Slaughterhouse. Und das hat sich dann irgendwie verselbständigt, es wurde eine komplette Tour mit etlichen Open-Air-Veranstaltungen nachgeschoben, zusätzlich gingen die Furies im Herbst 2017 auf Akustik-Tour und in Kürze wollen sie mit Freunden und treuen Fans auch noch eine Schiffstour unternehmen. Genug zu tun also – doch gleichzeitig promotet das Brüderpaar nun sein viertes Album als Duo, wie gewohnt mit deutschsprachigen Songs.
Erster Eindruck: Die Auftritte mit Fury haben den beiden neuen Schub gegeben. Schon die ersten drei Wingenfelder-Alben waren gewaltig und sorgten bei vielen Fans für Gänsehaut-Feeling: „Wie Fury – nur auf Deutsch“, konnte man mehrfach hören. Solch typische Hymnen gibt es auch auf dem neuen Werk. Man höre sich nur „Verlieb dich nicht in mich“ an. Der perfekte, vorwärts treibende Track zum Abgehen. Ebenso „Mitten im Leben“. Oder das ironische „Frau von Welt“, die den Jungs am besten ein großes „Bier von Welt“ bringen soll. Mit solcherlei Songs kann man Stadien begeistern.
„Sieben Himmel hoch“ ist persönlich wie noch nie, aber ohne die ewig gleichen Innenansichten. Hier geht es ums Außen, um Sichtweisen, die zwar dem Alter entsprechen, aber auch den Zeigefinger anderen überlassen. „Die Themen sind ganz klar wir“, sagt Kai. Sie haben „die Schnauze voll von Belanglosigkeiten.“ Brot und Spiele sind aus, die Popthemen haben andere schon alle durch. Sie wollten ein Album mit Aussage machen, sich auf Themen konzentrieren, die ihnen am nächsten sind. Weit gestreut zwischen Sehnsucht nach Freiheit, Aufbruchsstimmung und dem wohligen Gefühl, endlich angekommen zu sein.
Da sind Erinnerungen, Veränderungen, die Vergänglichkeit, zwei Menschen, die im wunderschönen „Bis nach Berlin“ von Bowies Berlin träumen, ein unaufgeregt anderes Liebeslied, viele Ecken, noch mehr Kanten. Und es wird sehr atmosphärisch, wenn im Instrumentalpart auch musikalisch an David Bowie erinnert wird. Wir erleben die Suche nach dem Ufer zum Festhalten, die Zufriedenheit im Leben, das Steckerziehen, um sich selber zu finden. „Königin der Nacht“ und „Nachttankstelle“ fallen in diese Kategorie, während „Irgendwo ist immer Sommer“ uns optimistisch wieder aus der Melancholie zurückholt.
Ein Album hat gar nicht ausgereicht, um die Schaffenskraft der beiden zu tragen. Wer nicht genug von Wingenfelder bekommen kann, sollte sich das Album in der Limited Edition zulegen, die zusätzlich eine EP mit sechs weiteren neuen Songs enthält. Wer will, kann also 20 Titel in über 70 Minuten Albumlänge genießen – ohne dass es dabei langweilig wird. Denn die Ideenvielfalt ist (auch in musikalischer Hinsicht) groß. Wo andere noch experimentieren, bedient das Album sich völlig unverkrampft verschiedenster Ideen und Einflüsse der mitwirkenden Musiker und bewegt sich wie selbstverständlich zwischen Dub-Reggae-Nummer, Dancetrack, leiseren Tönen und lauten Vollgasgitarren, es erklingen Cellos, Violinen und Posaunen, findet sich viel Neues.
Das Jahr mit Fury In The Slaughterhouse hat beflügelt und geerdet zugleich. Und sie zu diesen vielen starken Songs inspiriert. Weniger kopflastig, mal weniger nachdenken, was funktionieren wird, einfach machen. Aber anders.