Auch wenn der kultige Reggae-Pop von UB40 im Radioformat kaum noch eine Rolle spielt – wenn überhaupt, dann werden die alten Kracher “Red Red Wine”, “Kingston Town” und “I Got You Babe” abgenudelt – sind Teile der Band doch noch sehr aktiv. Im August 2014 gab Gründungsmitglied Ali Campbell bekannt, dass er sich mit den ehemaligen UB40-Kollegen Astro und Mickey Virtue wiedervereinigt hatte, um ein neues Album aufzunehmen. Seitdem erschienen “Silhouette” und “A Real Labour Of Love”, wobei aus rechtlichen Gründen der Bandname UB40 immer mit einem Featuring-Zusatz versehen werden musste.
“A Real Labor of Love” featuring Ali, Astro & Mickey wurde im März 2018 veröffentlicht. Es war ein Album, das stark an die “Labour of Love”-Serie von UB40 erinnerte und erreichte Platz zwei in der UK Albums Chart. (HIER unsre Review). Michael Virtue verließ die Band Ende 2018, woraufhin die Band unter dem Namen UB40 featuring Ali Campbell and Astro weiter machte. Im Juli 2021 verließ Matt Hoy die Truppe, während die sozialen Medien am 6. November 2021 bekannt gaben, dass Astro nach kurzer Krankheit gestorben war.
Als Vorbote des neuen Releases wurde die erste Single “Sufferer” veröffentlicht. Ein Song der Kingstonians, den Ali und Astro nach Alis Angaben immer sehr geliebt haben. Für “Unprecedented” (übersetzt: beispiellos) wurden die letzten Aufnahmen mit Astro verwendet und das Album erscheint in Erinnerung an den großartigen Performer. Allein deshalb schon ist es etwas ganz Besonderes und bringt vermutlich die UB40-Historie zu einem würdigen Abschluss.
Ali und der selige Astro teilen sich die Vocals und liefern ein entspanntes Werk mit Interpretationen denkwürdiger Klassiker wie “Lean On Me” von Bill Withers, das im Lockdown veröffentlicht wurde, “Sunday Morning Coming Down” von Kris Kristofferson, den East 17-Hit “Stay Another Day” und “Do Yourself A Favour” (Stevie Wonder). Diesen Stücken drückt das Duo seinen Reggae-Stempel auf und sie funktionieren ebenso stark, wie die hauptsächlich von Campbell geschriebenen eigenen Stücke, die zum coolen Schwofen einladen.
Sommer, Sonne, gute Laune – trotz des traurigen Hintergrunds vermittelt das Album ein optimistisches Lebensgefühl, wie wir das von UB40 gewohnt sind. Die Ikonnen des Reggae-Pop sind immer noch relevant in der heutigen Zeit und bieten und fast eine Stunde wundervoller Musik für die Sonnenstunden des Lebens. Astro lächelt vermutlich von den Sternen.
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Indra Bahía bricht auf Grund eines Burnouts ihr Studium ab und entflieht aschfahl und ohne Rückflugticket dem grauen Winteralltag Fernostdeutschlands und landet an den weißen Sandstränden einer real existierenden Wüsteninsel. Nun heißt es: Sonne tanken, zu Kräften kommen, sich besinnen und neu sortieren. Der Zusammenbruch wird zum Aufbruch in ein neues Leben.
Nach einer guten Portion Seelenerkundung verlässt sie nach zwei Jahren als eigenständige Musikerin wieder die Insel. Lautstark und doch ganz natürlich fließen Indras naturverbundene Philosophie und Spiritualität in die selbstkomponierten Songs , welche von ihren Bandmitgliedern mit einfallsreichen Jazz –, Funk und Soul Schliffen versehen werden. Mit verzaubernden Melodien, gehaltvollen Texten und jede Menge Soul schickt die Nachkommin mongolischer Nomaden mit ihrer wunderbar berührenden Musik die Zuhörenden nun auf Weltenreise.
„Lay Your Head“ von Indra Bahía ist feinster, beseelter Pop à la Norah Jones und Katie Melua, der unter die Haut geht und im Herzen bleibt. Mit einer schlaflosen Nacht und tief in Gedanken versunken, so beginnt Indra Bahía das gehaltvolle Storytelling in ihrer neuen Single „Giveaway“. „Love wasn’t put in your heart to stay, love isn’t love until you give it away“, so singt die 32 Jährige und thematisiert den Zustand der Welt, nicht mit erhobenen Zeigefinger, sondern mit erhebendem Soulfunk.
Dieses Album lässt den Hörer eintauchen, abtauchen, Kraft tanken, um ihn dann wieder beseelt und bekräftigt auftauchen zu lassen. Nichts ist belanglos, alles ist voller Gefühl, Empathie und Kraft. Es ist ein Album, das zur richtigen Zeit auf den Markt kommt.
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Eine der größten Überraschungen in der vierten Staffel von “Sing meinen Song” (2017) war sicher Tilmann Otto alias Gentleman mit seiner hinreißenden Interpretation deutschsprachiger Titel von Silbermond und Mark Forster. Natürlich hat er den gewohnten Reggae-Rhythmus mitgenommen, aber die Neuinterpretation mit eigens hinzu komponierte Rap-Passagen war durchaus schlagkräftig. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sich Gentleman an einem eigenen Album in der Muttersprache versucht. Drei Jahre später ist es nun endlich soweit.
Als international gefeierter Star der Reggae-Szene steht Gentleman auf dem Zenit seiner Karriere und ist durch seine zahlreichen Jamaikaaufenthalte und Kollaborationen mit unterschiedlichsten jamaikanischen Musikern tief verwurzelt in der Kultur der Karibikinsel. Er hat in seiner über 20jährigen Bühnenkarriere schon in etlichen Ländern gespielt und manche Pionierarbeit für sein geliebtes Genre geleistet. Also durchaus mutig, ausgetretene Pfade zu verlassen. “Blaue Stunde” ist um einiges poplastiger als seine bisherigen Releases. Daran ändern auch Feature-Gäste wie Sido und Ezhel nichts. Es war sicher eine Herausforderung, sich aus der Komfortzone zu bewegen.
