Mit Fortsetzungen ist das ja so eine Sache. In vielen Fällen geht der erneute Aufguss leider in die Hose. Nur selten wird das Original vom Nachfolger übertroffen. Als 2014 „Unplugged“ von Wirtz erschien, war das Album für mich eine Art Offenbarung. Das lag zum einen an meiner damaligen persönlichen Situation, für die der 44-jährige Frankfurter quasi den Soundtrack lieferte. Zum zweiten lag es natürlich auch daran, dass der Vollgasrocker vierzehn seiner Songs bis auf die Knochen reduzierte und in ein ungewohnt filigranes Gewand kleidete, das so zart und zerbrechlich war, dass es fast wehtat. Textlich bewies er dabei immer eine klare Kante und nahm als einer der Wenigen im deutschsprachigen Musikzirkus kein Blatt vor den Mund. Seitdem hat Wirtz mit „Auf die Plätze, fertig, los“ von 2015 und „Die fünfte Dimension“ von 2017 zwei weitere Studioalben veröffentlicht, auf denen er sich seiner sprachlichen Wucht leider weitestgehend selbst beraubte und mehr in Richtung Radioquote schielte. So ging ich dann auch eher skeptisch an „Unplugged II“ heran, sollte das Album doch ausschließlich aus akustischen Versionen ausgewählter Songs dieser beiden letzten Alben bestehen.
Das stimmt dann doch nicht so ganz, denn mit „11 Zeugen“ hat es immerhin der Song ans Ende von „Unplugged II“ geschafft, mit dem 2008 alles begann. Auch die übrigen zwölf Stücke gehen im Vergleich zu ihren Originalen bis auf eine Ausnahme als Gewinner aus ihren Neuarrangements hervor. Trotzdem bin ich nach einigen Hördurchgängen immer noch der Meinung, dass ein Querschnitt durch alle bisherigen fünf Studioalben besser gewesen wäre, aber das kann Wirtz ja dann ab März auf der schon größtenteils ausverkauften Unplugged-Tour nachholen, auf die man sich nach den einzigartigen Konzerterlebnissen vor sechs Jahren zu Recht freuen darf.
Bis dahin lässt sich „Unplugged II“ am besten bei einem gepflegten Glas Wein und unter einer kuscheligen Decke alleine oder in trauter Zweisamkeit auf dem heimischen Sofa genießen. Fast eine Stunde lang entführt uns Wirtz aus dem Alltag in die Welt großer Gefühle. Dabei ist das trotz des Einsatzes von Geige, Cello oder Piano teilweise schon fast wieder „plugged“, wie beim Opener „Auf die Plätze, fertig, los“, bei „Die fünfte Dimension“ oder – abgesehen vom grossartigen Intro – „Moment für die Ewigkeit“. Im Gegensatz dazu erreichen viele Stücke eine emotionale Tiefe, die man ihnen kaum zugetraut hätte. Die teils voluminösen Streicher und der unverkennbare Gesang von Wirtz verleihen ihnen eine fragile Schönheit, die so intensiv ist, dass die Songs noch tagelang im Ohr bleiben. Das gilt für „Regentropfen“ ebenso wie für „Sehnsucht“ oder die bereits in ihren ursprünglichen Versionen wunderbaren „Das verheißene Glück“ und „Mantra“. Lediglich „Entdeckung der Langsamkeit“ fällt im Vergleich dazu etwas ab. Abgerundet wird das Ganze von einem geschmackvollen Artwork und einem nett gestalteten Booklet. In Zeiten der digitalen Musikverwertung keine Selbstverständlichkeit.
Man merkt „Unplugged II“ bei jedem Ton an wieviel Herzblut Wirtz erneut in das Projekt gesteckt hat. Es ist beileibe kein lauwarmer Aufguss der Ursprungsidee und geht – um den Bogen zum Anfang dieser Rezension zu schlagen – alles andere als in die Hose. Das Album macht mächtig Lust darauf es live zu erleben und dabei auf die alten Bekannten vom ersten „Unplugged“ zu treffen, vielleicht sogar ergänzt durch einige Überraschungsgäste aus der Zeit vor 2014. „Alles was ich bisher gemacht habe hat noch nie so gut geklungen“, hat Wirtz damals im Interview mit uns gesagt. Das trifft auch diesmal zu. Und auf dem nächsten Album darf dann gerne wieder gerockt werden.