Im Jahr 1981 wurden ASIA als sogenannte „Supergroup“ gegründet. Was das heißt? Bekannte Künstler tun sich für ein neues Projekt zusammen. Oft sind das nur kurzfristige Kollaborationen und selten haben diese so lange Bestand wie bei ASIA. Geoff Downes, John Wetton, Steve Howe und Carl Palmer waren ein für diese Zeit quasi unschlagbares Quartett aus Mitgliedern bekannter Progressive Rockbands. Dass sie mit „Heat Of The Moment“ ihren größten Erfolg im Mainstream-Pop hatten? Geschenkt! Immerhin mischte der schmissige Titel das damalige Radioformat ganz schön auf und trug weiter zur weltweiten Bekanntheit der Band bei.
Die Geschichte von ASIA ist spannend und mit vielen Wendungen verbunden. Die großen Erfolge der beginnenden 80er Jahre, die Auflösung 1985, eine Neugründung 1989. Es gab unzählige Wechsel im Line-up und Ende der 90er den gescheiterten Versuch einer Wiederbelebung in Originalbesetzung. Gelungen ist dieser schließlich im Jahr 2005 und mit „Phoenix“, „Omega“ sowie „XXX“ erschienen drei respektable neue Studioalben, die die Herzen der Fans zwar nicht zum explodieren brachten, aber doch höher schlagen ließen. Das letzte Studioalbum „Gravitas“ erschien im Jahr 2014. Auch wenn vermutlich nicht mit neuen Heldentaten zu rechnen ist, sind ASIA doch noch theoretisch live aktiv – zumindest wenn die Pandemie dies zulässt. Anstelle des verstorbenen John Wetton findet sich normalerweise Billy Sherwood (YES) am Bass und der US-Rocker Ron „Bumblefoot“ Thal ersetzt Steve Howe.
Freunde gepflegter Livemusik können sich nun freuen, denn ASIA tun es geschätzten Kollegen wie Marillion, UFO oder Tangerine Dream nach und veröffentlichen eine offizielle Bootleg-Sammlung, um unseriösen Händlern ein Schnippchen zu schlagen. Auf „Volume 1“ widmet sich die Supergroup ihren beiden Hochphasen: Die ersten beiden Livealben entstammen der Gründungszeit Anfang der 80er, als die Band weltweite Erfolge mit „Asia“ und „Alpha“ feierte. Danach gibt es einen Zeitsprung von 25 Jahren zur umjubelten Reunion-Tour 2007 und den Konzertreihen jeweils nach Veröffentlichung von „Phönix“ (2008) und „Omega“ (2010).
Da jedem dieser Livealben trotz großer Gemeinsamkeiten in der Setlist ein aktuelles Studioalbum zugrunde liegt, bietet die Box genügend Vielfalt, um Fanherzen höher schlagen zu lassen. Es sind fünf Doppel-CD-Sets im schicken Digipack, die sich in einen Pappschuber einfügen. Das Artwork stammt vom genialen Roger Dean, der schon zuvor alle ASIA-Alben designt hat und auch diesen Release zum schmucken Sammlerstück macht. Zwar enthält nicht jeder Mitschnitt ein eigenes Booklet, doch das ist gar nicht nötig. Die Box beinhaltet ein Begleitheft mit einem historischen Abriss des renommierten ASIA-Biografen Dave Gallant und allen nötigen Infos zu den gespielten Tracks.
Live At Kleinhams Music Hall, Buffalo, NY, USA, 3 May 1982 wurde sechs Wochen nach Erscheinen des Debütalbums mitgeschnitten. Es wurden alle Tracks von „Asia“ gespielt und mit „Midnight Sun“ gab es einen Ausblick auf das zweite Album. Da man damit kein ordentliches Liveset füllen konnte, durften die Protagonisten mit ausgiebigen Solo-Passagen ran. Steve Howe brachte „The Ancient“ und „Clap“ von YES zu neuer Blüte, Geoff Downes durfte lange sphärische Keyboardpassagen gemischt mit rhythmischen Ausschweifungen beitragen und Carl Palmer bekam seinen großen Schlagzeugmoment während „Here Comes The Feeling“. Den krönenden Abschluss bildete „Heat Of The Moment“, bei dem John Wetton allerdings stimmlich etwas einknickte. Vielleicht ein Beleg dafür, dass man das bekannteste Stück nicht immer ans Ende stellen sollte. Der Mitschnitt ist leicht basslastig, aber in Anbetracht des Alters sehr gut anhörbar.