Vor allem die Texte wissen zu gefallen und könnten auch zum Konsens bei Deutschpop-Fans führen, die mit den Reggae-Rhythmen nicht unbedingt viel anfangen. Es gibt ein fröhliches “Ahoi” zum Start aber auch selbstironische Momente wie in “Schöner Tag”. Der Mix zwischen guter Laune und nachdenklichen Klängen (“So nah”) funktioniert bestens. Da sind Songs, die ihn beim Pflanzen in seinem Garten oder beim Flussschippern auf einem dunkelblauen Boot verorten – so entspannt wie Peter Fox in seinem “Haus am See”. Und mit “Bei dir sein” besingt Tilmann sehr berührend seine Gefühle als Vater.
Es tut gut, mal alles zu verstehen, was Gentleman uns erzählen will. Dennoch bleibt der altbekannte Flow erhalten und das Album ist in sich stimmig. Es ist stärker im Mainstream verortet, aber Gentleman vergisst seine Wurzeln in keinem Moment. Selbst ein Autotune-Song wie “Bruder” wirkt nicht fehl am Platz. Ich muss sagen, dass ich Gentlemans Livekonzerte immer genial fand, aber von seinen Studioalbum oft gelangweilt war. Diesmal ist das nicht der Fall: Der Reggae-Künstler aus Osnabrück hat etwas zu erzählen und man hört ihm gerne zu. Eines der besten deutschsprachigen Alben des Jahres!
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Jason Mraz ist seit jeher ein Garant für Gute-Laune-Musik mit optimistischen Botschaften. Auch sein aktuelles Album „Look For The Good“ macht da keine Ausnahme. Allerdings war dem Songwriter beim Schreiben der Texte noch nicht bewusst, wie zeitgemäß die zentrale Aussage des Albums inzwischen ist. Durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie ist es gerade noch wichtiger geworden, das Gute in jedem Menschen, in jeder Situation zu suchen.
Ob das Album dabei helfen kann, muss wohl jeder für sich entscheiden, aber jedenfalls verbreitet es eine Menge positiver Energie. Zwischen dem ersten „Look For The Good“ des Openers und Titelsongs und den gleichlautenden letzten Zeilen des Abschlusstitels „Gratitude“ liegen knapp 60 Minuten entspannter Reggae, den Jason Mraz mit einer ganzen Riege befreundeter Musiker und Sänger zelebriert. Da wird mit „Make Love“ mal ganz allgemein die Liebe oder mit „My Kind“ die Menschlichkeit besungen. Mit Vogelgezwitscher und A-cappella-Gesang beginnt „Take The Music“, eine Hymne an die Kraft der Musik, und „Hearing Double“ wird seinem Titel absolut gerecht, da tatsächlich beinahe jedes Wort des Textes wiederholt wird, was einen interessanten Effekt erzeugt.
Neben den allgegenwärtigen Backgroundsängern lässt sich Jason Mraz bei zwei Titeln auch von stimmgewaltigen Rapperinnen unterstützen. Tiffany Haddish sorgt für die Einlage bei „You Do You“ und Sister Carol ist in „Time Out“ zu hören. Eine der schönsten Botschaften des Albums enthält meiner Meinung nach das ruhige „Wise Woman“, eine Liebeserklärung an eine außergewöhnliche Frau. Sehr überzeugend sind auch das Piano-Intro und das ruhige Ausklingen des abschließenden „Gratitude“ – hier hätte ich tatsächlich gut auch für den Rest des Songs auf den Reggae-Rhythmus verzichten können!
Doch der Reggae zieht sich konsequent durch das Album, allerdings wirklich in der Wohlfühl-Variante. Und so eignet sich „Look For The Good“ vielleicht nicht für wilde Partynächte (die diese Jahr ohnehin selten sein werden), aber sehr wohl für die lauen Sommerabende mit guten Freunden (die wir in diesem Jahr wahrscheinlich besonders zu schätzen wissen)!
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15 Jahre Bandgeschichte spitzen sich zu, der Neun-Mann-Reaktor fährt wieder hoch: Nach einigen personellen Umbesetzungen wagt die Hamburger Reggae- und Dancehall-Band I-FIRE im Jahr 2020 endlich wieder das “Spiel mit dem Feuer“.
Mit neuen Singles, neuem Album und neuem Feuer wird die Band die Republik 2020 mit ihren “Back To The Roots-Tunes” und einer großen Portion Tanzbarkeit zum Schwitzen bringen.
Mit ihrer Musik begeistern I-FIRE seit 2005 Tausende. Ob in schweißtriefenden Clubs oder auf sonnengefluteten Festivalbühnen in Deutschland und darüber hinaus, ob vor 10 oder vor 10.000 Leuten: Die drei Sänger und sechs Instrumentalisten sorgen auf der Bühne für ein derartig üppiges Brett, dass die Grenze zwischen gediegenem Reggae und übertriebenem Abriss verschwimmt. Fett und energiegeladen, tight und immer mit Ohrwurm-Gefahr – wer die Platten mag, wird die Liveshows lieben.
Auf dem neuen Longplayer “Spiel mit dem Feuer” ist es I-FIRE wie selten zuvor gelungen, ihren mitreißenden und abwechslungsreichen Sound optimal in Szene zu setzen. Mit den neuen Tunes servieren die neun Hamburger einerseits in Perfektion den deutschsprachigen Roots-Reggae-Sound, den viele an der Band so lieben. Andererseits haben sie dabei aber auch immer die tanzende Meute in der Dancehall im Visier. Nicht zuletzt durch die belebenden Impulse der vier neuen Bandmitglieder klingt das neue Werk dabei musikalisch reifer und gleichzeitig fresh wie nie.
