Konstantin Wecker ist auch mit 75 Jahren immer noch der nimmermüde Mahner, Erzähler und Kritiker, der am Puls der Zeit lebt und sich bewusst ins politische Geschehen einmischt. Manchmal muss man ihm fast eine hellseherische Ader zuschreiben. So gab es 2019 das orchestrale Livealbum “Weltenbrand” mit authentischen Aussagen gegen jede Kriegstreiberei – und mitten in den Wirren von Corona das lichtblickende Werk “Utopia”. Beide allerdings schon lange geplant, bevor der Zeitgeist sie so aktuell werden ließ.
Im Dezember 2019, kurz vor Beginn der Pandemie, konnte ich mit Konstantin über das geplante Album “Utopia” sprechen: “Da werde ich die Grundidee dieses Weltenbrands weiterführen und sagen, wir dürfen nie die Utopie der herrschaftsfreien und liebevollen Gesellschaft aufgeben. Wenn wir nicht einmal die Utopie in uns tragen, dann sind wir rettungslos verloren. Dann haben die Angepassten, die uns immer als naiv, verrückt und als Spinner bezeichnen, gewonnen. Dann überrollen uns das Kapital und die Wettbewerbsgesellschaft. Das darf nicht sein. Aber ich bin guter Dinge. Die nächste weltweite Revolution muss eine weibliche sein, da bin ich mir ganz sicher. Es ist gar nicht anders möglich.”
So ist “Utopia” eines der vielseitigsten Werke von Konstantin Wecker. Weil es starke Songs enthält, gleichzeitig aber auch rührende Lese-Texte, die Weckers poetische Ader zeigen. Weil es im neuen Liederzyklus tatsächlich um eine Utopie geht. Um ein menschenwürdiges Leben ohne Herrschaft und Gehorsam, einen schwärmerischen Blick auf eine liebevolle Gesellschaft. Das spiegelt sich auch in den Livekonzerten, die absolut berührend waren – auch (oder gerade weil) sie nicht unbedingt die altbekannten Gassenhauer des Liedermachers enthielten.
Der Livemitschnitt (als Doppelalbum bei Sturm und Klang) ist sehr textlastig. Aber stört das? Auf keinen Fall! Wenn ein Musiker etwas zu sagen hat, dann ist es Konstantin Wecker. Denn noch immer ist für den bedingungslosen Pazifisten viel zu viel menschliche Kälte, Hass und Gewalt auf dieser Welt. Das mag schwierig sein, wenn die ganze westliche Welt den Verteidigungskrieg der Ukraine unterstützt – doch Wecker verbiegt sich auch hier nicht. Er will bedingungslos Pazifist sein und bleiben.
Um ihn zu verstehen, helfen Texte wie “Meine poetische Welt”, “Die Tugend des Ungehorsams” und “Meine musikalische Welt”. Er behandelt Mikis Theodorakis ebenso wie Bertolt Brecht und Franz Schubert. Er dichtet “Was mich wütend macht” und singt “Schäm dich Europa”. Und ganz verträumt endet der Set mit der wundervoll-melancholischen Ansage “Jeder Augenblick ist ewig”.
Es gibt zwölf der neu komponierten Lieder, die der Münchner mit beliebten Klassikern wie “Genug ist nicht genug”, “Revoluzzer” oder “Was ich an Dir mag” vereint. Begleitet wird er auf seiner Reise von dem Pianisten Jo Barnikel, der Cellistin Fany Kammerlander und den Perkussionisten Daniel Higler und Jürgen Spitschka.
Für sie alle ist die Zeit längst reif, um gemeinsam mit dem Publikum und den Hörern nach Utopien zu suchen, sie zu wagen und zu handeln. Was wäre die Alternative angesichts der möglichen Vernichtung des gesamten Planeten? Die Antworten findet man in der täglichen Berichterstattung über Kriege, Gewaltausbrüche und Naturzerstörungen.
Mit “Utopia live” setzt Konstantin Wecker nun mit Melodien und Versen ein poetisches Zeichen gegen den realen Irrsinn und fordert eine im wahrsten Sinn des Wortes zufriedene Welt. Es ist ein wohltuender Aufruf und ein Angebot, nicht den Mut zu verlieren und die eigene Angst und Ohnmacht zu überwinden. Konstantin macht Mut, seinen eigenen Weg zu gehen und eigene Ansichten zu vertreten – und er geht wie immer mit bestem Beispiel voran. Großartig in jeder Hinsicht!
Corona erschütterte den Tourplan und ließ sogar Konzerte platzen. Doch die enorme Kraft seines aktuellen Bühnenprogramms konnte auch die Pandemie nicht brechen. Mit „Utopia Live“ veröffentlicht der Münchner Liedermacher Konstantin Wecker Aufnahmen seiner für ihn „wichtigsten und reifsten Konzerte“. Stark liest sich auch die Liste des Dargebotenen.
Insgesamt 34 Lieder und Texte findet man auf der neuen Doppel-CD des Musikers und Poeten, der in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden ist. Für Konstantin Wecker kein Alter, um sich zurückzulehnen, sondern aufzustehen. Immer wieder und mit nicht nachlassender Kraft. Denn noch immer ist für den bedingungslosen Pazifisten viel zu viel menschliche Kälte, Hass und Gewalt auf dieser Welt. Doch diese muss für ihn schlicht herrschaftslos sein, solidarisch und gerecht – ohne Wenn und Aber. Deswegen nimmt er sein Publikum mit auf seiner Reise nach Utopia.
Für diese musikalische Laudatio darf man ihn gern auch als Spinner bezeichnen. Denn Konstantin Wecker kontert in aller Seelenruhe: „Doch ihr lebt in einem Albtraum, mein Traum ist die Wirklichkeit.“
Fotocredit: Thomas Karsten
„Utopia Live“ – das ist spürbare Lust und Leidenschaft, und das sind zwölf neu komponierte Lieder, die der Münchner mit beliebten Klassikern wie „Genug ist nicht genug“, „Revoluzzer“ oder „Was ich an Dir mag“ vereint – gepaart mit neuen Gedichten und Gedanken. Begleitet wird er auf seiner Reise von dem Pianisten Jo Barnikel, der Cellistin Fany Kammerlander und den Perkussionisten Daniel Higler und Jürgen Spitschka.