Live At Centrum, Worcester, MA, USA, 22 August 1983 entstand einen Monat nach dem Release von „Alpha“. Der Zweitling hatte immerhin Top-10-Positionen in Europa und den USA erreicht, womit ASIA zeigten, dass „Heat Of The Moment“ kein One-hit-wonder war. Bemerkenswert ist das jubelnde Publikum in Worcester bei Wettons Ansagen. Seine Vocals sind sehr deutlich abgemischt, während die Instrumentalfraktion allerdings sehr dumpf klingt. Der Mix aus beiden Studioalben war perfekt, wobei das neue Werk mit sieben Stücken gut vertreten war. Und auch Steve Howe bekam wieder ausgiebige Solomomente, die seinen Status als Ausnahmegitarrist unterstrichen.
Live At Credicard Hall, São Paulo, Brazil, 23 March 2007 hat fast eine identische Setlist wie das bekannte Livealbum „Fantasia: Live in Tokyo“. Einziger Unterschied: Howe spielt auch hier „Clap“ anstatt des „Intersection Blues“ von „Fantasia“. Es gab bei dieser Tour einen Rundumschlag durch die Bandkarriere und in das Soloschaffen des Quartetts: Neben Yes’ „Roundabout“, ELPs bekannter „Fanfare For The Common Man“ und dem Klassiker „In The Court Of The Crimson King“ wurde auch das poppige Buggles-Stück „Video Killed The Radio Star“ dargeboten. Was für ein Spaß! Natürlich endete der Set mit „Heat Of The Moment“. Man stand nach 25 Jahren also quasi am Anfang. Der Sound ist glasklar, während man ab und zu das enthusiastische brasilianische Publikum im Hintergrund erahnen kann.
Live At International Forum, Tokyo, Japan, 12 May 2008 sieht die Band kurz nach Veröffentlichung von „Phoenix“. Der Mitschnitt in zeitlicher Nähe zum Studiorelease scheint ein Auswahlkriterium bei den Bootlegs gewesen zu sein. Um so mehr fällt ins Auge, dass dieser mit „Never Again“ und „An Extraordinary Life“ stark unterrepräsentiert ist. Stattdessen hatte man den Rundumschlag durch die Bandkarrieren so belassen, wie er auf der vorherigen Tour war. Schade, denn vor allem YES und King Crimson hätten doch wahrlich noch andere Klassiker zu bieten. Soundtechnisch allerdings gibt es nichts zu meckern. Und „Heat Of The Moment“ steht nicht am Ende des Sets. Bravo!
Live At HMV Forum, London, UK, 14 December 2010 ist quasi das fehlende Glied zwischen „Fantasia“ und dem „Symfonia“-Mitschnitt aus 2013. „Omega“ war im April 2010 erschienen und es waren die letzten Auftritte im Königreich in der Ur-Besetzung. 2012 musste die UK-Tour gecancelt werden und 2013 verließ Steve Howe die Band. Mit „Finger On The Trigger“, dem melancholischen „End Of The World“, „I Belive“ und „Holy War“ gab es vier aktuelle Stücke von „Omega“. Ein erdiger Sound und ein gut hörbares Publikum zeugen hier von bestem Bootleg-Sound, der gegenüber dem 2008er Konzert klanglich allerdings wieder abfällt.
„Diese historische Sammlung repräsentiert einige unserer besten und prägendsten Live-Momente“, erklärt Geoff Downes, „von der allerersten ASIA-Tournee 1982 und der Alpha-Tournee im Jahr darauf bis hin zu drei unserer vielen Reunion-Shows. Es war ein großes Privileg, die Musik von ASIA auf diese verschiedenen Kontinente zu bringen und weltweit die Unterstützung der Fans zu spüren. Wir hoffen, dass dies großartige Erinnerungen wachruft und andere dazu inspiriert, die Musik von ASIA zu schätzen“.
Die Sammlung mit fünf Konzerten von vier Kontinenten ist umfassend und zeigte alle Stärken der Band zu ihren Glanzzeiten. Dass die Box den Titel „Volume 1“ trägt, macht Hoffnung auf weitere Veröffentlichungen – vielleicht auch mit Mitschnitten aus den 90er Jahren.