„Wir haben uns Anfang 2019 gefragt, wo die Reise hingehen soll“, so Robert “Raw” Schlepper. Der Sänger mit den bodenlangen Dreads ist für seinen variablen Bariton und seine eskalative Bühnenpräsenz bekannt. „Schnell war klar: Wir greifen erneut an. Das neue Album bereiten wir deshalb intensiver und durchdachter vor, als die vorherigen drei.“
Jetzt ist es endlich soweit: Sechs Jahre nach „Salut!“ veröffentlicht die Hamburger Reggae- und Dancehall-Band I-FIRE mit „Spiel mit dem Feuer“ ihr viertes Studioalbum.
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Besondere Momente entstehen meist durch Spontanität. Es ist schwer solche Augenblicke zu kreieren. Man kann einen passenden Rahmen schaffen mit dem nötigen Kleingeld, doch letztlich ist es ein gewisser Funke der sich ein ums andere Mal versucht zu entzünden, bis schließlich ein Feuerwerk dadurch entsteht. Was das alles mit drei Tagen See, Sonne und Summerjam zu tun hat, erfolgt nun in einer Kurzbeschreibung. Unter dem Motto “Free Your Mind” öffnet das Summerjam am Freitagmittag seine Pforten zur 28. Ausgabe des größten Reggae-Festivals Europas. Dass es eine Zusammenkunft verschiedenster Nationalitäten ist, wird einem schon beim Betreten des Campinggeländes mehr als deutlich. Überall hört man Wortfetzen von Sprachen aus verschiedensten Ecken: Französisch, Englisch, Afrikaans, Holländisch, sogar Patois – alles ist dabei.
Die Sprachdefizite sind jedoch kein Grund für die Leute nicht gemeinsam zu einem riesigen Melting Plot zu verschmelzen, was man vor allem bei Matisyahu bewundern kann. Einerseits die Vielzahl an Leuten, die er auf die Bühne holt, andererseits folgende Geschichte: Eine überdurchschnittlich gut aussehende Schwedin (zu erkennen an der Schwedenflagge, was mehr oder weniger ihr einziges Kleidungsstück ist) wankt freudestrahlend bei “One Day” zu einem etwas verschüchterten Typen, der aber in gleicher Lautstärke die Zeilen mitsingt wie sie. Sie halten sich in den Armen, tanzen, lachen – und auf einmal hört man sie raunen “This is the perfect song to make out” und versucht den etwas verblüfften Jungen abzuknutschen. Dieser legt schnell den Rückwärtsgang ein und stammelt im grausamen, deutschen Akzent: “Ei äm so sorri, batt ei häf a görlfrend”. Das strahlende Gesicht der Schwedin wirkt wie versteinert, ja fast niedergeschlagen. Sie schüttelt noch einmal ihren perfekten 90-60-90 Körper vor ihm hin und her und starrt ihn dabei an. Was ihre Augen sagen, kann sogar ich lesen: Du verpasst hier was, mein Freund! Mit einem Luftkuss verabschiedet sich die blonde Schönheit. Der Halbstarke und sein Kollege gucken ihr fassungslos hinterher. Dann sprudelt es aus ihm heraus: “Hast du das gesehen? Ich weiß doch wie ich aussehe, verdammt! Die war besoffen oder wollte mich ausrauben! Oder beides zeitgleich. Ich fass es nicht.” Szenen, gemacht für den Olymp!
Abgesehen von derlei Geschichten, ist eine ganze Reihe von genialen Künstlern heute zu sehen. Von Ganjaman, über den deutschen Rap der Ohrbooten, bis hin zum reinkarnierten König der Löwen Snoop Lion wird den Zuschauern einiges geboten. Letzterer, der sich vom Hund zum Löwen hochgearbeitet hat, bleibt seinen Instinkten und weiß genau was das Publikum hören will: “Spiel das alte Zeug!” Schallt es von rechts. Das lässt sich das Alphatier nicht zwei Mal sagen und greift zum altgedienten Spazierstock des Pimps. Es folgen “P.I.M.P.”, “Wet”, “The Next Episode” und viele weitere Evergreens. Vom Mythos des Reggae-Löwen ist abgesehen von “Here Comes The King” und einem Joint im Mundwinkel nichts zu spüren. Das stört die Meute auch nicht weiter, denn der Mann aus Venice Beach präsentiert seine allzu sehr geliebte Gangster-Attitüde wie vor zwanzig Jahren: die Gogos schütteln die Hüften und die Fans die Arme. Alles ist beim Alten und der erste Festival-Tag klingt zu den Klängen von “Young, Wild And Free” aus.
Wer sich am Samstagmittag schon von den Anstrengungen des ersten Tages erholt hat, kommt langsam aus den Zelten gekrochen. Vom Ausblick der Regattabrücke aus, ergeben die provisorischen Behausungen am See und in den anliegenden Waldstücken eine ganz eigene Stadt für sich, die trotz der allgegenwärtigen Präsenz der Ordnungshüter ihren eigenen Regeln zu unterliegen scheint. Auf dem Gelände hört man erste Bierdosen knacken, Flunkyballspieler gehen in ihre Positionen und Rauchschwaden bahnen sich überall ihren Weg durch die Hitze des Mittags – Cannabiskonsumenten und deren Bezugsquellen haben ihre Tätigkeiten wieder aufgenommen. Dennoch: der Wunsch nach Musik ist immer noch die treibende Kraft der Festivalbesucher. Schlagzeilen über kiloweise sichergestelltes Rauschmittel zum Trotz steht die Musik, zusammen mit der Love and Peace- Mentalität, im Vordergrund. So versammeln sich nach und nach erneut hunderte Musikliebende vor den beiden Stages auf der Festivalinsel. Die Kassen der Cocktailstände fahren ihre Umsätze ein und die Chillout-Area füllt sich mit Menschen, die sich vor den ersten Konzerten des Tages noch bei einem Kopf in der Wasserpfeife die nötige Ruhe gönnen wollen.
