ROCK AM RING: der Samstag mit Bury Tomorrow, Provinz, K.I.Z, Kings of Leon
Der Samstag bot einen verhaltenen Start bei ROCK AM RING. Das Wetter lud eher dazu ein, sich auf dem Zeltplatz ein schattiges Plätzchen zu suchen – und der lange Konzertabend am Vorabend zeigte Wirkung. So hatten sich um 14.30 Uhr zu den Chemnitzer Indie-Poppern von BLOND nur vereinzelte Zuschauer*innen vor der Utopia Stage eingefunden. Doch es war nur eine Strecke von wenigen hundert Metern zu bewältigen und schon konnte man von der Mandora Stage vertraute Klänge und ein jubelndes Publikum hören.
Bury Tomorrow waren derb und kräftig am Werk und lieferten krachenden Metalcore. Frontmann Daniel Winter-Bates hatte aber hörbar Mühe damit, die Fans davon zu überzeugen, dass zu einer echten Begrüßung eine aggressive Stimme und ein fieser Gesichtsausdruck gehören. Es war einfach noch zu früh für solches Schauspiel. Und auch für Circle Pits, die sich erst zaghaft bildeten. Der Sänger wünschte sich „1000 Crowdsurfer“. Dieser Wunsch wurde kaum im Ansatz erfüllt, doch ca. zur Halbzeit des Sets gelang zumindest ein großer Wall of Death, den die Band anleitete. Man freute sich unbändig, dass RAR Bury Tomorrow schon früh am Tag so ausgiebig feierte. Zum Dank für die emotionalen Worte gab es Sprechchöre, was Daniel zu dem Versprechen brachte, im Anschluss an den Gig für Gespräche und Fotos zur Verfügung zu stehen. Ein Zeichen von Publikumsnähe, das man hier sonst nur selten erlebt.
Auf der Hauptbühne ging es mit den Briten von Nothing But Thieves weiter. Die letzten Jahre waren für die fünfköpfige Truppe aus Southend eine ziemliche aufregende Reise. Vor allem die hohe Stimme von Conor Mason bildet ein deutliches Alleinstellungsmerkmal der Band. Das wurde auch hier am Ring wieder deutlich, denn man stellte sich schon nach den ersten Tönen die Frage, ob da vielleicht doch eine Frau am Mikro steht. Das Quintett gab alles in Sachen Pop, Rock und auch Rap, doch das Publikum war noch nicht sehr bewegungsfreudig. Die Ballade „Impossible“ passte hervorragend zur Musicalstimme des Sängers. Der Gig war halt perfekt zum entspannten Sitzen und Genießen der Sonne.
Apropos Sonne: Es war auch am zweiten Tag durchgehend sonnig, aber nicht zu heiß. Weder Regen noch Gewitter hatte der Wetterbericht in Sicht, was die Meteorologen zu der Aussage veranlasste, es sei das beste RAR-Wetter seit über dreißig Jahren.
Passend zur Sommerlaune gab es nun Indie-Pop aus Oberschwaben. Provinz machen seit elf Jahren Musik und haben 2019 ihren ersten Plattenvertrag unterschrieben. Jetzt schon auf der Utopia Stage mit riesigem Publikum zu spielen ist ein Erfolg, den nicht viele deutsche Bands geschafft haben. Frisch und ungezähmt klingt ihre Musik, aber auch nostalgisch. „Wer von euch ist aufm Dorf groß geworden?“, fragte Vincent Waizenegger. Ein gefundenes Fressen für die Eifel. „Alle? Okay!“ hieß es dann nach frenetischem Jubel und der Song „Unsere Bank“ passte perfekt dazu. Ein nostalgischer und emotionaler Song über Jugend und Alter fernab der Großstadt.
Der Sommer lädt zum Tanzen ein: „Du und ich und der Sommer, wir machen Liebe zu dritt“, hieß es passend zum Festival. Das könnte zum Motto für ROCK AM RING 2023 werden. Und auch Provinz feierten ihren RAR-Moment und den Traum, vor so vielen Menschen spielen zu dürfen. Weiter im Set gab es die Ballade „Zorn & Liebe“ vom gleichnamigen Album und die Hymne „Spring“. Für mich waren Provinz definitiv die Überraschung unter der Nachmittagssonne.
Brandon Boyd von Incubus geht auch schon langsam auf die 50 zu, ist aber in Würde gealtert, was man spätestens zur Halbzeit erkannte, als er mit nacktem Oberkörper seine optischen Qualitäten zeigte. Neben der Metal-Crossover-Mischung bot die Band aus Kalifornien auch eine spritzige Version von „Come Together“ (The Beatles) und leitete ihren Song „Wish You Were Here“ mit einem kurzen Riff aus Pink Floyds gleichnamiger Hymne ein. Mit dem starken „Drive“ endete ein formidabler Set.
