Noch vor dieser unrühmlichen Bundestagswahl ist der vorliegende Sampler erschienen. Eine Zusammenstellung von Songs zum Thema “500 Jahre Reformation”. “Von der Freiheit eines Christenmenschen” heißt eine der wichtigsten reformatorischen Schriften Martin Luthers und heute sollte das für uns vielleicht übersetzt werden als “Von der Freiheit eines jeden Menschen”. Oder eben vom Traum davon.
29 Tracks wurden von den unterschiedlichsten Künstlern für diese Doppel-CD beigetragen. Und es sind meist nicht die Chart-Erfolge, sondern bewegende Kleinode, die sich im engen oder entfernteren Sinne mit der Freiheitsthematik beschäftigen.
“Ich mach mein Ding” singt Udo Lindenberg. Philipp Poisel gäbe “Für keine Kohle dieser Welt” seine Freiheit auf. Die Sportfreunde Stiller erinnern an ein Flüchtlingsdrama an einem “Dienstag im April”. Und Laith Al-Deen proklamiert in seinem aktuellen deutschen Remake von George Michaels “Freedom90”, dass wir alle zur Freiheit geboren sind.
Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Kunst und der Wissenschaft, Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, Bekenntnisfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Berufsfreiheit – das sollten sich alle hinter die Ohren schreiben, die meinten, aus Protestgründen eine rechtsradikale Partei wählen zu müssen. Auch Kunst braucht diese Freiheit. Und so macht es Mut, zu hören, wie viele Künstler sich mit diesem Thema beschäftigen und ihre Songs für die gute Sache zur Verfügung gestellt haben.
Meine Favoriten: “Wellenreiter” von BAP, Alex Diehls “Nur ein Lied” und der bewegende Song “Fahnenfluch” von dem afghanischen Flüchtlingssohn Sorab Jon Asar, der von diesem Traum handelt, frei zu sein, eine Heimat zu haben und nicht gefühlt seit 26 Jahren auf der Flucht zu sein.
Zwei CDs voller wertvoller Songs, die man sich getrost anhören und dabei etwas guten Willen tanken kann.
Ich habe zum ersten Mal von Alin Coen gehört, als Philipp Poisel sein Livealbum „Projekt Seerosenteich“ veröffentlichte. Dort wirkt sie als Duettpartnerin mit bezaubernd schöner Stimme mit und gibt dem musikalischen Geschehen einen ganz besonderen Drive. Doch man muss nicht zu Poisel gehen, um sie live zu hören. Schon 2007 hat sie mit drei Musikern die Alin Coen Band gegründet und neben einer EP kamen bereits zwei Studioalben auf den Markt, die vielleicht nicht kommerziell erfolgreich waren, es aber doch in die Top 100 der deutschen Charts schafften.
Jetzt erscheint endlich ihr erstes Livealbum. Denn die Liveauftritte sind es, die Alin Coens Musik zu etwas ganz Besonderem machen. Faszinierende Arrangements, ein spannendes Rhythmuskonzept, ganz filigrane Passagen – das ist es, was die Musik der Band ausmacht. So sehr, dass viele Zuschauer immer wieder sagten: „Ihr müsst unbedingt ein Live-Album machen“.
„Alles was ich hab – Live“ ist nun das Medium, um diese Momente einzufangen. 14 Songs, zum Teil in englischer Sprache, doch immer mehr mit deutschen Texten. Es ist verständlich, dass Alin ihre Musik für ein internationales Publikum öffnen will, doch ich liebe vor allem ihre deutschsprachigen Songs wie „Andere Hände“, „Alles was ich hab“ und „Festhalten“. Sie versteht es, melancholische und intime Songs zu schreiben, die unter die Haut gehen und berühren. Das wird noch stärker, wenn man die Texte versteht.
So überlässt sie das Wort auch der Musik. Ansagen beschränken sich auf wenige Worte. Viel wichtiger ist es, wie sich der einzigartige Sound entfaltet, wie zarte Balladen den Weg zum Publikum finden. Das vorliegende Livealbum fängt die Geschichten ein, die Alin Coen mit wundervoller Stimme den Menschen erzählt. Eine Platte voll mit magischen Momenten.
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Wenn ich das Album “Alles gut so lang man tut” von Marcel Brell höre, bleibt mir als erstes dieses wundervoll Duett mit Alin Coen im Ohr. “Wo die Liebe hinfällt” – was für ein genialer, melancholischer, nachvollziehbarer Song. Die Verflossene tröstet den Liebenden über seinen Herzschmerz hinweg. Marcel und Alin harmonieren perfekt und ihre sanften Stimmen liegen über einem dramatischen und zugleich ganz dezenten Pianospiel. Schaut euch unbedingt das Video an – dann geht’s weiter:
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Aufgewachsen ist Marcel Brell in einer beschaulichen Kleinstadt am Niederrhein – als Sohn eines Opernsängers und einer Tänzerin. Musik spielte immer schon eine wichtige Rolle in seiner Familie. Klavierunterricht war Pflichtprogramm für Marcel und seine drei Geschwister. Gerade mal fünf Jahre alt war Marcel, als er damit begann. Als 13-jähriger fing er zudem an, sich autodidaktisch das Gitarre spielen beizubringen und erste eigene Stücke zu komponieren. “Wie es sich für einen richtigen Songschreiber gehört, habe ich zuerst vor allem Friedens- und Umweltlieder geschrieben”, erinnert sich Marcel. Die Musik hielt ihn gefangen. Nach knapp bestandenem Abitur ging er nach Münster, um dort Musik zu studieren, Schwerpunkt Arrangement und Produktion. Bereits damals absolvierte er erste Auftritte, versuchte es auf Englisch mit Halbplayback und chartorientierter Popmusik, doch der Erfolg blieb aus. Mittlerweile ist das anders. Alleine 2013 spielte Marcel über 70 Konzerte, 2014 ist er sowohl solo als auch mit Band auf Tour und spielt neben eigenen Konzerten im Vorprogramm von der Alin Coen Band, Elif, Suzanne Vega und Sharon Corr.
