Den furiosen Start machte die rockige Brasspop- und Karnevalsband Querbeat (HIER unsre Eindrücke) – und danach ging es dann endlich in die Vollen mit den alten Haudegen Guano Apes aus Göttingen, die sich 2006 mal aufgelöst hatten, seit 2009 aber wieder kräftig in der Szene mitmischen. Wäre auch schade um die Stimmgewalt von Sandra Nasić, die am Ring ordentlich mit „You Can’t Stop Me“ loslegte und spätestens mit ihrem Überhit „Open Your Eyes“ das komplette feiernde Volk auf ihrer Seite hatte.
Das Bühnenbild erinnerte passend an „Planet der Affen“ und Sandra erschien im pinken Umhang. Neben den eigenen Songs gab es ein grandioses Eminem-Cover („Lose Yourself“), bei dem das komplette Infield bis zurück zum Riesenrad mitfeierte. Inzwischen war der Laden bis in die letzten Ecken gefüllt. Für den Slot zwischen 15 und 16 Uhr ganz ordentlich.
Danach ging es zu Wargasm auf die Orbit Stage. Hier mit Milkie Way ebenfalls wieder eine Frau auf der Bühne und am thrashigen Gesang. Man will sich diesmal nicht vorwerfen lassen, dass die Bühnen fest in Männerhand sind. „Angry songs for sad people“ hieß die Devise, der man vor allem musikalisch gerecht wurde. Milkie mit weißen Haaren und knappem Bikini legte eine recht anzügliche Performance vor, wenn sie vor ihrem Bandpartner Sam Matlock auf die Knie ging und dessen Gitarre in Form eines Blowjobs anbetete. So haben sich die Feminist*innen einen stärkeren Anteil an Frontfrauen vermutlich nicht vorgestellt, aber es war nicht alles sexuell untermalt – die Band bestach durch eine laute und heftige Performance mit gutem Sound und Growls bei Songtiteln wie „Fukstar“, „D.R.I.L.D.O.“ oder „Bang Ya Head“.
Und direkt im Anschluss nochmal weibliche Vocals auf der Orbit Stage. Hannah Collins von Scene Queen aus Ohio war eine Offenbarung in Pink. „Barbie goes Metal“, so muss man wohl sagen. Die Songtitel waren so aussagekräftig wie Hannahs Outfit: „Pink Panther“, „Pink Push-up Bra“, „Pink G-String“, „Pink Paper“, „Pink Whitney“, „Pink Rover“ – man konnte der grellen Farbe nicht entgehen. Aber es wäre nicht fair, die Band auf diese Spielereien zu reduzieren. Es gab harte Gitarren und ein mit viel Sarkasmus zelebriertes Männer-Bashing. Collins ließ da auch kein gutes Haar an den männlichen Bandmitgliedern, die nach ihrer Pfeife tanzen mussten. Es wurde gar das mir bisher völlig unbekannte Genre „County Metal“ mit pinkem Cowboyhut geboten. Starke Performance.
Während die Dropkick Murphys auf der Hauptbühne für Stimmung sorgten, zog es mich dann rüber zur Mandora Stage. Dort stimmte Kerry King, Gitarrist und Mitbegründer von Slayer, mit seiner neuen, selbst betitelten Band die Metalheads auf Kreator ein. Allerdings war nicht so viel los, wie ich erwartet habe. Wo sind die Fans, die stets nach „mehr Metal“ schreien, wenn es dann so weit ist?
Am Mikro fand sich Mark Osegueda von Death Angel und seine Vocals waren fantastisch. Da hat Kerry einen guten Fang für sein Soloalbum „From Hell I Rise“ gemacht. Mit diesem Frontmann kann man nichts verkehrt machen, denn er zelebrierte nicht nur die Solotitel in bester Manier, sondern auch Slayer-Klassiker wie „Disciple“, das gefeierte „Raining Blood“ und „Black Magic“. Überhaupt war es ein Genuss, Kerry wieder spielen zu sehen, nachdem auch die Abschiedstour von Slayer an den Ring geführt hatte.
