Stellt euch vor, ihr schippert mit einem Floß über die Sümpfe von Alabama. An Bord eine Cajon und ein Banjo. Krokodile begleiten lautlos eure Fahrt, die durch dichtbewaldete Gegenden führt. Plötzlich reißt der Himmel auf und im gleißenden Sonnenlicht erkennt ihr, dass ihr direkt auf einen schäumenden Wasserfall zusteuert. Mit ausgebreiteten Armen stürzt ihr euch in die Fluten, spürt wie das Wasser euch in die Tiefe reißt und taucht am Ende des Wasserfalls schreiend vor Glück wieder auf. Genau so klingt das neue Album der Rival Sons.
Als sich das Quartett vor nunmehr elf Jahren in Los Angeles gründete, war von alledem noch wenig zu spüren. Inzwischen gelten die Rival Sons als die moderne Bluesrock-Entdeckung schlechthin und sind mit ihren bisherigen fünf Studioalben zu absoluten Kritikerlieblingen aufgestiegen. Ich selbst habe sie erst letztes Jahr beim Joggen entdeckt. Per Zufall tauchten sie in einer Spotify-Playlist auf. Anschließend hörte ich mich bei meinen regelmäßigen Laufeinheiten quer durch ihr gesamtes Repertoire und stieß dabei auf keinen einzigen schlechten Song. Auch ich hatte mich rettungslos in ihren erdigen Sound verliebt. Entsprechend gespannt erwartete ich die Veröffentlichung ihres sechsten Albums „Feral Roots“.
Standesgemäß aufgenommen wurden die elf neuen Stücke im legendären RCA Studio in Nashville und dem nicht minder geschichtsträchtigen Muscle Shoals Sound Studio in Alabama. Als Produzent fungierte der langjährige Wegbegleiter der Band, Grammy-Gewinner Dave Cobb. Das farbenfrohe Artwork des Albums wurde von dem bekannten zeitgenössischen Künstler Martin Wittfooth gestaltet. Aber so wild und animalisch wie uns der Titel glauben machen will, ist „Feral Roots“ nicht geworden. Im Vergleich zu seinen Vorgängern fällt das Album sogar leicht ab. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau, denn natürlich sind die Rival Sons nach wie vor weit davon entfernt einen schlechten Song abzuliefern.
Der Opener „Do Your Worst“ ist ein dunkel stampfendes Stück Bluesrock, wie man es von den Rival Sons gewohnt ist. Ein solider Auftakt mit einem stadiontauglichen Mitklatschrefrain. Ähnlich verhält es sich mit den vollfetten „Sugar On The Bone“ und „Too Bad“. Bei der ersten Singleauskopplung „Back In The Woods“ vergaloppiert sich die Band nach einem gelungenen Schlagzeuggewitter zu Beginn etwas zwischen Bremse, Gaspedal und Gitarrengegniedel. „End Of Forever“ ist nicht mehr und nicht weniger als traditioneller Rock, über den andere Bands aber wahrscheinlich glücklich wären, wenn sie ihn nur annähernd so gut hinkriegen würden. Wie gesagt, wir jammern hier auf hohem Niveau.
Wirklich herausragend ist „Feral Roots“ an anderen Stellen. Etwa in „Look Away“, das dieser Rezension die Idee zu ihrer Einleitung gab. Oder in dem hymnischen Titelsong, der mit fast sechs Minuten auch der längste des gesamten Albums ist. „Stood By Me“ groovt entspannt vor sich hin und lässt garantiert auf jeder Party die Tanzmuskeln zucken. Auch „Imperial Joy“ sorgt für permanentes Kopfnicken in Kombination mit einem Dauergrinsen. „All Directions“ beginnt sphärisch und einlullend, bevor es zum Ende hin nach einem Urschrei von Sänger Jay Buchanan so richtig schön abgeht. Überhaupt ist dessen Stimme immer wieder aufs Neue der Knaller. Last but not least beginnt der Closer „Shooting Stars“ als reinrassiger Gospel, der von einer Akustikklampfe umschmeichelt wird. Der Chor wird mächtiger und mächtiger und erhebt sich schließlich zusammen mit Schlagzeug und E-Gitarre in den Himmel. Auf den anstehenden Konzerten wird „Shooting Stars“ mit Sicherheit ein enormes Mitgröhlpotential entfalten. Zwischen dem 17. Februar und dem 1. März kommt die Band nach München, Frankfurt, Berlin, Köln und Hamburg.
Ob nun live oder aus der Konserve, die Rival Sons sind der definitive Schlechte-Laune-Killer. Klar ist das was sie machen retro, aber sowas von frisch und energiegeladen, dass man fast glaubt, sie hätten den Bluesrock erfunden. Ich weiß nicht was ihr vorhabt, aber ich klopfe mir jetzt den Staub von den Stiefeln, ziehe noch einmal an meiner Zigarette und reite dem Sonnenuntergang entgegen.