Für sie alle ist die Zeit längst reif, um gemeinsam mit dem Publikum nach Utopien zu suchen, sie zu wagen und zu handeln. Was wäre die Alternative angesichts der möglichen Vernichtung des gesamten Planeten?
Die Antworten findet man in der täglichen Berichterstattung über Kriege, Gewaltausbrüche und Naturzerstörungen. Mit „Utopia Live“ setzt Konstantin Wecker nun mit Melodien und Versen ein poetisches Zeichen gegen den realen Irrsinn und fordert eine im wahrsten Sinn des Wortes zufriedene Welt. Es ist ein wohltuender Aufruf und ein Angebot, nicht den Mut zu verlieren und die eigene Angst und Ohnmacht zu überwinden.
„Utopia Live“ erscheint am 14. Oktober 2022 im Label „Sturm & Klang“ als Doppel-CD, digital sowie als 3er-LP „Mastered for Vinyl“.
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Es kommt, wie es kommen muss: Wenn Konstantin Wecker jemanden zum Reden braucht, richten sich seine Worte an den alten Freund “Willy”. Dabei steht dieser mutige junge Mann, der dem Liedermacher zum Karrierebeginn einen ersten großen Erfolg bescherte, als Synonym für die Zuhörer, die auch immer seine Ansprechpartner sind. Wenn Konstantin die Welt nicht mehr versteht, muss er seine Gedanken rauslassen und dem imaginären Freund erzählen. Das war 1977 so, als dieser Freund von Nazis brutal zusammengeschlagen wurde (im Song “Willy” wurde er getötet), 1990, als sich Neonazis in Eberswalde zu einer rassistischen Hetzjagd versammelten und Amadeu Antonio zu Tode trampelten, 2015 wegen Pegida, 2018 wegen der AFD (“den neuen Nazis”) im Parlament – und jetzt ist es wieder soweit, da sich der Tag jährt, an dem ein Faschist in Hanau neun Menschen ermordet hat. Für mich ist “Willy 2021” (mal wieder) das Herzstück des Albums. Die Verzweiflung, der Unmut, die Emotionen, die Anklage, Konstantins Worte rühren zu Tränen, die Tränen der Trauer und der Wut sind. Der Song ist 44 Jahre nach seinem Erscheinen so aktuell wie über die ganzen Jahrzehnte.
Doch eigentlich soll das neue Album optimistisch klingen. Utopisch und schwärmerisch. Seine Orchester-Tour trug den Titel “Weltenbrand”. Wecker wollte auf die Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg hinweisen. “Ich habe mich mein Leben lang intensiv mit der Räterepublik beschäftigt. […] Was war das für eine blühende Zeit in der Weimarer Republik mit großartigen demokratischen Ideen wie dem Frauenwahlrecht und wie schnell ist das kaputt gegangen”, erinnerte er in unserem Interview 2019 und verwies damit auf die Gefahr, in der Demokratie stets schwebt, vor allem wenn rechtes Gedankengut in die Parlamente Einzug hält. Diesem düsteren Bild sollte “Utopia” als Gegenentwurf folgen:
“Das nächste Programm heißt Utopia. Da werde ich die Grundidee dieses Weltenbrands weiterführen und sagen, wir dürfen nie die Utopie der herrschaftsfreien und liebevollen Gesellschaft aufgeben. Wenn wir nicht einmal die Utopie in uns tragen, dann sind wir rettungslos verloren. Dann haben die Angepassten, die uns immer als naiv, verrückt und als Spinner bezeichnen, gewonnen. Dann überrollen uns das Kapital und die Wettbewerbsgesellschaft. Das darf nicht sein. Aber ich bin guter Dinge. Die nächste weltweite Revolution muss eine weibliche sein, da bin ich mir ganz sicher. Es ist gar nicht anders möglich.” (Lest HIER das komplette Interview.)
So ist “Utopia” eines der vielseitigsten Werke von Konstantin Wecker. Weil es starke Songs enthält, gleichzeitig aber auch rührende Lese-Texte, die Weckers poetische Ader zeigen. Weil es im neuen Liederzyklus tatsächlich um eine Utopie geht. Um ein menschenwürdiges Leben ohne Herrschaft und Gehorsam, einen schwärmerischen Blick auf eine liebevolle Gesellschaft. “Mit Hilfe der Musik möchte ich Mut machen, alte Denkmuster zu durchbrechen.” So richtet sich “An die Musen” mit Freude und Energie in Richtung des poetischen Gedankenguts als glücksbesoffener Gegenpol zum Herrschaftsdenken. “Bin ich endlich angekommen?” spricht von Altersweisheit und dem Verstehen, doch der folgende Text “Was mich wütend macht” räumt auf mit ideologischen Mythen.
In “Wir werden weiter träumen” und dem Titelsong “Utopia” zeichnet Konstantin ein fast schon himmliches Bild. So schön könnte die Welt sein. Doch “Schäm dich Europa” zeigt auch die Schattenseiten: die Flüchtlingskrise, Rassisten und Faschisten in den Parlamenten. Wecker kann immer noch den Finger in die Wunde legen. Und wenn man am Ende den “Willy 2021” gehört hat, weiß man, das noch einiges zu tun bleibt.
Auch mit seinem neuen Werk ist er sich selbst treu geblieben, unverfälscht, eben echt. Wie in all den Jahren zuvor. Doch noch immer überraschen ihn seine Lieder und Texte mitunter selbst am meisten. Alle Titel bekamen nach dem Schreiben, bei den Aufnahmen mit seinen Musikern neue, bislang unerhörte Klangfarben. Ob als reine Klavierbegleitung, in Harmonie mit Cello und Gitarre oder auch unter der einfühlsamen Mitwirkung von Musikerinnen und Musikern der Münchner Staatsoper – immer folgt die Musik den sehr lyrischen und ganz und gar ehrlichen Gedichten. So gibt sich Konstantin Wecker auf “Utopia” seinen Tönen hin und lauscht doch einer still verborgenen Pracht, die in geheimnisvoller Nacht aus dem Unerhörten fließt, gibt den Gedanken dankend dem Wind und lässt sie geduldig verwehen. „Das nämlich, was wir in Wirklichkeit sind, werden wir nie verstehen“, so der bayerische Liedermacher.