KREATOR machten es spannend und bauten hinter einem Vorhang auf. Die Party startete mit „Hate über alles“. Ja, so kennt und liebt man die Thrash Metaller aus Essen mit ihrem Frontmann Mille Petrozza. Der wirkt zwar bei seinen Ansagen wie der nette Kumpel von nebenan, legt aber an den Vocals ordentlich vor. Es gab eine furiose Setlist mit „Enemy of God“, „666 – World Divided“, „Hordes of Chaos“, „Phantom Antichrist“ und natürlich „Violent Revolution“ – also mit allem, was das Metalherz begehrt.
Um 23 Uhr dann zum gefühlt 100sten Mal die beste Band der Welt: Die Ärzte aus Berlin. Es sollte eine sehr politische Show werden – schließlich sind ja Wahlen am Sonntag. „Ihr habt alle Briefwahl gemacht und es regnet nicht“, stellte Bela B unter Jubel fest. Doch insgesamt gab es zumindest in der ersten Hälfte viel weniger Gelaber als bei anderen Konzerten, wo die launigen Dialoge fast schon Comedy-Charakter hatten. Diesmal war es so, dass sich die Kernaussagen in Sätzen wie „Wählt keine Arschlöcher“ und „Dein Kreuz gegen Hakenkreuze“ zusammenfassen ließen.
„Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist / Es wär‘ nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“. Mit diesem Sinnspruch begann die zweistündige Show von Farin, Bela und Rod. „Das Lied vom Scheitern“ wurde ebenso abgefeiert wie „Hurra“. Die Menge im Infield war grenzenlos – nur der Sound ließ mal wieder zu wünschen übrig, aber vielleicht wollen die Ärzte auch gern etwas nuschelig klingen.
Es gab eine La Ola von der Bühne bis zurück zum Riesenrad. Das war ein grandioser Anblick. Und das Wetter war perfekt. „Der Himmel ist blau und der Rest deines Lebens liegt vor dir“ in „Himmelblau“ funktionierte auch in tiefdunkler Nacht mit entsprechender Beleuchtung. „Scheint die Sonne auch für Nazis? Wenn’s nach mir geht, tut sie’s nicht“ in „Ein Sommer nur für mich“ sprach vielen aus der Seele.
Zu „Ich, am Strand“ wurde die Menge nochmal gefordert. Die Frauen sollten wie kackende Möwen schreien, die Männer ein Meeresrauschen imitieren. Klappte gut. Ebenso wie das Handylichter-Meer, das sich Farin und Bela wünschten. Die demokratischen Botschaften blieben weiterhin wichtig, schließlich ist „Demokratie“, wie die aktuelle Single heißt, das Wichtigste der Welt. Der letzte Song vor der Zugabe „Schrei nach Liebe“ wurde von „Fuck AfD“-Rufen begleitet. Ein unfassbar wichtiger Moment.
Der Zugabenblock dauerte eine ganze halbe Stunde und brachte Klassiker wie „Junge“ und „Westerland“. Die Party zu nächtlicher Stunde war perfekt und endlich mal nach langer Zeit war ich wieder ganz überzeugt von einem Ärzte-Konzert, das ohne endlose Ansagen ankam, wichtige Botschaften brachte und sich auf die Musik konzentrierte.
Zum Schluss des Freitags (oder muss man sagen: den Anfang am Samstag?) machten um 0.45 Uhr Avenged Sevenfold. So sollte es zumindest sein, aber man ließ noch etwas auf sich warten. Dass der Delay von knapp zehn Minuten auffällig war, zeigt auch, dass der Tag ansonsten extrem auf den Punkt ablief.
Die Metalband aus Kalifornien hatte eine extrem geile Show mit kunstvollen Videos mitgebracht. Da musste man einfach bleiben, auch wenn es schon sehr spät war. Es gab viele visuelle Einspieler und Songs zwischen sanften Melodien und knallharten Gitarren. Vielseitigkeit ist bei A7X einfach Trumpf, wobei Sänger Matthew Charles Sanders absolut präsent bleibt. Songs wie „Hail to the King“, „Seize the Day“ und „Blinded in Chains“ brachten die Menge zum Jubeln. Alternative Metal vom Feinsten. Und wenn sich dann auf dem Bildschirm in interaktiven Videos die Bandmitglieder in Satansfratzen und die Zuschauermenge in Zombies verwandelte, war die Illusion perfekt.
Ein grandioser Abschluss für den ersten Tag. Morgen geht es weiter mit Electric Callboy, Billy Talent, Green Day und den Broilers.
Alle Fotos auf dieser Seite von Rainer Keuenhof.