Dass Wolfgang Niedecken ein Faible für die Musik von Bob Dylan hat ist schon seit Beginn seiner Karriere mit BAP bekannt. Zu dieser Zeit war er oft allein mit Gitarre und Mundharmonika unterwegs, was ihm schnell den Spitznamen „kölscher Dylan“ einbrachte. Er machte dieser Zuschreibung alle Ehre, indem er schon früh kölsche Texte zu Liedern von Dylan verfasste und 1995 ein ganzes Soloalbum mit neu getexteten Dylansongs namens „Leopardefell“ veröffentlichte.
Im Jahr 2017 ist Niedecken im Auftrag des TV Senders ARTE zu einer Reise auf den Spuren von Bob Dylan aufgebrochen. Kreuz und quer durch die USA, wo er mit vielen ehemaligen Weggefährten, Fotografen, Journalisten und Musikern gesprochen hat, die kompetent über Bob Dylan’s Amerika Auskunft geben konnten. In der KiWi Musikbibliothek erschien schließlich 2021 ein spannendes Büchlein, das den Titel „Wolfgang Niedecken über Bob Dylan“ trug. Im Booklet zum CD-Release „Dylanreise“ erzählt Niedecken nun von der Tour zu den Originalschauplätzen und von der Arbeit am Buch, das er als Fan für Fans geschrieben hat.
Als es im vergangenen Jahr keine Chance auf BAP-Konzerte gab und alle Pläne in die Tonne gekloppt werden mussten, ergriff Wolfgang die Gelegenheit beim Schopf und konnte auf eine kleine Tour in einer Mischung aus Lesereise und Songwriter-Session gehen. Da vieles davon als Open Air und vor sitzendem Publikum stattfand, konnte man die Locations dann doch ganz ordentlich füllen. Wer es trotzdem verpasst hat, bekommt jetzt mit dem 3CD-Release „Dylanreise“ einen hinreichenden Eindruck.
CD 1 und 2 geben das Programm wieder, das aus Texten aus Niedeckens Buch bestand, zu denen sich dann 16 Songs gesellten, die wahlweise auf Englisch, in kölscher Sprache oder in einer Mischung aus beidem zu Gehör gebracht wurden. Viele hätten vermutlich eine live-CD der Tour erwartet, doch „Dylanreise“ ist tatsächlich ein Studiowerk. Schade eigentlich – aber vielleicht kommt ja noch ein DVD Release.
Die Songs sind allesamt neu aufgenommen – mit Niedecken an Gitarre und Mundharmonika sowie Mike Herting am Piano. Auch gesanglich liefert Herting entsprechende Unterstützung im Backing. Die Songs sind nicht alle von Bob Dylan. „Sinnflut“ ist beispielsweise eine Eigenkomposition aus dem Jahr 1979 und „Leev Frau Herrmanns“ stammt gar aus 1977.
Ganz groß in Sachen Dylan wird es aber mit Stücken wie „The Times They Are A-Changin“, „Wie ’ne Stein (Like A Rolling Stone)“, „Quinn, dä Eskimo“ und „Only A Hobo“. Dazwischen erzählt Wolfgang mit seiner charismatischen Stimme von Kneipengig-Erfahrungen, von seinen Berührungspunkten mit Dylans Musik, von dessen erstem Deutschland-Gig und vielen anderen Anekdoten.
Eine coole Sache übrigens, dass auf CD 3 nochmal alle Songs ohne Zwischentexte auftauchen und noch um drei Bonus-Stücke aus Niedeckens Dylan-Katalog erweitert wurden (unter anderem „Knocking On Heaven’s Door“ und „The Christmas Blues“). Denn sind wir mal ehrlich: Die Scheiben mit den Lesetexten hört man sich auf jeden Fall einmal an. Vielleicht auch noch ein zweites oder drittes Mal. Doch irgendwann will man die Musik genießen und ist genervt, nach jedem Track einmal auf die Skiptaste drücken zu müssen.
Der Digipack mit den drei Silberscheiben ist sehr wertig aufgemacht und enthält Fotos von Niedecken sowie seinem Compagnon Mike Herting an Piano und Backing Vocals. Zudem sind Wolfgangs Liner Notes zu den Hintergründen des Albums sehr informativ. Für Fans von Dylan und Niedecken ist der Release essentiell – für alle Anderen auf jeden Fall empfehlenswert!