Zu hören sind auf der CD natürlich seine treuen Wegbegleiter Fany Kammerlander am Cello und Jo Barnikel am Flügel sowie der Münchner Schlagzeuger Thomas Simmerl und der österreichische Gitarrist Severin Trogbacher, der coronabedingt seine Parts aus dem eigenen Studio beisteuerte. Mit den Liedern seiner neuen CD möchte Konstantin Wecker den Menschen Mut machen, alte Denkmuster über Bord zu werfen. Gemeinsam mit seinem Publikum, das sich zu seiner großen Freude von ihm immer wieder überraschen lässt, bricht er zu einer aufregenden Reise nach Utopia auf. Wer sich darauf einlässt, dem eröffnet sich eine ganz und gar freie Welt voller Sehnsüchte und Träume und ja, auch mit Kriegern, die vor Liedern fliehen.
Auch mit 74 Jahren ist Konstantin Wecker noch ein unermüdlicher Kämpfer. Gegen Ungerechtigkeiten und Hass. Für eine utopische Welt voller Poesie und Zärtlichkeit. Für die Liebe. Und auch für Kunst und Kultur! Er ermöglicht vielen Menschen, ihre Kunst zu leben. Auf seinem Label Sturm und Klang, mit Unterstützung durch Duette und in Streaming-Konzerten.
Parallel zum neuen Album erscheint ein neues Buch: “Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten. Ein Plädoyer für Kunst und Kultur”. Dieser Mann darf noch lange nicht schweigen!
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Wenn Krieger vor Liedern fliehen und Waffen Gedichten erliegen, dann geht für ihn ein lang ersehnter Traum in Erfüllung. Endlich. Denn ein menschenwürdiges Leben ohne Herrschaft und Gehorsam war schon immer das große Ziel von Konstantin Wecker. Mit „Utopia“ verleiht der Münchner Musiker und Poet diesem Herzenswunsch nun ganz neue Klänge. Es ist nach sechs langen Jahren sein erstes Studioalbum – mit 16 brandneuen Songs und vorgetragenen Gedichten. Der Liederzyklus vereint schwärmerische, visionäre Blicke auf eine liebevolle Gesellschaft, die auch in stürmischen Zeiten geprägt ist durch Poesie und Widerstand. Für Konstantin Wecker ist sein Utopia alles andere als undenkbar.
Auch mit seinem neuen Werk ist er sich selbst treu geblieben, unverfälscht, eben echt. Wie in all den Jahren zuvor. Doch noch immer überraschen ihn seine Lieder und Texte mitunter selbst am meisten. Alle Titel bekamen nach dem Schreiben, bei den Aufnahmen mit seinen Musikern neue, bislang unerhörte Klangfarben. Ob als reine Klavierbegleitung, in Harmonie mit Cello und Gitarre oder auch unter der einfühlsamen Mitwirkung von Musikerinnen und Musikern der Münchner Staatsoper – immer folgt die Musik den sehr lyrischen und ganz und gar ehrlichen Gedichten.
So gibt sich Konstantin Wecker auf „Utopia“ seinen Tönen hin und lauscht doch einer still verborgenen Pracht, die in geheimnisvoller Nacht aus dem Unerhörten fließt, gibt den Gedanken dankend dem Wind und lässt sie geduldig verwehen. „Das nämlich, was wir in Wirklichkeit sind, werden wir nie verstehen“, so der bayerische Liedermacher.
Alte Gedanken über Bord – Zu hören sind auf der CD natürlich seine treuen Wegbegleiter Fany Kammerlander am Cello und Jo Barnikel am Flügel sowie der Münchner Schlagzeuger Thomas Simmerl und der österreichische Gitarrist Severin Trogbacher, der coronabedingt seine Parts aus dem eigenen Studio beisteuerte. Mit den Liedern seiner neuen CD möchte Konstantin Wecker den Menschen Mut machen, alte Denkmuster über Bord zu werfen. Gemeinsam mit seinem Publikum, das sich zu seiner großen Freude von ihm immer wieder überraschen lässt, bricht er zu einer aufregenden Reise nach Utopia auf. Wer sich darauf einlässt, dem eröffnet sich eine ganz und gar freie Welt voller Sehnsüchte und Träume und ja, auch mit Kriegern, die vor Liedern fliehn.
Vorab gibt es jetzt mit „An die Musen“ die erste Single Veröffentlichung:
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Am 30. Dezember gastierte Konstantin Wecker mit seiner bewährten Band und der Bayerischen Philharmonie in der Halle 45 in Mainz. 90 Minuten vor Konzertbeginn konnte unser Redakteur Andreas Weist ein Interview mit dem 72jährigen Liedermacher führen. Sein Fazit: Ein sehr sympathischer, überaus gesprächiger Mensch, der sich trotz der späten Stunde vor dem Konzert sehr viel Zeit nahm, aus seinem Leben erzählte, die orchestrale Seite seiner Musik beleuchtete und auch politische Themen nicht aussparte.
Heute ist das letzte Konzert der „Weltenbrand“ Tour. Wie war es für dich mit großem Orchester auf der Bühne?
Der absolute Traum. Es war sicherlich das Schönste, was ich jemals gemacht habe, weil alle Lieder so klingen, wie ich sie mir beim Komponieren gedacht habe. Es gibt auch einige Stücke von mir, die eher rockiger sind. Die haben wir halt nicht mit dabei. Obwohl auch hier durch unseren wunderbaren E-Gitarristen, den Severin Trogbacher, den ich für ein Genie halte, durchaus rockige Klänge mit rein kommen.
Die orchestrale Seite ist nicht neu für dich?