Als der aus Berlin-Moabit stammende Rapper Megaloh am Samstagnachmittag auf der Green Stage in den Ring steigt, toben vor allem die Hip Hop Begeisterten unter den Festivalbesuchern. Doch die Stimmung auf dem Summerjam ist trotz gewisser Genredifferenzen grandios und bei dem Auftritt Megalohs, bei dem ihn sein Live-DJ Ghanaian Stallion an den Turntables unterstützt, dauert es nicht lange und schon wird die gesamte Crowd von den kraftvollen Raps mitgezogen. Der Muskelberg im weißen Tanktop schmettert Punchlines und Flow-Varationen durch die Mittagshitze, als würde diese ihm nicht zu schaffen machen, woran sich auch die Menge ein Beispiel nimmt. Trotz des schweißtreibenden Wetters schaffen es die Fans Vollgas zu geben und etwa bei dem Song „Adrenalin” auf Megalohs Wunsch „Ich will euch springen sehen” hin komplett auszurasten. Bei dem Track „Dr. Cooper” skandiert die gesamte Menschenmasse die Hookline: „Ich weiß, das was ich weiß, das weiß ich, Rap ohne Weitsicht? Ouh, ich weiß nicht!”. Klassische Beats, die zum Mitnicken anstiften, werden mit Texten untermalt, die mal tiefgründig und ernst, mal humoristisch das Reimrepertoire des Mannes, der sich selbst als „Hip Hops- Finest” bezeichnet, bis zur allerletzten Snaredrum ausreizt – und darüber hinaus. Den Höhepunkt des Auftritts nämlich bildet die Accapella Version seines Parts aus dem „Hände hoch”-Remix mit Kollege Samy Deluxe: „Zweifelst du an mir, zweifelst du am Leben, hebt die Hände hoch, jetzt ist Zeit sich zu ergeben!”, verkündet er dabei zum Abschluss. Wer sich da nicht Megaloh ergibt, kapituliert vor der Hitze und sucht Zuflucht im Schatten der umstehenden Bäume, was vielleicht auch dazu beiträgt, dass Chima, der kurze Zeit später ebenfalls auf der Green Stage performt, der Menge nicht so einheizen kann, wie manche Artists vor und nach ihm. „Ich habe ein Faible für Beziehungs-Lieder, aber kein Händchen für funktionierende Beziehungen”, erklärt der Sänger zwischen zwei Stücken. Leider ist er damit wohl im Recht, denn so ganz möchte der Funke zwischen ihm und dem Publikum nicht überspringen, so dass vereinzelte „Ausziehen, ausziehen”- Rufe weiblicher Fans mit das Emotionalste an seinem Auftritt bleiben. Nach dem etwas trostlosen Auftritt des Deutschafrikaners, steht der inoffizielle Headliner der Green Stage in den Startlöchern. Chronixx ist zumindest in Jamaika schon einer der ganz Großen, warum kann er in nur 45 Minuten gefühlt dem halben Summerjam (verdammt ist das eng hier) unter Beweis stellen. Voller Inbrunst schreit der 20-jährige seine Songs der Menge entgegen. Die bedanken sich mit einem mindestens genau so lauten Applaus.
In Ekstase: Chronixx auf der Red Stage am Samstag
Leider hat bei dieser Hitze nicht jeder so eine gute Kondition wie die Künstler. Man sieht Gestalten, bei denen man denken könnte sie hätten seit der Eröffnung des Campinggeländes keine Sekunde geschlafen. Andere kriechen schwitzend Richtung Schatten und versuchen sich mit einem letzten Taschentuch den Schweiß auf der Stirn zu trocknen. Dummerweise bemerken sie nicht, dass die Hälfte des Tuchs auf der Stirn kleben bleibt. So werden sie wohl bei keiner Frau Eindruck schinden können. Naja, höchstens noch bei der Schwedin vom Vortag. Anders zeigt sich bei einem kurzen Besuch bei Popcaan, dass dieser alles andere als fertig ist. Die Fotografen haben alle Mühe den Mann aus Portmore, Jamaika, vor die Linse zu bekommen, so schnell springt er von A nach B und von B auf die Boxen. Endlich ist wieder Energie zu spüren!
Popcaan am Samstagabend auf der Green Stage
Es wird dunkel und deutlich kühler. Immer mehr Menschen strömen auf das Gelände um sich zwei große Künstler auf der Red Stage anzugucken. Richie Stephens beendet gerade mit einer großartigen Coverversion von “No Woman, No Cry” sein Set, als man sich mit einem hellen Blonden einen Weg durch die Menge bahnt. Heimspiel ist angesagt! Tillmann Otto alias Gentleman, gebürtig aus Köln-Sülz, kommt mit breitem Grinsen auf die Bühne und sorgt für einen soliden Abschluss vom Samstag. Überraschend bei diesem Konzert ist vor allem die Setlist. So gibt es kein “You Remember” von der aktuellen Platte “New Day Dawn”, aber dafür spielt er sehr zur Freude seiner alten Fans Songs wie “Leave Us Alone”. Unterstützt wird er teilweise sogar von Richie Stephens und dem Italiener Alborosie. Nach 2 Zugaben verabschiedet sich Gentleman vom Summerjam und wir uns vom Festivalgelände.
Es geht direkt rüber zur Dancehall Area. Da kommen wir wieder auf diese spontanen und unterhaltsamen Momente zu sprechen. Wir sehen einen blonden Typen mit rotem Acapulcohemd, Goldkette und einer grünen Sonnenbrille, der wahllos gegen Menschen stolpert und wohl verzweifelt einen Ausgang aus diesem Irrgarten sucht. Wohl ein wenig zu oft Fear and Loathing in Las Vegas geguckt, hm? Dann ergibt sich folgende Situation: Mr. Raoul Duke hat sich seinen Weg fast zum Ausgang freigeschaufelt. Nur ein zartbesaitetes, 1,60 m großes brünettes Mädchen steht ihm und der Freiheit im Weg. In seinem Geisteszustand guckt er über sie drüber, nimmt Anlauf und …Rrrrrrrrumms. Beide liegen auf dem Boden. Der Junge, kurz entsetzt fragt völlig verdattert: “A-a-alles klar bei dir?”. Die brünette Schönheit lächelt kurz und meint nur: “Schon okay.” Ihre Körpersprache sagt eher “Verpiss dich besser schnell, bevor ich meine großen Brüder hole!”
