An diesem Donnerstagnachmittag, an dem sich der Kölner Frühling schon langsam ankündigt, stehe ich mitten im Kölner Studentenviertel mit etwa 30-40 weiteren musikbegeisterten Frauen und Männern vorm MTC in der Zülpicher Straße. Eigentlich fällt die Meute inmitten der zumeist alternativ gekleideten und oft tätowierten oder gepiercten Studentenschaft Kölns gar nicht so besonders ins Auge. Allerdings sind die hier versammelten Menschen aus einem ganz besonderen Grund hier: die amerikanische Post-Hardcore Combo Letlive sich die Ehre und bespielt die Bühne des Kölner Clubs, die auch häufig von lokalen Bands als Arbeitsplatz genutzt wird.
Nach gefühlten 3 Stunden Aufbau kann man die Erwartung förmlich aus der Luft greifen: Doch endlich kommen Jason Butler und Gefolge gemeinsam auf die Bühne und legen ohne Schnickschnack mit einem kurzen gesampleten Intro los. Jeder Fan im Raum schaltet jegliche Vernunft ab, denn alle kennen besagtes Intro: letlive beginnen die Show mit dem äußerst tanzbaren Track „The Dope Beat“, und für die nächsten eineinhalb Stunden steht hier niemand mehr still. Der Moshpit erstreckt sich von der Bühne bis in die hintersten Reihen des Clubs. Nach dem zweiten, ebenso treibenden Track „That Fear Fever“, begrüßt Jason Butler das Publikum mit den Worten: „Damn, Cologne. This got to be the wildest show on this whole fucking tour.“ Ob er damit recht hat, kann ich nicht beurteilen, aber ziemlich wild ging es im MTC tatsächlich her.
Dass der Abend noch mehr zu bieten hat, zeigt sich, als letlive in den Hauptteil ihres Sets einsteigen: Mit „Good Mourning America“ präsentieren letlive die erste Single des voraussichtlich im Juni erscheinenden Albums „If I’m The Devil…“, bei dem sich auch prompt die ersten Besucher dem Crowdsurfing hingeben. Dass dies der einzige Song des neuen Albums an diesem Abend bleibt, rechne ich letlive hoch an, denn so können alle Songs mitgesungen werden.
Zwischenzeitlich stürmen Fans auf die vielleicht 40 Zentimeter hohe Bühne, woran sich aber niemand stört, obwohl dort sowieso schon nicht genug Platz ist. Die Reaktion der Band darauf hat mich besonders fasziniert: Die Fans werden nicht, wie bei anderen Musikern, von der Bühne geschickt oder gar bedroht, sondern freundschaftlich begrüßt und zum mitmachen angehalten. Ja, Butler drückt einem Fan sogar ein zweites Mikro in die Hand und lässt ihn mitsingen. Diese Gelegenheit ergreifen im Laufe des Konzerts noch dutzende weitere Menschen, so etwa bei den folgenden Songs „Dreamer’s Disease“, „Banshee“ oder „Casino Columbus“. Egal in welche Richtung ich mich drehe, ausnahmslos jede Person im Raum singt jetzt mit.
Gegen Ende des Sets werden die Tracks dann etwas politischer, gesellschaftskritischer: bei „America’s Beutiful Black Market“ und „The Sick, Sick 6.8 Billion“ bekommt man das Gefühl, als wolle die Band mit dem Aufbau ihres Sets und der Abfolge der Songs eine Geschichte erzählen, in der der Erzähler aus der Ich-Perspektive immer weiter heraus zoomt und anschließend die Gesellschaft und sich als Teil davon betrachtet. Wieder Gänsehaut. Zum Schluss kommen die ganz großen Hits, auf die jeder gewartet hat, und einen jetzt schon einzigartigen Abend gebührend zum Abschluss bringen: bei „27 Club“ rastet die Meute nochmal so richtig aus. Es folgt der ruhigere Song „Muther“, den die Band mit so unglaublich viel Gefühl spielt, dass man weinen möchte. Nach dem mindestens genauso emotionalen „Day 54“ ist es dann vorbei; oder eben doch nicht. Die Menge schreit (natürlich) nach einer Zugabe, und die bekommt sie auch. Es wird zum ersten Mal wirklich ruhig im Raum, und die Punks aus LA stimmen eine Akustikversion von „Pheromone Cvlt“ an, bei der natürlich auch mitgesungen wird. Die Band bedankt sich und entlässt die völlig ramponierte Menge aus dem Club.