Wer sich näher mit Neal Morse beschäftigt, weiß, dass dieser auf vielen Baustellen unterwegs ist. Zunächst einmal war er Sänger der Vorzeige-Progger Spock’s Beard, mit denen zusammen er vor wenigen Jahren in einer Kurzzeit-Reunion zweimal das Konzeptalbum „Snow“ live aufführte. Ein Hochgenuss für jeden Fan guter Progmusik. Dann gehört er zur Supergroup Transatlantic, die immer mal wieder fantastische Alben auf den Markt bringt und dann ausufernd unterwegs ist. Das darf man nicht verpassen, wenn es denn mal wieder soweit ist. Als Solomusiker mit Begleitband hat er schließlich einige fulminante Alben auf den Markt gebracht, die die Qualitäten von Spock’s Beard und Transatlantic vereinen und zum Teil zu Klassikern des Prog avanciert sind. Auch hier macht ihm so schnell keiner was vor.
Neben all diesen Qualitäten gibt es aber auch eine ruhige Seite des Neal Morse. Er ist bekennender Christ (wer behauptet das heute noch von sich in der Musikwelt?) und hat eine ganze Reihe von akustisch gehaltenen CDs aufgenommen, die man vor allem auf seinen Worship-Sessions oder über seine Homepage erwerben kann. Das sind sehr feine und modern gehaltene Kirchenlieder, die manchmal einen Hauch von Gospel in sich tragen, meist aber einfach moderne Popmusik darstellen. Und darüber hinaus gibt es jetzt die neue, sehr autobiographische CD „Life and Times“.
Neal Morse geht auf die 60 zu. Seine Kinder sind erwachsen und er nimmt sich Zeit für eine Bestandsaufnahme. „Ich habe viele schwierige Zeiten hinter mir und bin im Moment ziemlich zufrieden mit meinem Leben“, berichtet er. „In manchen meiner Songs klingt das durch.“ Viele Stücke dieses akustisch orientierten Singer/Songwriter-Albums hat er während der The Road Called Home Tour 2017 geschrieben. Einige sind von den Orten inspiriert, die er gesehen hat, andere von der gemeinsamen Zeit mit seiner Familie.
So verwundert es nicht, dass sich viele Lovesongs auf dem Album finden. Er drückt seine Liebe zu den Menschen aus, aber auch zum Leben und zu den Orten, die ihn geprägt haben. „Manchester“ beschreibt einen sonnigen Tag in England. „Selfie In The Square“ handelt von Luxemburg, das Neal ganz toll fand, wo er aber auch melancholisch wurde, da er dieses Erlebnis gern mit seiner Frau geteilt hätte – und zwar live und nicht in Form eines Selfies. Ein wundervoller Song über Sehnsucht.
„Joanna“ hingegen handelt von Neals Sohn und spiegelt die Gefühle, die dieser nach einer Trennung hatte, während „He Died At Home“ die Trauer einer Soldatenmutter über den Tod ihres Sohnes zum Thema hat, der nach seiner Rückkehr aus Afghanistan Suizid begangen hat. Neal erzählt diese Geschichten und berührt seine Zuhörer. Das tut er mit wehmütiger Stimme und filigranen Klängen. Ganz ohne die großen sinfonischen Elemente, die er sonst so in seinen epischen Werken verwendet.
Trotz – oder gerade wegen – seiner Reduziertheit, ist „Life and Times“ ein kraftvolles, sehr bewegendes Werk geworden. Neal Morse zeigt hier eine Seite seiner Persönlichkeit, die für viele ganz neu sein mag. Nicht der große Macher und begeisternde Erwecker, sondern ein gefühlvolles Ich, das die Menschen mit auf den Weg nimmt. Bravo!