Am nächsten Tag ist der Schreck des Vorfalls in der Dancehall Area schon fast vergessen. Nur ein lustiger Freak unter vielen. Aber auch am dritten Tag des Massenspektakels wollen sie noch nicht müde werden. Am Sonntag brütet noch immer die Hitze der vorangegangen Tage und auch der Rest scheint wie gehabt. Nur ein neues Gefühl hat sich zur Euphorie und dem trunkenen Treiben gesellt, ein Gefühl des nahenden Abschieds. Der letzte Tag steht bevor und im Knacken der Bierbüchsen schwingt ein leiser Hauch von Traurigkeit mit. Doch je mehr von ihnen leer in die Pfandtonnen fliegen, desto mehr kriegen die Leute noch einmal richtig Lust auf einen letzten abgedrehten Tag Summerjam. Free Your Mind. Auf ein Neues!
Doch erst muss mal eine Runde in der Chill Out Area ausgeruht werden. Der Tag ist mindestens genau so warm wie die beiden vorigen Tage und auf eine Runde 4Gewinnt gegen zwei Holländer ist nichts auszusetzen. Nach drei verlorenen Runden in Folge sind dann auf der Green Stage The Aggrolites aus Los Angeles am Start und beginnen den späten Nachmittag einzuläuten. Anschließend betritt dann Deutsch-Rap-Urgestein Dendemann die grüne Stage mit dem charakteristischen Schnauzer und der Vorne-Kurz-Hinten-Lang-Frisur. Der Musiker aus Menden, welcher seit 1996 in Hamburg lebt und auch dessen Karriere bis tief in die 90er zurückreicht, sorgt mit seinen Tracks an diesem Sonntag noch einmal für richtig gute Stimmung auf dem Festivalgelände. Mit seinen angetrauten Eigenheiten und seiner „Reibeisenstimme” schafft er es alte wie auch neue Fans zu begeistern. „Ich schwimmte, schwamm und schwomm, endlich bin ich angekommen, endlich hab ich wieder Land gewonn'”, rappt er im Chorus seines Klassikers “Endlich Nichtschwimmer” aus dem Jahr 2007. Trotz der sechs Jahre, welche die Nummer auf dem Buckel hat, steigt die johlende Menge ohne Umschweife in den Refrain ein. Denn eines ist klar: Egal welch merkwürdiger Wellengang und welche Meeresströmung den Dendemeier an die Festivalinsel des Fühlinger Sees gespült hat, er beweist, dass er nirgendwo anders besser aufgehoben wäre. “Manche schwimmen mit, manche gegen den Strom, doch ich frag: Schwimmen wir noch oder leben wir schon? Ich bin durch damit, es hat sich ausgeschwommen, könnt ich dafür endlich mal Applaus bekommen?” – und den bekommt er zu Recht und zu Genüge. Nach dem Dendemeier wird sich ein weiteres Mal in den Liegestuhl gefläzt. Mit Bier und Zigarette bewaffnet wartet man nun auf das Zeichen von Max, dem Herrn des Pressebereichs auf neue Pressekonferenzen. Heute ist sogar eine, die es sich richtig lohnt zu erwähnen. Patrice gibt sich in dem völlig überhitzten Presse-Container die Ehre und steht den gut 20 Journalisten Rede und Antwort. Was er da vom Stapel lässt ist auf jeden Fall nicht uninteressant: “DJs sind für mich keine richtigen Künstler. Klar gibt es da immer eine fette Show, aber die müssen bei anderen Songs nur Regler hin und herschieben, das war’s. Für jemanden der im Business der handgemachten Musik tätig ist, ist das manchmal schwer nachvollziehbar.” Protest kommt nur bedingt, wenn sich mehr DJs im Raum befinden würden, könnte das hier einen durchaus interessanten Schlagabtausch geben.
Headliner Patrice bei seiner Pressekonferenz
Handgemachte Musik hin oder her, nach einem kurzen Aufenthalt beim Auftritt von Patrice zu fortgeschrittener Zeit auf der Red Stage wird zügig gewechselt. Zum Glück, ansonsten hätte man wohl einen der besten Auftritte des gesamten Festivals verpasst. Es ist ja kein Zufall, dass Blumentopf so einen unglaublich guten Ruf für ihre Live-Qualitäten genießen. Besonders stechen mal wieder die großartigen Freestyles über das Summerjam, Köln, Bier, Hip Hop, München und Gott und die Welt hervor, bei dem die Arme wie Raketen ein ums andere Mal in die Höhe schnellen. Man sieht nur glückliche Gesichter. Besonders atmosphärisch wird es dann bei „Manfred Mustermann”, bei dem die Töpfe ein Leben in neun Minuten rappen, von der Geburt bis hin zum ersten Job, zur Rente bis hin zum Ableben. Zum ersten Mal sieht man traurige Gesichter vor der Bühne, einige sogar den Tränen nahe. Großes Kino. Mit Songs des selbigen Albumtitels geht es auch flott weiter. Vor allem bei „Was der Handel?” kommt die Menge richtig in Fahrt. Mit der Geschichte von „Rosi” aus dem Sperrbezirk endet das beste Konzert am Sonntag. Eilig verlässt man die Bühne, um bei Patrice das abschließende Feuerwerk zu bewundern. Doch damit ist der Abend noch nicht vorbei. Man verbringt die letzten Stunden des Summerjam 2013 an der Chill Out Area. Das 4Gewinnt Spiel ist jetzt weg, dafür ist der Platz jetzt bevölkert mit Tanzwütigen, die zu der Musik von DJ Cem von den Beatpackers das Summerjam Festival ausklingen lassen. Um Punkt Mitternacht gibt es auf einmal einen großen Aufschrei. Leute stürmen aufeinander zu? Was ist passiert? Eine Schlägerei? Nie im Leben. Ist jemand umgekippt? Unwahrscheinlich, Sonne ist weg! Plötzlich raunt mir ein betrunkener Typ ins Ohr: „EEEEEH, MEIN KUMPEL HAT GEBURTSTAG! GRATULIER IHM BITTE MAL, DER FREUT SICH BESTIMMT.” Gesagt getan. Immerhin muss ich mich sogar in eine Schlange anstellen, da der besoffene Typ da wirklich echt gute Arbeit leistet, aber letztlich freut das Geburtstagskind sich auch über den 85. Gratulanten genau so wie über den ersten.