Nein. Ich bin nun mal ein Musiker, der aus der Klassik kommt. Und meine Ziehväter sind – im Gegensatz zu meinen geschätzten Kollegen – klassische Komponisten. Bei Hannes Wader ist es englischer Folk, bei Reinhard Mey französischer Chanson, bei mir Franz Schubert.
Jetzt kommt diese klassische Seite so richtig durch?
Das war schon immer so. Ich kann mich noch erinnern, als ich in den 60er Jahren ein Cello mit auf die Bühne brachte. Da musste ich mir unglaubliche Sachen sagen lassen: Das kann man doch nicht machen, mit so einem bourgeoisen Instrument. Aber eine Gitarre ist nicht bourgeois?
Fany Kammerlander am Cello ist eine große Bereicherung für deine Konzerte, oder?
Ja, Fany ist eine große Bereicherung. Aber ein Cello war immer bei mir mit dabei. In den 60ern war es Hildi Hadlich, die ist jetzt in Rente. Und in den 80ern war ich mit einem Kammerorchester unterwegs. Das hatte einen Schlagwerker, weil ich damals Schlagzeugern misstraut habe. Auch zu Recht, weil die meinen Text kaputt geschlagen haben. Schlagwerk ist feiner. Jetzt kenne ich auch Schlagzeuger, die sensibel spielen können, aber das war früher nicht so der Fall. Damals war ich schon in Italien und hatte ein Studio dort. Es kamen immer Musiker zu Besuch. Wenn ein Oboist da war, habe ich was für Oboe geschrieben. Oder für Klarinette, Trompete – es war ein kleines Kammerorchester. Das war damals sehr mutig, denn zu dieser Zeit kam der Punk als neue Musikrichtung auf und das Publikum kam nicht wegen meiner Musik, sondern trotz meiner Musik.
Foto: Thomas Karsten
Hast du deine Arrangements damals selbst geschrieben?
Ja, das habe ich alles selbst gemacht. Für Kammerorchester habe ich in vielen Varianten selbst geschrieben. Bis in die 90er habe ich auch einen Großteil meiner Filmmusiken selbst arrangiert. Bei „Schtonk!“ allerdings nicht mehr. An großes Orchester habe ich mich nicht ran getraut. Da fehlte mir die Erfahrung. Man muss selbst in einem großen Orchester gespielt oder es dirigiert haben.
Und jetzt? Die neuen Arrangements?
Jetzt hat es der Jo Barnikel gemacht. Er kennt mich seit 25 Jahren und weiß, wie ich ticke. Er hat das wahnsinnig feinfühlig gemacht und er hat, was ich ihm hoch anrechne, keine persönliche Eitelkeit. Es gibt Arrangeure, die wollen unbedingt ihren eigenen Stil durchsetzen, aber das wäre bei meinen Liedern einfach falsch, denn die haben schon ihren eigenen Stil. Der Jo weiß, wie ich empfinde, und hat sich auch gut angehört, was ich früher alles geschrieben habe. Interessanterweise sagte mal ein Pianist zu mir, dass er genau merkt, dass ich beim Komponieren eigentlich orchestral denke und nicht pianistisch. Und so ist es auch. Ich bin groß geworden mit Verdi, Puccini und Mozart. Mein Vater war Opernsänger. Bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich nur klassische Musik gehört – doch dann kam Janis Joplin. Sie hat mir eine andere Richtung gezeigt.
Du hast auf deinen Konzerten schon Aufnahmen vorgespielt von dir und deinem Vater. Das fand ich sehr berührend.
Ja, das war „La Traviata“. Ein Wunder, dass es das noch gibt. Meine Mama hat die Aufnahme aufbewahrt. Es war 1959 und eines der ersten Tonbandgeräte, die man als Privatmann kaufen konnte: ein SAJA – das werde ich nie vergessen. Vorher hatte nur der Rundfunk solche Geräte. Meine Mama hatte diese alten Bänder aufgehoben und wir haben sie irgendwann digitalisiert. Davon gibt es noch viel mehr.
War es schwer für dich, bestimmte Titel für die „Weltenbrand“ Tour auszuwählen? Du gehst ja einige Jahrzehnte weit zurück.
Ja, aber auch nein. Ich habe einfach viele Lieder, die von Haus aus orchestral gedacht waren. Und dann habe ich auch einige dabei, die ich allein am Klavier spiele, zum Beispiel „An meine Kinder“.
Foto: Thomas Karsten
Warum hast du den Titel „Weltenbrand“ gewählt, der doch sehr politisch ist?
Weil ich unbedingt auf die Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg hinweisen wollte. Der Titel erinnert daran. Ich habe mich mein Leben lang intensiv mit der Räterepublik beschäftigt. Davon werde ich auch im Konzert heute sprechen. Was war das für eine blühende Zeit in der Weimarer Republik mit großartigen demokratischen Ideen wie dem Frauenwahlrecht und wie schnell ist das kaputt gegangen. Dabei ist das Lied „Weltenbrand“ eher ein philosophisch-lyrisches. Aber der Titel ist deutlich. Irgendwie war mir von Anfang an klar, dass ich das Programm so nennen will.
Und wie geht es im neuen Jahr weiter?
Das nächste Programm heißt „Utopia“. Da werde ich die Grundidee dieses Weltenbrands weiterführen und sagen, wir dürfen nie die Utopie der herrschaftsfreien und liebevollen Gesellschaft aufgeben. Wenn wir nicht einmal die Utopie in uns tragen, dann sind wir rettungslos verloren. Dann haben die Angepassten, die uns immer als naiv, verrückt und als Spinner bezeichnen, gewonnen. Dann überrollen uns das Kapital und die Wettbewerbsgesellschaft. Das darf nicht sein. Aber ich bin guter Dinge. Die nächste weltweite Revolution muss eine weibliche sein, da bin ich mir ganz sicher. Es ist gar nicht anders möglich. Selbst in der Türkei gibt es einen Aufstand der Frauen gegen Erdogan. Was meinst du, wie den das ärgert? Davor hat er am meisten Angst. Genauso ist es in Südamerika. Auch „Fridays for Future“ ist von Frauen gemacht. Nicht nur wegen Greta. Die meisten Aktivisten sind Mädchen. Eine herrschaftsfreie Welt ist ohne wirkliche Gleichberechtigung nicht möglich. Das fehlt uns auch hier. Es ist besser als im Iran, aber es ist noch keine Gleichberechtigung. Eine Politikerin der Grünen sagte mir mal, wenn sie in der Politik aufsteigen wolle, müsse sie männliche Machtstrukturen ausüben, was sie aber nicht will. Das ist die Gefahr. Das Patriarchat ist fünf- oder zehntausend Jahre alt. Wenn eine Frau sich wie ein Mann aufführt, wie Marine Le Pen, dann haben wir auch keine weibliche Politik.
