Die Rezeptur der Avantasia-Alben von Tobias Sammet mag immer gleich sein: viel Bombast zwischen orchestralem Rock und proggigen Einsprengseln mit zahlreichen namedroppenden Gastsängern. Das Ergebnis allerdings dürfte (gerade deswegen) die Fans des Musikers aus Fulda, der ansonsten als Gründungsmitglied und Sänger von Edguy fungiert, mal wieder hoch erfreuen.
Seit Beginn des Jahrtausends bringt er in regelmäßigen Abständen seine episch angelegten Metal-Opern auf den Markt und „Moonglow“ ist bereits das siebte Studioalbum, mit dem es Sammet erstmals auf Platz 1 der deutschen Charts brachte. Dazu brillieren neben bekannten Avantasia-Gastsängern wie Michael Kiske (Helloween), Ronnie Atkins (Pretty Maids), Eric Martin (Mr. Big), Geoff Tate (Queensryche), Jorn Lande und Bob Catley (Magnum) auch neue Gäste wie Candice Night (Blackmore’s Night), Hansi Kürsch (Blind Guardian) und Mille Petrozza (Kreator).
Der Titelsong „Moonglow“ wurde von Candice eingesungen und ist ein Vierminüter in bestem Radioformat, der als Rockballade eine Liebeserklärung an den Mond und die Nacht darstellt. Darüber hinaus aber bietet das Konzeptwerk die üblichen Longsongs und rockigen Ausreißer. Die Arrangements sind von gewohnter Stärke – das passt. Und musikalisch gibt es ohnehin nichts zu meckern. Man könnte jetzt sagen, dass sich „Moonglow“ wie jedes andere Werk von Avantasia anhört. Ja. Tut es in gewissem Sinne auch. Und doch wird anhand des lunaren Themas mal wieder eine ganz eigene Atmosphäre geschaffen, zu der sicher auch das schöne Fantasy-Cover des schwedischen Zeichners Alexander Jansson beiträgt: zugleich romantisch und gespenstisch.
Einzelne Songs herauszugreifen, mag man gar nicht wagen, aber ich will es doch tun: „Requiem For A Dream“ zeigt nämlich Michael Kiske in Topform und die rockige Cover-Version von „Maniac“ klingt einfach wunderbar nostalgisch. Wer auf gute Metalopern mit orchestralem Einschlag steht, kann hier bedenkenlos zugreifen.
Liebhabern von Progressive Rock und Progressive Metal muss man Arjen Anthony Lucassen nicht groß vorstellen. Seit mehr als 20 Jahren veröffentlicht der Multiinstrumentalist aus den Niederlanden unter dem Projektnamen Ayreon höchst aufwändig produzierte Konzeptalben mit verzwackten Storylines, auf denen er – für gewöhnlich von namhaften Gästen begleitet – gewaltige Kathedralen aus Klang errichtet.
2017 erschien sein SciFi-Epos „The Source“, es geriet zum bisher größten Ayreon Erfolg. Lucassen liebt derlei Megaprojekte über alles – wenn er sie plant und realisiert, lässt er sich von nichts und niemandem bange machen. Nur eines ruft bei dem über zwei Meter messenden, 56-jährigen Hünen seit jeher unweigerlich Fracksausen hervor: Liveauftritte vor großem Publikum. Sie machen ihn nervös, deshalb meidet er sie gerne. Sein Lampenfieber sei übermächtig, sagt Lucassen selbst, und die daraus resultierenden Panikattacken vor Konzerten wären schwer zu bändigen. Kaum zu glauben, aber wahr.
Dementsprechend dünn gesät sind Auftritte wie jene denkwürdigen Shows, die im September letzten Jahres an drei aufeinander folgenden Abenden in Tilburg über die Bühne gingen, wohl auch deshalb waren sämtliche 9.000 erhältlichen Tickets binnen eines Tages vergriffen. Lucassen traute sich vor heimischer Kulisse dann tatsächlich, und die aus aller Welt angereisten Fans bekamen bei einem Parforceritt durch die gesamte Ayreon-Historie ein gewaltiges Progrock-Spektakel geboten, an das sie sich wohl noch lange erinnern werden. Wer nicht dabei war, kann sich jetzt einen tollen Eindruck davon nach Hause holen: Unter dem Titel „Ayreon Universe – Best of Ayreon live“ erscheint bei der Mascot Label Group ein Mitschnitt der Tilburg-Konzerte in vielerlei Formaten.
30 Kameras liefen allabendlich im 013 Poppodium, als Arjen Lucassen gemeinsam mit zwei Dutzend prominenten Gastmusikern zur Sache kam. Als Sängerinnen und Sänger waren mit von der Partie: Floor Jansen und Marco Hietala (Nightwish), Damian Wilson (Threshold), Hansi Kürsch (Blind Guardian), Tommy Karevik (Kamelot), Anneke van Giersbergen (The Gentle Storm), Jonas Renkse (Katatonia), Mike Mills (Toehider), Marcela Bovio (Stream of Passion), Irene Jansen und Jay van Feggelen (Ayreon), Robert Soeterboek (Star One), John Jaycee Cuijpers (Praying Mantis), Edward Reekers (Kayak), Maggy Luyten (Nightmare) und Lisette van den Berg (Scarlet Stories). Die Band setzte sich neben Lucassen selbst aus Ed Warby (Drums), Johan van Stratum (Bass), Marcel Coenen (Leadgitarre), Ferry Duijsens (Gitarre) und Joost van den Broek (Keyboards) zusammen, hinzu kamen noch Ben Mathot (Geige), Jeroen Goossens (Flöte, Holzbläser) sowie Maaike Peterse (Cello).