Da war er wieder, dieser spontane Moment. Solche Augenblicke sagen viel mehr aus als Wut, Zerstörung, bengalische Feuer oder Dauerbeschallung wie man es von anderen Festivals gewohnt ist. Da kann man direkt Äpfel mit Birnen, ach was rede ich, mit Kokosnüssen vergleichen. Man kann diese drei Tage als eine Oase der Ruhe und Zufriedenheit ansehen, als das Urlaubsparadies der Festivals mit Sand, Strand und jeder Menge guter Musik. Danke dafür!
Von Florian Eßer und Marc Brüser
Ein weiterer Dank geht an das großartige Team von Contour Music sowie an Max, der den gesamten Pressebereich perfekt gemanagt hat.
Angela Hunte, Popcaan, Cori B., Drake, Rita Ora, Busta Rhymes, Chris Browne, Jahdan Blakkamoore – und Miley Cyrus. Die Liste der prominenten Namen auf Snoop Doggs/Lions erstem Reggae-Release könnte noch um einige Zeilen weiter mit Mitwirkenden ergänzt werden. Allein an dieser Aneinanderreihung von Künstlern, die an „Reincarnated” beteiligt sind, wird mal wieder der Einfluss des Ausnahmerappers – seit neuestem auch Reggae-Gurus – mehr als deutlich.
Bei einer Pilgerfahrt durch Jamaika wurde Snoop ein neuer Name von einem alten Indianerhäuptling gegeben: Lion. Der Löwe steht für Kraft, Dominanz und Stärke. So weit, so gut, die PR-Maschinerie ist ordentlich am Rollen. Hat denn auch das Debütalbum „Reincarnated” musikalisch etwas mehr zu bieten als *Floskel PR-Maschinerie an* „das beste Sommeralbum des Jahres!” *Floskel PR-Maschinerie aus*. Die Antwort ist ja und nein!
Nein, weil dieses Album hinsichtlich Autotunage und Reglern an manchen Stellen ein wenig übertreibt. Außerdem ist schon beim erstmaligen Durchhören klar, dass keiner der Mitwirkenden irgendetwas neu erfindet. Vielmehr ist es ein Zusammenschluss von Reggae-Künstlern, die von den Fähigkeiten einer Armee an Produzenten profitieren. Der Sound ist klar, die Beats sind passend, das Autotunage hält sich weitestgehend in Grenzen. Gut, Querschläger gibt es auch: Bei „Get Away” hat sich Snoop wahrscheinlich selbst gefragt: „Was produziere ich da eigentlich?”. Die Antwort ist ein Einheitsbrei aus Elektro, House, Dancehall mit einer Frauenstimme, die normalerweise höchstens die Background-Vocals der Background-Vocals bei Parts wie „It’s taking me hiiiigher, hiiiiiiigher” von sich geben darf. Ein verdammt anstrengendes Lied, aber zum Glück bestätigen Ausnahmen die Regel.
Auf der Haben-Seite stehen die wirklichen Reggae/Dancehall-Songs. Sei es, „Here Comes The King”, „Put Your Lighters Up” oder „No Guns Allowed” – alles Reggae Songs, über Frieden, Kiffen und Glücklichsein, die man sich problemlos anhören, und sogar richtig gut finden darf.. Mit der beste Song vom Album ist – wenn auch relativ unerwartet – “Ashtrays and Heartbrakes” mit Miley Cyrus aka Hannah Montana. Der Leser wird sich fragen: Wie kann so eine Kombination zu Stande kommen? Die Wahrheit weiß wohl nur Snoop selber. Nichtsdestotrotz hat er damit die beste Entscheidung für das gesamte Album getroffen. Das Duo Cyrus/Lion ergänzt sich hervorragend bei diesem Song. Da kommt doch direkt schon Vorfreude auf das Summerjam Konzert auf bei der man sich jetzt schon richtig vorstellen kann, wie Rauchschwaden von der Größe einer durchschnittlichen Hanfplantage in die Luft steigen.
Weiterhin empfehlenswert sind auch die vier Songs, welche man auf der Deluxe-Edition findet. Allen voran ist da „Harder Times” mit einem genau so simplen, wie wunderbaren Gitarrenintro, welches man am liebsten sofort auf der Gitarre lernen will. Für die weniger musikalisch affinen Menschen gibt es die grandiose Alternative beim Konzert die Faust in die Höhe strecken und folgende Zeilen mitsingen:
Look how hard mama work just trying to get by
And enough ghetto youth so they still want no get, no bly
Just keep on the hustle ‘cause we have to stay pon the grind
Don’t give up on yo dreams ‘cause you know the sun will shine
The sun will shine
Wie bereits erwähnt, man sollte bei „Reincarnated” nicht nur den Künstler „Snoop Lion” loben, sondern vor allem den Produzenten „Snoop Lion”. Die Abmischung, Bandbreite an Musik, die ausdrucksstarken Stimmen – dafür sind nun mal nicht nur die Künstler, sondern auch die Produzenten zuständig. Vielmehr muss man dieses Album als ein Tribut von vielen Künstlern unter der Führung des Löwen an die gesamte Kultur des Reggaes sehen. So macht dann auch der Name wieder Sinn. Gut gebrüllt, Löwen!
Mal wieder ein deutscher Act, der dafür sorgte, dass die Arena Trier ausverkauft war. Schon nachmittags strömen die Massen in die älteste Stadt Deutschlands, um eine der erfolgreichsten Bands des neuen Jahrtausends zu sehen. Der Aufstieg von Seeed nahm 2001 mit der Single “Dickes B” Fahrt auf und erfuhr den größten Schub vor vier Jahren, als Bandmitglied Peter Fox (im echten Leben Pierre Baigorry und bei Seeed steht sein “e” ursprünglich für den Künstlernamen Enuff) eine Solokarriere startete, mit der er als Konsenskünstler die nationalen Charts über Monate beherrschte. Brav kehrte er allerdings zur Stammband zurück – und deren Reputation steigt seitdem unaufhörlich.
