Die Pretenders sind eine lebende Legende. 2005 wurden sie in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. Maßgeblichen Anteil daran hat Frontfrau Chrissie Hynde, die 2015 vom Rolling Stone-Magazine auf Rang 63 der 100 besten Songwriter aller Zeiten gesetzt wurde. Im Juni 2014 erschien mit „Stockholm“ ihr erstes von zwei Soloalben und ein Jahr später ihre Memoiren mit dem Titel „Reckless – My Life As a PretenderIn“. Seit 1978 hat die inzwischen 68-Jährige mit den Pretenders zehn zum Teil wegweisende Alben veröffentlicht. Mit dem von Fans und Kritikern hochgelobten „Alone“ feierten die Pretenders 2016 nach acht Jahren Pause eine Art Wiederauferstehung. Jetzt erscheint mit „Hate For Sale“ der Nachfolger. Es ist das erste Album, das mit dem Line-Up eingespielt wurde, das in den letzten 15 Jahren als Pretenders auf Tour war: Gründungsmitglied Martin Chambers am Schlagzeug, Bassist Nick Wilkinson, Gitarrist James Walbourne und natürlich Chrissie Hynde mit ihrer unverwechselbaren Rockröhre als Aushängeschild. Alle Songs stammen erstmals aus der gemeinsamen Feder von Hynde und Walbourne.
Insgesamt sind es deren zehn geworden. Dass diese zusammen nur auf eine Spielzeit von etwas mehr als 30 Minuten kommen, lässt schon darauf schließen, dass es auf „Hate For Sale“ größtenteils kurz und knackig zugeht. Die Stilpalette besteht dabei fast schon traditionell aus ein paar rockigen Songs, einigen Mid-Tempo-Stücken, radiotauglichen Tracks im klassischen Pretenders-Sound, ein oder zwei Balladen und natürlich einer Reggae-Nummer („Lightning Man“). Eröffnet wird „Hate For Sale“ vom Titelstück, das gleichzeitig die erste Single-Auskopplung ist, und zunächst hört man einen Verspieler. Danach rotzt sich die Band durch zweieinhalb Minuten feinsten Punk. Chrissie Hynde verneigt sich damit nach eigener Aussage vor The Damned. Ein bärenstarker Auftakt. Leider kann die Band dieses Niveau nicht über die gesamte Albumlänge halten.
Die übrigen Songs handeln grösstenteils von Chrissie Hyne’s ehemaligen Liebschaften. Dass es dabei auch mal sehr gefühlvoll zugegangen sein muss, beweisen das R&B-lastige „You Can’t Hurt A Fool“ und die vom Duke Quartet in Violinen ertränkte Schnulze „Crying In Public“. Dazwischen gibt es mit „The Buzz“ und „Maybe Love Is In NYC“ zwei eher unspektakuläre Mid-Tempo-Rocker. Gut sind die Pretenders immer dann, wenn sie mit Dreck um sich schmeißen wie in „Turf Accountant Daddy“ oder den alten kämpferischen Rock’n’Roll-Spirit wieder aufleben lassen („I Didn’t Know When To Stop“). Warum nicht mehr davon? Stattdessen lässt das Quartett mit dem stampfenden „Junkie Walk“ ein eher langweiliges Mitklatschstück folgen. Im darauffolgenden „Didn’t Want To Be This Lonely“ wird zwar weiter geklatscht, aber hier beweisen die Pretenders eindrucksvoll warum sie nach wie vor zu den grössten Rockbands dieses Planeten zählen. „Didn’t Want To Be This Lonely“ ist ein mitreißender Rocksong mit einer ebenso mitreißenden Gitarrenarbeit von James Walbourne, zu dem sich live sicherlich herrlich pogen lässt. Das mit Abstand beste Stück auf „Hate For Sale“.
Am Ende überwiegt das Licht den Schatten. Es ist toll, dass es die Pretenders nach 42 Jahren immer noch gibt und dass sie heute phasenweise so frisch und unverbraucht klingen, als hätten sie gestern erst angefangen. Man kann ihnen kaum verdenken, dass sie nach dieser langen Zeit auch mal die Routinekarte ausspielen. Am Schluss findet Chrissie Hynde einmal mehr die richtigen Worte: „Ich schickte ‚Hate For Sale‘ zu John McEnroe, einem Gitarristen den ich kenne. Er spielt außerdem Tennis und ist der größte Rockfan, den ich kenne. Er meinte: Wow, ich habe mir grade dein Album angehört. Oldschool, ich liebe es! Songs kurz und süß und Rock And Roll vom Feinsten.“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!