Heute ist Herman zu Besuch in Siegburg. Ich nenne ihn Herman, schließlich kennen wir uns schon seit über 20 Jahren. Naja, also ich kenne ihn schon so lange, er mich glaube ich nicht. In jedem Fall hat er mich heutzutage noch genauso begeistert und gerührt wie vor 20 Jahren, als ich drei Jahre alt war.
Herman van Veen kommt mit seinen vier weiteren Musiker*innen auf die Bühne und der Applaus ebbt kaum ab. In den Gesichtern der Zuschauer*innen sieht man glänzende Augen, die von Vorfreude auf den gemeinsame Abend zeugen. Auf den ersten Blick ist noch nicht zu erkennen, wie viele verschiedene Instrumente eigentlich auf der Bühne stehen – bei der Menge kein Wunder, dass Herman mit einem LKW angereist ist. So wird während des Konzerts zum Beispiel der Hocker an der Harfe zur Cajón und Herman zaubert irgendwann eine Mundharmonika aus seiner Hosentasche. Die Musiker*innen nehmen uns alle zusammen mit auf eine Reise. Und das ist das Schöne daran: Ich habe nicht das Gefühl Herman van Veen plus Band zuzuschauen, sondern einer Gruppe von fünf Menschen, die gemeinsam Musik machen, Spaß haben und denen wir dabei zusehen dürfen. Nicht nur Herman singt, auch Edith Leerkes an der Gitarre bekommt Minuten alleine auf der Bühne und begeistert uns mit ihrem Talent.
Ich glaube, am heutigen Abend ist kaum ein Auge trocken geblieben, sei es vor Rührung oder vor Lachen. Beim Lied „Anne“ jubelt das Publikum schon nach den ersten Tönen und die Stimmung wird auf einmal ganz andächtig. Aber nur Sekunden später schafft Herman es wieder uns alle zum Lachen zu bringen. Besonders schön ist dabei seine Parodie der Oper. Mehrere Minuten lang imitiert er eine Sopranistin, einen Tenor und den Chor in einer Oper – ich habe Tränen gelacht und war dabei sicher nicht die einzige! Doch Herman macht nicht nur allein Quatsch auf der Bühne, immer wieder bezieht er den jungen Bassisten mit ein, dem seine Rolle als Tollpatsch auch zu gefallen scheint. Kaum eine Sekunde lang ist Stille auf der Bühne, denn Herman leitet von einem Song zum nächsten mit kleinen Anekdoten über. So erzählt er zum Beispiel davon, dass seine Tochter mit einer Frau verheiratet ist und dass darauf in manchen Ländern der Welt leider noch die Todesstrafe steht. Auf diese Botschaft hin folgt eines meiner Highlight-Zitate des Abends: „In Holland wurde vor über 100 Jahren die Todesstrafe abgeschafft, jetzt fehlt nur noch der Tod.“ Und wenn ich mir das so anhöre, wünsche ich mir auch, dass dieser großartige Musiker, Clown und Entertainer noch lange auf den Tod warten muss!
Deswegen können die Abende mit Herman meiner Meinung nach auch gar nicht so recht unter dem Begriff „Konzert“ zusammengefasst werden. Vielmehr ist es ein Bühnenabend, bei dem man lacht, weint und sich riesig freut dabei sein zu können. Trotz seines stolzen Alters – er verrät uns, dass er 1945 geboren ist – ist Herman nicht außer Atem zu bringen. Er tanzt und hüpft über die Bühne, als wäre er nicht fast 74, sondern vier Jahre alt, klettert auf einen Stuhl und lässt beim Cover des Songs „Tutti Frutti“ von Little Richard auch sein Talent im Hüftschwung erkennen. Dafür hat er auf jeden Fall meinen Respekt verdient, so viel Energie bei einer so langen Tour an den Tag zu legen, würde mir mit meinen knapp 23 Jahren schon schwer fallen. Doch anstatt nach dem zweieinhalbstündigen Konzert mit nur 25 Minuten Pause müde zu sein und von der Bühne ins Bett zu fallen, erzählt Herman uns bei der gefühlt 27. Zugabe, dass er leider nicht mehr so lange spielen kann, schließlich müssten sie ja heute Nacht noch nach Castrop-Rauxel fahren. Er lässt es sich dennoch nicht nehmen auch nach der Verabschiedung mit den Worten „Fahren Sie vorsichtig, bleiben Sie gesund, dann sehen wir uns hier in zwei oder drei Jahren wieder!“ noch mehrfach wieder auf die Bühne zurück zu kommen und durch das Publikum zu rennen, um dann am Ende doch noch einen Song mit den anderen vier Musiker*innen zu spielen – und das während fast alle Leute schon zum Gehen bereit im Gang stehen und ihre Jacken anhaben.
Gestanden haben viele Leute aber eigentlich das ganze letzte Drittel des Konzerts, denn die Musiker*innen konnten sich über Standing Ovations freuen. Das hat Herman auch direkt ausgenutzt und das Publikum zum Kreischen animiert. Ich muss zugeben, dass die von mir aus rechte Hälfte des Saals mehr drauf hatte als wir auf der linken Seite… Herman kann gar nicht genug Applaus bekommen und scheint sich ehrlich über den gemeinsamen Abend zu freuen. Um 22.45 Uhr verlässt er dann nach zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten zufrieden die Bühne. Wir Zuschauer*innen laufen auch langsam hinaus in die Kälte, viele mit einem Lächeln auf den Lippen und froh, dass es so ein schöner Abend war. Danke Herman!
Tickets für alle weiteren Konzerte der „Neue Saiten“-Tour 2019 gibt es hier oder bei