Wirtz rockt das Kölner Carlswerk Victoria in Grund und Boden
An diesem Samstagabend Anfang Februar gibt es gleich zwei Orte in Köln, an denen „Oh, wie ist das schön“-Gesänge ertönen. Zum einen im RheinEnergie Stadion, in dem der Erste Fußballclub der Stadt mit 2:0 gegen die Eintracht aus Frankfurt gewinnt. Und zum anderen im Carlswerk Victoria beim Konzert von Daniel Wirtz. Nachdem Corona ihm fast drei Jahre Stillstand verordnet hat, ist der 49-Jährige endlich wieder auf Tour. „Hier wirtz gelebt, nicht inszeniert, das Original ist wieder hier und ist auf Angriff programmiert“, heißt es im Titelsong seines erst zwei Tage zuvor veröffentlichten sechsten Studioalbums „DNA“ (hier findet ihr unser Review) und alle vor und auf der Bühne zeigen vom ersten Ton an, dass sie bedingungslosen Bock aufeinander haben.
Wirtz hat die Zwangspause dazu genutzt, um ein paar alte Zöpfe abzuschneiden und eine neue Band an den Start zu bringen. Mit im Tourbus sitzen nun Pascal Kravetz an Bass und Piano sowie die beiden Niederländer JB Meijers (Gitarre) und Joost Kroon (Schlagzeug). Überhaupt scheint Wirtz gerade eine ziemliche Vorliebe für unsere niederländischen Nachbarn zu hegen, denn die letzten Proben für die aktuelle Konzertreise fanden im legendären Rotterdamer Ahoy statt und als Support hat er Ambo aus Amsterdam mitgebracht, die mit ihrem halbstündigen wilden Gemisch aus Punk, Rock und Metal durchaus zu gefallen wissen.
Was dann folgt ist mit dem Wort „Party“ nur unzureichend beschrieben. Die neuen Songs wie „Dünnes Eis“, „DNA“ oder „Ein klares Nein“ bilden zunächst den Schwerpunkt der Setlist und sie verwandeln die ehemalige Kabelfabrik an der Schanzenstraße in einen brodelnden Rockclub, in dem nach Herzenslust getanzt und gesungen wird. Dazu trägt sicherlich das ein oder andere Bier ebenso bei wie die Tatsache, dass sich die Kölner in der Karnevalszeit ohnehin in einem permanenten emotionalen Ausnahmezustand befinden. Die Klaviatur der großen Gefühle, die Wirtz seit 2007 spielt, bedient die hemdsärmelig gröhlende Rockerfraktion ebenso wie die eher verträumt lauschende Abteilung. Und beides schafft er ohne jegliche Anbiederung oder falsches Pathos. Man nimmt ihm jedes Wort, das er da singt, genau so ab und in vielen seiner Songs findet man sich selbst wieder. Im einen Moment badet man in Testosteron und im nächsten in Tränen.
Wirtz nimmt uns mit auf eine Zeitreise durch die letzten siebzehn Jahre, die in Köln einst im 400 Leute fassenden Luxor begann. Heute sind es mehr als dreimal so viele. Irgendwann zwischendurch bedankt er sich aufrichtig dafür, dass „ihr nach all der langen Zeit immer noch da seid“. „Ne Weile her“, „Keine Angst“ oder „Richtig weh“ stammen aus diesen mühsamen Anfangstagen und es sind auch heute noch besondere Gänsehautmomente, wenn Wirtz sie alleine mit seiner Akustikgitarre zelebriert oder in Begleitung von Pascal Kravetz am Piano singend durch die Reihen der Fans spaziert. In den zwei Stunden musikalischer Vollbedienung reisen wir zusammen über „Atlantis“ in „Die fünfte Dimension“, sind „Willkommen im Krieg“, rufen „Hallo Erde“, um kurz bei „Schweigen mit dir“ innezuhalten und uns am Ende unbeschreiblich „Frei“ zu fühlen.
„Während and’re rätseln über Zweck und Sinn, werd‘ ich tiefe Spuren mit lauten Liedern zieh’n“, hat Wirtz 2009 in „Meinen Namen“ von seinem zweiten Album „Erdling“ gesungen. In Köln ist diese Prophezeiung heute Wirklichkeit geworden. Und weil er es auch leise kann, hat Wirtz zum Schluss noch ein Versprechen abgegeben. Er kommt in diesem Jahr noch einmal zurück, aber dann nicht elektrisch verstärkt, sondern mit dem kleinen Unplugged-Besteck. Wer die beiden Stromlos-Alben von 2014 und 2020 kennt und eines der damaligen Konzerte erlebt hat, der weiß, dass es ähnlich intensiv werden wird wie heute. Und so steht um kurz vor 23 Uhr eine glückliche und dankbare Band einer glücklichen und dankbaren Menge an Leuten gegenüber, die alle „Oh, wie ist das schön“ singen.