Das Album beginnt mit der Single “Das Entscheiden”, die einen fröhlichen, nach vorn treibenden Grundton hat, inhaltlich jedoch das zögerliche Verhalten einiger Mitmenschen aufs Korn nimmt und mit bildhaften Wortspielen versieht. Ein glänzender Opener, der in verlängerter Version das Album auch abschließt. Dann allerdings wird es ruhiger und “Nur den Augenblick” bietet eine der vielen Balladen des Albums. Marcel Brell hat eine Stimme, die zu Herzen geht. Er singt sanft und schwermütig. Dabei klingen seine Lyrics seltsam abgehackt, so wie wir das von Herbert Grönemeyer kennen.
Mitreißend ist Brell in seinen Songs, die dazu aufrufen, den Hintern hoch zu bekommen und tätig zu werden. “Alles gut so lang man tut” gehört mit seinem eingängigen Refrain dazu. Und natürlich das energische “Weggehen um anzukommen”. Zwei schnelle Titel, die auch durchaus tanzbar sind. Es war stets Marcels Wunsch, sein Publikum emotional zu erreichen: “Mir ging es irgendwann nicht mehr um die Form, sondern um den Inhalt”, so Marcel, der seine Texte nur auf Deutsch verfasst. “Mir war es nicht mehr wichtig, ob ich eine Nebelmaschine auf der Bühne habe, sondern was für Geschichten ich erzähle.” Und die Geschichten, die Marcel heute erzählt, sind nicht nur seine Geschichten. Es sind unsere.
“Der Schlüssel steckt” klingt nach melancholischem, französischem Chanson, während “Maria Piers” die ehemalige große Liebe besingt, die es wohl inzwischen nach England verschlagen hat. Brell beschreibt kleine Begebenheit des Alltags und seines Lebens, die mit der reduzierten Instrumentierung einen intimen Charakter bekommen. Man hört ihm zu wie einem Freund, der im Wohnzimmer aus seinem Leben erzählt.
Marcel Brells Debütalbum ist ein wundervolles, intensives Werk geworden. Von Song zu Song stark und emotional. Die Arrangements sind traumhaft schön und funktionieren in jedem Moment – mit Piano, akustischer Gitarre, Streichern oder dezenten Percussion-Klängen. Da darf auch mal “Du bist” mit der Melodiefolge von “Schlaf, Kindchen, schlaf” beginnen, bevor Marcel das Einzigartige in jedem Menschen preist und den Hörer zum Non-Konformismus aufruft. Ganz ehrlich finde ich hier keinen Song, der mich nicht anspricht. Ein ganz starkes Debüt!
Als bezaubernd schöne Stimme im Hintergrund wird Alin Coen den Zuhörern von Philipp Poisels “Projekt Seerosenteich” in Erinnerung geblieben sein. Die in Hamburg geborene Sängerin kann allerdings noch weit mehr – schon vor fünf Jahren gründete sie mit drei Weimarer Jungs die Alin Coen Band und ist seitdem mit ihrer eigenen Musik in ganz Deutschland unterwegs. Aktuell erscheint das zweite Studioalbum “We´re Not The Ones We Thought We Were”.
Alin ist eine der wenigen Songwriterinnen, die sowohl deutsche als auch englische Texte schreibt. Wie der Titel schon vermuten lässt, sind auf dem neuen Album jedoch die englischsprachigen Songs in der Überzahl. Das kann vielleicht die Tür für ein internationales Publikum öffnen, ist aber insofern etwas schade, als gerade die zarte Ballade “Kein Weg zurück” und das rhythmische “Du drehst dich” mit seinem faszinierenden Streicher-Arrangement besonders unter die Haut gehen.
Ihren einzigartigen Sound entfaltet die Alin Coen Band aber ebenso bei den englischen Stücken. Mal sind die Songs dicht arrangiert wie “Kites” oder “Fountain”, mal sparsam und beinahe sphärisch wie “The Ones”. Alins Gesang tanzt leichtfüßig durch den groovenden Beat von “High Expectations”, schwebt über der fließenden Gitarrenbegleitung von “All I Takes” oder taumelt mit den sich drehenden Rhythmen von “Reason”.
Wer dabei auf die Texte hört – oder im schlicht aber wirkungsvoll gestalteten Booklet nachliest – wird zum Nachdenken angeregt. So stellt das ruhige “Rifles” die Frage, wie es den Soldaten geht, wenn der Krieg beendet ist, “As I Am” balanciert zwischen Selbstzweifeln und dem Wunsch nach bedingungsloser Wertschätzung und “Disconnected” zeigt schonungslos die Nachteile der Globalisierung auf.
Mit “We´re Not The Ones We Thought We Were” erweitert die Alin Coen Band ihren musikalischen Kosmos und entwickelt einen Sound jenseits aller Konventionen, der ins Herz trifft und den Verstand anregt. Wen dieses Album gleichgültig lässt, der hat nicht wirklich zugehört.