FISH: Melancholie und Abschied – für soviel Schmerz braucht es zwei CDs

Schon seit langem hat Fish seinen Abschied von der musikalischen Bühne angekündigt. Selten genug kommt es vor, dass ein Künstler ein Album als finales Werk bezeichnet. Meist ist es doch eher die Erfolglosigkeit, die das Ende der Kreativität einläutet. Bei Fish ist es anders: Er möchte schlicht und einfach in den Ruhestand gehen. Auch das sollte großen Künstlern gegönnt sein. Dass es dann etwas anders gekommen ist als geplant, ist familiären Dingen geschuldet, Problemen bei der CD-Produktion und natürlich der Corona-Krise. Der Tod des Vaters war ein Rückschlag, dann die Tatsache, dass er seine Mutter aus gesundheitlichen Gründen im eigenen Haushalt aufnehmen musste – und auch das Vorgehen mit dem eigenen Label Chocolate Frog Records: Verhandlungen mit den Manufakturen sind halt schwieriger, wenn keine große Plattenfirma dahintersteht.

Eigentlich sollte Fish inzwischen auf Tour sein, um das neue Album gemeinsam mit dem „Vigil“-Album vorzustellen, doch die Pandemie hat das Vorhaben auf Ende 2021 verschoben. Die Pension muss also noch etwas warten.

Einen Vorteil hat die Verschieberei zumindest: Aus dem Standardalbum ist eine Doppel-CD geworden und es klingt vermutlich ausgereifter als dies vor zwei Jahren der Fall gewesen wäre. Wenn man so will, legt Fish hier sogar zwei Abschiedsalben vor, denn die Silberlinge können durchaus jeweils für sich selbst stehen. Es geht um die großen Themen unserer Zeit: die Flüchtlingskrise, allgemeine Unzufriedenheit mit der sozialpolitischen Lage, aber auch um Krankheitsbilder wie Depression und Demenz. So wird „Weltschmerz“ zum ganz großen Werk, das Fishs musikalische und erzählerische Klasse zusammenfasst.

Nehmen wir „Grace of God“, ein episches Stück ganz zu Beginn mit Glockenspiel und ausufernd orchestralen Passagen, verfeinert durch harmonischen Backgroundgesang. Der 8minüter passt perfekt zu den Songs von Fishs erstem Soloalbum und schließt gewissermaßen den Kreis. Ein hervorragender Auftakt mit perfektem Songaufbau.

„Man with a Stick“ ist schon länger bekannt, da es auf der letzten EP erschienen ist und mehrfach live gespielt wurde. In der neuen Fassung hat der modern klingende Track aber nochmal an Energie und rhythmischer Stärke hinzu gewonnen.

„Walking on Eggshells“ beschreibt musikalisch den schwierigen Tanz, den eine Beziehung häufig bedeutet. Ein Lovesong mit beschwingten und düsteren Momenten. Die Thematik ähnelt Klassikern wie „A Gentleman’s Excuse Me“ und „Rites of Passage“.

Als rhythmisch vertrackter Folksong ergänzt „This Party’s Over“ die bei den Fans so beliebten Dancing Tracks, die jedes Livekonzert bereichern, und erweitert sie um einige Nuancen, da der Song doch komplexer klingt als „Internal Exile“, „Lucky“ oder „The Company“. Auf jeden Fall schön, mal wieder schottische Pipes auf einem Fish-Album zu hören.

Herzstück von CD 1 ist aber „Rose of Damascus“, das in über 15 Minuten die Syrienkrise behandelt und den Hörer in Form einer weltmusikalischen Suite mit auf eine bewegende Reise nimmt. Orchestrale Arrangements, Spoken-word-Passagen, aggressive und sanfte Momente – hier fährt Fish alles auf, womit er in 30 Jahren Solokarriere (und schon zuvor bei Marillion) die Progwelt begeistern konnte. „She was searching for a vision, some sign to give direction, in this wasteland where it’s a curse to be alive […] To carry on her journey to find another homeland somewhere to blossom and come alive.“ Beschrieben werden das Leben einer Frau in Syrien bis hin zur Flucht übers Meer mit offenem Ende. Wie in einem großen Breitwand-Kinofilm erzählt Fish eine Geschichte und lässt den Hörer betroffen zurück.

Damit wäre schon ein hervorragendes Album auf dem Plattenteller, an dem es nichts zu meckern gibt, doch wir haben ja noch CD 2 vor uns. Auch diese liefert 42 Minuten Musik und hat nur einen Track unter fünf Minuten. Dabei scheinen die Longtracks keineswegs künstlich in die Länge gezogen sondern brauchen ihre Zeit, um sich zu entwickeln.

