Im Jahr 2000 feierte die Band Deichkind mit der Hitsingle „Bon Voyage“ ihren Durchbruch – jetzt, 12 Jahre danach, beweisen die neonbunten Dinosaurier der deutschen Musikszene am 29.11.2012 im Palladium in Köln wieder einmal ihre über ein Jahrzehnt reichende Bühnenerfahrung. Die Hamburger Hip Hop,- Electropunk-Gruppe, die ihren Musikstil selber als „Tech-Rap“ bezeichnet, bestehend aus MC Phillip Grütering, MC Sebastian „Porky“ Dürre und Ferris MC, aka Ferris Hilton (Mitglied der Band seit 2008), lässt an diesem Donnerstagabend, mit Unterstützung durch ihren Tour-DJ DJ Phono, das Palladium in einem farbenfrohen Feuerwerk aus deftigen Bässen, cleveren Texten, fulminanten Bühnenbildern und skurrilen Kostüme erzittern.
Nach einem als Intro fungierenden Kurzfilm steigt die Spannung im Hauptsaal, in dem sich ca. dreieinhalbtausend Jünger der Propheten mit den Pyramidenhüten versammelt haben, ins Unermessliche. Ein Lichtschauspielspektakel später entlädt sie sich in einer pompösen Explosion, als der Vorhang aufgeht und die Deichkinder, in einer Flutwelle aus dröhnendem Bass, Jubelrufen und klatschenden Snares, die Bühne zu ihrem Herrschaftsgebiet erklären und daran mit ihrem Opener „99 Bierkanister“ keine Zweifel aufkommen lassen.
„Achtung, alle Hände hoch“ skandiert die Gruppe im Refrain und ihr Wunsch ist dem Publikum Befehl: Alle Anwesenden reißen die Hände in die Luft und toben zu den Klängen der Männer in den futuristischen Silberrüstungen, an denen die LED-Leuchten verrückt spielen; genau wie das Publikum, das nicht wie gewohnt nur eine auditive Funktion hat, nein, die Fans sind Teil des Bühnenprogramms; ob sie nun Gummiboote samt MC über ihre Köpfe hinweg tragen („Hovercraft“), Texte gekonnt mitgrölen oder auf Kommando das Deichkind-Zeichen mit den Händen formen – sie werden zu einer tragenden Rolle des Kunstproduktes Deichkind.
Die Bühnenbilder wechseln minütlich ihre Konstellation, bilden verschiedene geometrische Muster, werden zu Treppen oder Podesten, die Bühnenelemente scheinen sich wie von Geisterhand über die Bühne zu bewegen, bestrahlt von den irren Lichteffekten dieses musikalischen Zirkus. Ob Deichkind rappend auf Trampolinen springen, sich in einem gigantischen Fass performend den Weg durch die Crowd bahnen („Roll das Fass rein“), oder auf Bademeisterhochsitzen singen, wild tanzen und dabei rosane Flamingos oder Cowboyhüte auf dem Kopf tragen… bei jedem neuen Lied übertrumpft sich das Spektakel selbst, untermalt durch die wummernde Musik, die Deichkind, zusätzlich zu der Verrücktheit ihrer Performances, so auszeichnet und besonders macht.
Nicht nur ihr neues Album „Befehl von ganz unten“, von dem die Hits „Leider geil“ und „Bück dich hoch“ stammen, wird ausführlich zelebriert, sondern auch Klassiker, wie„Bon Voyage“, ihr erster großer Erfolg, lassen die halbentkleideten Fans wild und fanatisch pogen und Party machen. Das erste Stück der Zugabe ist „Krawall und Remmi Demmi“, der Klassiker, dessen Name Programm ist, wenn Deichkind, die glitzernde Discoabrisskugel, sich zum Ziel gesetzt haben, den Laden zum Kochen zu bringen. Eines der letzten Stücke des Auftritts ist der Song „Limit“ und genau an dieses Limit geht die Hamburger Formation immer wieder, zeigt jedoch im selben Augenblick, dass dieser Begriff für sie keine Bedeutung hat und für sie neu definiert werden muss. Für Deichkind gibt es kein Limit, weder beim Ideenreichtum (z.B. Hüpfburgen auf der Bühne) noch beim Abfeiern.
Alles in allem ist das Konzert ein Spektakel der Superlative, das wohl keiner der Anwesenden so schnell vergessen wird. Die meisten Fans werden das grelle Flackern des imposanten Lichteffektgewitters noch am nächsten Tag auf der Netzhaut spüren. Aber erst einmal geht es nach dem Konzert nach Hause, „mit der Luftbahn durch die Nacht“.