Die Konzerte dauerten jeweils mehr als zwei Stunden, zum Besten gegeben wurden Stücke aus sämtlichen Ayreon-Alben, vom aktuellen „The Source“, über „The Theory of Everything“ (2013), „01011001“ (2008), „The Human Equation“ (2004), „Universal Migrator Part 1“ und „…Part 2“ (2000), „Into the Electric Castle“ (1998) und „Actual Fantasy“ (1996), bis zurück zum 1995er-Debüt „The Final Experiment“. Projektionen auf einen riesigen HD-Bildschirm, der im Hintergrund die gesamte Bühnenbreite einnahm, untermalten das Ganze sehr effektvoll.
Es ist ein musikalischer Genuss, sich die Konzerte im CD-Format anzuhören. Erstklassiker Sound. Neoprog vom Feinsten. Geniale Gastsängerinnen und -Sänger. Allein der Keyboard-Sound ist einzigartig. Und die Musical-Elemente aus den Konzeptwerken werden gekonnt zu einem großen Ganzen verknüpft.
Viel wichtiger aber ist das visuelle Geschehen – weil es dies bei Ayreon so selten gibt. Daher MUSS es natürlich der DVD-Release sein, auf den man das Hauptaugenmerk legt. Das futuristische Geschehen und die Fantasy-Elemente wurden so gekonnt auf die Bühne gebracht, dass man dies auch zuhause auf der Couch in vollen Zügen genießen kann. Ob folkige Passagen, Hardrock oder Prog – Solokünstler, Band und Backgroundsänger spielen mit viel Elan auf. Auch sie sind sich der Einzigartigkeit des Ereignisses voll bewusst. Was sie abliefern ist eine Performance, die man nur als phänomenal bezeichnen kann.
Ich bin nicht von jedem Album des Holländers überzeugt. Oft gibt es ellenlange Wiederholungen, zu viel Bombast oder Keyboard-Passagen, die irgendwann die Nervenzellen belasten. Doch was er hier abliefert, ist eine großartige Zusammenfassung seiner Ideen und Werke. Damit kann man einen kurzweiligen Abend vor dem Fernseher füllen. Stark!
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Das letzte Album „Kunstraub“ (2013) wurde von vielen Fans mit gemischten Gefühlen aufgenommen. In Extremo hatten sich augenscheinlich dem Massengeschmack angepasst und es sah so aus, als wollten sie neuen deutschen Helden wie Unheilig in die Gefilde des Mainstream folgen. Aber warum solche Kompromisse machen? Ein Platz an der Chartspitze ist ihnen seit vielen Jahren ohnehin sicher. So wartete man gespannt darauf, ob die Band die Kurve kriegt und ihre Fans wieder mit kompromisslosem Mittelalterrock begeistern kann.
Kurz gesagt: sie kann! Das Album „Quid pro quo“ zeigt das Septett ganz in der Tradition von „7“ und „Sängerkrieg“. Man klingt rockiger – und Ausflüge in das Genre Metal dürften einige Hörer überraschen. In dem Song „Roter Stern“ (featuring Hansi Kürsch von Blind Guardian) geht es schon ordentlich zur Sache. Und etwas später haut „Flaschenteufel“ im Verbund mit Heaven Shall Burn so kräftig rein, wie kein anderer In Extremo Song der letzten Jahre. Mein absoluter Favorit auf diesem Album.
Interessant ist auch die Einbeziehung ungewöhnlicher Sprachen in die Rockmusik. Latein gibt der Albumtitel ja schon vor, doch es finden sich zudem Songs in estnischer, walisischer und russischer Sprache. Auch wenn man die Texte nicht versteht, kommen sie lautmalerisch gut rüber und geben dem Album entsprechenden Drive.
Den lateinischen Ausspruch „Quid pro quo“ kennen wir schon von Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“. Die Thematik von Nehmen und Geben behandelt dann auch der Song „Störtebeker“ als idealer Opener. In Extremo erzählen die Geschichte des Robin Hood der Meere. Mit solchen Texten sind sie in Bestform. „Pikse Plave“ erklingt sehr folkloristisch mit mittelalterlichen Klängen. Ein weiteres Highlight des Albums. Und das Trinklied „Sternhagelvoll“ kommt passend zum Abschluss.
Mit „Quid pro quo“ haben sich In Extremo selbst übertroffen. Wir bekommen die ganze Bandbreite ihrer Musik geboten und das Instrumentarium sieht wie gewohnt die ungewöhnlichsten Mittelalter-Instrumente vor. Die Balance zwischen folkloristischem Saitenspiel und metallischer Härte ist absolut gelungen. So dürfen In Extremo gerne noch zwanzig Jahre weiter machen.