Foto Credit: Wojtek Kutyla

Auffällig sind die melancholischen Stücke „Garden of Rememberance“ und „Waverly Steps“, die jeweils mit eindringlichen Worten ein Krankheitsbild beschreiben, nämlich Demenz und Depression. Fish findet sich ein in die Gedankengänge der betroffenen Menschen. Vor allem „Garden of Rememberance“ finde ich dabei sehr berührend, da er autobiografische Inhalte verarbeitet und eine perfekte Ballade abliefert. Ebenso wie der Song „Fragezeichen“ von Purple Schulz sollten auch dieser Song und das dazugehörige Video zum Lehrinhalt in der Altenpflege werden. Fishs Gang durch die Bildergalerie der Erinnerungen veranschaulicht wundervoll das Empfinden dementer Patienten und ihrer Angehörigen. Dass er dafür das wundervolle Artwork von Mark Wilkinson verwendet, den viele Fans mit Fishs Musik verknüpfen, macht das Video noch genialer.

„C Song“ ist für mich der einzig belanglose Song auf der ganzen Albumlänge, enthält aber wie sein Pendant auf CD 1 ebenfalls schottische Folk-Elemente und befreit von der durchgängigen Schwermut des Albums. Das wird allerdings zunichte gemacht durch die gewaltigen Songs „Little Man What Now?“ und den Titeltrack „Weltschmerz“. Ersterer basiert auf dem gleichnamigen Roman von Hans Fallada, der Weltwirtschaftskrise und Erstarken des Nationalsozialismus am Bild des kleinen Mannes beschreibt, der schicksalsergeben durch die verrückt gewordene Welt stolpert. In Zeiten von neuem Rechtspopulismus, Klimakrise, Brexit und Covid-Pandemie kann man sich in diese deterministische Haltung nur zu gut einfinden. Musikalisch kommt ein prägnantes Jazz-Saxofon zum Einsatz, das den Schmerz herzzerreißend zum klingen bringt.

Und daneben gibt es eben genau den „Weltschmerz“, mit dem Fish schon seit Jahren hadert – und für den er bewusst einen deutschsprachigen Begriff wählte, den Jacob und Wilhelm Grimm bereits im 18. Jahrhundert in ihrem Deutschen Wörterbuch verwendeten und mit dem sie eine tiefe Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt beschrieben. Fish beschreibt sich, seine Rolle in der Welt und seine politische Einstellung mit intensiven und ehrlichen Worten – und geht damit zurück in die Zeiten von „Fugazi“ und „White Feather“, als er noch der junge Wilde im Musikgeschäft war – „When the revolution is called I will play my part“ – auch heute noch. Ruhestand hin oder her.

Calum Malcolm und Steve Vantsis haben als Produzenten eine hervorragende Arbeit geleistet, wobei Vantsis auch als musikalischer Madtermind tätig war und die meisten Stücke mit geschrieben sowie arrangiert hat. „Weltschmerz“ ist ein Statement unserer Zeit und ein hervorragendes Abschiedsalbum. Vielleicht sein bestes Soloalbum seit „Vigil“.

Erhältlich ist das Album zunächst nur auf Fishs Homepage: https://fishmusic.scot/store/albums/weltschmerz/17
Digitaler Link, Standrad-CD, Vinyl – alles was das Herz begehrt. Die Deluxe Edition im A5-Hardcover-Format enthält umfangreiche Liner Notes, das fantastische Artwork von Wilkinson und eine Blu-ray mit Videos, Interview, Making of und live Audio Tracks von der 2018er Tour.

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„Weltschmerz / Vigil in a Wilderness of Mirrors“ – Tour 2021
30.09.2021 Köln – Die Kantine
05.10.2021 Oldenburg – Kulturetage
10.10.2021 Bochum – Zeche
11.10.2021 Berlin – Columbia Theater
29.10.2021 Osnabrück – Rosenhof
30.10.2021 Bensheim – Musiktheater Rex
01.11.2021 Zürich (CH) – Kaufleuten
02.11.2021 Saarbrücken – Garage
03.11.2021 Stuttgart – Im Wizemann
05.11.2021 Aschaffenburg – Colos Saal
07.11.2021 Karlsruhe – Substage
08.11.2021 München – Backstage
10.11.2021 Hamburg – Fabrik
11.11.2021 Hannover – Musikzentrum