Wie stehst du denn zu Angela Merkel? Bist du versöhnt mit ihr aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik?
Ich war mit ihr nie politisch einer Meinung, aber spätestens seit „Merkel muss weg“ war ich auf ihrer Seite. Sie hat zwei herausragende Eigenschaften, die mir sehr imponieren: Sie ist nicht eitel und sie ist nicht korrupt. Ich halte sie für eine wirklich unbestechliche Person – im Gegensatz zu unserem Herrn Scheuer, dem die Autoindustrie aus den Ohren rausschaut. Auch wenn ich anderer Meinung bin, habe ich schon eine Achtung vor Frau Merkel.
Foto: Roland Pohl
Wird es zum neuen Programm auch ein Lied mit dem Titel „Utopia“ geben?
Vielleicht – das weiß ich noch nicht. Ich muss ja bei den Liedtexten immer warten, bis sie mir passieren. Ich kann sie nicht erzwingen. Das konnte ich noch nie. Ein paar neue Stücke habe ich geschrieben und ich werde noch einige Vertonungen von Mühsam, Kästner und Mascha Kaléko machen, also von den verbrannten Dichtern. Und ich werde zwei Schauspielerinnen dabei haben, die auch Texte sprechen.
Vielen Dank, Konstantin! Eine letzte Frage hätte ich noch: Meine Frau meinte, ich soll unbedingt nach der bunten Kette fragen, weil es da doch sicher eine Geschichte zu gibt.
Natürlich. Das kommt aus der Kultur des Friedens, der ich sehr verbunden bin. Da war ja früher auch Mikis Theodorakis dabei und viele tolle Leute. Mit denen war ich kurz vorm Irakkrieg in Bagdad. Wir haben diese Kette entworfen und verkauft. Der Erlös ging an Kinder dort. Wir haben Kindern geholfen, die mit 7 oder 8 Jahren in Bagdad arbeiten mussten. Wir halfen, damit sie in die Schule gehen konnten. Ich hatte auch ein Patenkind dort, Amir, aber dann kam der Krieg und der Kontakt ist abgebrochen. Ich weiß nicht, ob er noch lebt. Diese Friedenskette hat die „PACE“-Farben und dient jetzt anderen wohltätigen Zwecken.
Ganz lieben Dank für das Interview und deine Zeit. Gleich ist Einlass. Ich wünsche dir und uns ein tolles letztes „Weltenbrand“ Konzert.
Es war wundervoll, so ausgiebig und intensiv mit Konstantin sprechen zu können. Wir waren direkt beim “Du” und ich bewundere seine Offenheit in den angesprochenen Themen. Mein Dank geht an den Tourleiter Peter Ledebur für die perfekte Betreuung vor Ort, an Mark Dehler von Netinfect für die Vermittlung des Interviews und natürlich an den lieben Konstantin, der den Abschluss der “Weltenbrand”-Tour zu etwas ganz Besonderem gemacht hat. Wir freuen uns auf “Utopia” und die nächsten Weisheiten des unermüdlichen “Kämpfers für eine herrschaftsfreie Welt”. PACE!
Treffpunkt Funkclub, Bergkamen – ganz abgeschieden an den Grenzen des Ruhrpottes liegt das Studio von Axxis, um seit Jahrzehnten in aller Ruhe deutschen Hard-Rock-Sound zu produzieren. Bernhard Weiß und Harry Oellers luden ein, im kleinen Rahmen (schon allein aus Platzgründen – in der Tat sind wir nur zu zweit mit den beiden Herren in dem kleinen Studio) noch vor Veröffentlichung und Präsentation der 25-Jahre-Scheibe „Kingdom Of The Night II” in den Medien in eine gute Handvoll von Songs reinzuhören. Und dies sozusagen in der „Rohfassung”, noch mitten im Songs abmischen! Zunächst jedoch bitte die Begriffserklärung zum Funkclub… ich spreche es als Musikrichtung aus, werde jedoch berichtigt, dass dies das Vereinshaus der Funker sei! Beruhigt bin ich, dass Berny, als die Band sich einen neuen Proberaum suchen musste und im Funkclub vorsprach, den gleichen Gedanken hatte wie ich… Aus dem Proberaum wurde ein vollausgestattetes Studio mit mehreren, wenn auch kleinen Räumen. Die Band ist also völlig autark, was aufnehmen und mischen betrifft – sehr zeitsparend, bzw. Arbeit im eigenen Tempo. Harry bleibt noch zum kurzen Foto-Shooting mit Berny und entschuldigt sich, die Runde verlassen zu müssen.
Routiniert bedient Berny das Mischpult. Die vielen Knöpfe und Anzeigen verunsichern mich und ich verliere schnell den Überblick über die ganze Technik, während der erste Song schon dröhnt. „Hall Of Fame” brilliert mit alarmierenden Gitarren, dunklen Riffs und einem matten Sound mit rauszuhörenden Delays. „Venom” als erste Singleauskopplung hingegen startet dunkel, Vocals und Gitarre sind runtergezogen. Marco schrammt beim Gitarrensolo mit einem Feuerzeug über die Saiten. Mein erster Gedanke ist, ob es einigen Fans zu hart vorkommen könnte, mir jedoch gefällt das Wagnis. Zum Vergleich spielt uns Berny auch das Testmaster vor: der Gesang ist brillanter, höher, vielleicht daher auch radiotauglicher.
