Es ist die Mutter aller Rockfestivals in Deutschland. 1985 bebte der Nürburgring zum ersten Mal. In 2020 wird ein Jubiläum „35 Jahre Rock am Ring“ gefeiert. Das Zwischenspiel auf dem Gelände in Mendig war vielleicht von der Location her nicht berauschend, doch immerhin hat es dem Festival letztlich das Leben gerettet. Und um so größer ist jetzt die Freude, jedes Jahr wieder an den geliebten Ring mit seiner Grünen Hölle, der Nordschleife und den übrigen Kultstätten zurückzukehren.
Viele Fans reisen bekanntlich schon Tage vorher an. Umso mehr muss man die Organisatoren dafür loben, wie reibungslos letztlich alles abläuft. Die Belegung der Park- und Zeltplätze, die Ausgabe der Bändchen. Klar kommt es zu Wartezeiten, aber es wäre ja auch ein Wunder, wenn alle Besucher sich auf die Minute genau in Zeitpläne verteilen. Die Logistik ist schon ein Gewaltakt. Ein Heer von Ordnern, der festivaleigene LIDL-Store, neuerdings das „Experience“ Camping ganz nah am Konzertgelände. Man könnte einiges nennen – oder einfach sichergehen: Bei Rock am Ring gibt es ALLES.
Ich reiste am Freitagvormittag an. Es herrschte noch eine entspannte Leere auf dem riesigen Konzertgelände. ein feiner Kontrast zu den gigantischen Abendveranstaltungen. Und doch konnte man schon am frühen Nachmittag coole Bands genießen. Um 14.30 Uhr hatten BADFLOWER aus Los Angeles großen Spaß, die Hauptbühne „Volcano Stage“ zu eröffnen. Sie waren nach eigenen Angaben erst zum zweiten Mal in Deutschland und heizten den Fans ordentlich ein. Das war auch dringend erforderlich, denn es war noch bewölkt und 19 Grad kühl.
Pünktlich ging es zur „Crater Stage“. Hier boten DRANGSAL eine kuriose Mischung aus Pop, NDW und Hardrock Gitarren. Aus Herxheim stammend hatte Max Albin Gruber als exzentrischer Frontmann ein Heimspiel in Rheinland-Pfalz, auch wenn die Fans aus NRW sich stärker bemerkbar machten. Englische Titel wie „Love me or leave me alone“ bot er mit feiner New Wave Attitüde. Doch zum größten Teil gab es deutschsprachige Titel, vor allem vom aktuellen Album mit dem hübschen pfälzischen Titel „Zores“.
Etwas Wasser, das von oben kam, machte den Ringrockern nichts aus. Vor der Hauptbühne boten HALESTORM Feierstimmung nach dem Regenguss. Die stimmgewaltige Frontfrau Lzzy Hale zeigte mit ihrer ganzen Persönlichkeit, wie sie im männerdominierten Hardrock- und Metalgenre bestehen kann. Die Performance war der Centerstage absolut würdig und hätte gerne noch länger dauern dürfen.
Nach 50 Minuten mussten Lzzy und Arejay Hale aber Platz machen für ALICE IN CHAINS. Der Vierer aus Seattle bot mit Vokalist Jerry Cantrell ein hartes Brett aus Grunge und Metal. Es gab große Scheinwerferwände, die auch zur noch frühen Uhrzeit eine ordentliche Lichtshow boten. Im Mittelpunkt stand das sechste Studioalbum „Rainier Fog“. Und es war amtlich, dass diese Rockband mit modernem Sound von den Fans ordentlich abgefeiert wurde.
Beschaulicher ging es da bei WELSHLY ARMS zu, die parallel auf der „Crater Stage“ weilten. Hier gab es zur willkommenen Abwechslung gepflegten Bluesrock aus Cleveland, der mehrstimmig mit rockigen Gospel-Anleihen erklang. Beschwingtes Tanzen statt Circle Pit war angesagt. Und der Radiohit „Legendary“ machte auch dem letzten Zuschauer klar, warum ihm die Stimme von Sam Getz so bekannt vorkam.
