Mit 43 Jahren sieht sich Tom Chaplin in der Mitte des Lebens angekommen. Zum Glück ist die Midlife-Crisis aber noch weit entfernt. Nachdem es um Keane im Anschluss an ihr 2019er Album „Cause and Effect“ nochmal etwas ruhiger geworden ist, nutzte der Frontmann die Coronapause für ein drittes Soloalbum.
Vor zwei Jahren, als Keanes „Cause and Effect“-Tour durch die Pandemie unterbrochen wurde, begann Tom mit dem Schreiben der neuen Songs. Sie wurden in sechs Wochen in Peter Gabriels Real World Studios in Bath und in Paul Epworths The Church in Nordlondon aufgenommen. Alle Lieder basieren auf einer nachdenklichen Vorstellungskraft.
„Ich dachte, wow, die sind ziemlich nackt im Vergleich zu dem, was ich gewohnt bin,“ gesteht Tom. „Und ich fand es beängstigend, weil es bei Keane-Platten so viele Schichten gibt, um die Dinge zu verdicken und die Räume zu füllen. Aber das ist eine reduzierte Platte.“
Tom Chaplin singt mit melancholischer hoher Stimme zu sanften Pianomelodien und sphärischen Klängen. Der Opener „All Fall Down“ bringt ein Klavier und sanfte Streicher. Wie ein entspannter Erzähler füllt der Sänger den filigranen Rhythmus von „Rise and Fall“. Futuristische Klänge und Lautmalereien umstreichen „Black Hole“.
Chaplin lässt sich Zeit für seine Songs. Keine Dreiminüter, sondern Tracks meist von fünf Minuten Länge. Dieser Platz in den Songs ist wichtig, denn so erreichen Sprache und Gesang ganz neue Dimensionen. Das Album ist wehmütig, nachdenklich und absolut einnehmend.
Jetzt, wo Tom die mittlere Phase seines Lebens erreicht, repräsentiert „Midpoint“ die Gedanken und Gefühle dieses Abschnitts: „Es gibt Raum für etwas Nuanciertes, das einen Teil des Lebens erforscht, den jeder durchmacht. Wenn ich etwas davon rüberbringen kann und es mit etwas mitschwingen kann, in dem sich die Menschen in ihrem Leben fühlen – nun, ich wäre mehr als glücklich damit.“
Man findet auch fröhliche Ansätze. „Stars Aligne“ wartet mit einer verspielten akustischen Gitarre auf. „Gravitational“ wird bisweilen zur Hymne im Stil großer Stadionkracher. „Cameo“ wirbelt im Uptempo fröhlich nach vorne. Aber insgesamt bleibt „Midpoint“ ein sehr nachdenkliches Album aus der Lebensmitte.
Knapp 55 Minuten lässt sich der Brite aus East Sessex dafür Zeit und bringt alles zu Papier, was ihn beschäftigt, belastet und inspiriert. Das Ergebnis ist ein homogenes Album, das man komplett anhören sollte. Damit es aber auch im Radio stattfindet, folgt zum Ende ein Radio Edit von „Gravitational“, das mir im übrigen mit jedem Anhören besser gefällt.
Und nun zurück zu Keane und ab in die zweite Lebenshälfte!