Pünktlich um 20 Uhr ging es los mit Allen Stone als Support. Ein Künstler aus Seattle, dessen Vater Prediger war. Dies merkt man auch dem Sohnemann an. Seine Stimme ist soulig und kraftvoll – vergleichbar mit Mick Hucknall (Simply Red). Seine Lieder erklingen in der Tradition von Marvin Gaye oder Bill Withers – zur Freude der Anwesenden baut er aber auch eine Coverversion von Bob Marley in den Set ein. Ich fand ihn stimmlich sehr stark, vor allem wenn er mit Inbrunst in die hohen Lagen gehen konnte. Und auch das Publikum, das ja nicht unbedingt zu den Anhängern seiner Musikrichtung gehörte, bedachte den 35minütigen Auftritt mit reichlich Applaus.
Dann begann die (kurze) Wartezeit auf Seeed. Knapp nach 21 Uhr lichtete sich der Vorhang und zeigte eine Bühne, die ein Gerüst beherbergte, auf dem die Musiker in unterschiedlichen Höhen positioniert waren, damit das Publikum jeden im Blick hatte. Band, Bläsergruppe – und natürlich die drei Sänger von Seeed: Enuff, Ear und Eased. Letzterer versuchte sich vor Jahren ebenfalls an einer Solokarriere als Dellé, konnte aber bei weitem nicht den Erfolg von Peter Fox erreichen. Über dem Bühnenaufbau war eine runde Projektionsfläche befestigt, die leicht an die Kuppel des Berliner Reichstagsgebäudes erinnerte. Vielleicht eine Hommage an den Herkunftsort der Band?
Musikalisch ging es gleich in die Vollen. Starke, laute Songs – immer mit ordentlichem Reggae-Touch und gleichzeitig im Marching-Sound einer Bigband gehalten. Es funktioniert! Reggae, HipHop, Rock… Das Publikum geht ordentlich mit und ist durchgehend in Bewegung. Vor allem Dellé, der an einem Gymnasium in Trier sein Abitur machte, wurde in den Solopassagen lautstark bejubelt. Er ist ein Reggae-Musiker par excellence und zeigte sich in der alten Heimat von seiner besten Seite. Die Songauswahl mit Stücken wie “Dancehall Caballeros”, “Schwinger”, “Seeeds Haus” und “Dickes B” war umfassend und lieferte einen Mix aus fast 15 Jahren Bandgeschichte. Die Sänger in ihren schwarzen Anzügen boten durchgehend Action auf der Bühne und glänzten auch mit gekonnten Tanzeinlagen.
Natürlich lag ein großes Augenmerk auf Peter Fox. Würde es seine Solostücke geben? Yes – als die Schlagzeugtruppe von Cold Steel die Bühne enterte, gab es kein Halten mehr. “Alles neu” zunächst mit dem Reggae-Start, den Fox schon auf seiner Solotour zelebrierte, und dann im vollen orchestralen Glanz. Ein Paradestück des Abends. Später gab es zudem auch “Schwarz zu blau”, Peter Fox‘ ungewöhnliches Liebeslied an Berlin, und die Bewegungs-Hymne “Schüttel dein Speck” im Zugabenblock. So hält man ein Publikum am Tanzen!
Von den reinen Seeed-Stücken wurden vor allem “Augenbling”, “Molotov” und “Beautiful” abgefeiert. Ein Beleg dafür, dass das neue Album viele Zuhörer findet. Und natürlich gab es “Ding” als Hammer-Zugabe. In der Arena Trier haben sich Seeed von ihrer besten Seite gezeigt und eine energiegeladene Show abgeliefert. Ich bin sicher, nach diesen 100 Minuten voller Power ging jeder zufrieden nach Hause.
Wer noch ahnungslos ist: Bei “The Wire” handelt es sich um eine amerikanische Fernsehserie, die von 2002 bis 2008 in den USA ausgestrahlt wurde. Es hat ungewöhnlich lange gedauert, bis mit dem Fox Chanel auch ein deutscher Sender tätig wurde. Die fünfte und letzte Staffel erscheint jetzt endlich auch auf DVD. Damit ist eine der besten Fernsehserien der Gegenwart komplett.
Autor der Story ist ein ehemalige Polizeireporter: David Simon. In seinem Script zeigt er den Niedergang der amerikanischen Stadt Baltimore. Es geht zuvorderst um den Drogenhandel, beschrieben aus unterschiedlichsten Sichtweisen (Polizei, Drogenhändler, Süchtige, Presse, Politik). Der Serientitel bezieht sich auf das Abhören von Telefon- und Handygesprächen, was sich als wichtigstes Element für die Story-Entwicklung erweist.
Die Darstellung ist zunächst gewöhnungsbedürftig, da mit den Sichtweisen auch die Handlungsebenen oft wechseln. Man muss schon konzentriert folgen, um Zugang zu den Charakteren zu bekommen. Dennoch überschlägt sich die Medienkritik gerne mit Lobeshymnen und man spricht regelmäßig von der “besten Fernsehserie aller Zeiten”. Okay – für mich vielleicht nicht die Beste, aber zumindest ein Anwärter auf einen Platz in der Bestenliste.
Interessant ist der Aufbau der Staffeln. Staffel 1 stellt die Stadt Baltimore und die Drogenprobleme in den Straßen vor. In Staffel 2 steht der Hafen als Drogenumschlagsplatz im Mittelpunkt. Staffel 3 widmet sich der politischen Seite, Staffel 4 dem Schulsystem und in Staffel 5 kommen die Medien mit ins Spiel. So wird die Serie zur umfassenden Charakterstudie einer Stadt und beleuchtet das Verbrechen von verschiedensten Seite. Absolut empfehlenswert!