BEYOND THE BLACK eroberten die „Alterna Stage“ mit orchestralen Einspielern und der ersten ordentlichen Pyroshow des Tages. Die Teilnahme von Jennifer Haben bei der diesjährigen Staffel von „Sing meinen Song“ hat den Bekanntheitsgrad der Mannheimer Band enorm gesteigert. Von vielen Hardrockern werden sie aufgrund des Symphonic Metal gerne mal belächelt, doch an diesem Freitag dürften sie Überzeugungsarbeit auch in der Metalgemeinde geleistet haben.
Danach brachte SLASH im Ozzy Osbourne-Shirt ein wenig Guns n‘ Roses Feeling auf den Ring. Auch wenn der Sänger Myles Kennedy (von Alter Bridge) im Mittelpunkt stand, denn die beiden arbeiten seit 2009 zusammen und haben erst kürzlich das Album „Living The Dream“ veröffentlichen. Kennedy zeigte sich als unglaublich starker und sehr präsenter Frontmann. Er rückte keineswegs in den Hintergrund neben Slash, der aber auch genügend Raum bekam, um seine Solo-Einlagen zu zelebrieren.
Die FOALS aus Oxford waren dann das Kontrastprogramm auf der „Crater Stage“. Es gab eine fröhlich verspielte Indieshow mit hellen Klängen. Dabei zeigte sich, dass Math-Rock gar nicht so komplex und dissonant klingen muss, wie hartgesottene Progger das gerne haben. Für das Ring-Publikum hatten Foals eine spannende Mischung aufgelegt.
Auch wenn die Bühnen auf dem Gelände recht weit auseinander liegen und die Fußmärsche durch die Menge durchaus nervig sein können, musste ich doch ganz nostalgisch zu den SMASHING PUMPKINS und Meister Billy Corgan. Das Intro zur Show auf der „Volcano Stage“ erklang so theatralisch wie die Vocals des Sängers und Songschreibers aus Chicago. Im Slot der untergehenden Sonne bot man vertrackte Rhythmen und eine Mega-Rockshow.
Etwas versetzt aber wollte ich unbedingt SDP auf der „Crater Stage“ genießen. SDP schafften das, was der SPD momentan nicht mehr gelingt: die Massen zu begeistern. „Die besteste Show mit der bekanntesten unbekannten Band der Welt.“ So betitelten sie sich selbst und hätten damit vor dreißig Jahren locker als Ärzte-Klone durchgehen können. Heute aber steht das Duo aus Berlin für absolut spaßige Rock- und Rapmusik mit einem hohen Faktor an Selbstironie.
Kurz vor 23 Uhr war der Moment, da man auf drei genialen Konzerten zugleich hätte sein können. Während SDP einen „Schrei nach Liebe“ anstimmten, legten BEARTOOTH mit einer Hardcore-Attacke die „Alterna Stage“ in Schutt und Asche. Zugleich starteten TOOL ihre perfekte Klang-Show.
TOOL bestachen mit glasklarem Sound und surrealen Videos. Die waren allein schon deshalb erforderlich, weil sich Sänger (von Frontmann kann man nun wirklich nicht sprechen) Maynard James Keenan ebenso wie seine Kollegen nicht filmen ließen und überhaupt komplett im Hintergrund standen. Ausschweifende Instrumentalparts spielten die Hauptrolle und hinzu kamen bisweilen emotional-düstere Vocals. Es war schon gewagt, diese Vertreter des Psychedelic Metal als Headliner zu buchen, doch sie hatten diesen Platz absolut verdient. Obwohl ein eisiger Wind über die Rennbahn wehte, wollte sich kaum einer dieses Erlebnis musikalischer Perfektion entgehen lassen. TOOL boten einen spannenden Gegenpol zum traditionell doch so dreckigen Metal. Die verstörenden Videobilder taten ihr Übriges dazu und ließen manchen Festivalbesucher sicher nachdenklich zurück.