Axxis ist immer eine Band gewesen, die am Impuls der Zeit auch gesellschaftspolitische Songtexte schreibt. So wird im Song „21 Crosses” an die 21 Toten der Duisburger Love-Parade erinnert, da Florian aus Lünen einer der Verstorbenen ist. Eine Akustikgitarre stimmt den Song ein, später steigen Drums und Gitarre ein, der Paneffekt unterlegt den Song. Berny erklärt, dass gegen Ende des Songs zum Vorlesen der 21 Namen der Toten, zunächst das Pfeifen als Melodieuntermalung aufgenommen wurde. Ein anderer Redakteur, der vorher zur Listening Session eingeladen war, fand dies jedoch unpassend und so begleitet nun eine Flöte die Melodie. Obwohl niemand der Band das Lünener Opfer kennt und auch zum Song keinen Kontakt zu der Familie aufgenommen hat, überlegt Berny, ob er nicht den Song stiften soll.
Ich bin einfach nur Beobachter, der es über die Medien mitbekommt und dachte „scheiße, das könnte deiner Tochter passiert sein”. Dann kommt noch die Konstellation mit dem Hass gegen die Kommune dazu und wie dort mit dem Thema umgegangen wird. All das spielt eine Rolle, dass wir einen Song darüber geschrieben haben. Wir haben schon mal so etwas gemacht über das Gladbecker Geiseldrama und dem Song „Just a Story”. Sex, Drugs and Rock´N´Roll ist einfach ausgekaut, ich finde es schon wichtig auch politisch in den Texten zu werden.
Bist du Grün?
Gute Frage… Ich war mal Grün, jetzt glaube ich nicht mehr so. Als die noch gestrickt haben, fand ich sie ganz cool (lacht laut). Ich bin zwar nicht Mitglied in einer Partei, aber ich kümmere mich immer darum, politisch up-to-date zu sein. Ich verfolge es immer und ich finde es total spannend, das hat mich früher nie interessiert! Ich engagiere mich auch kommunal, weil ich es total scheiße finde wie die Hauptschulen hier den Bach runtergehen. Ich mache auch am „JEKI”-Projekt mit, das ist eine tolle Sache. Gerade für Kinder, die nicht so fit sind in der Schule, ist es wichtig eine Alternative mit Musik zu finden. Ich bin das beste Beispiel! Jetzt lebe ich schon 25 Jahre von der Musik – das hätte meine Mutter damals auch nicht geglaubt!
„Gone With The Wind” ist ein Song des weißen Albums mit klassischer Gitarre und picking by Harry. Der Song hat mit seinem naturgebunden Text einen „Robin Hood”-Touch. Die Spannung steigt als „Kingdom Of The Night Part II” vorgespielt wird und wir die beabsichtigten Parallelen herausstellen: gleicher Songaufbau, gleiche Gitarrenparts, jedoch ein frischeres Soli und damit für mich eine gelungene zweite Version „Jahr 2014″. Das gleiche gilt auch für das neue „Living In A World”, welches jetzt „Living In A Dream – We Rock The World” betitelt wird. Vor allem Marcos Gitarre, bzw. Marcos Art dem Song den 80er Jahre Touch zu verleihen und trotzdem modern klingen zu lassen, fällt mir positiv auf. Berny unterstreicht dies und lobt Marco mit den Worten „trotz seiner jungen Jahre ist Marco aufgrund seines Musikgeschmackes der Sound der 80er Jahre bekannt, er weiß was die Band will und setzt dies um”.
Bassist Rob, der sich bislang mit Songschreiben zurückgehalten hat, empfand eine kreative Phase und steuerte „Heaven In Paradise” bei, Arbeitstitel „Greece Irish Coffee”. Eine leichte Monotonie ist im Chorus für mich rauszuhören (wowowowww you’re my heaven in paradise), für mich fehlt dem Song noch der „Pfiff”. Richtig abgefahren und sehr gut gefällt mir hingegen Axxis auf Deutsch: „Lass dich gehen” übermittelt zwar ein Rammstein-Feeling mit dem Song, aber keineswegs einen billigen Abklatsch. Deutsche Rocksongs sind schließlich selten. Der Song ist mystisch, dunkel, geheimnisvoll, die Mischung aus E- und Akustikgitarre macht den Song interessant und Marco fordert das Effektgerät um die Gitarren quietschen und dahinplätschern zu lassen. Als ich Berny frage, wovon der Text handelt, erzählt er:
Ich habe mit deutschen Texten immer Probleme gehabt und im Theater, als ich beim Prometheus Brain Project war, wurden die englischen Texte genommen, daraus deutsche Texte gemacht und dadurch wurden ganz viele Bilder im Kopf erzeugt. Der Song hat zwar ein Thema, aber spielt mit verschiedenen Bildern und es werden ganz viele Bilder im Kopf dazu erzeugt. Es entstehen komische, aber kräftige Texte. Hier ist es „Ich lass dich gehen”, also ich bestimme was du machst oder „lass dich gehen”, „komm aus dir raus”. Du kannst mit den Worten in der deutschen Sprache besser spielen als ich dachte. Mittlerweile habe ich da richtig Spaß dran! „Fass mich an” habe ich auch so gemacht.
Ein Song, der sowohl auf dem weißen, als auch auf dem schwarzen Album in zwei unterschiedlichen Versionen erscheinen wird, ist „Mary Married A Monster”. Angetrieben von den Berichten und Erfahrungen einer Freundin, die die Handgreiflichkeiten ihres Freundes mit Liebe verwechselte, ist der Song über dieses Gesellschaftsproblem entstanden. Die Melodie der Metalvariante stammt von „The Moon” des Debütalbums, treibende Double Bass unterstreichen den Song und stellen die Sicht aus Bandseite dar. Auf dem weißen Album wird Mary’s Sichtweise veröffentlicht („mein Freund meint es ja nicht so….”), zwar mit den gleichen Gitarrengrundzügen, jedoch mit einer höheren, lieblicheren Stimme.
Berny erklärt, dass durch die verschiedenen Facetten des Albums, die Songs auf zwei Platten aufgeteilt werden, um die Zugehörigkeit der Songs besser aufzuteilen.