Viele Schauspieler versuchen sich auch als Rockstars, aber Jack Black und Kyle Gass sind mit Tenacious D ganz vorne. Das komödiantische Rockduo war mal wieder eine Bank, glänzte mit Feierlaune und viel Groove. Jack, diese wundervolle Gesangskanone, konnte mit hoher Rockstimme und entsprechendem Pathos überzeugen. Und auch die schauspielerischen Fähigkeiten der beiden kamen nicht zu kurz. So boten sie der Masse ein Feuerwerk an guter Laune. Die Show war aufgebaut wie ein Horror-Musical, bei dem sich der Pyrotechniker als Satansjünger entpuppte und allerlei Dramatik auf der Bühne stattfand. Ein ganz besonderes Ereignis war aber, dass Evanescence Frontfrau Amy Lee auf die Bühne kam und zwei Songs mit den Protagonisten performte. Weitere Highlights: eine satanische Tanzeinlage fürs Publikum, das theatralische Chris Isaak Cover „Wicked Games“ und „The Spicy Meatball Song“ a cappella. Am Ende gab es die ersehnte Pyro – also alles gut in diesem Stück.
Doch auch K.I.Z hatten sich der Theaterdramaturgie verschrieben und so gab es einen kompletten Umbau. Die Bühne verwandelte sich in die „Birkenhain Nervenheilanstalt“. Tarek, Maxim und Nico gaben drei psychiatrische Patienten in Musiktherapie. So weit, so gut. Was dann abgezogen wurde war eine krasse Party von „VIP in der Psychiatrie“ über „Rap über Hass“ bis hin zu „Urlaub fürs Gehirn“. Damit waren auch wichtige Alben schon zu Beginn abgefeiert, denn tatsächlich erschien „Urlaub fürs Gehirn“ genau auf den Tag zwölf Jahre zuvor.
Wer jetzt denkt, Rap und HipHop hätten bei ROCK AM RING nichts zu suchen: Es war unglaublich, was da im Publikum abging. Man feierte Party quer durchs Gelände bis hinten ans Riesenrad. K.I.Z schafften es, den vielleicht größten Moshpit des Festivals zu erzeugen – und das mit „Ein Affe und ein Pferd“ im Pippi Langstrumpf Sound. Und weil die Backstreet Boys immer für eine Hymne gut sind, schaffte das Trio es auch, die Menge zum Chor mit „Everybody“ zu bewegen. „Hurra die Welt geht unter“ beendete den Set, doch der Stern von K.I.Z ist gerade erst richtig aufgegangen.
Die Kings of Leon waren Headliner am Samstag. Für manche vielleicht zu poppig, das merkte man daran, dass der erste Wellenbrecher nicht komplett gefüllt war. Wer aber dabei war, erlebte eine kunstvolle visuelle Show. Caleb Followill überzeugte mit seinen charismatischen Vocals, die stets ein wenig gepresst wirken. Es gab eine viele Alben umfassende Show, die mit „Crawl“ startete und Highlights wie „Supersoaker“, „The Bandit“ und „Red Morning Light“ zu bieten hatte. Richtig wach wurde das Publikum aber, als zum Ende die bekannten Hits „Use Somebody“ und „Sex on Fire“ erklangen. Spätestens jetzt war kein Halten mehr und die atmosphärische Show wurde zur ausgelassenen Sause.
Ein kurzer Abstecher zur Orbit Stage. Hier hatte sich VV mit seiner „Neon Noir“ Tour eingenistet. Sagt euch nix? Vielleicht Ville Valo? Oder zumindest die Band HIM? Der finnische Musiker war nämlich Frontmann dieser vor allem um die Jahrtausendwende sehr erfolgreichen Band. Und auch hier am Ring gab es eine düster-mystische, sehr mit Gothic-Elementen angereicherte Show. Dabei wurden zudem einige HIM-Songs geboten, so dass jeder auf seine Kosten kam.
Zum Abschluss dann Evanescence mit der stimmgewaltigen Leadsängerin, Pianistin und Songschreiberin Amy Lee. Der Aufbau hatte sich verzögert, so dass man erst um 0.45 Uhr startete und es die Masse nach einem langen Tag eher Richtung Zeltplätze als zur Bühne zog. Es war auch kein gutes Omen, dass Amy die Zuschauer*innen mit „Hallo ROCK IM PARK“ begrüßte. Doch davon abgesehen gab es eine gute Show mit fantastischem Licht. Amy sang mit einem starken Sopran, der nicht so opernhaft aufgesetzt wirkte wie das manchmal bei den Kolleg*innen von Nightwish der Fall ist. Ihre Stärke liegt in kräftigen Vocals zu Metalklängen. Und es tat dem männlich dominierten Line-up am Ring auch mal ganz gut, hier Frauenpower zu zeigen, wozu auch die neue Bassistin Emma Anzai beitrug. Der Set umfasste zwei Medleys, um möglichst viel Repertoire unterzubringen – und ganz zum Schluss erschien zu „Bring Me To Life“ Jacoby Shaddix von Papa Roach auf die Bühne, was den zweiten Festivaltag definitiv krönte.