Kürzlich konnte Wolf Biermann seinen 88. Geburtstag feiern. Kein bisschen leise ist er – bis heute. Was könnte man alles über den politischen Liedermacher erzählen? Geboren wurde er in Hamburg. Sein Vater war Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Nach dem Krieg zog der Künstler nach Ost-Berlin, weil er an die Idee des Sozialismus glaubte. Er hat am Berliner Ensemble mit Bertolt Brecht gearbeitet und wurde bekannt für seine gesellschaftskritischen Lieder, die bis heute Bestand haben und zu einem Auftrittsverbot in der DDR führten. 1976 wurde er gar während einer Tournee in der Bundesrepublik ausgebürgert und durfte nicht mehr nach Ostdeutschland zurückreisen. Spätestens seit diesem Skandal war sein Name in aller Munde und seine Musik erlebte einen regelrechten Boom auch auf westlicher Seite.
Warum aber jetzt dieses Coveralbum? Ein besonderes Jubiläum steht ja nicht ins Haus (oder vielleicht zur runden 90 in zwei Jahren). Clouds Hill, das Hamburger Indie-Label um Produzent und Autor Johann Scheerer, hat die Rechte am Gesamtwerk Wolf Biermanns gekauft, das sich auf etwa 300 Lieder beläuft – mit dem Ziel, seine Musik wieder zugänglich zu machen. Doch hier geht es nicht um eine Expansion des Labelkatalogs: Wolf und Pamela Biermann haben im engen Dialog mit Johann Scheerer einen Plan entworfen, eine Brücke zu schlagen von Biermanns Werk in die heutige Zeit.
Ziel ist es, diese immer noch relevante Musik, die in einem von Krisen gebeutelten Europa heute aktueller denn je wirkt, einem breiteren Publikum zugänglich zu machen für eine nachwachsende Generation. So wird im Clouds Hill-Studio in Hamburg intensiv an diversen Coverstücken gearbeitet, von denen noch viel zu hören sein wird. Seine Texte, die heute noch so aktuell sind wie damals, machten ihn zum Symbol für Widerstand und Meinungsfreiheit, seine Songs inspirieren bis heute Generationen. Mit der Neuinterpretation von Biermanns Liedern will dieses Cover-Projekt das Werk zelebrieren und seine Musik einem neuen Publikum zugänglich machen.
Um dieses Projekt zu verwirklichen, hat man sich viele Künstler*innen der Gegenwart mit ins Boot geholt, mit mehr oder weniger hohem Bekanntheitsgrad. Moritz Krämer ist dabei, Mola, Haity und Balbina. Jan Plewka, Sänger von Selig, singt „Das kann doch nicht alles gewesen sein“. Alligatoah widmet sich dem „Hugenottenfriedhof“. Lina Maly singt mit wundervoller Stimme das „Barlach-Lied“ und Ina Müller verleiht „Bin mager nun und fühle mich“ eine ganz neue Atmosphäre.
Ganz stark kommt die neue Songpoeten-Generation mit Betterov und Maxim, doch auch einige Altmeister lassen es sich nicht nehmen, an dem Projekt beteiligt zu sein: Katharina Franck von den Rainbirds singt mit ihrer charismatischen Stimme die „Ballade vom preußischen Ikarus“, Wolfgang Niedecken interpretiert „Und als wir ans Ufer kamen“, während Meret Becker sich dem „Stillepenn Schlufflied“ widmet.
Vielfalt ist Trumpf, das kann bei der illustren Riege gar nicht anders sein, und die Lyrics sind einfach genial – für ihre originale Zeit ebenso wie für die jetzige. Es geht um Freiheit und Gerechtigkeit, um Heimatlosigkeit und Exil. Vielleicht fehlen einige wichtige Stücke wie die „Stasi-Ballade“ oder „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“. Auch „Deutschland. Ein Wintermärchen“ hätte ich in heutigen Zeiten gern gehört, doch vermutlich hätte man einfach alle 300 Texte auswählen können. Grandios einfach, wie sie hier in neuen Arrangements und mit anderen Stimmen wieder zum Leben erweckt werden, auch wenn die Originale natürlich am besten klingen.