Wir wollten natürlich Kingdom of the Night nicht nochmal schreiben und 1989 kopieren, aber wir wollten uns dahin „resetten” und den Vibe, den wir damals hatten, aufnehmen und dann das Songwriting beginnen, mit dem Gefühl, das wir 1989 hatten. Dann haben wir uns daran erinnert, dass wir drauf geschissen haben, was andere gesagt haben, was Metal ist und was Rock ist. Da war es viel vielseitiger. Da gab es Jethro Thull mit seiner Panflöte. Da gab es hohe Sänger, tiefe Sänger, es gab ganz wenig Grunzen. Heute ist es viel Mainstream geworden, weil sich alles so gleich anhört, was ich sehr schade finde. Früher war es sehr facettenreich. Ich habe Lieder geschrieben über Umweltschutz („Tears of the Trees!), darauf würde eine normale Rockband ja gar nicht mehr kommen und das damals in einer Zeit, wo Sex, Drugs and Rock&Roll galt. Darauf haben wir uns besonnen, dass wir ganz anders waren als andere Bands. Dass wir ganz andere Ideen hatten. Ich habe damals in einem Altenzentrum gearbeitet und dort Zivildienst gemacht, darüber habe ich damals geschrieben auf „Kingdom of the Night”. Oder nimm den Kalten Krieg. Damals waren wir auf der Straße wegen dem Ost-West-Konflikt. Wir waren politisch aktiv, das ist heute alles verloren und vergessen gegangen. Wir haben gegen Flughäfen demonstriert. Das haben wir alles auf „KOTN” verarbeitet. Auch auf den anderen Alben haben wir immer von der Zeit geschrieben, in der wir gerade gelebt haben, aber dieses Freimachen von allem, was man von uns erwartet, haben wir nie getan. Das haben wir nur auf „KOTN” gemacht, weil es mit dem ersten Album keine Erwartungen an uns gab. Das wollten wir mit dem aktuellen Album wieder erreichen. Alles was geil ist, machen wir und da wird nicht gesagt „passt zu Axxis, passt nicht”, das haben wir damals ja auch nicht gemacht. Wo es Parallelen gibt zu „KOTN” ist der ganze Aufnahmebereich. Wir haben in den letzten Jahren immer versucht perfekter und besser zu werden. Auf diesem Album wollten wir wieder zurück zu 1989, first takes nehmen, wirklich analog, alte Halleffekte nehmen, Rauschen, Brummen, Klacken, alles drauf lassen. Das war auch so ein Fetisch von Musikern über die ganze Digitaltechnik alles „clean” zu haben – Rauschen musste weggeschnitten werden, alles war schalltot, auch die ruhigen Passagen, kein Rauschen, nichts mehr. Bänder und Effektgeräte rauschen aber nun mal, das haben sie auch 1989 getan und diese Geräusche haben wir gelassen. Daher klingt das Album anders als „Utopia”, anders als „Doom of Destiny” und viele andere Alben von Bands, die ich kenne, die perfekt im Timing spielen. Cut, cut, cut, alles schön schneiden. Ich fand es ganz reizvoll eine Band wieder lebendig werden zu lassen, also ganz normal spielen, mit allen Fehlern. Das hat uns sehr viel Spaß gemacht. Dadurch wirkt das Album anders als die Alben, die wir vorher gemacht haben und eigentlich im Sinne von „KOTN” 1989 und „Axxis II”, die noch so entstanden sind.
Ihr wagt Euch mit dem neuen Album an recht harte Songs wie z.B. „Venom” – ich weiss nicht, ob dies Euren Fans gefallen wird…
Axxis war ja nicht nur 1989 „KOTN”, sondern es gab ja auch Phasen danach. Es gab „Utopia”, es gab die Laconia-Phase, wo wir mit Frauengesängen gearbeitet haben, wir haben ein paar deutsche Texte dabei gehabt. Aber wenn man 25 Jahre alt wird und „KOTN part II” rausbringt, muss man das ganze Spektrum, was im Laufe der Zeit gemacht wurde, auf die Platten bringen. Das haben wir versucht. Das ist nicht nur fokussiert auf „KOTN”. Also aus allen Phasen, die wir gehabt haben, Teile mit einfließen zu lassen und immer wieder KOTN-Melodien auf dem Album zu verstecken. Wie bei „Mary” mit „The Moon” am Anfang oder „Living in a World” ist ja fast geklaut von uns selbst. Wir konnten aber nicht nochmal Teil I schreiben. Hätten wir jetzt nicht das 25jährige, hätten wir gar nicht dran gedacht, solch ein Album rauszubringen. Wir hätten so weitergemacht wie bisher. Jetzt haben wir im old-fashioned Style gearbeitet, das wird Marco gar nicht so kennen. Das hat er erst jetzt mitbekommen wie man früher gearbeitet hat. Du musst also vom Anfang des Songs bis zum Ende des Songs durchspielen, da wird nichts geschnitten und kopiert. Wir haben uns dadurch natürlich auch ein wenig gequält.
Ihr habt Euch ja auch viel Zeit für das Album genommen. Das letzte Album ist 2009 erschienen.
Wir haben angefangen mit Songwriting im Januar 2013, insgesamt 21 Songs. Da hat sich Harry hier in Bergkamen ein Zimmer genommen ganz alleine und hat sechs Monate hier, außer am Wochenende, in Bergkamen gewohnt und wir haben voll Gas gegeben. Wir haben im ersten halben Jahr wenig Konzerte gespielt, weil wir neue Songs schreiben wollten. Wir wollten im September eigentlich schon fertig sein.
Ihr wollt am 28.02. veröffentlichen….
Genau, und jetzt bin ich noch am Mixen (lacht laut)!
Habt Ihr Euch zu viel vorgenommen, dadurch dass Ihr alles selbst macht und die eigene Plattenfirma seid?