Warum findet die Serie auch in Musicheadquarter ihren Platz? Die Musik spielt eine gewichtige Rolle, um Atmosphäre aufzubauen. Allen voran der Titelsong “Way Down In The Hole”, im Original von Tom Waits, aber in jeder Staffel in einer anderen Interpretation. Während der Folgen werden Tracks meist in die Handlung eingebaut, indem sie beispielsweise aus Autoradios oder über einen Ghettoblaster erklingen. Musikalisch geht es durch viele Stilrichtungen, sei es Rock, Irish Folk, HipHop oder Reggae. Der Soundtrack zur Serie ist genau so empfehlenswert wie die einzelnen Staffeln.
Geboren in Mogadischu, der Hauptstadt Somalias, wurde K’naan (mit vollständigem Namen: Kaynaan Cabdi Warsame) über die Jahre zum bekannten Rapper, Songwriter und Friedensaktivisten. Die musikalische Gabe ist ihm quasi in die Wiege gelegt, denn seine Tante Magool war eine der berühmtesten Sängerinnen Somalias.
“Country, God Or The Girl” ist bereits sein viertes Studioalbum. Und endlich hat er den nötigen Rückenwind zur Veröffentlichung. Denn spätestens seit “Wavin‘ Flag”, ein Song vom 2009er Album “Troubadour” als Werbesong zur WM 2010 verwendet wurde, ist sein Name in aller Munde. So verwundert es nicht, dass er für sein neues Album von hochkarätigen Gästen unterstützt wurde: Mit ihm im Studio waren unter anderem U2-Sänger Bono, Rap-Ikone Nas, Keith Richards und der Black-Eyed-Peas-Mastermind will.i.am.
Das Album ist ein gekonnter Rundumschlag. Es begann mit der Auskopplung “Is Anybody Out There?”, für die ihn Nelly Furtado als Duettpartnerin begleitete. Eine sehr eingängige Single, die bereits für die MTV Video Music Awards nominiert wurde. In eine noch melodischere Kerbe schlägt “Hurt Me Tomorrow”, das K’naan mit OneRepublic-Fronter Ryan Tedder schrieb. Ein fröhlicher Song mit Piano-Einschlag, der sich weniger nach OneRepublic anhört als das ebenfalls mit Ryan verfasste “Better”.
Die Einflüsse sind vielseitig – wie von einem echten Weltmusiker gewohnt. Etwas Reggae in “The Seed”, dann “Gold In Timbuktu”, das als weiches Wiegenlied startet und im starken Rap endet. Und auch bei “Waiting Is A Drug” ist die nervöse Thematik im Song bestens umgesetzt. Gretchenfrage: Gibt es ein neues “Wavin’ Flag”? “The Sound Of My Breaking Heart” geht ganz klar in diese hymnische, optimistische Richtung. Ein wahrer Gassenhauer.
Bleiben noch die Kollaborationen mit Nas und Bono. Ersterer wirkt bei “Nothing To Loose” mit, einem typischen Rap-Feature zweier verwandter Seelen. Und “Bulletproof” mit dem Sänger von U2 ist ein melodischer Song, der zunächst vor sich hin plätschert, sich im Verlauf aber stetig steigert und schließlich doch die erwünschte Nachhaltigkeit erreicht.
Nach ausverkauften Tourneen rund um den Globus und seinem unermüdlichen Einsatz für die Menschen in seinem Geburtsland Somalia beginnt K’NAAN mit “Country, God Or The Girl” nun das nächste Kapitel seiner Karriere. Wir wünschen ihm viel Erfolg!
Der Sommer ist in diesem Jahr spät an. Für viele Kids hat die Schule schon wieder angefangen – jetzt, wo plötzlich 30 Grad auf der Skala leuchten und die Freibäder Hochkonjunktur haben. Als hätten Warner Music die Verspätung geahnt, kommt nun der Sampler schlechthin, der wie die Faust aufs Auge zu den Temperaturen passt. “I Don’t Like Reggae” heißt das gute Teil und man vergisst auf dem Cover auch nicht den kultigen Zusatz “I Love It”.
Jetzt könnte man meinen: Reggae-Sampler? Gibt es schon genug auf dem Markt. Immer die gleiche Mucke, Bob Marley grinsend im Sonnenschein. Aber hier hat man sich was Neues einfallen lassen. Denn es sind bekannte (und vor allem deutschsprachige) Hits, die im neuen Gewand präsentiert werden. Alles hohe Kaliber aus den aktuellen und leicht angegrauten Charts. Frida Gold (“Wovon sollen wir träumen”), Tim Bendzko (“Nur noch kurz die Welt retten”), Jupiter Jones (“Still”), Jennifer Rostock (“Ich kann nicht mehr”) und viele mehr. Selbst Cro steuert mal wieder eine neue Version von “Easy” bei. Insgesamt 14 Titel.
Wäre nicht die Reggae-Thematik, könnte es sich um einen Chartsampler “Best of Deutschpop” der letzten zwei Jahre handeln. Doch erwartungsgemäß ist nun alles verbunden mit dem typischen Stakkato-Rhythmus, Schlagzeugphrasen im Offbeat, bisweilen Blechbläsern und Synthesizern. Reggae halt. Klingt echt – auch wenn man die Songs aus ganz anderem Kontext gewohnt ist.
Die Veränderungen der originalen Arrangements sind zum Teil gewaltig. Am ungewohntesten dann, wenn es sich ursprünglich um Balladen handelt (Julis “Regen und Meer” beispielsweise). Cros “Easy” hingegen hört sich auch in dieser Version an, als sollte es so klingen. Ein unkaputtbarer Sommerhit.
Zur Einstimmung auf den Spätsommer eine schöne Zusammenstellung. Freunde guter deutscher Musik, die mal über den Tellerrand hinaus schauen möchten, dürfen hier bedenkenlos zuschlagen. Reggae-Puristen allerdings sollten zur Sicherheit vorher reinhören. Könnte ihnen hier und da zu seicht sein.