Die kubanische Jazz-Pianistin und Komponistin Marialy Pacheco hat seit Jahren einen engen Bezug zu Deutschland. Im Jahr 2004 reiste sie als 21jährige mit dem Chor ihrer Mutter zur Chorolympiade nach Bremen. Sie begleitete den Chor am Piano und gewann mit ihm zwei Goldmedaillen. 2005 bis 2009 kehrte sie wieder nach Deutschland zurück. Nach Auftritten in Australien und Japan gewann sie 2012 als erste Frau die „Piano Solo Competition“ beim „Montreux Jazz Festival“. Seit 2013 hat sie ihren festen Wohnsitz in Deutschland und ist immer wieder solo oder mit anderen Künstlern unterwegs. Im Sommer konnte ich sie bei einem umjubelten Konzert in Trier gemeinsam mit Max Mutzke bewundern.
Marialy hat – live und auf CD – eine besonders mitreißende Art, ihr Instrument zu spielen. Verjazzt, mit kubanisch-rhythmischen Elementen, temporeich und mit sehr viel Energie. Das zeigt sie auch auf „Reload“. Marialy Pacheco ist eine Geschichtenerzählerin. Jeder Ton, den sie spielt, hat eine Bedeutung. Egal ob sie ihren Flügel in vollen, fließenden Akkorden sprechen lässt oder die Finger stürmisch über die Tasten jagen – immer steckt dahinter eine Idee, ein Erlebnis. Und natürlich hat sie viel erlebt.
Das Album enthält neun lange Klavierstücke, bei denen die Pianistin von diversen Künstlern rhythmisch unterstützt wird. Nils Wülker tritt bei „Cartagena Bliss“ als Trompeter in Erscheinung, Sebastian Nickoll spielt im ersten und letzten Stück die Congas mit schnellen Läufen. Selten bringt Marialy ihre wunderschöne Stimme mit ins Spiel, aber wenn sie dies tut, hat es seinen ganz besonderen Reiz.
Bis auf zwei kubanische Standards sind nur Eigenkompositionen der Künstlerin enthalten. „Meine kubanischen Wurzeln wachsen hier in Richtung lateinamerikanischer Traditionen und meiner Einflüsse aus der klassischen Musik.“ Authentisch, traditionell und trotzdem modern, auch durch die beiden jungen kolumbianischen Musiker Juan Camillo Villa am Bass und Miguel Altamar de la Torre am Schlagzeug. Die Summe dieser vielen Teile wird Ausdruck ihres künstlerischen Charakters und macht ihre Gefühle für jede Hörerin und jeden Hörer unmittelbar spürbar.
Man meint, ihren Schmerz zu empfinden, wenn sie die selbst geschriebene Ballade „Flores de Invierno“ spielt, dieses melancholisch bewegte Stück über die Winterblumen, bei dem das Trio von Rhani Krija, bekannt als langjähriger Percussionist von Sting, unterstützt wird. Selbst „Oye el Carbonero“, den kubanischen Klassiker über den Ruf des Kohlenhändlers, den sie im Duo mit dem israelischen Star-Bassisten Avishai Cohen interpretiert, macht sie sich zu eigen, belebt ihn auf faszinierende Art und Weise neu.
Marialy Pacheco ist definitiv eine Entdeckung wert. Auf „Reload“ entfaltet sie ihr ganzes musikalisches Potential und macht das Album zu einer starken Standortbestimmung ihres ganz eigenen Stils.