Dadurch dass wir die eigene Plattenfirma sind, treten wir uns selber in den Arsch, das ist ganz interessant. Wir kriegen das hin. Die Hoffnung stirbt zuletzt! Am 15. Dezember gebe ich das Master ab, auch das machen wir alles selber. Sogar das Plattencover machen wir selbst, welches vergleichsweise ähnlich „KOTN I” sein wird! Wir sind ja jetzt unsere eigene Firma. Und das ist das Geile an 1989 – damals waren wir abhängig von der Plattenfirma, die hat Geld gezahlt dafür. Damals gab es ganz viele Medien, Business. Heute ist der Markt zusammengebrochen, die EMI gibt es gar nicht mehr richtig, wir haben ein eigenes Label und machen „KOTN II” im Flair vom Jahr 2014. 2014 heißt unabhängig zu sein, richtig Rock&Roll, das zu machen, was man will. Darauf zu scheißen, was ein Label sagt. Ich finde das sehr befreiend.
Keine Nachteile für Euch?
Doch, einen Nachteil hat es schon: wir müssen jetzt selbst zahlen, wir hätten natürlich lieber jemanden, der das Geld zahlt (lacht und zeigt uns auf seinem Handy die Plattencover der Black und White Edition)!
Was bedeutet es für Euch, zwei Alben zu veröffentlichen? Wie werden die Verkäufe abgerechnet?
Das ist noch ein Nachteil. Wir haben letztens „Rediscovered” und die DVD, die bei unserem Label erschienen sind, die Fans haben über unsere Homepage kaufen lassen. Das haben wir deshalb so gemacht, weil wir den Fans etwas anbieten wollten, exklusiv bei uns kaufen zu können. Das Problem ist nur: beide Alben wären in die Charts gegangen, wenn wir das nicht gemacht hätten. Wir konnten uns also entscheiden zwischen Geld oder Ruhm. Wir haben uns jetzt für den Ruhm entschieden. Dieses Mal machen wir es nicht. Wir werden beide Alben auf den Markt bringen und einzeln auch verkaufen, es wird keine Double-Edition geben, außer es ist eine teurere Edition mit Gedönz dabei. Aber wir wollen die Fans selbst entscheiden lassen, welche Phase von Axxis sie besser fanden. Natürlich können sie auch beide kaufen. Chartmäßig ist es so, dass wir uns selbst Konkurrenz machen. Die Alben werden getrennt gerechnet. Wirtschaftlich gesehen ist es eigentlich bescheuert, was wir machen. Auch mit „Rediscovered” ist es ja bescheuert gelaufen. Wir machen immer ganz bescheuerte Sachen, weil wir auch dran denken, was uns und den Fans Spaß macht. Wenn ich immer ans Geld denken würde, würde ich wohl jetzt eher auf dem Bau arbeiten und richtig Asche machen. (lacht laut los). Jetzt habe ich eine Familie, bin aber glücklich und mache geile Mucke.
„KOTN” ist für Axxis, was „Slippery When Wet” für Bon Jovi ist. Was für einen Leistungsdruck habt Ihr als neue Band verspürt mit solch einem extrem erfolgreichen Album?
Damals als wir das Album herausgebracht haben, haben wir das gar nicht gewusst. Das war unsere erste Platte, wir dachten das sei normal! Wir haben naiv und teilweise auch arrogant auf unseren Erfolg reagiert, weil wir es gar nicht verstanden haben! Ich habe gedacht 150.000 Platten sei normal für die erste Platte! Dass es so viel war, habe ich erst hinterher realisiert, als ich gemerkt habe wie neidisch oder wie sauer die Leute waren, weil wir von der EMI als Major Company gepuscht wurden. Nur leider war es kein Hype, es ist wirklich so entstanden. Der Druck kam hinterher, ca. ein halbes Jahr später, als wir festgestellt haben, es war etwas Besonderes, was wir gemacht haben. Die EMI sagte damals, „wenn Ihr beim ersten Album 20.000 Platten verkauft, dann haben wir Euren Namen etabliert. Beim zweiten Album 40.000 und beim nächsten Album investieren wir nichts mehr, dann bringt Ihr das ganze Geld zurück mit 80.000.” Das war der Plan. Nun kommt das erste Album mit 150.000 Verkäufen und dann sagte die Company „beim nächsten Mal 250.000!”, wir haben jedoch nur 90.000 verkauft. Was ja eigentlich nach dem Plan immer noch das Dreifache war von dem, was wir erwartet hatten, aber es war ein Misserfolg. Und dann kamen die BWL-Studenten, die dir erklärten, wie Gitarren effektiver gestimmt werden, aber noch nie eine Gitarre in der Hand gehalten haben. Unternehmensberater halt. Die EMI wurde alle halbe Jahre umstrukturiert. Dann wurden die Vertriebe getrennt in international und national. Wir waren damals noch zusammen mit Tina Turner im Vertrieb international bis es getrennt wurde. Wie bescheuert! Früher hat man nämlich gesagt: „wenn du Tina Turner haben willst, musst du Axxis nehmen.” Dadurch haben sie sich selbst ein Ei gelegt und durch solche Entscheidungen sind auch die Verkäufe zurückgegangen, weil die Strukturen sich verändert haben. Mir war damals schon klar, wenn die EMI so weitermacht, geht alles den Bach hinunter, was ja auch passiert ist. Den Verkaufsdruck haben wir seit „Back to the Kingdom” rausgenommen. Wir haben gesagt, dass wir nur noch Sachen machen, auf die wir Bock haben wie ein Mittelaltersong oder Songs wie „Touch the Rainbow” und nicht versuchen einem Trend hinterherlaufen. Deshalb sind wir z.B. bei Rock Hard auch nicht sonderlich beliebt – wenn die Axxis hören, dann gehen denen die Nackenhaare hoch, das ist ja kein Heavy Metal mehr…
Ob das „dunkle” neue Album wieder Heavy Metal wird, das dürfen die Fans und die Medien ab dem 28. Februar entscheiden. Zumindest das weiße Album beweist für mich, dass Axxis es gelingt sich treu zu bleiben. Das dunkle Album wird knackige Überraschungen für die Fans und auch Kritiker bereithalten und auf diese Platte freue ich mich ganz besonders.
Musicheadquarter dankt Sandra Eichner und natürlich Berny und Harry für die Einladung in den Funkclub!